Chapter Text
Die Sache war die, es war kompliziert. Alles war kompliziert. Immer war es kompliziert. Damals, wie heute. Früher war da Adams Vater, die Schläge, das Training. Sie konnten sich nicht einfach treffen, wenn sie Lust dazu hatten oder machen, was sie wollten. Es war immer kompliziert gewesen. Dann war Adam auf einmal weg und Leo musste ohne seinen besten Freund klarkommen, entscheiden, wo er im Leben hinwollte, wie es weitergehen sollte. Auch das war ziemlich kompliziert. Und dann war Adam auf einmal wieder da, als Teil seines Teams, sein Kollege. Und irgendwie schien auf einmal alles noch viel komplizierter zu sein, als es jemals war. Leo hatte nicht damit gerechnet, dass das überhaupt möglich war.
Sie hatten sich nicht wirklich ausgesprochen, als Adam da auf einmal vor ihm stand. Haben irgendwie einfach weitergemacht, einen Alltag geschaffen, ohne überhaupt eine sichere Basis für eine Kollegschaft, geschweige denn eine Freundschaft zu haben. Was hatten sie sich eigentlich dabei gedacht, so zu tun, als wäre die Vergangenheit nie passiert?
Am Anfang schien das ja sogar noch zu funktionieren. Aber da waren immer wieder diese Momente, die ihnen so deutlich zeigten, dass es eben nicht funktionierte. Erst wachte Adams Vater auf und Adam verschwieg es ihm ganze zwei Monate. Dann war da die Sache mit Lausch im Wald. Sie sprachen nie wieder darüber, dass Adam ihn am Einschreiten gehindert hatte und Leo infolgedessen einen Menschen töten musste. Einige Zeit später dann Rolands Tod mit seinem perfiden Plan und nun dieses verdammte Geld.
Das Geld hatte alles endgültig zerstört. Alles, was vielleicht noch übrig geblieben war von ihrer absolut beschissenen Basis. „Das war‘s.“, dachte Leo. Er wusste nicht, wie sie sich aus diesem Schlamassel je wieder herausziehen sollten. Wäre er vernünftig, würde er es einfach abhaken. Dafür sorgen, dass sie einigermaßen miteinander arbeiten konnten und mehr nicht. Es würde ihm vermutlich einiges an Nerven ersparen.
Aber es ging eben immer noch um Adam. Den konnte Leo nicht einfach so aufgeben. Konnte er damals schon nicht. Warum, wusste er selbst nicht. Egal, was passierte, Adam schien immer irgendwie sein Dreh- und Angelpunkt zu sein, eine der wichtigsten Personen in seinem Leben, neben seiner Familie. Er hatte in den Jahren von Adams Abwesenheit verstanden, dass ihre Freundschaft etwas Besonderes gewesen war. Dass nicht jede Freundschaft so intensiv und bedingungslos war. Aber was änderte das schon, wenn sie es trotzdem nicht hinbekamen?
Und dann dieser Kommentar von Pia nach ihrem Streit im Krankenhaus. Wenn es nicht sowieso schon kompliziert gewesen war, spätestens ab dann. „Mittelpunkt der Welt“, „wenn ihr ein Paar wärt“ – irgendetwas lief hier gewaltig schief.
Beziehungen waren noch nie Leos Ding gewesen. Er hatte es ein paar Mal versucht, es war auch insgesamt gar nicht so schlecht gelaufen. Aber es hatte eben nie gehalten und Leo hatte auch nicht unbedingt den Drang, sich damit groß auseinanderzusetzen. Sein Leben gefiel ihm ohne Beziehung schließlich auch.
Und die Situation mit Adam war sowieso etwas ganz anderes. Das hatte überhaupt nichts mit seinen bisherigen Beziehungen gemeinsam, war eher meilenweit davon entfernt. Sicherlich, Adam war wichtig in seinem Leben und er wollte, dass das so bleibt. Aber mit Beziehung hatte das für ihn nie wirklich etwas zu tun gehabt. Aber verunsichert war er trotzdem von Pias Bemerkung. Dass hier etwas überhaupt nicht stimmte, war ihm selbst auch schon klar. Aber eine toxische Beziehung? Es war einfach so kompliziert!
Und seit er das Geld in der Sporttasche entdeckt hatte, war kompliziert eine absolute Untertreibung geworden. Sie hatten sich eine Weile angestarrt, niemand hatte etwas gesagt, und Adam schien in keinster Weise willig, überhaupt nur einen Schritt auf Leo zuzugehen - weder im übertragenen noch tatsächlichen Sinne.
Also hatte Leo sich umgedreht, ohne selbst etwas zu sagen. Er war viel zu verletzt gewesen. Hatte nur diese Enttäuschung an ihm zerren gespürt. War weggegangen, in sein Auto gestiegen und ins Büro gefahren. Für den Moment war ihm egal, was Adam tat.
Im Büro hatte er den Fall mit Pia und Esther abgeschlossen und sich noch um liegengebliebenen Papierkram gekümmert, nachdem die beiden Feierabend gemacht hatten. Hatte die Pflanzen versorgt und seinen Schreibtisch aufgeräumt. Aber er war immer noch zu aufgewühlt, um nach Hause zu fahren. Also war er geblieben und hatte weitergearbeitet. Er saß nun schon eine Weile allein hier im Büro, als Adam auf einmal aufkreuzte. Dieser musste zuvor zuhause gewesen sein, denn er war geduscht, umgezogen und sah bei weitem nicht mehr so furchtbar aus, wie zuvor.
Leo blickte kurz auf und Adam schaute zu ihm, als er eintrat, aber keiner sagte etwas. Leo arbeitete einfach weiter und Adam setzte sich an seinen Computer und schien ebenfalls noch etwas zu erledigen. Als Leo kurz eine Pause machte, bevor er mit dem nächsten Bericht beginnen wollte, betrachtete er Adam für einen langen Moment.
Ohne weiter darüber nachzudenken, sagte er ruhig: „Können wir ab sofort bitte einfach normal miteinander arbeiten und alles andere auf sich beruhen lassen? Ich will mich nicht streiten und ich denke, das führt sowieso nirgendwo hin.“
Adam schaute ihn einen Moment lang an, bevor er erwiderte: „Klar, kein Problem.“
Sie arbeiteten noch eine Weile still weiter, bis Leo sich verabschiedete.
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Am nächsten Morgen war alles wie immer. Sie behielten ihre Routinen bei, kamen gut miteinander aus und erledigten wie gewohnt ihre Arbeit. Da sie üblicherweise sowieso nie Smalltalk hielten, war kaum zu merken, dass sich etwas verändert hatte.
So ging es auch die nächsten zwei Wochen weiter. Bei der Arbeit funktionierte alles wie immer und privat herrschte absolute Funkstille. Es war nicht so, als hätten sie sich vorher ständig privat getroffen und andauernd geschrieben, aber es bestand zumindest eine gewisse Regelmäßigkeit darin. Diese war nun beendet worden.
Und Leo hatte das Gefühl, dass das gerade auch ganz gut so war. Es fiel ihm immer wieder schwer, nicht doch auf Adam zuzugehen und das Gespräch mit ihm zu suchen. Aber er merkte insgesamt, dass er etwas ruhiger wurde und dass er dringend etwas Zeit für sich benötigt hatte. Er konnte sich entspannt um seinen Haushalt kümmern, gönnte sich mehr Schlaf als sonst, den er aber scheinbar auch sehr dringend nötig hatte und fand sogar die Zeit, mal wieder seine Lieblingsserien zu schauen und sich mal ohne Zeitdruck bei seiner Familie zu melden. Alles in allem tat ihm die Funkstille überraschend gut und er merkte, umso mehr Zeit verging, desto distanzierter und neutraler konnte er auf die Situation schauen, ohne sofort wieder von all der Anspannung und den Gefühlen der letzten Zeit überwältigt zu werden.
Chapter Text
Vier Wochen nach dem Hooligans-Fall wurden sie zu einem Tatort gerufen. Ein junger Mann wurde von seiner Mitbewohnerin tot in seinem Zimmer gefunden.
Als Leo und Adam am Tatort ankamen, wirkte dieser überraschend unspektakulär. Es gab keine Kampfspuren, keine Verwüstung oder sonstige Auffälligkeiten. Doch laut den Kollegen konnte Fremdverschulden nicht ausgeschlossen werden. Auch Henny konnte noch nicht viel zur Todesursache sagen. Es war alles ein bisschen undurchsichtig.
Daher fingen Leo und Adam an, sich ein Bild von der Situation zu machen, indem sie Lisa, die Mitbewohnerin, befragten. Diese hatte gerade Besuch, Alex, laut ihrer Aussage ihr Partner, nicht Lebensgefährte.
