Chapter 1: Driving home for Christmas
Chapter Text
Franz war definitiv im falschen Film. Eine dieser sehr schlechten, massenproduzierten, nicht witzigen Komödien, zu denen seine Freundinnen ihn früher immer ins Kino geschleppt hatten.
Vor einer Woche hätte er sich noch nicht träumen lassen, dass seine Vorbereitung für Weihnachten darin bestehen würde, auf dem Rücksitz von Carlos Auto zu sitzen. Jetzt war schon der dreiundzwanzigste Dezember und am Fenster zogen viel zu schnell die verschneiten Landschaften vorbei. Das Gaspedal war wohl am Boden des Wagens festgeklebt, anders konnte sich Franz Carlos Raserei nicht erklären. Dazu dröhnte zum wahrscheinlich fünften Mal “Musik, nur wenn sie laut ist” aus den Lautsprechern. Offensichtlich besaß Carlo bloß eine einzige Kassette und störte sich nicht daran, eineinhalb Stunden dieselben Songs zu hören. Sehr im Gegensatz zu Franz. Aber dem schenkte gerade ja eh niemand Aufmerksamkeit.
“Ich hab keine Lust auf die Käffer rauszufahren”, hatte Franz klipp und klar gesagt, als Carlo Ivo und ihn letzte Woche in seinen Plan eingeweiht hatte.
Über die Feiertage würde Carlo in die Heimat - die Käffer - zurückfahren. Er war im Büro aufgekreuzt und hatte erzählt, dass er eine Begleitung brauchte und die Wahl nun bei ihnen, Ivo und Franz, lag, wer von ihnen der Glückliche sein durfte.
Begeistert davon war anfangs keiner von ihnen gewesen. Leider hatte Carlo sie daran erinnert, dass es seine Hilfe gewesen war, mit der sie ihren letzten Fall gelöst hatten, und dass sie ohne seinen unermüdlichen Einsatz noch heute in der Münchner Kanalisation herumwaten würden. Für sowas meine wohlverdienten abgefeierten Überstunden aufopfern… aber weil ihr’s seid waren Carlos Worte damals gewesen und eigentlich hätte Franz da schon wissen müssen, dass die Sache noch lange nicht gegessen war.
Und deshalb wurde dann doch eine Münze geworfen, wer von ihnen mit Carlo rausfahren müsste, nach Traunstein, zu seiner Familie. Das Schicksal hatte Ivo auserkoren. Franz hätte also einfach in München bleiben können und mit seiner Mutter Weihnachten feiern können. Wenn das Schicksal mit ihm gnädig gewesen wäre.
Vier Tage vor Urlaubsbeginn hatte das Telefon bei Franz geschellt und am Apparat hatte seine Mutter um eine Entschuldigung nach der anderen gebeten, bevor sie auf den Punkt gekommen war, dass Weihnachten mit der Familie dieses Jahr ausfallen musste: sein Vater lag mit Hexenschuss im Krankenhaus. Und ab da war Franz auch eigentlich alles egal gewesen. Zu verlieren hatte er ja schließlich nichts mehr, den Kartoffelsalat seiner Mutter würde es erst wieder zu Ostern geben.
Also saß er jetzt hier, eingequetscht zwischen Reisetaschen, Skiausrüstung und anderem Krimskrams, den Carlo in seinem Wagen aufgetürmt hatte, auf dem Weg nach Traunstein. Franz hatte wirklich keine Lust auf die Käffer, aber die Aussicht, eine ganze Woche allein in seiner Wohnung im zugeschneiten München zu sitzen, bereitete ihm alles andere als Freude. Daher hatte er sich kurzfristig Carlos und Ivos Reise angeschlossen, im Glauben, dass es sich um einen normalen langweiligen Skiurlaub handeln würde. Wie gesagt, das Schicksal war nicht besonders gnädig mit Franz dieses Jahr.
“Also, was du auf jeden Fall wissen solltest, Ivo, meine Schwester ist eine unausstehliche Giftspritze. Schon immer gewesen. Aber seit sie so einen tollen Erfolg mit ihrem Geschreibsel hat, ist sie ein absolutes Biest.”
“Hm-mh”, machte Ivo und Franz konnte erkennen, wie er besorgt die Augenbrauen hob, als Carlo mit einer Geschwindigkeit, die weit über 130 km/h lag, einen Wagen von links überholte.
„Wunder dich also nicht, wenn sie anfängt, dich mit so ziemlich allen meinen früheren Freundinnen zu vergleichen, das würde ihr nämlich sehr ähnlich sehen“, fuhr Carlo seinen Monolog fort. „Ach, und wie wir‘s besprochen haben, kennengelernt haben wir uns immer noch wie gehabt und z‘sam sind wir seit einem Jahr.“
„Seit wir gemeinsam bei einem Fall eingesperrt worden sind und uns eine Jacke teilen mussten“, ergänzte Ivo und nickte verständnisvoll. Für Franz‘ Geschmack nahm er diesen Schmarrn, den sich Carlo da zusammengereimt hatte, ein wenig zu ernst.
“Du hast für mich mit deinem Exfreund, dem-”
“Holger”, warf Ivo ein.
“Genau, dem Holger Schluss gemacht. Und jetzt sind wir seit einem halben Jahr zusammen.”
Es war, als hätten sie ganz vergessen, dass Franz auf der Rückbank saß, so wie sie da ihre, wohlgemerkt nonexistente, Beziehung diskutierten. Und Franz wurde klar, dass es ihm vielleicht doch lieber wäre, er säße nicht auf dieser Rückbank. Das hielt doch keiner aus.
“Geh, also Carlo, meinst nicht, dass das alles so ein bisserl übertrieben ist? Ich mein, das ganze Getue, dass du mit dem Ivo zusammen bist? Kannst dir das nicht einfach sparen und deine Familien still und frustriert ertragen, wie wir es alle tun?”
