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Gedankenverloren starrte Marinette aus dem Fenster des Klassenraums. Ihre Lippe tat weh, vom ständigen Draufbeißen und Alyas besorgter Blick bohrte sich in ihre Seite, doch das ignorierte sie. Sie hatte dafür einfach keinen Kopf.
Die Äste des Baumes vor dem Fenster wiegten sich stark im Wind und ein paar Blätter wirbelten um ihn herum. Ein Sturm zog auf.
Mme. Bustier erklärte gerade etwas und strich sich dabei über die deutlichen Rundungen ihrer Schwangerschaft. Marinette versuchte, den aufkommenden Kloß in ihrem Hals herunterzuschlucken. Das Kind würde in eine Welt geboren werden, die von Menschen wie Monarch terrorisiert wurde.
Und das war alleine ihre Schuld.
Alle Versuche der letzten Wochen und Monate, die Miraculous zurückzubekommen, waren vergeblich gewesen. Dazu kam, dass sie und Chat Noir immer noch nicht herausgefunden hatten, wie Monarch es schaffte, den akumatisierten Menschen die Miraculous auszuhändigen. Sie war erschöpft und müde.
Auf irgendeine Aussage von Madame Bustier drehte Adrien sich zu ihr um und blickte sie hoffnungsvoll an. Alya stieß ihr aufgeregt einen Ellenbogen in die Seite, doch Marinette konnte nur seufzen, als sie sanft den Kopf schüttelte und auf Alya deutete. “Wir hatten schon abgemacht, das Projekt zusammen zu machen. Tut mir leid, Adrien”, erwiderte sie leise. Ihre beste Freundin schenkte ihr einen irritierten Blick, als Adrien die Schultern hängen ließ und sich nun stattdessen an Nino wandte.
Warum ausgerechnet jetzt?
Hätte Adrien sich nicht vorher für sie interessieren können? Als sie noch Hals über Kopf in ihn verliebt gewesen war, oder es zumindest dachte?
“Was soll das denn werden?", flüsterte Alya aggressiv, aber Marinette zuckte nur mit den Schultern.
“Ich sage es dir gerne nochmal, ich empfinde nichts mehr für Adrien. Ich kenne ihn ja nicht mal”, erwiderte die Schwarzhaarige ebenfalls im Flüsterton
“Aber-”
“Kein Aber Alya.”
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Wieder zu Hause angekommen, besserte sich Marinettes Laune kein bisschen. Alles in ihrem Zimmer erinnerte sie an das katastrophale Date mit Chat Noir. Wenn man es überhaupt ein Date nennen konnte.
Die Fotos an ihrer Pinnwand, die früher einmal Bilder von Adrien gewesen waren, zeigten nun ihre Freunde und den Pariser Katzenhelden. Die selbstgenähten Puppen für Manon lagen auf ihrer Couch, Chat Noirs ganz oben. Und die Rose, die er ihr mitgebracht hatte, stand in einem Glas auf ihrem Schreibtisch. Noch hatte Marinette es nicht über sich gebracht, sie wegzuschmeißen. Dafür waren die bittersüßen Erinnerungen an den Abend viel zu frisch.
Immer wieder musste sie an ihn denken. Wie er sie angesehen hatte, als sie ihm gesagt hatte, dass sie nicht mehr in Adrien, sondern in ihn verliebt sei. Und dann seine Lippen auf ihren, als sie sich geküsst hatten. Dieses unglaubliche Gefühl, welches ihr gezeigt hatte, dass trotz allen schlechten Dingen, die ihr widerfahren waren, das Leben immer noch lebenswert war.
Doch das wurde von den weiteren Geschehnissen des Abends überschattet.
Das schreckliche Gefühl, das der Akuma in ihr hinterlassen hatte. Die Schuldgefühle, dass Monarch es beinahe geschafft hatte, sie zu akumatisieren, nur weil Chat Noir recht hatte.
Es war viel zu gefährlich und blödsinnig, wenn sie sich auf ihre Gefühle einlassen würden. Eine Gefahr und ein zu hohes Risiko für beide. Einzig und allein, dass sie ihn nur idolisieren würde, stimmte nicht. Das war ihr zumindest klar, seitdem sie endlich verstand, was ihre Gefühle gegenüber Adrien bedeutet hatten. Ihn hatte sie auf ein Podest gestellt.