Leo war etwas verwirrt von dieser Spezifikation, aber ging nicht näher darauf ein, fragte nur, ob dieser ebenfalls Tom, das Opfer, kannte. Wie sich herausstellte, waren Tom, Lisa, Alex und ein weiterer junger Mann befreundet und unternahmen regelmäßig etwas miteinander.
Lisa und Alex konnten nicht viel Interessantes über Tom berichten: Student mit Nebenjob als Kellner, besuchte regelmäßig seine Familie und verbrachte seine Freizeit meistens mit seinen Freunden. Keine Feinde und auch sonst kein entscheidender Hinweis.
Als Leo und Adam sich wieder auf den Weg machen wollten, kam ein junger Mann in die Wohnung, der sehr aufgelöst wirkte. Es stellte sich heraus, dass er das vierte Mitglied der Freundesgruppe war, Mark. Nachdem die beiden anderen ihn ein bisschen beruhigen konnten, befragten Leo und Adam auch ihn. Er hatte leider nicht viel Relevantes zu ergänzen.
Während Adam routinemäßig nach einer Beziehung des Opfers fragte, stellte sich heraus, dass Mark dem Opfer sehr nahe stand. Eine Beziehung verneinte er jedoch, woraufhin Leo irritiert die Stirn in Falten legte und die Augenbrauen zusammen zog.
Bevor er jedoch nachhaken konnte, meldete sich Alex zu Wort. Er erklärte, dass sie alle vier nicht gerne von einer klassischen Beziehung redeten, sondern, dass es sich bei Tom und Mark sowie Lisa und ihm jeweils um eine queer-platonische Beziehung handele.
Ehe Leo etwas sagen konnte, hörte er Adam etwas verwirrt „eine was?“ fragen.
Während Mark die Augen verdrehte und Alex leicht genervt die Augen für einen Moment schloss, lächelte Lisa nachsichtig: „Naja, halt keine klassische Beziehung.“
„Wie?“, hakte Leo nach. Er verstand hier gerade überhaupt nichts.
„Also, das Ganze mit Sex und Romantik. Das brauchen wir nicht so.“, führte sie weiter aus.
„A-Spec eben.“, bemerkte Mark.
Auf Leos unsicheres „A-Spec?“ erwiderte er schulterzuckend: „Ein Spektrum halt, für aromantische und auch asexuelle Empfindungen.“
Alex ergänzte: „Unsere Prioritäten liegen einfach woanders. Da passt eine klassische Beziehung für uns einfach nicht. Queer-platonisch fühlen wir uns eben wohler.“
„Und wie kann ich mir das vorstellen?“, wollte Leo interessiert wissen.
„Naja, von außen betrachtet sieht das vermutlich schon häufig wie ne klassische Beziehung aus. Aber wir haben halt individuell entschieden, was uns wichtig ist und womit wir uns wohl fühlen“, beschrieb Alex.
Adam wollte soeben zu einer Erwiderung ansetzen, da ergänzte Lisa: „Bei manchen gibt’s halt gar keine Sexualität bzw. Romantik, bei andern nicht so viel. Und wie verbindlich man miteinander ist und alles andere entscheidet man eben auch passend für sich.“
Leo war sich nicht sicher, ob er wirklich verstand, was ihm hier erklärt wurde. „Sollte das nicht in jeder Beziehung so sein?“, fragte er daher.
„Ja, schon. Nur viele machen oder brauchen das wohl nicht. Aber für uns ist das wichtig. Wir wollen uns nicht anpassen, also machen wir es so, wie es für uns passt.“, antwortete Mark.
„Genau. Und wir wollen eben nicht als Paar gesehen werden. Wir sind halt keins.“, ergänzte Lisa.
Leo schwirrte der Kopf.
Glücklicherweise übernahm Adam die restliche Befragung und keine zehn Minuten später saßen sie im Auto, um zurück zum Präsidium zu fahren. Allerdings fuhr Adam nicht los. Er schaute Leo konzentriert an, schien abzuwägen, ob er etwas sagen sollte. Schließlich fragte er vorsichtig: „Was ist los?“.
Leo schaute ihn nur an und antwortete nicht. Einerseits wusste er absolut nicht, was er überhaupt antworten sollte. Andererseits hatten sie seit Wochen privat nichts mehr miteinander zu tun und er wusste nicht, was es zu bedeuten hatte, dass ausgerechnet Adam nun scheinbar doch einen Schritt auf ihn zuging.
Adam schien zu wissen, was Leo durch den Kopf ging und meinte nur: „Ich weiß, dass wir alles Private auf sich beruhen lassen wollten, aber du wirkst gerade ziemlich durch den Wind und ich mache mir Sorgen. Wenn du nicht mit mir reden willst, ist das vollkommen okay, aber falls doch, bin ich da.“
Wenn Leo überhaupt mit irgendwem in diesem Moment reden wollen würde, dann war es tatsächlich Adam. Trotz allem, was passiert war, war Adam immer noch die eine Person, bei der er sich am wohlsten und sichersten fühlte, wenn es ihm nicht gut ging. Das verwirrte ihn gerade noch zusätzlich. Adam schien immer noch sein Safe Space zu sein, daran hatte sich absolut nichts geändert. Nicht nachdem er 15 Jahre weg war und nicht nachdem - seit er wieder da war - alles irgendwie absolut falsch gelaufen war. Und trotz der Verwirrung, die in ihm herrschte, und seinem schwirrenden Kopf, fühlte er sich in diesem Moment doch vollkommen geborgen bei Adam.
Dieser war völlig ruhig, gab Leo Raum und sah ihn mit einem offenen Gesicht an. Da war keine einzige negative Regung, nur absolute, uneingeschränkte Fürsorge.
„Ich weiß selbst nicht so genau. Irgendwie hat mein Gehirn ausgesetzt.“ Er wusste nicht, was er sonst noch sagen sollte. Er war ja selbst gerade ziemlich ratlos mit sich.
Adam nickte langsam. „Hat es damit zu tun, was die drei über Beziehungen gesagt haben?“ fragte Adam vorsichtig.
Leo blinzelte Adam an: „Ich glaub schon, aber ich weiß nicht, warum.“
Adam lächelte dieses ganz besondere Lächeln, das Leo so sehr mochte, weil Adam damit immer so unbeschwert aussah, wie eigentlich nie. „Naja, als ich das da drin gehört hab, musste ich auch erstmal schlucken und habe alle meine Ansichten zu Beziehungen in Frage gestellt.“ Adam zuckte leicht die Schultern.
Jetzt war Leo neugierig, welche Ansichten Adam denn zu Beziehungen hatte. Aber er wollte nicht, dass es noch privater wurde, daher erwiderte er nur: „Hm, möglich. Ich glaub, ich muss da mal in Ruhe drüber nachdenken.“
Adam nickte und schien verstanden zu haben, denn er fuhr ohne einen weiteren Kommentar los zum Präsidium. Im Büro besprachen sie den Fall mit Pia und Esther und verteilten ihre Aufgaben.
Leo hatte noch eine Teamleiterbesprechung, sodass er die nächsten Stunden anderweitig beschäftigt war. Allerdings konnte er sich nicht wirklich auf die Besprechung konzentrieren. Immer wieder war er mit dem Kopf woanders, und doch brachte er keinen sinnvollen Gedanken zustande.
Als er wieder ins Büro kam, musste Leo schmunzeln, denn die Hälfte von Pias Snack-Vorrat lag vor Adam auf dessen Schreibtisch. Scheinbar sah Leo ungefähr genauso neben der Spur aus, wie er sich fühlte, denn Adam schaute ihn etwas besorgt an, als er sich an seinen Schreibtisch setzte. Aber Leo ging nicht darauf ein und widmete sich wieder seiner Arbeit. Er zwang sich, mit den Gedanken bei der Sache zu bleiben, aber das schien nicht sehr gut zu funktionieren, weshalb Leo irgendwann beschloss, Feierabend zu machen und sich zuhause etwas auszuruhen.
Als er am späten Abend auf seiner Couch saß und seine Lieblingsserie schaute, kam auf einmal eine WhatsApp-Nachricht von Adam. Es war ein Link zu einem Video, mehr nicht. Leo schaute sich das Video sofort an. Darin wurde erklärt, was queer-platonische Beziehungen sind, was aromantisch und asexuell bedeutet und wie es sich im täglichen Leben bemerkbar macht. Das Video war ziemlich gut. Leo hatte das Gefühl, danach einigermaßen verstanden zu haben, was es mit diesen Themen auf sich hatte. Und fand das alles auch einfach ziemlich logisch. Er mochte diese Sichtweise viel lieber, als diese festgefahrenen Vorstellungen, denen er sonst häufig begegnet war. Vielleicht konnte er sich davon ja ein bisschen was abgucken. Und diese Aussicht beruhigte ihn ungemein.
