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Tausend Scherben

Summary:

Mia hat Mounir erneut beim Dopen erwischt, obwohl er ihr geschworen hatte, es bleiben zu lassen. Trotz ihrer Pläne, gemeinsam nach London zu gehen, prangert sie ihn vor versammelter Mannschaft an und beendet somit nicht nur ihre Beziehung, sondern auch Mounirs Karriere im Profisport. Mounir ist am Boden zerstört, aber Manuel ist trotz allem für ihn da.

Notes:

Ich bin immer noch so wütend darüber, dass wir nach Folge 577 einfach in der Luft hängen gelassen wurden. Mounir hat alles verloren, was ihm je etwas bedeutet hat und er fühlt sich verraten von Mia und gibt ihr die Schuld an Allem - was zugegebenermaßen nicht ganz fair ist aber ich kanns schon verstehen - und in den nächsten 7 Folgen wird es einfach mit keinem Wort erwähnt!??!?! Ich bin es zwar gewöhnt, dass einzelne Handlungsstränge hinten runter fallen und vielleicht auch in Vergessenheit geraten, aber ich soll ernsthaft glauben, dass Mounirs Verhalten keinerlei Konsequenzen seitens der Schule oder seines Vaters nach sich zieht? Es wird einfach weiter gemacht, als wäre NICHTS gewesen? Wir sehen Mounir einige Episoden lang nicht, und wenn er dann wieder da ist, lacht er gemeinsam mit Manuel, als wäre nicht gerade erst sein gesamtes beschissenes Leben um ihn zusammengebrochen?

Ja, ich weiß, es wird zu Beginn von Staffel 13 noch einmal aufgegriffen, aber was war davor? Es wäre einfach so interessant gewesen, zu sehen, wie Mounir damit umgeht. Vor allem auch nachdem er selbst Ole damals verraten hatte, als dieser mit Drogen gedealt hat. Und mit seinem eigenen Hang zum Alkoholmissbrauch. Das wäre DIE Gelegenheit gewesen, ihm als Charakter nochmal so viel mehr Tiefgang zu geben. Aber stattdessen kommt Mounir einfach drei ganze Folgen nicht vor!?

Hier also mein Versuch, all die Manuel/Mounir Szenen, die sich aus der Situation hätten ergeben müssen, und um die wir betrogen wurden, in Worte zu fassen. Viel Spaß beim Lesen :)

Chapter 1: Manuel

Chapter Text

   Als Manuel an diesem Abend von der Bandprobe zurück ins Internat kam, war der Aufruhr in den oberen Stockwerken bereits im Foyer deutlich zu vernehmen. Kurz darauf betrat er den Flur, auf dem sich die Jungenzimmer aneinander reihten, und wusste gleich, dass er sich dem Ursprung des Tumults näherte. 

Einige der jüngeren Internatsbewohner wuselten an Manuel vorüber. Hinter vorgehaltenen Händen tuschelten sie miteinander, auf ihren Gesichtern zeichnete sich unverhohlene Neugier, aber auch ein gewisses Unbehagen ob des augenfälligen Verstoßes gegen die herrschende Nachtruhe. Nach 22 Uhr war es zwar nicht untersagt, sich außerhalb der Zimmer aufzuhalten, aber zu dieser Stunde solchen Radau zu veranstalten, reizte diese Freiheit doch sehr aus. 

An der Wand gegenüber von Mounirs Zimmer hatte sich eine kleine Traube Schaulustiger gebildet. Die blaue Tür stand offen. Auf der Schwelle stehend, die Hand noch auf der gelben Klinke liegend, stand Mounirs erst kürzlich zugezogener Mitbewohner Phillip Gubisch, offensichtlich entrüstet über das, was sich vor seinen Augen abspielte.

Irritiert blickte Manuel sich um und entdeckte Hannes und Max, die auf der anderen Seite des Flures die Köpfe aus ihrem Zimmer steckten und das Spektakel beobachten. Manuels fragend gehobener Braue begegnete Hannes mit einem Kopfschütteln.

   »Ey, Alter!« Mit wenigen Schritten hatte Manuel den Flur durchquert und tippte Phillip auf die Schulter. »Was'n hier los?« 

Phillip fuhr herum, doch da hatte Manuel den Zustand, in dem sich der Raum befand, bereits erfasst. Sämtliche Möbel waren umgestoßen worden, Poster hingen in Fetzten von den Wänden, Schulbücher und Klamotten lagen wahllos auf dem Boden verstreut, und mittendrin wütete Mounir. 