Nicht aber Chat Noir, ihren loyalen, witzigen und klugen Partner, der immer an ihrer Seite war und sie unterstützte, egal ob sie gerade Ladybug oder Marinette war. In ihn war sie aufrichtig verliebt. So mit Schmetterlingen im Bauch und ohne dabei zu einem Stalker zu werden.
Doch es durfte nicht sein. Es war falsch.
Aber wieso fühlte es sich dann so richtig an?
Dieses Date hatte sie mit einem gebrochenen Herzen zurückgelassen. Sie würde niemals die Möglichkeit haben, jemanden aufrichtig zu lieben, solange Monarch existierte. Doch so wie es momentan aussah, hatten sie keine Chance, ihn jemals zu besiegen. Und diese Realisation bohrte sich in Marinettes Herz, wie tausende Nähnadeln. Sie und Chat Noir waren unmöglich.
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Es dämmerte bereits, als Adrien mit einem leisen Rumms auf der obersten Plattform des Eiffelturms landete. Die Lichter der Stadt unter ihm wären eine idyllische Szenerie gewesen, doch heute schienen sie ihn nur zu verspotten. Langsam setzte er sich hin und beobachtete den aufgehenden Mond. Wann hatte alles angefangen, so schwierig zu werden?
Seine Gedanken kreisten um seinen Vater, den er kaum mehr wiedererkannte, oder besser gesagt, den er wieder wiedererkannte. Um Natalie, die von einer Krankheit zerfressen wurde, die er nicht verstand. In deren Gegenwart er nicht wusste, wie er sich verhalten sollte und um Marinette.
Marinette, das Mädchen, welches ihm gehörig den Kopf verdrehte und seine Gefühle in einem Strom des Chaos verschwinden ließ. Bis vor ein paar Monaten war er sich sicher gewesen, dass sie nur eine Freundin war, dass er Hals über Kopf in seine Partnerin, Ladybug, verliebt war. Doch nach und nach hatte sich seine tollpatschige und unfassbar loyale sowie mutige Freundin in sein Herz geschlichen. Als hätte jemand einen Schalter in ihm umgelegt, fing er an, sie zu bemerken. Sie war wirklich einzigartig.
Das klare Bild ihrer babyblauen Augen schob sich in den Vordergrund seiner Erinnerungen. Das Gefühl ihrer Lippen auf seinen. Und das Rauschen des Glücks, das ihn durchströmt hatte. Doch so sehr er sich es auch wünschte, das war eine einmalige Sache gewesen. Marinette liebte nicht ihn, sondern Chat Noir. Das war zwar auch er, aber in dieser Konstellation war es viel zu gefährlich für sie. Er würde sie ins Fadenkreuz von Monarch ziehen und außerdem vermutete er, dass sie ihn, wenn auch nur zu einem kleinen Teil, auf ein Podest setzte, war er doch ein Held, der sie schon mehr als einmal aus einer brenzligen Situation gerettet hatte. Sie hatte ja sogar selber gesagt, dass sie ein Fan von ihm war. Und als Adrien hatte er keine Chance, sie war zwar mal in ihn verliebt gewesen, wie er nun wusste, doch das lag in der Vergangenheit.
Egal was er versuchte, sich einzureden, sein Herz sagte ihm, dass er nicht auf seinen Verstand hören sollte. Marinette erwiderte seine Gefühle. Sein Herz schlug einen Doppeltakt, wenn er daran dachte. Gleichzeitig schien es unfassbar schwer zu werden. Es war eine aussichtslose Situation. Solange Monarch sein böses Spiel trieb, war es unmöglich, diese Gefühle zuzulassen.
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“Hallo Kitty, ich hätte nicht erwartet, dich hier zu sehen”, sagte Marinette sanft, als sie sich neben Chat Noir an die Reling des Eiffelturms setzte. Kurz zuckte er zusammen, als hätte sie ihn aus tiefen Gedanken gerissen, dann drehte er sich zu ihr und lächelte schwach.
“Das gleiche könnte ich sagen”, gab er zurück und sein Lächeln verschwand. Wieder schweifte sein Blick auf die Stadt zu ihren Füßen und es kehrte Schweigen ein. Ein jeder hing seinen eigenen Gedanken nach.