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Am nächsten Tag war er mit Adam bei Henny, um sich die Autopsie-Ergebnisse erläutern zu lassen. Als sie wieder im Auto saßen, fuhr Adam jedoch - wie gestern auch schon - nicht sofort los. Diesmal sah er irgendwie unsicher aus, schien nicht so recht zu wissen, was er sagen sollte. Aber ihn beschäftigte eindeutig etwas.
Leo gab ihm die Zeit, um sich zu sammeln und versuchte, ihm aufmunternd zuzulächeln, wenn er Leo aus dem Augenwinkel ansah.
Adam holte tief Luft. „Das Video, das ich dir gestern Abend geschickt hab… Nachdem du gestern so durch den Wind warst, dachte ich, das könnte dir vielleicht helfen… aber, also, ich hab das eigentlich nicht deinetwegen gesucht.“
Leo wusste nicht wirklich, was Adam ihm damit sagen wollte. „Okaaaaay, sondern?“
„Die Befragung, die … das hat bei mir irgendwie auch ziemlich viele Fragen aufgeworfen. Also hab ich versucht, dazu online was zu finden und bin über dieses Video gestolpert.“ Adam schien immer nervöser zu werden, denn er begann, auf seiner Unterlippe zu kauen.
„Und hat das Video deine Fragen beantworten können?“, erkundigte sich Leo und legte den Kopf etwas schief.
Adam sah ihn an und überlegte kurz. „Das Video war echt gut, also ich hab wirklich verstanden, was das eigentlich ist und so.“
„Aber?“
„Aber irgendwie weiß ich nicht, was ich jetzt machen soll. Ich hab die ganze Nacht nicht geschlafen. Und ich weiß, wir haben gesagt, nur Arbeit, aber … Ach man, Leo, ich weiß doch auch nicht…“
Leo war im ersten Moment vollkommen überfahren. Dass Adam von sich aus mal das Bedürfnis haben würde, über etwas zu reden, damit hatte Leo am allerwenigsten gerechnet. Und dann noch mit ihm, gerade jetzt, wo sie doch eigentlich nichts miteinander zu tun hatten. Aber Adam sah so unglaublich verunsichert und hilflos aus, und vielleicht auch ein bisschen traurig.
Leo wollte ihm gerne helfen. Doch ausgerechnet bei diesem Thema war er ehrlich gesagt ziemlich überfordert damit. Also versuchte er etwas analytischer an die Sache ranzugehen. „Okay. Also deine Fragen konntest du mithilfe des Videos beantworten. Kamen dabei denn neue Fragen auf?“
„Hmmm, also eigentlich nicht…“, entschied Adam mit einem Kopfschütteln.
„Gut. Aber irgendwas beschäftigt dich daran, oder?“, hakte Leo nach.
„Ich glaub… also, ich weiß irgendwie nicht genau, was das mit mir zu tun hat… In dem Video wurden voll viele Sachen gesagt, die mir total bekannt vorkamen und denen ich zustimmen würde. Aber ich glaub eigentlich, dass ich schon mal verliebt war und Sex mag ich ja auch…“ Bei seinem letzten Satz schaute Adam auf einmal ziemlich konzentriert aus der Windschutzscheibe und wurde immer leiser.
Leo schaute ihn an und überlegte einen Moment.
Adam war inzwischen immer mehr in den Sitz versunken und versuchte, seinen Kopf zwischen den Schultern verschwinden zu lassen.
„Okay, Vorschlag: wir fahren zurück ins Büro für die Teambesprechung und machen danach Feierabend für heute. Dann können wir unterwegs Pizza oder Döner oder so holen und dann in Ruhe bei mir weiter reden?“, erwiderte Leo.
Adam sah ziemlich überrascht von diesem Angebot aus, aber im nächsten Moment war er ziemlich erleichtert und nickte zustimmend. Ein kleines Lächeln zupfte sogar an seinen Mundwinkeln.
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Gut zwei Stunden später saßen sie bei Leo auf der Couch und aßen ihre Döner. Es fühlte sich ziemlich seltsam an, denn es war lange her, dass sie das das letzte Mal getan hatten. Als sie beide fertig gegessen hatten, drehte sich Leo so, dass er Adam besser anschauen konnte.
„Magst du mir erzählen, was du in dem Video wiedererkannt hast?“
Adam überlegte eine Weile. „Also, ich hab klassische Beziehungen nie so richtig verstanden. Warum alle da so einen Hype drum machen.“
Leo lächelte und wollte ihm schon zustimmen, als er bemerkte, dass Adam noch nicht fertig war.
„Ich dachte, das kommt halt wegen meiner Kindheit und dass ich vielleicht erst die richtige Person treffen muss.“
Adam knetete sich die Hände und schien nach den passenden Worten zu suchen.
„Aber eigentlich will ich gar nicht, dass sich das ändert. Ich find das nicht so schlimm, dass ich mit dem Beziehungskram nichts anfangen kann.“
„Ist es doch auch nicht“, bestätigte Leo lächelnd.
Adam schaute ihn verwundert an und griff nach der Schale mit M&Ms, die Leo noch auf seinem Wohnzimmertisch stehen hatte.
„Aber alle anderen haben immer gesagt, das wäre komisch“, murmelte er und fischte nach den orangenen Linsen.
Leo musste sich darauf konzentrieren, sich nicht von Adams Händen ablenken zu lassen.
„Da dachte ich halt, bei mir stimmt was nicht.“, gab Adam betrübt zu.
Leo war sofort wieder bei der Sache und schwankte zwischen Wut über solche Reaktionen anderer Menschen und unendlicher Zuneigung für Adam.
„Hey, das ist doch Blödsinn. Bloß weil du andere Ansichten hast, heißt das doch nicht, dass etwas mit dir nicht stimmt. Daran ist überhaupt nichts falsch oder komisch, okay?“
Adam schaute Leo in die Augen, aber wirkte nicht ganz überzeugt. „Kann schon sein, aber…“, er brach ab und seufzte schwer.
„Aber?“, ermutigte Leo ihn und legte zögerlich seine Hand auf Adams Unterarm. Er war sich nicht sicher, ob sie schon wieder soweit waren, aber irgendwie wollte er Adam Trost spenden und ihm zeigen, dass er sich hier sicher fühlen konnte.
Adam schien mit der Berührung einverstanden zu sein und atmete tief durch.
„Eigentlich hätte ich schon gerne jemanden in meinem Leben, aber diese Beziehung würde ich halt anders führen wollen, als das eben von den meisten Menschen gesehen wird.“
Leo nickte.
„Und das wurde in dem Video ja auch immer wieder betont, dass man sich so ganz individuell seine Beziehung gestaltet und daran anpasst, was beide brauchen und das fand ich eigentlich ganz schön.“ Adam zuckte mit den Schultern und schaute Leo erwartungsvoll an.
Leo musste lächeln, denn ihm ging es ähnlich. Auch wenn seine bisherigen Beziehungen ganz ok waren, wenn es nach ihm ginge, würde die perfekte Beziehung für ihn doch irgendwie anders aussehen. „Das ist doch toll. Und seit wann richtest du dich danach, was andere von dir erwarten?“, antwortete Leo mit einem Augenzwinkern.
Das lockte aus Adam einen kleinen Lacher hervor und er wirkte etwas erleichtert.
„Aber mal im Ernst, wenn du dich damit wohler fühlst, dann ist da überhaupt nichts schlimm oder falsch mit. Und wenn es andere Menschen gibt, denen es ähnlich geht, ist es doch umso cooler zu wissen, dass man da nicht allein mit ist.“, versuchte Leo Adam zu bestärken.
„Ja, das schon. Aber was sagt das denn jetzt über mich?“
„Was meinst du?“ Leo legte den Kopf schief.
„Ich mein, ich bin Mitte 30, ich weiß doch eigentlich, wer ich bin. Und es hat echt lang genug gedauert, das rauszufinden und zu akzeptieren.“
Adam stockte und Leo hatte den Eindruck, dass er sich nicht recht traute, fortzufahren. Adam biss sich auf die Lippe, holte tief Luft und schien all seinen Mut zusammenzunehmen.
„Und das nicht nur, weil ich schwul bin und die Dreckssau diesbezüglich genügend Vorarbeit geleistet hat. Auch alles andere, ich durfte ja nie irgendetwas entscheiden, probieren oder machen, weil ich das wollte. Es wurde mir immer gesagt, was ich zu tun habe.“
Da seine Hand noch immer auf Adams Arm lag, verstärkte Leo seinen Griff für einen Moment. Er vermutete, dass Adam gerade zum ersten Mal über einige von diesen Dingen sprach.