   »Der ist vollkommen übergeschnappt!« entfuhr es Phillip, als Mounir in einer fließenden Bewegung auch den zweiten Schreibtisch abräumte und Stifte und Papiere quer durch das Zimmer flogen.

   »Wer?«, fragte Manuel fassungslos. »Mounir?«

   »Ne, mein anderer Mitbewohner«, erwiderte Phillip schroff. »Natürlich Mounir, du Schwachmat.«

Normalerweise hätte Manuel einen solchen Kommentar von einem Achtklässler nicht einfach so auf sich sitzen lassen. Schon gar nicht, wenn er von einem Idioten wie Phillip kam. Doch die Sorge um seinen besten Freund überwog. Manuel wusste um den Vorfall, der sich am Vormittag ereignet hatte. Es war während des letzten großen Spiels der Saison geschehen, und eigentlich hätte er dort sein müssen, um Mounir beizustehen, stattdessen hatte er es von Paulina erfahren, die es wiederum von ihrem Freund Lucky gehört hatte. Einer von Mounirs Teamkameraden, Dennis, war mitten im Spiel zusammengebrochen. In seinen Sportsachen hatten sich daraufhin Dopingmittel gefunden und als Folge des Missbrauchs schwebte Dennis nun in Lebensgefahr. 

Basketball bedeutete Mounir einfach alles, daher war es nicht verwunderlich, dass ihn der Vorfall aufgewühlt hatte. Und dass Mounir ein echter Hitzkopf sein konnte, das wusste Manuel besser als jeder andere. Das hier schien jedoch selbst für seine Verhältnisse drastisch. Nie zuvor hatte Manuel ihn derart außer sich erlebt. Nicht einmal damals, als er herausfand, dass Manuel sich in seine Schwester Layla verliebt hatte.

Manuel schluckte die Erwiderung hinunter, die er Phillip allzu gerne an den Kopf geworfen hätte und schob sich stattdessen an ihm vorbei ins Zimmer. Im selben Moment griff Mounir nach dem Glas, das zuvor unversehrt auf seinem Nachttisch gestanden hatte, und verfehlte Manuel nur knapp, als er es links von ihm gegen die Wand schleuderte. Manuel erstarrte, klirrende Scherben fielen zu Boden und kurz trafen sich ihre Blicke. Doch anstelle der enthemmten Wut, die er erwartet hatte, erkannte Manuel in den Augen des anderen nichts als Verzweiflung. Dann war der Moment vorüber und Mounir wandte sich ab.

   »Verschwinde!« Seine Stimme war rau, als hätte er stundenlang geschrien. Oder geweint. Und als Manuel der Aufforderung nicht nachkam, ihn nur unverwandt ansah, wirbelte er herum und begann mit der Faust auf den nächstbesten Gegenstand einzuschlagen. Der Kleiderschrank war von Ikea, kein Massivholz, dennoch musste es wehtun, so heftig, wie er zuschlug. 

Ohne zu zögern, überbrückte Manuel den Abstand zwischen ihnen. Er wollte Mounir daran hindern, sich weiter zu verletzen, doch er bekam seinen Arm nicht zu fassen.

   »Hau ab!« brüllte Mounir, während er unbeirrt weiter auf den Schrank eindrosch, aber Manuel dachte gar nicht daran.

Im Eifer des Gefechts traf ihn Mounirs Ellbogen hart gegen die Rippen und für einen Augenblick blieb ihm die Luft weg. Manuel wich seinem nächsten Hieb aus, nur um gleich darauf die Arme um ihn zu legen. Mounir schlug weiter um sich und versuchte, sich aus der unliebsamen Umarmung zu befreien, doch als Manuel ihn weg vom Schrank und zur Zimmermitte hin manövrierte, blieb sein Griff unnachgiebig.

   »Lass mich los«, knurrte Mounir. Ein letztes Mal bäumte er sich auf, dann kapitulierte er und sank in sich zusammen. Manuel hätte nun loslassen können. Stattdessen zog er Mounir noch näher an sich. Sein Atem ging schwer und auch Mounirs Brustkorb hob und senkte sich  unermüdlich gegen Manuels Arme, die er von hinten um ihn geschlungen hielt.

   »Geht’s wieder?« wollte Manuel wissen, nachdem sie einen Moment so da gestanden und gemeinsam geatmet hatten. Mounir schüttelte den Kopf, machte allerdings keine weiteren Anstalten, sich gegen Manuels Halt zu wehren.

