Chapter Text
„Mats, ich weiß wirklich nicht, ob die Idee so gut ist, wie du sie dir gerade ausmalst“, ächzte Benni ins Telefon.
„Benni, was bleibt uns denn übrig? Welche Option gibt es noch? Sag es mir und ich überlege, ob es wirklich besser ist, wie du es vorschlägst“, entgegnete Mats.
Benni seufzte. So spontan hatte er jetzt auch keine Lösung auf der Hand. Aber eins stand fest: die Idee seines Freundes fand er nicht so prickelnd. Ja, eher sogar befremdlich.
„Wie stellst du dir das ganze denn vor? Willst du da morgen einfach auftauchen und sagen: hier bin ich! Das wird eher nicht funktionieren.“
„Ganz so plump werde ich nicht vorgehen. So kennst du mich ja wohl auch nicht!“, protestierte Mats.
„Plump ist vielleicht nicht das Wort meiner Wahl, wenn ich dich beschreibe. Aber so elegant wie sonst wirst du mit deinem Vorhaben vielleicht nicht gerade sein.“
Jetzt seufzte Mats.
„Können wir das alles nicht vielleicht nochmal persönlich besprechen? Ich glaube, du willst meine Idee gar nicht ernst nehmen“, merkte Mats an: „Und außerdem vermisse ich dich!“
Das Gespräch entwickelte sich so zu einer Aneinanderreihung von Seufzern; nun war Benni wieder an der Reihe, auch wenn dieses Seufzen von seiner Sehnsucht geprägt war und nicht mehr von seiner Ratlosigkeit: „Ja, eigentlich fänd ich das ganz schön, wenn wir uns mal wieder sehen würden.“
„Okay, pass auf. Mir ist inzwischen eh alles egal – wie du ja vielleicht schon gemerkt hast, wenn ich solche Dinge vorschlage. Morgen ist hier eigentlich Training, aber ich überleg mir was. Ich pack meine Sachen und fahr gleich los zu dir.“
„Mats!“
„Benedikt!“
„Mats Julian Hummels! Du spinnst doch!“
„Wenn ich jetzt losfahre, bin ich gegen 21 Uhr bei dir. Hast du dann was zu Essen für mich da? Sonst muss ich unterwegs essen. Aber dann dauert’s länger“, erklärte Mats.
„Ich bin nicht begeistert“, sagte Benni: „Aber ich habe ja nun sechs Stunden Zeit, um mir zu überlegen, was ich koche und ob ich noch einkaufen muss.“
„Ich liebe dich, Benni!“
„Ich liebe dich auch, Mats. Fahr vorsichtig!“
Benni legte auf und schüttelte mit dem Kopf. Mats war verrückt. Wahrlich verrückt. Das Problem war nur, wenn sich Mats etwas in seinen Lockenkopf gesetzt hatte, konnte man es ihm schwer austreiben. Und irgendwie liebte Benni ja auch genau das an ihm; dass er immer so zielstrebig und vorausschauend war. Aber dieses Mal war sich Benni nicht sicher, ob Mats sich der Folgen für die Zukunft bewusst war.
Benni kümmerte sich die kommenden Stunden um den Einkauf, putzte das Haus noch einmal durch und bereitete letztlich das Abendessen so weit vor, dass er es bei Mats‘ Ankunft nur noch in den Ofen schieben musste.
Mats meldete sich währenddessen schon bei den Bayern als nicht fähig, am morgigen Training teilzunehmen. Private Probleme, Redebedarf, chaotische Zustände. Er müsse sich erstmal rausnehmen, um zu einem späteren Zeitpunkt wieder voll bei der Sache zu sein. Man gewährte ihm zwei Tage und Mars atmete auf. Das würde ihm genug Zeit verschaffen, um alles zu klären. Es war ja noch nicht einmal gelogen! All die genannten Dinge belasteten ihn aktuell und mussten aus dem Weg geräumt werden.
Die Fahrt unterbrach Mats nur einmal auf halber Strecke, um sich die Beine zu vertreten. Er nutzte die mehrstündige Reisedauer, um mehrere Folgen seines Lieblingspodcasts nachzuholen und so verging die Fahrt letztlich schneller als gedacht.
Mats fuhr die Allee in Gelsenkirchen entlang, in der Benni lebte und verfluchte ein ums andere Mal die engen Parklücken dieser Straße, die immer schon belegt waren oder in denen jemand so dusselig geparkt hatte, dass sein Auto keinen Platz mehr zwischen Auto und dem nächsten breitgewachsenen Baum fand.