Adam lächelte ein ganz kleines bisschen und fuhr fort. „Und dann auf einmal konnte ich alle Entscheidungen selbst treffen, aber musste eben auch wissen, was ich eigentlich will. Das fällt mir noch oft genug schwer, Leo. Aber ich dachte halt, ich hab das hinter mir.“
Leo konnte sich einen kurzen Lacher nicht verkneifen. Auch wenn er sich selbst nicht so schwer mit diesen neuen Erkenntnissen tat, war ihm dieser Gedanke auch schon durch den Kopf gegangen.
„Und dann kommt da so ein blöder Fall daher und ich fang nochmal ganz von Neuem an zu hinterfragen, wer ich eigentlich bin. Das ist doch scheiße!“, murrte Adam trotzig.
Leo ließ sich durch den Kopf gehen, was er soeben gehört hatte und war auf einmal ziemlich überfordert. Aber nicht von Adams Identitätskrise. Da konnte er, auch ohne sich total gut auszukennen, irgendwie noch mit umgehen. Aber alles andere? Adam war schwul? Adam redete mit ihm über seine Gefühle? In vollständigen, zusammenhängenden Sätzen? Irgendwie sollte das alles gar keine so große Sache sein. Aber für Leo war das irgendwie gerade ziemlich viel auf einmal. Denn scheinbar machte das irgendwas mit ihm und er wusste nicht so wirklich, was das war und wie er damit umgehen sollte. Aber hier ging es ja gerade um Adam, da spielte das auch überhaupt keine Rolle und da konnte sich Leo irgendwann anders mit auseinandersetzen. Jetzt musste er erstmal irgendetwas sagen, denn er hatte schon viel zu lange Adam einfach nur schweigend angesehen.
Und Adam sah mit jedem Moment wieder unsicherer und hoffnungsloser aus.
Ohne darüber nachzudenken, fragte Leo: „Darf ich dich mal in den Arm nehmen?“
Und zum zweiten Mal an diesem Tag schaute Adam ihn vollkommen überrascht an, aber nickte ohne auch nur eine Sekunde zu zögern.
Also nahm Leo ihn in den Arm. Im ersten Moment war es irgendwie seltsam, da sie beide nicht so genau wussten, ob sie nun wirklich wieder so eng zueinander standen. Aber Leo war das für den Moment egal. Adam benötigte gerade sehr dringend eine Umarmung, und wenn er ehrlich war, ging es ihm ähnlich. Also zog er Adam noch etwas näher an sich ran. Als wäre das die ungefragte Bestätigung gewesen, hielt sich Adam im nächsten Moment noch etwas fester an Leo fest und bettete seinen Kopf auf Leos Schulter.
Es fühlte sich verdammt gut an. Und Leo beschloss, den Moment einfach nur zu genießen, ohne weiter darüber nachzudenken. Er mochte Adams Umarmungen und auch, wenn sie sich nicht so oft umarmten, hatte er es in den letzten Wochen noch etwas mehr als sonst vermisst. Diese ungesagte Bekräftigung, dass sie ein Team und füreinander da waren, diese Vertrautheit und Geborgenheit, es gab Leo so viel mehr Sicherheit, als alle Worte das je könnten. Darüber sollte er wohl mal nachdenken, aber nicht jetzt.
Nach einer gefühlten (oder tatsächlichen?) Ewigkeit holte Adam tief Luft und löste sich langsam von Leo. Als sie sich wieder ansehen konnten, wirkte Adam ein wenig peinlich berührt und hatte rosa Wangen bekommen. Es sah einfach nur umwerfend aus.
Leo lächelte ihm bestätigend zu. An dieser Situation war überhaupt nichts peinlich und er wollte nicht, dass Adam sich jemals unwohl in so einer Situation mit ihm fühlte.
Adam schien Leos Aufmunterung zu verstehen und nuschelte ein „danke“.
Leo fühlte sich so verbunden mit Adam, wie lange nicht mehr. Und auch wenn in den letzten Monaten echt viel Scheiße gelaufen war und sie sicherlich noch einiges klären sollten, fragte Leo sich in diesem Moment, warum er diesen vergangenen Geschehnissen so viel Bedeutung zugemessen hatte, dass er darüber sogar riskiert hatte, einen der wichtigsten Menschen in seinem Leben gehen zu lassen. In diesem Moment wusste Leo mit absoluter Sicherheit, dass Adam ihm immer wichtiger sein würde, als sämtliche Hürden und Probleme, die ihnen je begegnen sollten und konnte nicht verstehen, dass er das scheinbar in den letzten Monaten vollkommen aus dem Blick verloren hatte. Aber jetzt hatte er die Möglichkeit, das zu ändern und die wollte er nutzen.
„Das glaub ich, dass sich das scheiße anfühlt und auch irgendwie ziemlich anstrengend ist. Aber ich bin echt ganz froh, dass wir uns im Laufe unseres Lebens immer weiterentwickeln können, sonst wären manche Menschen echt verloren“.
Adam lachschnaufte.
„Klar ist das ein großes Thema, an dem ziemlich viel dran hängt. Aber vielleicht ist das ja auch eine Chance. Und stell dir mal vor, das wäre damals auch noch dazu gekommen.“
Leo grinste und Adam bestätigte seine Andeutung mit einem gestöhnten „Goooooooott, bloß nicht“.
„Eben. Und du musst dich da ja auch nicht allein mit rumschlagen.“
Adams Augen wurden sofort etwas größer, aber einen Moment später kam auch wieder dieser unsichere Ausdruck gemischt mit ein bisschen Schuldgefühlen zutage. „Leo, ich bin dir echt dankbar, dass du dir das alles angehört hast, aber du musst dich da echt nicht weiter mit beschäftigen. Das ist mein Problem. Wie gesagt, nur Arbeit, der Rest bleibt, wie es ist. Tut mir Leid, dass ich mich da nicht dran gehalten hab. Ich sollte jetzt auch besser gehen, ich will dich nicht noch weiter belästigen.“
Und sofort stand Adam auf und wollte schon Richtung Wohnungstür gehen.
Leo konnte kaum so schnell reagieren, also griff er intuitiv nach Adams Hand und stand auch auf.
Adam drehte sich wieder zu ihm und schaute ihn verwirrt an.
„Adam. Vielleicht haben wir das Private ja lang genug auf sich beruhen lassen. Ich fand heute Abend echt schön. Und ich hab das ernst gemeint. Du musst da nicht allein durch.“
Ein kleiner hoffnungsvoller Schimmer huschte über Adams Gesicht. „Danke, Leo. Ich mach’ mich trotzdem mal auf den Weg. Wir sehen uns morgen im Büro“, sagte er mit einem Lächeln, ließ Leos Hand los und verließ die Wohnung.
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Einige Tage später konnten sie den Fall lösen. Es handelte sich um eine Verkettung mehrerer unglücklicher Umstände, über die sie die WG des Opfers informierten. Der Besuch war ziemlich eindrücklich für Leo. Als sie wieder im Auto saßen, hatte Leo daher das Gefühl, einen Schritt auf Adam zugehen zu wollen. Anstatt loszufahren, drehte er sich zu Adam: “Hast du heute Abend was vor?“
Adam war überrascht und verneinte mit einem Kopfschütteln.
„Perfekt, was hältst du von Pizza bei mir?“, schlug Leo vor.
Ein glücklicher Ausdruck breitete sich auf Adams Gesicht aus. „Sehr gerne“, sagte er vorsichtig.
Nach der Arbeit holten sie sich Pizza bei ihrem Lieblingsitaliener und machten es sich damit auf Leos Couch gemütlich.
„Der Besuch in der WG heute hat mich in verschiedener Hinsicht echt überrascht“, meinte Leo, als er sein erstes Stück gerade aufgegessen hatte.
Adam zog eine Augenbraue hoch. „Wieso?“
„Erstmal, dass der Freund des Opfers auch da war und wie harmonisch und vertraut die drei miteinander waren.“
Adam zuckte mit den Schultern.
„Und auch, wie er meinte, dass wenn man sich in einer queer-platonischen Beziehung befindet, man normative Beziehungsansichten irgendwann hinter sich lässt und sein Verständnis von zwischenmenschlichen Beziehungen überdenkt.“
Adam nickte. „Hab ich dort ja auch schon gesagt, es ist traurig, dass nicht mehr Menschen so offen im Umgang miteinander sind und sich so sehr an gesellschaftliche Normen klammern.“
„Aber es dir Hoffnung gibt, Menschen wie sie zu treffen, dass sich das vielleicht irgendwann ändern wird.“, wiederholte Leo Adams Worte.
„Ja, und?“, fragte Adam. Er schien nicht zu wissen, worauf Leo hinaus wollte.
„So etwas von dir zu hören, hat mich heute wahrscheinlich am allermeisten überrascht.“, bemerkte Leo grinsend.
„Ey“, beschwerte sich Adam und boxte Leo spielerisch.