Franz kam sich ein wenig albern vor, seine Bedenken gegen Carlos Hinterkopf zu rufen, wie ein Kind auf der Fahrt in den Familienurlaub, das auch endlich zu Wort kommen wollte. Carlos erhobener Zeigefinger als Antwort machte es nicht unbedingt besser.
“Franz, ich weiß dein Interesse an meiner Situation zu schätzen, aber du kennst meine Familie - ”, begann er, “und ganz besonders meine Schwester nicht. Elke musste schon immer in allem besser sein und das hat sie mir auch immer schön fein unter die Nase gerieben. Das fing mit den Noten in der Grundschule an und dann kam der Rest. Erst hatte sie den tollen erfolgreichen Ehemann, dann das Wunderkind von Sohn und jetzt ist sie geschieden, aber dafür Bestsellerautorin und immer noch eine unausstehliche Furie. Bei jedem Familientreffen gibt es die neuesten Neuigkeiten und dann steht sie wie jedes Jahr im Mittelpunkt. Mir reicht's einfach, ich hab die Schnauze voll. Nicht dieses Jahr! Nicht mit mir!”
Das schien schon lange in Carlo geschlummert zu haben, dachte sich Franz und gab sich Mühe die Augen nicht zu verdrehen. Was gingen ihn Carlos Probleme mit seiner Schwester auch an? Für Franz ging es hauptsächlich darum, die freien Tage dieses Jahr nicht vollkommen allein im Schein einer einzigen traurigen Kerze zu verbringen. Aber warum sich Ivo auf diesen Unsinn einließ und dann anscheinend auch noch so etwas wie Begeisterung dafür empfand…
Jetzt gerade war er in ein Gespräch mit Carlo vertieft, darüber, ob er diesen in ihrer hypothetischen Beziehung denn schon nach Kroatien zu seiner Familie mitgenommen hatte. Ivo hatte Franz noch nie angeboten, einmal nach Kroatien mitzukommen. In seiner Brust spürte Franz ein langsam ankriechendes, bedrückendes Gefühl. War er etwa eifersüchtig? Auf Ivos und Carlos dämliches Schauspiel? Schnell schluckte er das Gefühl herunter und starrte aus dem Fenster.
Sie konnten wirklich nicht bald genug ankommen. Franz musste unbedingt irgendwohin, wo es Schnaps gab.
Als sie endlich in den Hof des kleinen Hotels einbogen, das Carlos Eltern betrieben, war die einzige Lichtquelle, die den Eingang erhellte, zwei kleine Laternen auf beiden Seiten der Eingangstür. Die Sonne war schon vor Stunden untergegangen und die Autofahrt, dank des bezaubernden Münchner Advents-Feierabend-Verkehrs, fast doppelt so lang geworden wie eigentlich geplant. Das Hotel lag ruhig vor ihnen, die Scheinwerfer von Carlos Wagen erleuchteten die gekieste Auffahrt. Vor der Eingangstür konnte Franz zwei Gestalten ausmachen. Ein junger Mann stand dort und rauchte, und neben ihm eine Frau, die, ausgehend von ihrem Gesichtsausdruck, einiges an ihrem Gegenüber auszusetzen hatte.
Carlos Schwester war nicht unattraktiv. Also, rein optisch gesehen. Sie war schlank und wirkte sehr sportlich, ihre Haltung war kerzengerade und ihre Bewegungen zeugten von einer beeindruckenden Körperbeherrschung. So aufgebrezelt wie sie aussah, war sie allerdings nicht wirklich Franz’ Typ. Und einer Sache war er sich sicher, von dem Moment an, als er sie das erste Mal sah: Dass er sie mit jeder Faser seines Körpers nicht ausstehen konnte.
“Karl-Lorenz, bist du es endlich? Mein Gott, es hat ja auch lang genug gedauert, seid ihr per Landstraße gefahren oder was?”, sprach sie in einer nasalen Stimme. Die Arroganz, die dabei mitschwang, war in etwa so leicht zu ignorieren, wie der starke Geruch von Parfüm, der sie umgab. Franz wurde schon aus der Entfernung übel.
“Herzallerliebst wie immer und dabei sind wir noch nicht einmal angekommen”, flüsterte Carlo eher zu sich selbst als zu den beiden anderen. Er drückte Franz und Ivo im Vorbeigehen jeweils eine Tasche in die Hand und lief seiner Schwester mit ausgestreckten Armen entgegen. Wohl auch nur für den theatralischen Effekt, denn er machte keine Anstalten, sie zu umarmen. Verständlich, dachte Franz.
“Schönen guten Abend auch an dich! Ich wusste gar nicht, dass du der Hexenjagd dieses Jahr wieder entkommen konntest", meinte Carlo und setzte ein Lächeln wie ein Honigkuchenpferd auf.
Ivo schaute zu Franz, zog die Augenbrauen hoch und Franz wusste sofort, was er meinte. Na, das kann ja was werden.
Da wandte Elke sich von ihrem Bruder ab und Ivo zu und schüttelte ihm herablassend die Hand. “Und Sie sind?”
Doch bevor Ivo antworten konnte, hatte Carlo sich zwischen die beiden gedrängt. “Das ist Ivo, mein Partner, also lässt du besser die Finger von ihm.” Dann machte er sich auf, um weiteres Gepäck aus dem Auto zu holen.
“Und Sie…?”, drehte sie sich, völlig ungerührt von Carlos Kommentar, zu Franz.
“Franz Leitmayr, ein…”, er überlegte kurz, “Freund.”