Marinette hatte Angst, ihr könnte das Herz aus der Brust springen. Sie hatte nicht damit gerechnet, den Grund ihres Liebeskummers zu sehen, als sie sich verwandelt hatte, um eine Runde durch Paris zu schwingen. Sie hatte eigentlich einen freien Kopf erzielen wollen, damit sie sich auf wichtigere Dinge konzentrieren konnte, aber die Silhouette ihres geliebten Partners hatte sie von ihren eigentlichen Plänen abgebracht. Sie konnte sich einfach nicht helfen.
Jetzt saß sie hier und wurde nur wieder an die tausend Nadeln in ihrem Herzen erinnert. Sie durfte sich nichts anmerken lassen, zumal sie gerade verwandelt war. Chat Noir war nicht mehr in die Heldin, sondern in ihre Persönlichkeit unter der Maske verliebt. Auch wenn sie ein und dieselbe war. Das durfte er nur niemals erfahren.
“Mylady? Ist alles in Ordnung?", fragte Chat Noir besorgt. Erschrocken blickte Marinette zu ihm. Sie war wohl keine begnadete Schauspielerin. Ein wehmütiger Ausdruck zierte ihre Lippen, als sie langsam nickte. “Mir geht’s prima”.
Wieso musste es auch so verdammt einfach und zugleich so unfassbar schwer sein, sich ihn ihn zu verlieben.
Wie hatte sie nur so blind sein können?
“Bitte lüg mich nicht schon wieder an”, flehte ihr Partner sie an. “Dir geht es offensichtlich nicht gut”.
“Es tut mir leid”, flüsterte Marinette und meinte damit nicht ihre vorherige Aussage. Er schien es zu bemerken, denn er fragte:” ich fürchte, ich verstehe nicht ganz, was tut dir leid?”
“Das ich so blind war. Du warst genau vor meiner Nase. Die ganze Zeit. Du warst immer für mich da, der perfekte Partner, der beste Freund, den man sich wünschen kann. Und so viel mehr-” Je mehr sie sagte, deste lauter wurde die Heldin des Glücks.
“Und jetzt- … jetzt ist es zu spät!”
Nach ihrem kleinen Ausbruch herrschte Totenstille. Die Sekunden zogen sich in die Länge und Marinette wollte am liebsten verschwinden und nie wieder auftauchen.
“Du-”
“Was?”, stotterte Chat und ein Blick der Verzweiflung huschte durch sein Gesicht.
Marinette schluckte schwer. “Ich weiß”, flüsterte sie heiser. “Es tut mir so unendlich leid”. Jegliche Kraft war aus ihrer Stimme verschwunden.
“Mylady, ich- ich weiß ehrlich nicht, was ich sagen soll.”
Stille.
Die Nähnadeln bohrten sich immer tiefer in Marinettes Herz. Wie hatte es nur zu diesem Moment kommen können? Vor ein paar Monaten war noch alles relativ in Ordnung gewesen. Ach, wie sehr wünschte Marinette sich in die Vergangenheit. Wie gerne würde sie jetzt wieder hoffnungslos Adrien hinterherrennen, nur um diesen Schmerz nicht mehr fühlen zu müssen.
Ihr war schlecht.
“Du brauchst nichts sagen, Chat”, sagte sie schließlich.
“Es wird sich eh nichts ändern. Das darf es auch nicht. Wir werden nach wie vor gemeinsam gegen Monarch kämpfen. Es sind nur noch wir übrig. Wir alleine gegen die Welt. Und so wird es bleiben. Wir müssen unsere Gefühle hinten anstellen. Erst wenn das alles hier vorbei ist, können wir wirklich reden. Und bis dahin- , ja bis dahin, müssen wir einfach stark sein”.
Und mit diesen Worten war alles gesagt.
Mit einem gequälten Gesichtsausdruck nickte Chat Noir und griff nach Ladybugs Hand. Vorsichtig drückte er sie und schenkte ihr ein sanftes Lächeln. Er würde mit ihr bis ans Ende der Welt gehen, wenn es nötig war. Und danach würden sie reden.
In Schweigen gehüllt, saßen die beiden Helden Hand in Hand auf dem Eiffelturm und gingen ihren Gedanken nach, bis ein Akumaangriff sie dabei unterbrach und sie wieder in ihren ermüdenden Alltag übergingen.
Sie würden Monarch aufhalten, koste es, was es wolle.