Nachdem sie ihre Pizzen verputzt hatten, nahm Leo sich ein Herz. Er wollte genauso offen mit Adam sein, wie dieser mit ihm.
„Diese Nähe und Verbundenheit, die diese WG heute ausgestrahlt hat, in keiner meiner Beziehungen hab ich etwas Vergleichbares erlebt. Egal ob Mann oder Frau, es hat sich nicht annähernd so angefühlt, wie das, was ich heute dort gesehen habe.“
Adam schien ein wenig überrascht von Leos Äußerung und hörte ihm aufmerksam zu.
„Ich hab mir jedes Mal die perfekte Beziehung ausgemalt, aber irgendwie ist es immer anders gelaufen. Als wir das erste Mal in der WG waren und nachdem ich dieses Video gesehen habe, das du mir geschickt hast, hatte das irgendwie einen total befreienden Effekt auf mich.“
„Wieso das denn?“, wollte Adam wissen.
„Zu wissen, dass es da noch was anderes gibt, dass ich eine Beziehung so gestalten kann, dass es für mich passt und auch überhaupt nichts von den klassischen Beziehungsvorstellungen erfüllen muss und trotzdem jemanden in meinem Leben haben kann, dem ich verbunden bin, das war irgendwie total überwältigend.“
Adam nickte verstehend.
„Ich dachte immer, ich muss die perfekte Person finden, mit der ich mir Haus, Hund und Kinder vorstellen kann“, Leo schüttelte ungläubig den Kopf. „Oder halt zumindest eine gemeinsame Wohnung und Hochzeit.“
Adam lachte. Offenbar fand er das genauso bescheuert wie Leo selbst.
„Ehrlich gesagt, hab ich die Hoffnung darauf schon vor einer Weile aufgegeben. Mir war überhaupt nicht klar, dass das das eigentliche Problem war.“ Leo musste über sich selbst die Augen verdrehen.
„Was?“, hakte Adam nach.
„Diese Erwartungen. Ich hab doch überhaupt nicht danach gesucht, was ich mir wirklich wünsche. Aber jetzt habe ich eine neue Perspektive bekommen, die mir wieder Hoffnung gibt.“
Leo strahlte übers ganze Gesicht. Es fühlte sich verdammt gut an, das auch laut auszusprechen. Das machte es irgendwie noch realer. Und er hoffte, damit Adam auch ein bisschen Optimismus geben zu können und seiner eigenen Krise etwas Positives abgewinnen zu können.
Adam lächelte zurück. „Das freut mich ehrlich für dich. Kann ich….“
„Ja?“
Adam holte Luft. „Kann ich dich umarmen?“, fragte er, und wieder diese Schüchternheit.
„Natürlich“, entgegnete Leo und zog ihn sofort an sich.
Ihre letzte Umarmung hatte sich schon so gut angefühlt, aber diese fühlte sich noch ein kleines bisschen besser an. Und Leo kam es so vor, als dauerte sie auch noch ein kleines bisschen länger.
Anschließend räumten sie die Pizzakartons weg, entschieden sich noch einen Film gemeinsam zu schauen und versorgten sich dafür mit Snacks. Außerdem zogen sie den Zweisitzer aus, denn Leo fand es so einfach viiiiiel bequemer auf seiner Couch, um zu zweit einen Film zu schauen. Zusätzlich versorgte er sie noch mit reichlich Decken und Kissen, damit sie es sich so richtig bequem machen konnten.
Da sie die Snacks rechts und links von sich auf der Couch abstellten, mussten sie sich immer wieder übereinander beugen, um sich etwas zu nehmen, da sie nicht in den Film quatschen wollten. War zu Beginn des Films noch fast ein halber Meter zwischen ihnen frei, lagen sie am Ende so nah beieinander, dass sich ihre Oberarme bei jeder Bewegung leicht berührten.
Als der Film zu Ende war, stellten sie fest, dass es eine Fortsetzung gab. Obwohl es schon spät war, hatte der Cliffhanger sie beide so dermaßen gefesselt, dass sie sich entschieden, den zweiten Teil auch noch zu schauen. Da sie ihren letzten Fall abgeschlossen hatten, stand für das gesamte Team am nächsten Tag ein freier Tag auf dem Plan.
Obwohl der Film ziemlich gut war, mussten sie sich beide dazu zwingen, wach zu bleiben. Während eines laufenden Falls bekam man einfach nie genug Schlaf. Sie schafften es letztendlich bis zum Ende des Films, konnten ihr regelmäßiges Gähnen allerdings ab spätestens der Hälfte nicht mehr unterdrücken.
Nach einem weiteren ausgiebigen Gähnen meinte Adam, „ich sollte unbedingt los, nicht dass ich noch im Auto einschlafe, bevor ich überhaupt losgefahren bin“.
Leo war verwirrt. Er hatte schon längst damit geplant, dass Adam hier übernachten würde, nur war er gar nicht auf die Idee gekommen, ihm das auch mitzuteilen. Und jetzt würde er einen Teufel tun und zulassen, dass Adam um diese Uhrzeit und in diesem Zustand noch mit dem Auto nach Hause fuhr.
„Nein, quatscht. Du kannst hier pennen, das ist doch viel zu gefährlich, so noch zu fahren“.
Adam schaute ihn einen Moment skeptisch an, war aber offensichtlich zu müde, um zu widersprechen und nickte nur erschöpft.
Da Leo selbst jeden Moment einschlafen würde, zwang er sich, sich aufzusetzen. „Brauchst du noch was? Sonst sollte ich mich mal in mein Bett aufmachen, bevor ich noch hier auf der Stelle einschlafe.“
Adam schaute müde zu ihm auf und schüttelte den Kopf. „Du…“, er schien sich nicht recht zu trauen.
Als eine Weile lang nichts weiter kam, wollte Leo schon von der Couch krabbeln, da griff Adam nach seinem Arm. „Kannst auch hierbleiben“, sagte er, wieder so zurückhaltend.
Seit wann war Adam denn bitte so schüchtern? Hatte die Funkstille doch etwas bei ihm bewirkt? Leo verstand es nicht so recht, aber irgendwie fand er es süß, wenn Adam so zaghaft war. Er musterte Adam einen Moment. Der hatte aber wohl nicht mehr zu sagen und hielt ihn weiter am Arm fest.
Da Leo eigentlich auch überhaupt keine Lust hatte, sich in sein Bett zu schleifen und die Vorstellung, hier gemeinsam mit Adam auf der Couch zu schlafen auch ganz schön fand, räumte er die verbliebenen Snacks schnell von der Couch runter und rutschte dann wieder unter die Decken.
Adam schien es sich zuvor schon bequem gemacht zu haben und inzwischen am Einschlafen zu sein. Also machte Leo es sich auch bequem und war innerhalb von Sekunden selbst eingeschlafen.
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Am nächsten Morgen wurde Leo von einer Bewegung neben sich geweckt. Es dauerte einen Moment, bis er sich orientiert hatte und als er zu Adam blickte, blinzelte dieser ihn aus verschlafenen Augen an.
Leo lächelte. „Na, gut geschlafen, Tiger?“
„Mmmmmh“, schnurrte Adam. Es klang nach einem Ja, aber ganz sicher war sich Leo da nicht.
Er streckte sich, setzte sich ein bisschen auf und schaute zu Adam. Leo hatte lange nicht mehr so gut geschlafen. Adam schien noch nicht ganz bereit zu sein, wirklich aufzuwachen, also nahm Leo sich sein Handy und stöberte ein bisschen auf Instagram, beantwortete eine Nachricht von Caro und checkte seine Mails. Als er damit fertig war, war Adam gerade dabei, sich ebenfalls ein wenig aufzusetzen.
„Frühstück?“, fragte Leo und als Adam brummend bejahte, grub er sich aus den zahlreichen Decken und ging in die Küche, um Kaffee aufzusetzen und ein paar Brötchen aufzubacken.
Kurze Zeit später kam Adam zu ihm und setzte sich an den Küchentisch. Er wirkte immer noch etwas verschlafen, aber schon deutlich wacher als zuvor.
Als Leo ihm seinen Kaffee hinstellte, lächelte Adam glücklich, „danke“. So entspannt hatte Leo ihn schon lange nicht mehr gesehen. Schweigend genossen sie ihren Kaffee.
Irgendwann räusperte sich Adam. „Leo, hör zu. Ich war vor ein paar Wochen bei den Kollegen vom Raub. Ich hab ihnen gesagt, dass ich das Geld gefunden habe.“
„Oh.“ Leo schaute ihn mit großen Augen an.
„Ich hab ihnen auch erklärt, dass ich mir sicher bin, dass Boris es sich holen wird, wenn er ausm Knast kommt und dass ich Angst habe, dass er irgendwem etwas antut, wenn ich es ihm nicht gebe. Ich hab ihnen auch von Leimer erzählt und dass ich davon ausgehe, dass noch mehr Leute auf das Geld aus sind.“ Adam vermied es eindeutig, Leo anzuschauen.