“Enchanté”, sie hielt ihm die Hand zur Begrüßung hin. Franz schüttelte sie, bedacht darauf, nicht unhöflich zu sein, wollte dabei aber gar nicht darüber nachdenken, was er sich hier gerade eingebrockt hatte.
Auf dem Weg nach drinnen flüsterte Carlo ihnen zu: “Die redet nur so hochgestochen, damit in Berlin keiner merkt, dass sie aus Bayern kommt. Den Namen ‘Menzinger’ hat sie ja auch bei der erstbesten Gelegenheit abgeworfen. Elke Meier war ihr dann aber auch nicht gut genug, dann musste ein Künstlername her. ‘Elke Fisher’. Lächerlich.”
Franz stutzte. “Von den Groschenromanen?”
Jetzt sah Ivo ihn schief von der Seite an. “Seit wann kennst du dich denn aus mit sowas?”
“Die Laura hat bestimmt zwanzig Stück von denen gehabt, das war vielleicht ein Schmarrn.”
Carlo musste sich ein Lachen verkneifen.
Irgendwie überraschte Franz die Einrichtung des Hotels. Er hatte mit klassisch-rustikalem bayerischen Alm-Chique gerechnet; holzvertäfelte Wände, Gewehre, hier und da vielleicht ein Geweih und eine Anzahl von Kruzifixen, die den CSU-Landtag mit Stolz erfüllt hätten.
Als er mit Ivo in die Eingangshalle trat, empfingen sie zwar Holzwände von allen Seiten, aber ein Kreuz war nirgendwo zu sehen. Franz stellte die Reisetasche samt Skiern ab, um einen genaueren Blick auf seine Umgebung erhaschen zu können. Er kam zu der Feststellung, dass es vor allem nach einer Sache aussah und das war Skiurlaub.
An den Wänden hingen nicht nur Abbildungen von verschneiten Landschaften jeder Art, über einem der Türrahmen waren Skistöcke drapiert, wie teure Degen oder ein ungeheuer kostbares Familienerbstück. Neben dem Aufgang zu einer großen Wendeltreppe standen Skier in etwas, das nach einem umfunktionierten Schirmständer aussah. Besonders begeistert war Franz von einer Schnur, die wie eine Girlande durch den Flur gespannt war. An dieser schwirrte knapp über Franz’ Kopf etwas, das aussah wie ein kleiner Skilift. Sachen gibt's.
Hinter sich hörte er Ivo schnaufen, als der die Koffer abstellte, und kurz darauf belustigt glucksen. “Geh, schau amol her, Franz.”
Das Foto hatte Franz beinahe übersehen. Ein Familienfoto, das war nicht zu bestreiten. Darauf zu sehen waren zwei Kinder, beide bis zum Kinn in Schneeanzügen gestopft, sodass es nicht erkennbar war, wer Junge und wer Mädchen war. Stolz grinsten sie in die Kamera, präsentierten prächtige Milchzahnlücken, während sie vor einem schneebedeckten Tal standen.
“Also das Linke von beiden, kann es sein, dass das –” weiter kam Ivo mit seiner Frage nicht mehr, denn es ertönte das klackernde Geräusch von Schuhabsätzen hinter ihnen beiden und eine honigsüße Stimme: “Süß schaut er da aus, der Karl-Lorenz, nicht wahr?”
Eine Frau, bei der es sich unverkennbar um Carlos Mutter handelte, stand vor Franz und Ivo und warf ihren neuen Gästen ein breites Lächeln zu. Ihr Blick wanderte von Ivo zu Franz und wieder zurück, ohne das Lächeln dabei zu verlieren, dann streckte sie zuerst Ivo ihre Hand hin. „Beate Menzinger, freut mich. Sie müssen dann wohl dem Karl seine beiden Kollegen sein.“ Ihre Hände waren leicht klebrig, bemerkte Franz, als hätte sie vorhin noch gebacken. Das würde auch die Umhängeschürze erklären.
“Grüß Gott, ich bin der Ivo Batic und das ist der Franz Leitmayr. Genau, wir sind die Kollegen vom Karl-Lorenz”, stellte Ivo sie beiden vor und warf Franz einen Blick von der Seite zu. Er wusste nur zu gut, dass sie Carlo später mit der neuen Erkenntnis über seinen vollen Namen nicht in Ruhe lassen würden. Bei Ivos Namen leuchteten Frau Menzingers - Beates - Augen plötzlich auf.
“Ivo! Dann sind Sie der Partner vom Karl?” Ach, ja. Das. Fast hatte Franz wieder ganz vergessen, dass das der eigentliche Grund für ihren Aufenthalt hier war. Ivo schien es wohl auch entfallen zu sein, denn er brauchte eine Sekunde, um sich zu fangen und dabei liefen seine Wangen auch noch rot an. Depp.
“Ach geh… Sie können ruhig Du sagen, Frau Menzinger… Wo ich doch der… Partner vom Carlo – ich meine vom Karl bin”, murmelte Ivo verlegen, hatte aber keine weitere Sekunde, um in Verlegenheit zu geraten, als er in eine schraubstockartige Umarmung gerissen wurde. Dass so viel Kraft in dieser kleinen Frau stecken konnte. Irgendwas an dieser ganzen Szene schmeckte Franz trotz allem ganz und gar nicht, er konnte bloß nicht benennen, was.
“Freut mich auch, Sie kennenzulernen”, sagte Frau Menzinger, nachdem sie Ivo wieder hatte atmen lassen und nahm ohne zu zögern auch Franz in den Arm, wenn auch mit weniger Enthusiasmus als zuvor. “Ihr zwei könnt mich übrigens gerne duzen, einfach Beate und meinen Mann, den Helmut, stört des auch ned. Wir lassen uns hier auch von unseren Gästen immer duzen. Das ist das Besondere hier bei uns.” Sie lächelte stolz und klatschte dabei in die Hände, als hätte sie gerade ein überzeugendes Argument zum Ausdruck gebracht.