   »Willst du drüber reden?« 

Wieder ein Kopfschütteln, diesmal bestimmter.

   »Du hast’s wohl noch nicht gehört, was?«

   »Was?« fuhr Manuel Phillip an, dessen Anwesenheit er gänzlich ausgeblendet hatte.

   »Mia hat sich von ihm getrennt«, feixte Phillip. »Mounir hat das gleiche Zeug genommen wie dieser Dennis. Wenn man den Gerüchten glauben mag. Jedenfalls ist seine Basketballkarriere jetzt wohl im Arsch. Selbst schuld.«

Mounir versteifte sich bei diesen Worten und Manuel verstärkte seinen Griff noch einmal, denn er befürchtete, dass Phillip sich gerade als nächstes Ziel für Mounirs Wut qualifiziert hatte. Er konnte es ihm nicht verdenken, am liebsten hätte Manuel Phillip das dämliche Grinsen höchst selbst aus dem Gesicht gewischt. 

Mounir und Doping? Niemals. Mounir, der im letzten Jahr Ole verpfiffen hatte, als dieser im Internat mit Drogen dealte? Unmöglich! Andererseits war Mounirs übermäßiger Hang zu Alkohol kein Geheimnis. Und wie ein Unschuldiger führte er sich nun gerade auch nicht auf. Nein. Manuel konnte und wollte nicht glauben, dass auch nur ein Wort aus Phillips Mund wahr war. Der Zweifel musste ihm ins Gesicht geschrieben stehen, denn statt zu verschwinden, wurde Phillips Grinsen nur noch breiter.

   »Tja, der tolle Mounir ist wohl doch nicht der begnadete Basketballer, für den er sich so gerne feiern lässt. Der Versager.«

Manuel ließ von Mounir ab nur um den Raum zu durchqueren und Phillip am Kragen zu packen. »Sag das nochmal«, forderte er ihn auf. Gerade noch konnte er sich beherrschen. Seine zur Faust geballte Hand schwebte kurz zwischen ihnen, ehe er sie langsam sinken ließ. Als Phillip sein Zögern registrierte, wich sein verschreckter Ausdruck erneut Häme.

   »Süß, wie du ihn verteidigst. Nennst dich bester Freund, dabei hast du eigentlich kein Plan, was abgeht«, setzte er noch einen drauf. Und wäre nicht genau in diesem Moment die Bräuning auf den Plan getreten, hätte Manuels Faust vermutlich doch noch Bekanntschaft mit Phillips Kinn gemacht. Jetzt ließ er ihn abrupt los, trat einen Schritt zurück und schüttelte den Kopf. Was war bloß los mit ihm? Für gewöhnlich hatte er keine so kurze Zündschnur und von Gewalt hielt er eigentlich auch nichts. Der heftige Impuls, Mounir zu beschützen, hatte ihn überrumpelt und rot sehen lassen. 

   »Kann mir mal jemand sagen, was hier vorgeht?« Die Hände in die Hüften gestemmt, blickte Frau Bräuning zwischen den beiden Jungen hin und her. Dann fiel ihr Blick auf Mounir und ihre Augen verengten sich unheilvoll.

Phillip rückte demonstrativ den Kragen seines rosafarbenen Pollunders zurecht, ehe er das Wort ergriff: »Es tut mir wirklich leid, das müssen Sie mir glauben, aber Mounir-«

   »Es ist nichts«, fiel Manuel ihm ins Wort, eine Lüge, die offensichtlicher nicht hätte sein können. Die Arme vor der Brust verschränkt, funkelte er Phillip an, eine wortlose Aufforderung, seine Lügen von zuvor noch einmal zu wiederholen. Vor ihrer Internatsleiterin würde er es bestimmt nicht wagen, solch dreiste Anschuldigungen zu äußern.

Phillip reckte trotzig das Kinn vor, als er Manuel fixierte. »Ah, ja, Drogenkonsum und Vandalismus sind natürlich kaum der Rede Wert. Reiner Kavaliersdelikt.«

Über die Schulter warf Manuel einen kurzen Blick auf Mounir, der mit gesenktem Kopf da stand und auf den Boden starrte. »Mounir hat nicht gedopt«, sagte er mit Nachdruck. »Das hat er überhaupt nicht nötig!«

