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Beste Freundin, Mamabär.

Summary:

Was, wenn Leo Hölzer eine Frau wäre? Ein kleines Gedankenexperiment.

Work Text:

"Du warst eine ziemlich lange Zeit weg, Adam."

Der Teenager mit Leos Augen ist schon lange wieder in ihrem Zimmer verschwunden, Caro, Caroline Hölzer. Leos Tochter. Natürlich war das Leos Tochter. Und natürlich hatte Leo nichts von ihr erzählt. Weil es ihn ja auch nichts angeht oder?

"Wie alt ist sie?"

"Fünfzehn."

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Auch Kinder können richtig brutal sein. Adam hatte immer gedacht, dass sich Kinder nicht prügeln, dass das eine uralte staubige Legende war, die Erwachsene erfanden um emotionsschwer von 'damals' zu erzählen.
Aber das kleine Mädchen aus der Parallelklasse mit den schmalen Schultern und den strubbeligen kurzen Haaren, das hatten sie immer und immer wieder auf dem Kieker. Er wusste einfach, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis auch diese Art von Schmerz auf ihre Liste kam.

Adam beobachtete das jetzt schon eine Weile. Wie sie immer mehr durch die Gegend geschubst wurde. Von hinterhergerufenen Gemeinheiten zu einem aufgebrochenen Schließfach. Und Leonie Hölzer sagte einfach nichts dazu. Sie blickte ihn an, mit großen traurigen Augen und sagte einfach nichts. Sie weinte nicht einmal. Adam hätte verstanden, hätte sie geweint.

Er stand da und hielt ihr einen Stapel von Büchern hin, die über dem ganzen Schulflur verteilt gewesen waren. Ein paar Ecken waren geknickt, das gefiel ihr sicher nicht. Sie ging immer so ordentlich mit ihren Sachen um.

Leonie nimmt mit gesenktem Kopf die Bücher entgegen und jetzt hört Adam auch das erste Mal ihre Stimme.

"Danke, Adam", sagt sie leise.

Er kann sich nicht dazu bringen ihr zu antworten.

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Ein paar Haare haben sich fusselig aus Leos Pferdeschwanz gelöst. Sie baut sich vor ihm auf. Ihre Hände treffen mit voller Wucht seine Schultern.

"Hast du eigentlich eine Ahnung, was ich hier riskiere? Und was soll aus ihr werden? Soll sie ihre Mutter im Knast besuchen? Sie hat nur noch mich, kapierst du das?"

Ja, ich kapier das. Ich hab ja auch nur noch dich.

Er kann sich nicht dazu bringen sich zu erklären, dass dies eigentlich nur ein kläglicher Versuch gewesen war Leo und auch Caroline von all dem fernzuhalten.

Er dreht sich um und lässt Leo stehen. Mehr weiß er hier nicht zu tun.

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Er weiß, dass es Leonie Hölzer ist, die da auf dem Boden liegt und immer wieder mit einem satten Knall ins Gesicht geschlagen wird. Da muss Adam nicht mal genau hinschauen. Er hat sie jetzt schon so lange auf dem Radar, dass seine Gefahrenlämpchen aufleuchten, noch bevor er sie leise wimmern hören kann.

Ein erstes Geräusch des Protests und es ist ein sterbendes Wimmern.

Adams Faust trifft den Jungen direkt ins Gesicht, direkt auf die Nase, die direkt anfängt zu bluten. Er hört erst damit auf, als er Leonies Stimme hört: "Bitte, hör auf, Adam! Hör auf!"

Ihre kleine Hand hat sich um seine Schulter geschlossen. Sie ist erstaunlich kräftig. Adam lässt von dem Jungen ab. der nun wirklich heulend am Boden liegt.

Leonie ist ganz bleich im Gesicht. Er ist sich nicht sicher, ob sie jetzt auch Angst vor ihm hat.

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Leo hat die ganze Zeit nichts gesagt. Die ganze Zeit, die sie zum Tatort hin gefahren sind. Das war wohl die längste Viertelstunde seines Lebens gewesen. Was würde sie tun? Baute sie grade genug Wut auf, um ihm eine reinzuhauen?

Erwarten tut er es. Verdienen würde er es. Antworten hat er keine.

Also sagt er: "Ich hab dich vermisst."

Sie ist heute immer noch genau so schön wie damals, mit ihrem glasklaren Blick und der stolztrotzigen Haltung. Da ist kein Zorn in ihrem Blick. Sondern Erkennen. Trauriges Erkennen. Etwas zersplittert in Adams Brust, als sie ihn an sich drückt. Aber Leo sagt auch weiterhin nichts dazu.

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Das allererste Mal hat Adam des Gefühl, dass jemand ihm ins Gesicht sieht und daran nichts findet, woran es etwas auszusetzen gäbe. Und es ist, wie das erste Mal einatmen nach einem langen Tauchgang in dem tiefsten blausten Pool.

Sie lässt ihn nicht mehr gehen, danach, nach der Sache mit den Schlägen. Und sie lächelt ihn jetzt auch noch an? Wie wundervoll er dieses schmale Lächeln findet. Es strahlt ganz warm und friedlich zwischen dem rauschenden Laub und dem knarzenden Holz.

"Ich hab dich lieb", sagt sie leise, die Wange an seine Schulter gedrückt.

Danach ist sie auch einfach nur 'Leo' für ihn.

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Jetzt hat er sie verloren. Jetzt hat er es auch wirklich geschafft. Das musste ja mal so kommen. Er war einfach so. Und all die Zeit, die er mit Leo gehabt hat, war ein ziemlich glückliches Geschenk gewesen.

Ihr Blick trifft ihn und geht gleichzeitig durch ihn durch. Nichts hatte ihm jemals so die Füße weggerissen, wie dieser Blick. Wenn er ehrlich ist, hat er auf ihn gewartet, diesen Funken Abscheu. Er kann ihn nicht willkommen heißen. Obwohl er sich das fest vorgenommen hat.

"Es tut mir leid, Leo", sagt er. Und es ist nicht einmal ansatzweise genug.

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Aber Leo bleibt. Und Leo scheint ihn wirklich zu lieben. Und ihm ist noch nie so etwas unlogisches untergekommen. Und es ist so verdammt wunderlich.

Er darf Caro endlich offiziell treffen. Also Leo passt ja immer wie eine Bärenmama auf, dass kein ungebetener Gast ihrem Kind zu nahe kommen kann. Aber er sitzt jetzt am Küchentisch und beobachtet Leo und Caro, wie sie um einander herumbalancieren und, wie ein eingespieltes Team, Gemüse schnippeln. Caro ist ein kleines Abbild von Leo. Mit strubbelig, in einen Dutt hochgebundener Haaren, sie flachsblond , Leo dunkelbraun.

Leo lächelt ihn an.

"Hörst du das? So hab ich sie nicht erzogen. Sie ist sonst immer ganz frech!"

Caro reicht ihm zwei gefüllte Teller. Wo sie ihrer Mutter den Rücken zugedreht hat, verdreht sie die Augen und zwinkert ihm zu.

Adam grinst zurück.

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Er muss nicht allein nach Hause gehen. Leo ist da, wartet auf ihn, und sie ist nicht wütend und nicht ängstlich oder traurig. Nein, die Sonne geht auf.

Und sie sagt:

"Lass uns nach Hause gehen!"

Er kann sich nicht dazu bringen ihr zu wiedersprechen.