Franz nickte nur anerkennend, was das Hotel von Carlos Familie jetzt besonderer machte als alle anderen in diesem Kaff, war ihm - um ehrlich zu sein - egal. Allerdings schien Ivo seine Rolle als Vorzeigeschwiegersohn sehr ernst zu nehmen, denn er fing direkt an, Beate Fragen über das Hotel und die Familiengeschichte der Menzingers zu stellen. Offenbar war er da auf eine Goldgrube von Geschichten getroffen.
Ein Teil dieser Geschichten wurde später ausgepackt, als die ganze Familie in der Wohnung von Carlos Eltern zusammensaß. Die Wohnung befand sich im obersten Stockwerk des Hotels, sodass jeder Raum von der Dachschräge betroffen war. Vielleicht war es der Glühwein, den Carlos Vater nach dem Abendessen ausgeschenkt hatte, der Franz zu diesem Entschluss brachte, aber die Dachschräge verlieh dem ganzen Raum viel mehr Gemütlichkeit.
Der Weihnachtsbaum leuchtete in einer Ecke des Wohnzimmers, in der Franz gerade noch so aufrecht stehen konnte. Carlos Eltern, seine Schwester Elke und deren Sohn Marc saßen auf einem der zwei orange-roten Cord-Sofas, Carlo, Ivo und Franz auf dem anderen. Franz bemerkte mit Argwohn, dass Ivo und Carlo neben ihm Händchen hielten. Missmutig ließ er den Blick von ihnen beiden ab und genehmigte sich einen weiteren Schluck Glühwein. Warum hatten die beiden ihn überhaupt denn mitgenommen, wenn sie jetzt sowieso nur aufeinander hockten?
Beate hatte Ivo beim Abendessen in ein Gespräch über die schönsten Strände an der Adriaküste verwickelt und wie es Ivos Art war, war er selbstverständlich abgeschwiffen und erzählte von dem ersten Mal, das er als kleiner Junge im Meer getaucht war. Wie immer, wenn er sich in seinen Geschichten verlor, hatte er ein Leuchten in den Augen, während er wild mit den Händen gestikulierte. Eigentlich gestikulierte er nicht, das war Franz aufgefallen. Was Ivo stattdessen tat, war die Geschichten nachzustellen. Das Meer, der Sand, die Sonne, Ivo hatte alles vor Augen, malte mit den Fingern die Wellen nach und ließ die Sommerbrise zwischen seinen Händen entstehen. Es war fast, als wäre man selbst dabei gewesen.
“Franz?” Jemand rüttelte Franz an der Schulter, er blinzelte und sah in das verwirrte Gesicht von Carlo. Hatte er ihn etwas gefragt? “Hast du mich nicht gehört? Ich hab Mama gerade erzählt, wie Ivo uns mal im Präsidium bekocht hat.” Franz blinzelte wieder, versuchte den Nebel in seinem Kopf auszublenden. Die Lichter des Weihnachtsbaumes wirkten auf einmal unerträglich grell. “Ja...”, murmelte er. “Du Carlo, ich glaube, ich geh mal kurz raus, Eine rauchen.”
Draußen vor der Einfahrt der Menzingers war es bitterlich kalt. Franz bereute es, nicht noch einen Schal mitgenommen zu haben. Wenigstens war die Luft frischer als in der stickigen Wohnung und hier waren weder Carlo noch Ivo, die Turteltauben spielten.
Warum brachte ihn das alles so aus dem Konzept? War es das verdammte Kaff? Weihnachten das erste Mal seit langem, ohne dass seine Eltern auf ihm rumhackten? Seine beiden Kollegen und besten Freunde, die sich plötzlich wie ein Paar aufführten und ihn dabei fast wie Luft behandelten? Oder war es einfach nur Ivo?
“Verdammter Depp”, zischte Franz und trat in einen kleinen Schneehügel.
“Na na, da kann der Schnee doch sicherlich nichts für. Für Ihre Probleme”, ertönte es plötzlich hinter ihm. Verwundert wirbelte Franz herum und hätte dabei beinahe seine Zigarette fallen lassen. Von der Tür aus warf ihm Elke Menzinger - pardon - Elke Fisher ein süffisantes Lächeln entgegen, als hätte sie Franz in einer äußerst prekären Lage erwischt. Zwischen ihren rot lackierten Klauen hielt sie ebenfalls eine Zigarette. Das erklärte natürlich die rauchige Stimme. Irgendwie hatte Franz gedacht, das wäre auch eine Farce gewesen. Wie wohl so ziemlich alles an dieser Frau.
Das gesamte Abendessen über hatte Elke entweder von ihrer furchtbar wichtigen Autorenarbeit erzählt oder von den furchtbar wichtigen Personen, mit denen sie jeden Tag in Berlin zu tun hatte. Damit war sie Franz so sehr auf die Nerven gegangen, dass er für einen Moment vergessen hatte, sich darüber aufzuregen, wie Ivo und Carlo sich gegenseitig einen Nachtisch teilten und stattdessen darüber nachgedacht hatte, Elkes Gesicht in die Crème Brûlée zu drücken.
Diese Vorstellung wurde schnell von einer neuen abgelöst, als Franz fühlte, wie Elkes Pump immer wieder sein Schienbein streifte. Elke war die Sorte von Person, die bis jetzt alles, was sie wollte, vor die Füße gelegt bekommen hatte. Franz plante sicherlich nicht, ihr diesen Wunsch ebenfalls zu erfüllen.
Von all den Personen oben in der Wohnung war sie definitiv die letzte, die Franz sich hier runter gewünscht hätte.