Um 21:14 war es dann so weit und Benni hörte den Schlüssel im Schloss und sodann das Öffnen der Tür. Er machte sich vom Sofa auf zur Haustür und sah dort seinen Freund stehen. Mats trug noch immer seine Brille, die er eigentlich nur zum Autofahren brauchte, aber viel häufiger trug als notwendig war, weil er genau wusste, dass Benni diesen Look mochte, wenn er so feinsinnig und weltgewandt wirkte – und alles nur wegen der großen runden Brille mit dem tiefschwarzen Gestell, das seine dunklen Locken so toll ergänzte. Benni war eben auch nur ein Mann und Mats wusste seine Reize einzusetzen.
„Hi“, begrüßte Benni ihn.
„Hallo“, strahlte Mats seinen Freund an und zog ihn im nächsten Moment in einen tiefen Kuss, der gefüllt mit all der Sehnsucht war, die die beiden in der letzten Zeit bestimmte. Sie befanden sich nun schon in der dritten Saison der räumlichen Trennung, nachdem Mats 2016 nach München gewechselt war.
Bennis vergrub seine Hände tief in Mats‘ Locken, die warm und weich wie eh und je waren. Er vermisste seinen Freund wirklich wahnsinnig. Es war gut, dass er heute wieder bei ihm war.
Erst als Mats sich aus dem Kuss löste, ließ er seine Tasche auf den Parkettboden fallen. Er schälte sich aus seinem dicken Wollmantel. Auch wenn gegen Ende April die Temperaturen an manchen Tagen schon frühlingshaft wirkten, so wurde es abends doch manchmal noch frisch und regnerisch. Benni lebte seit langem schon in einer alten Stadtvilla in Gelsenkirchen-Buer. Ein herrlichen Stückchen Erde mit großem Garten hinter dem Haus. Aber vor dem Haus hatte Mats in all den Jahren nie einen Parkplatz gefunden. Auch heute hatte es wieder gedauert und gedauert und gedauert. Besuche bei Benni waren immer mit einer kleinen Wanderschaft verbunden, während der er hoffen musste, dass man ihn nicht erspähte. Gar nicht mal, weil er befürchtete bei seinen regelmäßigen Besuchen würden irgendwer mal 1 und 1 zusammenzählen – nein, er war halt immer noch der Dortmunder. Oder jetzt halt der Bayer. Was auch immer er war, er war ein Feindbild. Auch wenn ihn keiner anging, die bösen Blicke gab es jedes Mal gratis dazu, wenn er sein Gesicht nicht hinter Cap und Sonnenbrille oder wahlweise Schal und Mütze im Winter verbarg. Trotzdem fühlte es sich hier deutlich mehr nach Zuhause an als es München jemals wieder werden würde. Es war nach dem Wechsel nie wieder der Ort geworden, an dem er sich wohlfühlte. München war vielleicht auf ewig seine Heimat, aber sein Zuhause würde immer da sein, wo Benni ist.
Benni schleppte seinen Freund mit in Richtung Küche, wo er den Backofen in Betrieb nahm, in dem das Abendessen nur noch darauf wartete, erwärmt zu werden. Mats lehnte sich unterdessen an die Kücheninsel, die mit einer dunklen Natursteinoberfläche ausgestattet und leicht gesprenkelt war. Wie die Sommersprossen seines Freundes, grinste er innerlich. In München gab es nur wenig, das in ihm solch wohlige Assoziationen hervorrief. Über der Kücheninsel schwebte eine leicht gedimmte Hängelampe, die den Raum neben dem Backofenlicht in einen warmen Ton tauchte. Es war unglaublich gemütlich hier und nach der langen Fahrt im Auto konnte Mats sich langsam entspannen.
„Komm mal her!“, sagte Mats und breitete seine Arme aus, um Benni fest umschließen zu können. Dieser nahm das Angebot nur allzu gern an und schmiegte sich an Mats’ Körper. Seinen Kopf bettete auf der Brust unterhalb des Kinns seines etwas größeren Freundes. Mats drückte seine Nase in Bennis Haare. Früher war da mal mehr zum Anflauschen, aber auch mit wenig Haar änderte sich nichts an dem Gefühl und Duft seines Zuhauses.
Die zwei blieben dort eine Zeit lang so stehen und genossen die Nähe, tauschten Küsse aus, Mats erzählte von der Fahrt und beide berichteten vom Training, das ihnen in den Knochen steckte. Dann klingelte auch schon der Timer des Ofens und ein vorsichtiges Anpieksen zeigte, dass ihre Mahlzeit verzehrbereit war. Sie setzten sich an den großzügigen Esstisch gegenüber der Küche und aßen ihr Abendessen bei zwei Gläsern Wasser. Sie hatten hier stets ihre festen Plätze. Benni saß am Kopf des Tischs und Mats nahm direkt übers Eck neben ihm Platz. So hatten sie eine fantastische Mischung aus möglichem Augen- und Körperkontakt gefunden, wann immer sie dort verweilten.