Frau Bräuning seufzte hörbar. »Ihre Loyalität zu Mounir in allen Ehren, Manuel, aber verdient hat er sie beim besten Willen nicht«, sagte sie und Manuels Welt geriet ins Wanken. Ein Rauschen erfüllte seine Ohren und sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Als die Internatsleiterin weiter sprach, lag in ihrer Stimme eine Autorität, wie sie sie nur selten zu hören bekamen. »Ich wurde bereits von Herrn Farsad in Kenntnis gesetzt. Er hat mich gebeten, Ihnen mitzuteilen, dass Ihr Verhalten ihn zu tiefst enttäuscht und er Sie vorerst nicht sehen möchte. Für Sie gilt ab sofort eine Ausgangssperre, außer zum Unterricht, ist Ihnen das Verlassen des Internatsgeländes untersagt und ich würde Ihnen ans Herz legen, mir sämtliche Substanzen, die sich noch in Ihrem Besitz befinden mögen, umgehend freiwillig auszuhändigen. Alles Weitere werde ich morgen früh mit Herrn Dr. Berger besprechen, aber Sie können sich sicher sein, dass Ihr Verhalten weitere Konsequenzen nach sich ziehen wird!«

Die Stille, die daraufhin folgte, war unerträglich. Selbst das Getuschel auf dem Flur war verstummt. Das Schlimmste jedoch war Mounirs Schweigen.

   »Mounir?« Mit vor Beklemmung enger Brust trat Manuel an seinen Freund heran und legte ihm behutsam eine Hand auf die Schulter. »Sag doch was«, flehte er fast, als hoffte er noch immer, Mounir würde alles abstreiten.

Die Berührung riss Mounir aus seiner Starre. Mit geweiteten Augen schlug er Manuels Hand weg, dann stieß er ihn so heftig vor die Brust, dass Manuel rückwärts taumelte. Erschrocken über die Heftigkeit von Mounirs Abfuhr, blickte Manuel ihm hinterher, als er ohne ein weiteres Wort aus dem Zimmer stürmte.

   »Mounir! Bleiben Sie hier!« Frau Bräuning lief ihm nach, doch kurz darauf kam sie wieder zurück. Wie benommen stand Manuel da, während sie die anderen anwies, den Flur zu räumen und zu Bett zu gehen. 

   »Das gilt auch für Sie, Manuel.«

   »Was ist mit Mounir?«

   »Lassen Sie Mounir mal meine Sorge sein.« 

   »Meinetwegen kann der Junkie bleiben, wo der Pfeffer wächst«, wetterte Phillip, der unterdes begonnen hatte, seine Schreibtischutensilien aufzulesen.

   »Was willst du damit sagen?« Manuels Stimme bebte.

Phillip kniff die Augen zusammen. »Hast du überhaupt den leisesten Schimmer, wie so ein Entzug aussieht? Also ich sitz das bestimmt nicht mit dem zusammen aus!« 

Manuel erwiderte nichts. Zu groß war das Gefühlschaos, das in ihm tobte. Wut und Sorge um Mounir. Schuldgefühle. Der Gedanke, dass Mounir mit alledem alleine war. 

Ohne auch nur eine weitere Sekunde zu verschwenden, rannte er los.

   »Manuel, wo wollen Sie hin?«

   »Mounir suchen«, erwiderte er knapp.

   »Nein, das werden Sie nicht tun!« rief Frau Bräuning ihm nach, doch sie klang resigniert und unternahm keinen weiteren Versuch, ihn aufzuhalten.



Chapter 2: Mounir

Notes:

(See the end of the chapter for notes.)

Chapter Text

   Mounir lief blindlings. Den Flur entlang, die Treppe hinab, wieder durch einen Flur. Er wusste nicht, wohin. Er hielt den Blick abgewandt von den Fenstern, an denen er vorüber rannte, kehrte seiner Silhouette den Rücken, die sich in den von der Nacht tiefschwarz gefärbten Scheiben spiegelte. Auf keinen Fall konnte er zurück in sein Zimmer. Zuhause, bei seinem Vater und Layla, war er unerwünscht. Mia war für ihn gestorben. Und Manuel… Manuel…

Er war der einzige gewesen, der noch zu ihm gehalten hatte. Noch immer konnte Mounir das Phantom seiner Umarmung spüren; Manuels Arme um seinen Brustkorb hatten ihn zusammengehalten und verhindert, dass er ebenso in tausend Scherben zersprang wie das dumme Glas. Oder sein verdammtes scheiß Leben. Doch jetzt schnürte die Erinnerung daran ihm die Luft ab. Warum konnte er nicht atmen? Und warum fühlte es sich so viel schlimmer an, Manuel enttäuscht zu haben, als Mia oder seinen Vater?