„Sind Sie so gut und würden mir etwas Feuer leihen?“ Franz konnte ihren erwartungsvollen Augenaufschlag hören, als sie sich zu ihm hinüber beugte, die Zigarette zwischen den Lippen. Ohne eine weitere Bemerkung reichte er ihr sein Feuerzeug. Nicht mal beim Rauchen konnte man hier in Frieden gelassen werden.
„Ich verstehe Sie ja nicht.“
„Hm-mh?“
„Ach, jetzt tun Sie doch nicht so. Normalerweise braucht es nicht mal den Fuß am Bein, damit es was wird.“ Die Frau hatte doch wirklich ein Rad ab, jetzt war er sich dessen vollkommen sicher. Wie hatte er es wieder geschafft in so eine Situation zu gelangen? Wofür wollte man ihn hiermit bestrafen?
Da hatte Franz eine Idee. „Ich hab Ihr vorletztes Buch gelesen. ‚Dr. Rogelt und—“
„— die Station der Liebe.“ Elke ließ mit dem Satz eine Rauchwolke entweichen, die Franz ins Gesicht wehte. Sie musste ja nicht wissen, dass alles, was Franz aus diesem Buch kannte, die expliziten und dabei äußerst überzogenen Szenen waren. Anfangs hatte Laura es ihm noch vorgelesen, bis sie auf eine absolute Schnapsidee gekommen war, dass man diese doch nachstellen konnte. Oder es wenigstens versuchte. Schon allein beim Gedanken daran schmerzte Franz‘ Kreuz. Warum er sich darauf eingelassen hatte, war ihm im Nachhinein auch vollkommen schleierhaft.
„Und wie hat es Ihnen gefallen?“ Elke lächelte ihn kokett an und strich sich dabei eine Haarsträhne hinters Ohr.
“Unerträglicher Stil. Und furchtbar unrealistisch. Die Charaktere und die Handlungen. Die Sexszenen natürlich erst recht.” Damit nahm Franz einen Zug von seiner Zigarette. Mehr würde er dazu nicht sagen.
Elkes Lächeln schwand ein wenig. Sie fing sich allerdings schnell wieder. “Wenn Sie das meinen, dann haben Sie nur nicht die richtige Partnerin”, stellte sie sachlich fest. Der Ärger in ihrer Stimme war nicht zu überhören, so sehr sie auch versuchte, ihn zu überspielen.
Franz schnaubte belustigt. "Die hab ich jetzt auch nicht mehr.” Warum er ihr jetzt auch noch gerade diese Information auf die Nase binden musste, verstand er selbst am allerwenigsten. Er musste langsam wirklich seine Klappe halten. Und so zog er lieber noch einmal an seiner Zigarette.
Elke lachte gekünstelt, als hätte er gerade den Witz des Jahrtausends gerissen, und rückte etwas näher an ihn heran. Franz machte simultan einen Schritt von ihr weg. Diese Raucherpause hatte ihm kein bisschen Ruhe gebracht. Nur noch mehr Stress.
Er ließ die Überreste seiner Zigarette in den Schnee fallen und trat sie aus, dann floh er ohne ein weiteres Wort wieder nach drinnen.
Eine kleine Weile später stand Franz vor seinem Gästebett und lachte immer noch leise in sich hinein bei dem Gedanken an Elkes verdutzten Gesichtsausdruck. Der hatte beinahe alles entschädigt, das Franz bis hierhin über sich ergehen hatte lassen müssen. Selbst die Tatsache, dass das Spannbettlaken ganz offensichtlich zu klein für sein Bett war, konnte seine Laune nicht ruinieren. Je länger er mit dem Laken kämpfte, desto mehr schwand diese Euphorie allerdings.
„Kruzifix, ist das eingelaufen oder ist es einfach… Mein Gott.“ Frustriert zerrte Franz an dem Tuch, nur damit es wieder aus der Seite heraus rutschte, in die er es vorhin noch so mühevoll hineingesteckt hatte. Es war zum Mäusemelken. Carlo und Ivo hatten wirklich Glück gehabt, dass sie gemeinsam das Doppelbett am Ende des Flurs beziehen durften. Zu zweit ging das definitiv wesentlich einfacher.
„Willst du da noch bis nächstes Jahr dran bleiben oder darf ich dir helfen?“ Das selbstgefällige Grinsen hätte Franz noch auf eine meilenweite Entfernung heraushören können.
Er konnte trotzdem nicht anders, als auch zu grinsen. „Ich weiß nicht, was man in der Familie Menzinger unter Bettlaken versteht, aber bei uns zuhause meint man damit eigentlich, dass man das Bett mit sowas beziehen kann.“
„Du stellst dich auch wirklich an.“ Ivo schüttelte grinsend den Kopf. Er hatte immer noch den grauen Pullover an, in dem er auch angereist war, genauso wie die Jeans. Dafür trug er dunkelblaue Pantoffeln, die Helmut vorhin noch an sie alle ausgeteilt hatte. Sein Gesicht war leicht gerötet und seine Haare sahen frisch gewaschen aus. Idiot, wer macht denn überhaupt die Abendtoilette, bevor er den Schlafanzug anzieht?
Ivo drückte sich vom Türrahmen ab, an dem er sich bis vorhin noch abgestützt hatte, und trat auf das Gästebett zu.
„Rück mal rüber, ich helf dir“, sagte er und griff das Laken an der gegenüberliegenden Seite von Franz. „Sicher, dass du es auch längs und nicht quer aufs Bett gelegt hast?“, feixte Ivo und Franz tat so, als würde er nach dem Kissen greifen, um damit nach Ivo auszuholen. Er zog das Laken stramm und steckte es ins Bettgestell, auf der anderen Seite tat Ivo es ihm gleich. Im Grunde war das auch nur wie ihre Ermittlungen. Reine Teamarbeit, jahrelange Erfahrung damit.