Nachdem sie alles verspeist hatten, erachtete Benni den Zeitpunkt als gekommen, an dem sie über das Thema sprechen sollten, das überhaupt erst Anlass für Mats‘ spontanen Besuch gewesen war: seine Wechselabsichten.
Mats wollte München verlassen.
„Die eine Sache, die ich einfach nicht verstehe, ist, warum du nicht bei Dortmund anfragen lässt, ob sie dich zurückhaben wollen. Ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass sie nein sagen. Du alter Mann müsstest gehaltstechnisch für die doch locker drin sein, bei gleichzeitig gestiegener Erfahrung. Du klingst nach einem Angebot, das man nicht ablehnen kann. Also ich würde dich sofort verpflichten!“
„Aha! Da haben wir es doch. Du würdest mich sofort verpflichten. Dann verstehe ich nicht, warum du so sehr gegen meine Idee bist“, entgegnete Mats.
„Mats, das geht einfach nicht. Ich verstehe nicht, wie du überhaupt auf so etwas Schräges kommst. Es geht nicht in meinen Kopf rein“, erklärte Benni sich.
Mats lächelte schief: „Ganz ehrlich? Die Idee war plötzlich da und seitdem geht sie nicht mehr aus meinem Kopf. Weißt du… nach dem letzten Champions League-Spiel, da lag ich noch unglaublich lange wach im Hotelzimmer. Ich war verdammt unzufrieden mit der Situation, aber nicht weil wir ausgeschieden sind, sondern weil ich schon wieder nicht bei dir sein konnte. Wir beide eilen von einem Ort zum anderen. Ständig geht es in entgegensetzte Himmelsrichtungen, sodass wir uns fast gar nicht mehr sehen – und wenn, dann immer nur viel zu kurz.“
Wenn Mats genauer darüber nachdachte, dann musste er zugeben, dass der gesamte Wechsel zu den Bayern eine Schnapsidee war. Nicht sportlich gesehen, aber er stellte inzwischen in Frage, ob die wenigen Jahre, die er als Fußball-Profi hatte, wirklich so wichtig waren, dass er sein persönliches Glück hintenanstellte. Am Ende war es eben doch Benni, in dem er seine Zukunft sah und er hätte auch im Pott eine gute Fußballer-Zeit gehabt. Ein kleines bisschen hatte er ja auch darauf spekuliert, dass die Bayern Benni vielleicht ein Jahr später verpflichten würden, immerhin hatte sie schon einmal Interesse an ihm bekundet. Aber es tat sich nichts und der Schalker war viel zufrieden mit seiner Rolle bei den Königsblauen, sodass sich dieser Plan zerschlug. Jetzt konnte er die vergangenen Jahre nicht mehr ändern, aber er konnte wieder etwas für seine Zukunft tun.
„Und dann kommst du auf solche Ideen?“, fragte Benni ungläubig und sah Mats mit großen Augen an. Irgendwie reichte ihm das alles immer noch nicht als Erklärung für Mats‘ Hirngespinste.
„Naja, Benni, was möchtest du jetzt noch von mir hören? Ich vermisse dich. Unendlich. Ich sehe meine Zukunft bei dir.“ Mats griff nach Bennis Hand und zog diese zu seinen Lippen. Er hauchte zwei, drei flüchtige Küsse auf den Handrücken, ehe er die Hand des Anderen wieder auf dem Tisch ablegte, aber weiterhin fest umschlossen hielt.
„Und dafür willst du deinen Vertrag bei den Bayern auflösen, um…“
„Um bei dir sein zu können“, unterbrach Mats seinen Freund.
„Ich weiß das sehr zu schätzen, aber…“
Erneut fiel Mats ihm ins Wort: „Kein aber. Ich möchte kein aber mehr in dieser Beziehung. Die letzten drei Jahre waren ein ständiges aber wenn ich ständig in München bin, gibt es Fragen oder aber hier passen unsere Spielpläne schon wieder nicht zusammen, um uns überhaupt mal für zwei Tage zu sehen.“
„Du meinst es wirklich ernst, oder?“, fragte Benni ungläubig nach.
Mats nahm seine Brille ab, klappte sie sorgfältig zusammen und steckte sie in sein Etui, das er auf den großen Esstisch legte. Benni verfolgte jede Bewegung mit seinen Augen, musterte seinen Freund und wartete auf die finale Antwort.
„Ja, ich meine es ernst. Ich werde um die Auflösung des Vertrags bei den Bayern bemühen“, erklärte Mats. Er nahm einen großen Schluck Wasser aus dem Glas, setzte auch dieses ebenso ruhig ab wie er es schon mit seinem Etui getan hatte, während Benni vor Anspannung fast zu platzen drohte.
Doch dann sprach er es aus, was nun schon seit Stunden zwischen ihnen schwebte: „Aber zunächst werde ich Schalke darum bitten, mich unter Vertrag zu nehmen.“