Mounir stieß die Tür zur BfZ auf und stolperte in die Dunkelheit. Der Raum war verwaist, eine glückliche Fügung, an einem Tag, der bislang nichts Gutes für ihn bereitgehalten hatte, doch Mounir registrierte dies nur peripher. Vollkommen entkräftet ließ er sich auf das erstbeste Sofa sinken. Die Knie an die Brust gezogen, vergrub er das tränenfeuchte Gesicht im Polster der Rückenlehne und wünschte, er könnte vollständig darin verschwinden. 

Wut und gekränkter Stolz hatten bis eben noch das Chaos in ihm dominiert, doch nun war er wie gelähmt, alles erschien ausweglos. Es war Mia so leicht gefallen, seine Zukunft wegzuwerfen. Mounirs Tränen galten weder ihr, noch London. Aber wer wäre er ohne Basketball?

Mounir konnte nicht sagen, wie viel Zeit verstrichen war, Minuten oder Stunden, doch irgendwann hörte er Schritte draußen auf dem Flur. Kurz darauf öffnete sich die Tür und jemand kam herein. Auch ohne sich umzudrehen, wusste Mounir, wer es war.

Vielleicht, wenn er sich schlafend stellte, würde der andere einfach wieder verschwinden. Mounir lag regungslos und weinte stumm. Doch Manuel ging nicht. Er stand bloß da, kam weder näher, noch sagte er etwas. Mounir konnte seinen Blick deutlich auf sich spüren, er brannte förmlich auf seinem Rücken. 

Irgendwann hielt Mounir es nicht mehr aus. »Was willst du, man?« 

   »Ist es wahr?« Manuel hatte seine Stimme gesenkt, doch seine Worte bohrten sich wie Messer in Mounirs Herz. »Hast du gedopt?«

   »Frag doch Phillip. Der ist doch bestens informiert.« Mounirs Kehle war trocken und seine Stimme brach. »Oder Mia.«

Außer ihr hatte niemand davon gewusst. Dass Phillip und die anderen bereits im Bilde waren, bedeutete, Mia hatte geredet. Und selbst, wenn sie sich bloß bei Karla oder Julia ausgeheult hatte, sie sollte es besser wissen. Gerüchte verbreiteten sich im Internat wie ein Lauffeuer. Und schon morgen würde es die ganze Schule wissen. Wie konnte sie ihm das nur antun?

Kurz herrschte Schweigen, dann sagte Manuel: »Ich will’s aber von dir hör’n«

   »Was willst du hören?«, fragte Mounir tonlos. »Dass ich ‘ne verdammte Pfeife bin? Dass ich’s bereue?«

Er hatte die ganze Zeit gewusst, dass Manuel, sollte er jemals dahinterkommen, zu welchen Methoden er griff, um seine Leistungen künstlich zu steigern, ihn verurteilen würde. Er hatte so oft darüber nachgedacht, sich Manuel anzuvertrauen und es dann doch nie getan. Manuel hätte es nicht verstanden. An Mounirs Stelle hätte er die Anabolika auch gar nicht nötig gehabt. Manuel war schon immer der bessere Spieler gewesen, und wäre ihm seine Verletzung nicht dazwischen gekommen, die Position bei den Erfurter Kangaroos hätte ihm gehört. Mounir wusste das, und eventuell hatte dieses Wissen nicht gerade dazu beigetragen, etwas von dem Druck zu nehmen, den er sich selbst machte. Basketball war einmal ihr gemeinsamer Traum gewesen, doch jetzt hatte er sich für Mounir ebenfalls ausgeträumt.

   »Mounir-«

   »Was auch immer du sagen willst… spar’s dir.«

   »Scheiße, verdammt. Mounir, Ich mache mir Sorgen um dich.« Da war ein Beben in Manuels Stimme, das Mounir aufhorchen ließ. Weinte Manuel etwa? 

Langsam setzte Mounir sich auf, doch aufgrund der Finsternis des fensterlosen Raumes konnte er gerade so die schemenhafte Gestalt seines besten Freundes ausmachen. Manuel stand näher als erwartet und doch schien er Mounir ferner denn je. Etwas in seiner Brust zog sich schmerzhaft zusammen, eine alte Wunde, die nie wirklich ausgeheilt war, mit der Mounir jedoch zu leben gelernt hatte.