Leo wusste nicht, was er sagen sollte.
„Sie waren nicht sehr begeistert, aber haben meiner Einschätzung zugestimmt. Wir haben beschlossen, dass ich weiterhin den Köder spielen werde, bis Boris draußen ist. Wenn nochmal jemand versucht, an das Geld zu kommen, landet derjenige bei den Kollegen.“
Ob das so ein guter Plan war? Leo rieb sich mit beiden Händen über die Augen.
„Und wenn Boris das Geld von mir verlangt, werde ich mich mit ihm treffen, das Geld übergeben und ihn dazu bringen, die anderen Überfälle sowie die Beteiligung meines Vaters zuzugeben. Die Kollegen werden dabei sein und sich dann um alles kümmern.“
„Hältst du das für eine gute Idee?“ Leo konnte seinen Zweifel nicht komplett unterdrücken.
„Es ist nicht ideal, aber es ist die beste Chance, die wir haben. Ich musste den Kollegen versprechen, dass ich keinen Alleingang mache und das bleibt alles komplett inoffiziell bis sie Boris haben. So wenige Leute wie möglich sollen Bescheid wissen. Aber ich wollte, dass du das weißt.“
Wow, damit hatte Leo so gar nicht gerechnet. Weder, dass Adam das Thema überhaupt ansprechen würde, noch, dass er einen vernünftigen Weg eingeschlagen hatte. Er hatte Recht, der Plan war alles andere als ideal. Wenn Leo ehrlich war, gefiel er ihm überhaupt nicht. Aber als Polizist wusste er selbst, dass es die beste Lösung war. Und auch, wenn es ihm nicht gefiel, sah er ein, dass er weder aus beruflichen noch aus privaten Gründen ein Recht auf diese Information hatte. Es war Adams Angelegenheit. Und dass Adam sich nun entschieden hatte, dies mit Leo zu teilen, bedeutete ihm einiges. Er hatte sich schon vor einer Weile eingestanden, dass er auch einige Fehler gemacht hatte, was ihre Schwierigkeiten der letzten Zeit anging. Aber erst in den letzten paar Tagen hatte er sie auch wirklich verstanden.
Aber das konnte Adam natürlich nicht wissen, weshalb er gerade sehr bewusst das Risiko einging, im schlimmsten Fall einen riesigen Streit vom Zaun zu brechen. Das erklärte auch, warum er so nervös mit seiner Tasse spielte und es nicht wagte, Leo anzusehen. Er hatte vermutlich das Gefühl, sich auf sehr dünnem Eis zu bewegen und sofort wieder alles zunichte zu machen, was sie sich in den letzten Tagen zurück erarbeitet hatten.
„Okay“, sagte Leo und Adam schaute langsam zu ihm. „Das ist vermutlich das Beste so, aber der Gedanke behagt mir trotzdem nicht.“
Über Adams Gesicht huschten mehrere Regungen in kürzester Zeit, erst Überraschung, dann Trotz und dann so etwas wie Traurigkeit.
So wie Leo ihn kannte, dachte Adam wahrscheinlich gerade, dass er es sowieso nicht richtig machen konnte. „Adam. Ich bin stolz auf dich, dass du die Kollegen eingeweiht hast. Ich mach mir einfach nur Sorgen, dass das schief geht. Dieses Geld sollte einfach überhaupt nicht existieren, aber daran können wir nun mal nichts mehr ändern. Von daher ist euer Plan das Beste, was ihr tun könnt. Aber ich hab halt Angst, dass dir dabei was passiert.“
Adam sollte ruhig mal wissen, was Leo wirklich dachte bzw. fühlte. Das würde ihm vielleicht auch mal gut tun. Und nach ihren letzten Gesprächen hatte Leo das Gefühl, dass es auch gar nicht so seltsam war, so etwas Mal laut auszusprechen.
Adam schaute ihn verwundert an, und mit jeder Sekunde wurde sein Ausdruck ergriffener. „Ich mach das doch nur wegen dir“, murmelte er.
„Was meinst du?“, fragte Leo sofort.
„Naja, wenn Boris rauskommt und das Geld haben will und ich es ihm nicht gebe, wird er dich als Druckmittel nehmen. Du bist die einzige Person, die mir wirklich nahe steht.“, sagte Adam und zuckte mit den Schultern.
Leo wusste nicht, wie er darauf reagieren sollte. Natürlich war ihm klar, dass sie sich nahe standen. Aber er hatte nie darüber nachgedacht, dass Adam sonst niemanden wirklich hatte. Das machte ihn in dem Moment umso mehr betroffen, als er merkte, dass das auch bedeuten musste, dass Adam in den Wochen ihrer Funkstille vollkommen allein gewesen war. Wohingegen Leo seine Familie hatte und sich mit Freunden zum Sport treffen konnte, gab es da einfach niemanden sonst bei Adam.
Während Leo noch in seinen Gedanken feststeckte, fuhr Adam fort. „Ich will nicht, dass dir was passiert. Ich will dich da nicht mit reinziehen, also muss ich Boris irgendwie von dir fernhalten“
„Was?“
„Die letzten Wochen… ich war echt ziemlich allein. Und dann die letzten Tage, ich hätte nie erwartet, dass es so gut tun kann, mit jemandem reden zu können oder einfach jemanden um mich zu haben.“
Leo konnte das gut nachempfinden.
„Ich weiß auch nicht, ich glaub ich bin momentan ein bisschen durch. Ich wollte einfach nur, dass du Bescheid weißt und das nicht mehr zwischen uns steht. Auch wenn da noch genug anderer Scheiß übrig bleibt.“
In dem Moment piepste der Ofen und signalisierte, dass die Brötchen fertig waren. Gemeinsam deckten sie den Tisch und frühstückten in stillem Einvernehmen. Nachdem sie den Tisch abgeräumt und auch im Wohnzimmer alles aufgeräumt und verstaut hatten, verabschiedete sich Adam.
Leo ließ ihn jedoch nicht gehen, ohne ihn vorher nochmal fest in den Arm genommen zu haben. Er wollte Adam irgendwie klar machen, dass er ihn schätzte und sie langsame Fortschritte machten. Adam erwiderte die Geste ebenso nachdrücklich.
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In den folgenden Tagen musste das ganze Team eine andere Abteilung bei deren umfangreichen Ermittlungen unterstützen, da sie selbst keinen neuen Fall reinbekommen hatten und in der Abteilung mehrere Kollegen auf einmal ausgefallen waren. Für Leo und Adam bedeutete dies eine sehr unspektakuläre Observierung in der darauffolgenden Nacht.
Nachdem sie den Fall von vorne bis hinten durchgesprochen und inzwischen bei ihrem dritten Kaffee in dieser Nacht waren, verfielen sie für eine Weile in Schweigen.
„Wie geht es dir?“, fragte Leo irgendwann ziemlich unvermittelt.
Adam schaute verwirrt zu ihm, als hätte er überhaupt keine Ahnung, wovon Leo gerade sprach.
„Nochmal neu rauszufinden, wer du bist. Wie geht’s dir damit?“
Adam überlegte eine Weile, dann zuckte er mit den Schultern. „Weiß nicht, hab die letzten Tage da nicht so viel drüber nachgedacht. Fühle mich immer noch ziemlich lost und weiß nicht wirklich, was ich dagegen machen kann.“
Leo nickte und überlegte, wie es bei ihm aussah, schließlich hatte er genauso wie Adam erst vor wenigen Tagen eine komplett neue Perspektive geboten bekommen.
„Hm, keine Ahnung. Aber ich verstehs gut. Ich mein, einerseits macht das auf einmal alles so viel mehr Sinn, andererseits hab ich irgendwie gar keinen Plan. Aber vielleicht ist das auch erstmal ziemlich egal.“
„Wieso?“, wollte Adam wissen.
„Ich denke, das braucht einfach Zeit. Ich hab das alles bisher nie in Frage gestellt. Vielleicht muss ich erstmal rausfinden, was ich will.“, erklärte Leo mit einem Schulterzucken.
„Hm, vermutlich.“
„Mir wär's auch viel lieber, es wäre genauso einfach, wie zu merken, dass ich bi bin, das einfach zu wissen und nicht alles hinterfragen zu müssen. Aber seit wann ist das Leben schon einfach?“
Adam dachte eine Weile darüber nach. „Danke“, sagte er schlichtweg und lächelte Leo etwas zuversichtlicher an.
„Ich hab die Tage zufällig nen Podcast entdeckt, der klang recht interessant. Kann ich dir mal schicken. Da werden alle möglichen Themen diskutiert, die irgendwas mit queer-platonischen Beziehungen zu tun haben können", erwähnte Leo.