„Kannst du des glauben? Unser Carlo… Der Erbe eines Sternehotels für Skiurlauber.“ Nach Carlos vollem Namen würde das definitiv das Erinnerungswürdigste für Franz an diesem Urlaub bleiben.
„Ich kann‘s auch gar ned richtig fassen“, stimmte Ivo ihm zu, der gerade die letzten Falten glattstrich. „Jetzt müssen wir uns jedenfalls ned mehr Sorgen machen, dass er zu wenig bezahlt bekommt.“
Franz gluckste und richtete sich auf. Zwischen dem ganzen Trubel ihrer Anreise und des Empfangs hatte er gar nicht bemerkt, wie müde er eigentlich war. Auch Ivo sah alles andere als wach aus. Kein Wunder, schließlich musste er den ganzen Abend lang Herrn und Frau Menzinger die vorher noch einstudierten Geschichten auftischen über eine Beziehung, die er nicht führte.
Als hätte er seine Gedanken gelesen, gähnte Ivo beherzt. Irgendwo draußen ertönten Kirchenglocken. Mitternacht. „Ich sollte mal langsam“, murmelte Ivo. „Sonst macht sich mein Partner noch Sorgen.“ Irgendwas passte Franz an diesem Satz ganz und gar nicht. Er versuchte, das unwohle Gefühl in seiner Magengegend zu ignorieren.
„Gute Nacht, Ivo.“
„Gute Nacht, Franz.“ Auf dem Weg zur Tür warf Ivo einen Blick auf die Wanduhr, deren Zeiger beide den neuen Tag ankündigten. Noch im Türrahmen drehte er sich zurück zu Franz und warf ihm ein breites Grinsen zu. „Und einen schönen Heiligabend.“
Chapter 2: Simply having a wonderful Christmas time
Notes:
Irgendwie ist mal wieder Zeit für Weihnachten mit den Menzingers, oder? Target audience, wie immer, zwei Personen (who may or may not be the authors)
(See the end of the chapter for more notes.)
Chapter Text
Als Franz morgens aufwachte, wusste er zuerst nicht, wo er sich befand. Er fühlte sich, als hätte er ein Jahr lang geschlafen. Sein Kopf dröhnte unangenehm und er merkte, dass seine Nase auf einer Seite verstopft war. Na super . Noch immer halb im Schlaf drehte er sich auf die Seite, sein Blick fiel auf das Fenster, das den Blick auf eine schneebedeckte Berglandschaft frei gab. Ach ja.
Gerade, als er sich mit seiner momentanen Lage wieder angefreundet und beschlossen hatte, noch eine halbe Stunde weiter zu schlafen, klopfte es an der Tür. „Herein“, krächzte Franz, seine Stimme war, genauso wie er, noch nicht richtig wach. Durch die Tür steckte Carlo den Kopf herein, die Haare heute nach hinten gebunden. „Ach Mensch, Franz, du bist ja doch schon wach.“
„Hmpfgrn“, machte Franz und vergrub die Gesichtshälfte, mit der er nicht mehr atmen konnte, tiefer ins Kissen.
„Wenn du Hunger hast“, sprach Carlo unbeirrt weiter, „Unten gibt‘s frische Semmeln und der Papa würde nachher nochmal ne Kanne Kaffee machen.“
„Danke, Carlo.“ Zu einer Tasse Kaffee und frischen Semmeln würde Franz durchaus nicht Nein sagen, aber jetzt wollte er eigentlich nur weiterschlafen. Er hoffte inständig, dass Carlo ihn auch gleich dafür erlösen würde.
„Ach übrigens noch“, Carlo würde wohl erst Ruhe geben, sobald er Franz vollkommen um den Schlaf gebracht hatte. „Ich würde nachher raus auf die Piste gehen. Ivo wollte mal die Skianlage hier sehen. Wenn du mitkommen magst. “
Franz würde heute definitiv nicht mit “raus auf die Piste” kommen. Er war ein paar Mal in der Schule und im Studium Ski gefahren, wie es sich als Münchner eigentlich nicht vermeiden ließ, aber heute war er erkältet. Und die ungesunde Mischung aus Glühwein und Eierlikör, die den gestrigen Abend dominiert hatte, hing ihm noch zu sehr nach, als dass er heute sein Leben dabei riskieren wollte, sich einen Berg hinunterzustürzen. Außerdem hatte er gesehen, wie Ivo sich auf Inlineskates anstellte, und war nicht gerade erpicht darauf, Zeuge von dessen allererster Skifahrt zu werden.
Elke und Marc blieben auch im Hotel, Elke musste schreiben (“Mein Verleger mit seinen Deadlines bringt mich noch um”) und Marc musste lernen (“Bei den ganzen Prüfungen siehst du das Studium ja gar nicht mehr”). Helmut hatte einen Anruf von seiner Mutter bekommen und musste kurzfristig in Richtung Dorf fahren. Das ließ Franz alleine mit Beate zurück.
Irgendwie konnte Franz nicht anders, als sich in der Gegenwart von Carlos Mutter unwohl zu fühlen. Selbstverständlich war sie nie unhöflich zu ihm gewesen und wenn sie ihn tatsächlich nicht mochte, ließ sie sich nichts anmerken, immerhin war sie auch hauptberufliche Gastgeberin. Trotzdem wurde Franz das Gefühl nicht los, dass er hier, in diesem Hotel, in diesem Ort, bei dieser Familienversammlung, vollkommen fehl am Platz war. Ein armseliger einsamer Lulatsch, der sich augenscheinlich beim Weihnachtsurlaub eines befreundeten Paares eingeschleust hatte. So ganz falsch war das ja auch nicht wirklich.
Verstärkt hatte sich das Gefühl heute morgen, als Beate ihm nach einem schnellen Temperaturmessen (“37,9 Grad?! Oje, dann bleibst du wohl besser hier, Franz!”) mit Kamillentee und Hustensaft überhäuft hatte. Auf eine gewisse Art erinnerte sie Franz an seine eigene Mutter und dadurch fühlte er sich nicht unbedingt besser. Eher schuldiger als zuvor.
Dementsprechend konnte er wirklich nicht ablehnen, als Beate ihn am Vormittag fragte, ob er ihr in der Küche aushelfen würde. Wobei, “Aushelfen” war zu viel gesagt, Franz hatte sich nicht getraut, überhaupt eine Bewegung in der Küche zu machen, aus Angst, Beates sorgsam vorbereitete Plätzchen-Zutaten durcheinanderzubringen. „Keine Sorge, da kannst du nicht groß was falsch machen“, entgegnete sie, während sie ihm eine Schürze in die Hand drückte. „Damit dein schöner Pulli ned dreckig wird, gell?“ Was an seinem üblichen schwarzen Rollkragenpullover besonders schön sein sollte, verstand Franz nicht, aber er schätzte die Geste.
Wenig später fand er sich neben Beate wieder, die aus einer riesigen Menge Teig kleine Kekse formte und sie auf einem Backblech in feinsäuberlichen Reihen anordnete, damit Franz sie mit Himbeermarmelade füllen konnte. Mittlerweile hatte Franz eher den Eindruck, dass Beate weniger jemanden zum Backen in der Küche brauchte, als vielmehr einen Gesprächspartner.
„Ich kann ja wirklich nicht oft genug sagen, wie froh ich darüber bin, dass Karl dieses Jahr den Ivo mitgebracht hat.“ Sie klang wirklich ehrlich erfreut, dass es Franz fast leid tat, dass Carlo und Ivo ihr nur ein Schauspiel gaben. Aber auch nur eben fast. „Irgendwie auch… Ach ich weiß nicht, jetzt macht auch alles endlich so viel mehr Sinn“, fuhr sie unbehelligt fort. „Ich meine, die Frauen, die Karl bis jetzt immer mitgebracht haben, waren immer so… Na ja, jedenfalls erschließt sich mir das alles jetzt viel besser, dass es einfach keine Frau für ihn sein sollte.“
„Also das geht mich ja nichts an“, warf Franz ein, „aber das kann ja trotzdem sein, dass der Karl Frauen mag. Nur ist er dann ja jetzt mit dem Ivo z‘sam.“ Dabei machte er eine relativierende Geste, zuckte mit den Schultern und hob dabei die Augenbrauen. Er wollte nicht unhöflich wirken, auch wenn Beate ihm wenig wie eine Person erschien, die über diesen Einwand gekränkt gewesen wäre.
„Oh, ach so…“, Beate kratze sich verlegen am Kopf und Franz meinte zu erkennen, dass sie leicht errötete. Sie nickte verständnisvoll, als erschien ihr diese Aussage einleuchtend. „Das kann natürlich auch stimmen. Es ist nur… die Freundinnen vom Karl, die bisher hier waren…“, druckste sie herum, scheinbar bemüht, angemessene Worte zu finden. „Also die waren immer… sagen wir besonders .“
Verwundert hob Franz eine Braue. Das klang doch mal interessant. Beate schien zu merken, dass ihr Franz’ ungeteilte Aufmerksamkeit gehörte. Gott, er kam sich vor wie ein tratschendes Waschweib und er liebte jede Sekunde davon.
„Letztes Jahr war‘s ganz besonders schlimm. Karl hat nur mit seiner damaligen Freundin gestritten und sie musste immer wieder vom Tisch aufstehen, um zu telefonieren.” Sie schaute für eine Moment sehr bestürzt. “Am Ende konnte man das Hendl gar ned mehr warm essen.“
„Warte… War das so eine große Dunkelhaarige mit langen Locken? Sabine? Oder sowas?”
“Ja genau”, pflichtete ihm Beate bei, offenbar steckte sie immer noch in der Erinnerung an dieses verdorbene Weihnachtsfest fest, ihr Blick aus dem Küchenfenster in die Ferne gerichtet.
Franz musste sich zusammenreißen, nicht triumphierend zu lachen. “Dacht’ ich mir doch, dass der Carlo, was mit der g‘habt hat. Die ham wir keine zwei Wochen später festgenommen.”
„Festgenommen?”, fragte Beate und setzte eine angesäuerte Miene auf. “Das wundert mich ja ehrlicherweise nicht, die war vielleicht eine unangenehme Person. Aber mit dem Ivo wirkt der Karl ja ganz vertraut und entspannt. Man könnte auch meinen, die zwei wären einfach beste Freunde. Schön sowas.”
Ja wirklich schön, dachte Franz. Vor allem wenn man bedachte, dass das eben der Wahrheit entsprach. Carlo und Ivo waren eben nur Kollegen und Freunde. Kein Pärchen, das echte Verpflichtungen oder gar Gefühle füreinander hatte. Es wunderte ihn selbst, wie oft er diesen Gedanken immer wieder hin- und herwälzen musste. Beate strahlte Franz an wie die Morgensonne, die sich ihren Weg durch die Rüschenvorhänge des Küchenfensters bahnte.
“Erzähl mal. Wie isser so? Der Ivo, mein ich. Ihr arbeitet ja eng zusammen, hat der Karl erzählt.“
„Der Ivo? Ja genau, wir arbeiten zusammen, schon seit an paar Jahren, seit er aus Freilassing gewechselt is. Wir halten München sicher, sagen mia immer.“
„Und wie isses so mit ihm zusammenzuarbeiten? Wie isser so im Dienst?“
Kurz spielte Franz mit dem Gedanken, sich einen besonders üblen Scherz zu erlauben. Der Ivo ist ehrlicherweise ned wirklich verlässlich. Taucht dauernd besoffen am Tatort auf, schläft nicht nur mit Zeuginnen, sondern auch Verdächtigen. Stattdessen ließ er es bleiben. Lieber sagte er die Wahrheit.