Adam schlug vor, die erste Folge direkt mal anzuhören, dann würden sie vielleicht auch nicht ganz so viel Kaffee benötigen, um durch die Nacht zu kommen. Aus einer Folge wurden zwei, dann drei, dann vier. Sie pausierten immer wieder, um ihre Gedanken auszutauschen und stellten fest, dass sie bei vielen Sachen ziemlich ähnliche Ansichten hatten. Sie lernten auch ziemlich viel Neues dazu und merkten überhaupt nicht, wie schnell die Zeit verging, als auf einmal ihre Ablösung an die Fensterscheibe klopfte.
In der darauffolgenden Nacht ging die Observation genauso weiter. Sie unterhielten sich nicht besonders viel, aber hier und da ergaben sich interessante Zusammenhänge, die sie diskutierten oder teilten Erlebnisse, wenn diese gerade besonders gut zur aktuellen Podcast-Folge passten. In der dritten Nacht beendeten sie den Podcast und verfielen danach in Schweigen. Beide hingen ihren Gedanken nach, teilten gelegentlich ihre Überlegungen. Obwohl sich die Unterhaltungen in Grenzen hielten, hatten sie beide irgendwie das Gefühl, sich dennoch um einiges besser kennengelernt zu haben. Sie fühlten sich auf eine seltsame Art verbundener und vertrauter.
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In den nächsten zwei Wochen kam das Thema nicht erneut auf. Nachdem sie in der anderen Abteilung nicht länger aushelfen mussten, bekamen sie bald einen neuen Fall rein. Der hatte es ziemlich in sich und verlangte von ihnen, quasi ihr gesamtes Privatleben auf Pause zu stellen. Sie wechselten zwischen Arbeit und Schlaf und mit jedem Tag wurde der Fall zermürbender und belastender. Adam konnte sich noch ein wenig besser emotional distanzieren als Leo, aber auch er gelangte immer mehr an seine Grenzen. Als der Fall endlich gelöst und abgeschlossen war, war das gesamte Team am Ende seiner Kräfte. Ihr Vorgesetzter verpflichtete sie daher alle dazu, die nächsten zwei Tage komplett frei zu nehmen. Das war auch dringend nötig.
Adam wollte Leo eigentlich nur Zuhause absetzen. Doch als der Wagen vor dem Haus zum Stehen kam, schaute Leo ihn etwas hilflos an. „Magst du vielleicht…. hier bleiben? .... Ich will gerade nicht allein sein.“
Sie waren beide etwas überrascht, denn vor einigen Wochen wäre diese Situation zwischen ihnen noch völlig undenkbar gewesen. Leo war insgeheim ein bisschen dankbar dafür, dass sie sich zufällig in einer ähnlichen Identitätsfindungsphase wiedergefunden hatten und sich dadurch viel näher kamen, als das auf anderem Wege vielleicht jemals möglich gewesen wäre. Damit hätte er nie und nimmer gerechnet. Und auch nicht damit, welche Auswirkungen das auf ihren Umgang miteinander haben würde.
Adams Lippen verzogen sich zu einem winzigen Lächeln, er stellte den Motor aus und schnallte sich ab. Das war dann wohl ein Ja.
Sie gingen in Leos Wohnung und nachdem sie ihre Schuhe abgestreift hatten, gab Leo Adam mit einem Kopfnicken zu verstehen, ihm zu folgen. In seinem Schlafzimmer holte Leo die Decken hervor, die sie schon bei ihrem Filmabend genutzt hatten. Außerdem suchte er eine Jogginghose und ein T-Shirt zusammen und reichte sie Adam. Anschließend schloss er die Zimmertür und begann sich umzuziehen.
***
Das bedeutete dann wohl, dass Adam sich auch mal umziehen sollte und sie wohl beide heute Nacht hier in Leos Schlafzimmer schlafen würden. Adam war ein wenig überrascht, aber hatte ansonsten nichts dagegen. Er hatte beim letzten Mal, als er neben Leo schlafen durfte, schon so viel besser geschlafen, als das sonst der Fall war, dass er dieses Angebot mit Sicherheit nicht ausschlagen würde.
Leo lag bereits im Bett, als er sich zu ihm umdrehte und einen Moment zögerte.
„Brauchst du noch was?“, fragte Leo, bevor er auf einmal vollkommen geschockt zu Adam schaute und etwas bedröppelt meinte, „Tut mir leid, ich hab überhaupt nicht gefragt, ob das okay für dich ist“ und zeigte mit seinem Kinn auf die andere Bettseite.
Adam musste schmunzeln, da Leos Wangen inzwischen eine leicht rötliche Farbe angenommen hatten. Er schüttelte den Kopf, „alles klar, kein Problem“, und krabbelte zu Leo ins Bett.
Sie legten sich so hin, dass sie sich anschauen konnten. Leo sah ziemlich fertig aus, noch mehr, als das sonst nach stressigen Fällen der Fall war. Und irgendwie wirkte er auch ziemlich geknickt, eigentlich sogar ziemlich mitgenommen.
„Soll ich dich mal in den Arm nehmen?“, bot Adam an, woraufhin Leo sofort nickte und sich in Adams Arme begab, sobald dieser sie Leo entgegen streckte.
Leo klammerte sich regelrecht an Adam fest und Adam verstärkte die Umarmung so gut es ging, damit Leo sich so sicher und geborgen wie möglich bei ihm fühlen konnte. So lagen sie eine gefühlte Ewigkeit gemeinsam im Bett. Irgendwann stellte Adam fest, dass Leo eingeschlafen sein musste, da sich seine Atmung merklich verlangsamte. Wenige Minuten später fiel auch er selbst, mit einem Lächeln auf den Lippen, in einen tiefen Schlaf.
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Scheinbar hatten sie sich beide in dieser Nacht kaum bewegt, denn als Adam am nächsten Morgen aufwachte und die Augen aufschlug, lag Leo noch genauso in seinen Armen wie am Abend zuvor, als er eingeschlafen war. Das zauberte ihm erneut ein Lächeln auf die Lippen. Er betrachtete Leo eine Weile, bis dieser schließlich auch aufwachte und Adam verschlafen ansah.
Einen Moment später schien er sich über ihre Position bewusst zu werden und schaute schuldbewusst auf Adams Brust. „Tut mir leid, war keine Absicht“, murmelte er kaum verständlich.
Adam drückte ihn noch etwas näher an sich und lachschnaufte, „alles gut, stört mich nicht“.
Leo schaute ihn einen Moment abschätzend an, bevor er vorsichtig lächelte.
„Fühlst du dich denn etwas besser? Der Fall hat dir ziemlich zu schaffen gemacht, oder?“, hakte Adam nach.
„Ja, viel besser. Danke, dass du geblieben bist.“
Adam erwiderte sein Lächeln.
„Ich weiß auch nicht so genau, warum mir der Fall so nah ging. Das hatte ich echt lange nicht mehr. Ich hoffe, ich komm mit ein bisschen Abstand noch dahinter, woran es lag.“, bemerkte Leo.
Adam nickte, drückte ihn nochmal an sich und bot an, „wenn du drüber reden willst oder so, sag einfach Bescheid“.
Leo nickte. „Mach ich, danke“.
Sein Lächeln wurde etwas schräg und er stammelte ein wenig, „ähm, können wir … also … ist es okay, wenn wir noch eine Weile liegen bleiben… also so wie jetzt?“
Adam schüttelte amüsiert den Kopf. Sie lagen jetzt schon die ganze Nacht genauso zusammen. Wenn er damit ein Problem hätte, hätte er sich doch schon längst anders hingelegt. Manchmal konnte er wirklich nicht anders, als Leo einfach nur unglaublich niedlich zu finden.
„Klar, solange du willst“, teilte er Leo schließlich mit. Also blieben sie noch eine Weile so liegen und Adam ließ die letzten Wochen in seinen Gedanken Revue passieren, während er diese Nähe und Innigkeit zu Leo genoss. Es war irgendwie schon verrückt, wie sich so viel in so kurzer Zeit verändert hatte, obwohl eigentlich gar nichts Großes passiert war. Adam hatte sich in dieser Zeit häufig gefragt, wer er selbst war, aber immer, wenn er mit Leo zusammen war, hatte er das Gefühl, dass das gar nicht so wichtig war. Dass er einfach er selbst sein konnte, ohne Erklärungen oder Antworten auf alles, und dass das vollkommen ausreichte und Leo ihn auch so verstand. Es war nichts neues, dass sie sich gegenseitig am besten kannten. Aber jetzt hatte das nochmal eine ganz neue Nuance bekommen, von der Adam nicht wusste, dass es sie überhaupt gab.