„Geh, also nach einem besseren Partner könnte man ned fragen. Natürlich isses ned immer nur einfach mit ihm, aber das sind halt auch Sachen, die man an ihm schätzen muss. Er kann unglaublich emotional sein und sich in Kleinigkeiten reinreiten, aber so ist er nun mal. Der Ivo ist auch einfach ein Familienmensch. Und ein sehr treuer und guter Freund dazu.“
In Beates Ausdruck lag etwas, das Franz nicht richtig deuten konnte. Sie zog kurz die Brauen zusammen und musterte ihn mit einem eindringlichen Blick. Dann wandte sie sich von ihm ab und schob das Blech mit den Keksen in den Backofen.
“Ach wie schön”, murmelte sie, als sie die kleine Küchenuhr einstellte. Sie schaute zu Franz und ihre Miene wurde so weich wie Butter. “Auf die Meinung von so einem guten Freund wie dir kann man sich ja auch bestimmt verlassen.”
Als Ivo wiederkam, war er in Begleitung eines Arztes. Doktor Hallstein war anscheinend zufällig gerade auch auf der Piste gewesen, als das Unvermeidbare passierte und Ivo stürzte. Und beim Versuch, sich noch abzufangen, hatte er sich eleganterweise den Arm gebrochen. Keine weiteren Skifahrten für ihn, das stand fest. Der Doktor hatte ihn im Krankenhaus erstversorgt und ihn dann netterweise noch nach Hause gefahren.
Elke hatte sich auf den Doktor gestürzt, sobald dieser eingetroffen war. Sie löcherte ihn mit Fragen, warum er denn extra hergekommen war, wie selbstlos von ihm, und es stellte sich heraus, dass er selbst ein Gast des Hotels war, über die Feiertage im Skiurlaub. Elke tat sehr beeindruckt und fing an von eigenen Ski-Errungenschaften in ihrer Jugend zu erzählen, während sie den immer noch völlig überrumpelten Doktor auf einen Kaffee in das Restaurant einlud. Franz und Ivo standen immer noch etwas unschlüssig in der Lobby, als Marc an ihnen vorbeigeschlurft kam. Er war auf den Weg ins Restaurant, vermutlich auf der Suche nach Snacks, als die Stimme seiner Mutter zu ihnen herüber schwang, und sich dabei mit der Stimme von Doktor Hallstein mischte.
Marc zuckte sichtbar zusammen. “Mann, sie ist so peinlich ”, fluchte er leise und machte auf dem Absatz kehrt.
Franz musterte Ivo belustigt und brach endlich ihr Schweigen: “Was machst du denn für Sachen?”
Ivo seufzte schwer, während er noch damit kämpfte, seinen Gipsarm aus seiner Jacke zu schälen. “Was soll ich denn machen, wenn der Carlo ohne mich schon voraus düst?”
Franz half ihm, indem er seinen Ärmel festhielt, sodass Ivo sich endlich befreien konnte. “Na so ist er halt, gell, der Karl Lorenz. Teamplay is ned so seine Stärke. Gegen das Dreamteam kommt er nicht an.” Mit diesen Worten nahm er Ivos Jacke und brachte sie zur Garderobe. Er hatte es eigentlich als Scherz gemeint, aber seine Worte hatten an Schelm verloren und stattdessen an Biss gewonnen, bevor sie seinen Mund überhaupt verlassen hatten. In seinem Bauch kochte immer noch eine unglaubliche Wut, die ihn selbst überraschte. Je mehr er drüber nachdachte, desto mehr war es zum Haare raufen. Und alles war Carlos Schuld - und natürlich Ivos, der sich auf Carlo eingelassen hatte.
Mit mehr Gewalt als es eigentlich nötig war, raufte Franz Ivos Wintermantel auf den Kleiderbügel. Der Gedanke daran, wie Carlo Ivo vorhin durch die Haustür gebracht hatte, den eigenen Arm in Ivos gesunden gehakt, brachte ihn wieder zur Weißglut. Hinter sich hörte er ein verwirrtes Räuspern. „Franz, ist alles in Ordnung?“ Wieso fragte Ivo ihn das jetzt? Normalerweise war es ihm egal, wenn Franz grantiger als sonst war, warum meinte er jetzt ihn mit Seidenhandschuhen anfassen zu müssen, wenn Franz doch schon seit Beginn dieses Urlaubs lediglich eine Nebenfigur in seinem und Carlos grotesker Show war?
„Nix is, Ivo“, entgegnete Franz kurz angebunden. „Ich geh mich wieder hinlegen.“ Ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, verschwand er aus der Eingangshalle und ließ Ivo äußerst perplex dreinschauend zurück.
Aus den Augenwinkeln hatte Franz es nicht sehen können, doch Beate hatte die beiden von der Treppe aus die ganze Zeit beobachtet.
Notes:
Doktor Hallstein ist aus der original 90er-Jahre Bergdoktor-Serie und wurde von Harald Krassnitzer gespielt (aka Moritz Eisner). Elke Fisher dagegen, for those who don't know, von Adele Neuhauser. it's funny. right. right?

SpaceNerdMUC on Chapter 1 Wed 27 Dec 2023 07:56AM UTC
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romanticmullethero on Chapter 1 Wed 27 Dec 2023 11:34PM UTC
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__annahamilton (Guest) on Chapter 1 Wed 27 Dec 2023 10:31PM UTC
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romanticmullethero on Chapter 1 Wed 27 Dec 2023 11:37PM UTC
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