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In den nächsten Wochen trafen sie sich wieder regelmäßig außerhalb der Arbeit, um gemeinsam etwas zu unternehmen. Manchmal gingen sie in ihr Lieblingsrestaurant zum Abendessen, hin und wieder auch in die ein oder andere Bar, aber meistens trafen sie sich bei Leo, kochten oder bestellten Essen und sahen einen Film oder eine Serie. Irgendwann brachte Adam auch mal seine Konsole mit und zeigte Leo seine Lieblingsspiele. Am Anfang stellte Leo sich auch wirklich ein bisschen unfähig an, aber irgendwann hatte er den Dreh raus und Adam musste aufpassen, dass Leo ihn nicht noch in Grund und Boden spielte.
Manchmal unterhielten sie sich auch nur, über die Arbeit, dies und das, und ab und an auch über Beziehungen. Nie besonders umfangreich oder tiefgehend. Aber mit der Zeit teilten sie immer mehr ihre Vorstellungen und Wünsche in einer Beziehung, oder ganz, ganz selten erzählten sie auch von ihren bisherigen Erfahrungen. Es war keine große Sache, ergab sich meistens beiläufig, wenn sie davon erzählten, dass sie etwas Interessantes gesehen oder eine neue Erkenntnis gehabt hatten.
Irgendwann wurde es auch zur Gewohnheit, dass sie sich bei ihren Filmabenden eng aneinander kuschelten und dann gemeinsam auf der Couch schliefen. Es schlichen sich immer mehr Routinen ein, die sie oft nur zufällig bemerkten und dann ertappt darüber lachen mussten. So waren ihre Aufgaben, wenn sie zusammen kochten, klar verteilt: Leo kümmerte sich um alles, was am Herd erledigt wurde, und Adam war für die Zuarbeit und das Aufräumen zuständig. Auch wenn sie das Wohnzimmer für ihre Filmabende herrichteten, war ziemlich schnell klar, wer sich worum kümmerte.
Relativ bald drückte Leo Adam auch einen Ersatzschlüssel für seine Wohnung in die Hand, weil das halt praktisch war und bei ihrem darauffolgenden Treffen bekam Leo einen Schlüssel für Adams Wohnung. Alles ziemlich unspektakulär.
Eines Morgens wachte Adam mal wieder bei Leo im Bett auf. Daran war inzwischen nichts Besonderes mehr. Auch, dass er alleine war, kam häufiger vor, wenn Leo vor dem Frühstück noch eine Runde Joggen gehen wollte. Also machte sich Adam auf den Weg ins Bad, um zu duschen, bevor er schon mal anfangen würde, das Frühstück vorzubereiten.
Er ging in Gedanken ihren aktuellen Fall durch, der ihnen zurzeit ziemliches Kopfzerbrechen bereitete. Daher merkte er auch erst, als er mitten in Leos Badezimmer stand, dass Leo überhaupt nicht Joggen war, sondern unter der Dusche stand. Leos Dusche hatte nur eine Glasfront, sodass Privatsphäre schlichtweg nicht möglich war, wenn man sich nicht alleine im Bad aufhielt.
Leo musste ihn sofort bemerkt haben, denn er hatte inzwischen das Wasser ausgestellt und schaute Adam fragend an.
Adam schaute sich verwirrt im Bad um, obwohl er ja genau wusste, wo er war, dann schaute er wieder zu Leo. „Ich dachte, du wärst joggen und wollte schnell duschen gehen. War total in meinen Gedanken versunken, tut mir Leid“, sagte er und wollte sich schon umdrehen, als Leo ihn mit dem Kopf zu sich winkte.
„Die Dusche ist groß genug für zwei, stört mich nicht“, sagte Leo mit einem Schulterzucken.
Adam war überrascht, wie so oft in letzter Zeit, entschied jedoch, dass er die Situation überhaupt nicht seltsam oder unangenehm fand, auch das wie so oft in letzter Zeit. Er zog sich seine Schlafklamotten aus und stieg zu Leo in die Dusche.
Sie hatten auch im Präsidium schon häufiger gemeinsam in der Gemeinschaftsdusche geduscht, somit war das hier nicht wirklich etwas Neues. Nur war eben nicht ganz so viel Platz. Aber Leo hatte vollkommen Recht, die Dusche war dennoch groß genug für sie beide. Einen Moment lang schauten sie sich nur an, machten sich mit der doch irgendwie neuen Nähe vertraut, aber dann war es irgendwie auch einfach ziemlich normal und sie duschten gemeinsam in Ruhe in Leos Dusche.
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Gut zwei Wochen später stand Pias Einweihungsparty an. Sie war in eine neue WG gezogen und hatte seit Wochen gebettelt, dass das ganze Team zu ihrer Party kommen würde. Wenn Pia diesen einen flehenden Blick aufsetzte, konnten weder Leo noch Adam ihr irgendetwas ausschlagen. Sie hatten beide keine große Lust auf die Party, denn es waren ihnen zu viele Menschen, die sie nicht kannten und sie hatten eine ziemlich stressige Woche hinter sich. Pia zuliebe wollten sie sich trotzdem dort blicken lassen, aber nicht lange bleiben.
Pia freute sich riesig, als sie ihnen die Tür öffnete und stellte sie sofort ihrer Clique vor. Die schienen auch wirklich nett und sie unterhielten sich eine Weile und snackten Hörnchen, die Pia ihnen angeboten hatte. Irgendwann wurde es etwas stickig, weshalb sie auf den Balkon gingen, wo Adam sich eine Zigarette anzündete. Er rauchte seltener als noch vor einigen Monaten, aber ganz wollte er dann doch nicht aufhören.
Irgendwann kam eine junge Frau zu ihnen und fragte sie nach Feuer. Sie stellte sich ihnen vor und fragte, woher sie Pia kannten. Es entwickelte sich ein nettes Gespräch, bis die junge Frau sie auf einmal fragte, ob sie denn ein Paar wären. Adam und Leo schauten sich fragend an und wussten nicht, was sie darauf antworten sollten.
Glücklicherweise merkte die Frau ihre Überforderung sofort und meinte schlichtweg, dass es auch egal sei, die beiden eben wie ein Paar wirkten, aber es ja überhaupt keine Rolle spiele, wie sie das denn benennen würden, solange es für sie funktioniere.
Leo und Adam kamen gar nicht dazu, irgendetwas darauf zu erwidern, denn im nächsten Moment wurde die Frau von einer Freundin zurück in die Wohnung gerufen. Nicht viel später verließen Leo und Adam dann auch die Party.
Sie waren zu Fuß gekommen und hatten daher nun einen 20-Minütigen Spaziergang vor sich. Eine Weile liefen sie schweigend nebeneinander her, bis Leo schließlich fragte: „Sollten wir darüber reden? Wie wir das benennen wollen? Also das mit uns?“
Er schien sich nicht so recht zu trauen, Adam anzuschauen und auch seine Stimme klang etwas unsicher.
„Ist dir wichtig, dass wir das benennen?“, hakte Adam nach.
Leo zögerte. „Ich weiß nicht. Eigentlich nicht. Aber irgendwie hatte ich vorhin trotzdem ein bisschen Angst, du könntest nein sagen.“
Adam blieb stehen und drehte sich zu Leo, der auch angehalten hatte. „Hör zu, mir ist vollkommen egal, ob und wie wir das benennen. Aber was ich mit absoluter Sicherheit weiß, ist, dass da nicht nichts ist. Okay?“
Leo musterte ihn für einen langen Moment. Dann nickte er, „okay“. Nach einer kurzen Pause fuhr er fort. „Mir ist auch egal, wie wir das nennen, aber ich glaube, für andere Leute ist es einfacher, ein Wort dafür zu haben. Erinnerst du dich, dass ich damals bei diesem Fall in der WG gesagt habe, dass ich noch nie das erlebt habe, was ich bei den dreien gesehen habe?“
Adam nickte.
„Ich denke, das, was wir haben, ist das, was ich bei den dreien damals gesehen habe. Und ich finde, dass queer-platonische Beziehung das auch ganz gut beschreibt.“
„Hmm“, stimmte Adam zu.
„Aber meinetwegen müssen wir das nicht so explizit von klassischen Beziehungen trennen, wie sie das gemacht haben. Wenn jemand fragt, hab ich kein Problem, das zu erklären, aber wenn nicht, ist das auch vollkommen okay für mich. Und du?“, erklärte Leo mit einem Schulterzucken.
Adam lächelte. „Ja, das wär für mich so auch okay“.
„Gut“, bestätigte Leo und zog Adam in eine enge Umarmung.
Den restlichen Heimweg verbrachten sie in angenehmen Schweigen und kurz nachdem sie bei Leo angekommen waren, fielen sie auch schon hundemüde ins Bett und schliefen nur Augenblicke später entspannt nebeneinander ein, so wie es inzwischen zu ihrer Gewohnheit geworden war.

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