   »Ich versteh’ schon, dass du nicht reden willst. Ich dachte nur… Ich wollte nur sicher gehen…« Manuel räusperte sich. »Also, ich, ehm… Ich geh dann mal wieder.«

   »Nein!«, entfuhr es Mounir. Doch. Er wollte, dass Manuel ging. Er wollte allein sein. Und ihm bangte vor dem Moment, in dem Manuel sich von ihm abwenden und gehen würde. Und ehe er sich eines Besseren besann, sagte er: »Bitte. Bleib.«

   »Okay.«

Mounir atmete bebend aus. Fast hatte er gehofft, Manuel würde ihn zurückweisen, aber statt zu gehen, trat er nun zögerlich ans Sofa, und als er ihm eine Hand auf die Schulter legte, war es für Mounir nur schwer zu ertragen. Wie so oft löste Manuels Nähe eine Vielzahl an konfusen Gefühlen in ihm aus; eine Dissonanz zwischen dem hoffnungslosen Wunsch, ihm nah zu sein, und dem impulsiven Drang, möglichst viel Abstand zwischen ihnen zu wahren.

Durch den dünnen Stoff seines Hemdes sickerte die Wärme, die von Manuels Berührung ausging und Mounir wandte sich ab, froh um die Dunkelheit, die es Manuel unmöglich machte, sein Gesicht zu sehen. 

   »Rück mal ‘n Stück.«

Mounir erstarrte. Als Manuel seiner Aufforderung mit einem sanften Schubs Nachdruck verlieh, ließ er ihn jedoch gewähren und rollte anstandslos beiseite. Das Sofa war schmal, bot kaum genügend Platz für zwei Personen, um bequem nebeneinanderzuliegen, und so war es unausweichlich, dass Manuel halb hinter, halb auf Mounir endete, einen Arm um seine Mitte gelegt, als wäre es das Normalste der Welt. Aber das war es nicht. Das war es ganz und gar nicht.

Ein Ziehen in seiner Magengegend, ein Kribbeln, dass sich auf seinen ganzen Körper ausweitete; Mounirs Herz schlug heftig in seiner Brust und Panik wallte in ihm auf. Falls Manuel etwas bemerkte, ließ er es sich nicht anmerken. Arglos wanderten seine Finger Mounirs Arm hinauf und wieder hinab. Mounir konnte nicht mit Sicherheit sagen, ob Manuel sich dessen überhaupt bewusst war, ob er auch nur die leiseste Ahnung hatte, was er ihm antat. 

Mit jeder Minute, die verstrich, verlor Mounir sich ein wenig mehr in dem Moment und während Manuels Finger weiter sanfte Kreise zogen, bemerkte er, dass die Anspannung allmählich von ihm abfiel. Das Gewicht des anderen drückte ihn tiefer in die Polster. Manuel schirmte ihn ab, sein Körper ein Schild, das sich zwischen ihn und die Welt geschoben hatte. Für einen Augenblick fühlte Mounir sich ganz. 

Das Gefühl hielt nicht lange an. Die Realität lauerte bereits am Rande seiner Wahrnehmung und es war nur eine Frage der Zeit, bis sie ihn einholen würde. So gerne er einfach nur mit Manuel dagelegen und die restliche Welt vergessen hätte, es stand ihm nicht zu. 

   »Es ist alles wahr«, sagte er schließlich in die Stille hinein, die sich zwischen ihnen breit gemacht hatte. »Alles, was Phillip gesagt hat, ist wahr.«
Ein Schluchzen erschütterte Mounir, es laut auszusprechen hatte ihn einiges an Überwindung gekostet, doch jetzt, da er zu reden begonnen hatte, wurde es leichter. »Ich bin raus aus der Mannschaft, Mia hat Schluss gemacht. Es ist-  sie hat alles kaputt gemacht.« 

Manuel hielt mitten in der Bewegung inne, seine Finger bohrten sich beinahe schmerzhaft in seinen Arm und Mounir fuhr innerlich zusammen. »Bist du sauer auf mich?«

Manuels Schweigen stand wie eine Mauer zwischen ihnen und mit jeder Sekunde, die verstrich, erschien sie Mounir unüberwindbarer. Er spürte, wie sich Manuels Brustkorb stetig hob und senkte, und sein Nacken prickelte, dort, wo Manuels Atem warm seine Haut streifte. 

Mounir rechnete schon nicht mehr mit einer Antwort, als Manuel kaum merklich den Kopf schüttelte. »Ich versteh’s bloß nicht, Mounir. Warum?«

   »Weil-« Ich nicht gut genug war. Weil, egal wie viel ich trainiert habe, es nie gereicht hat. Weil ich es so sehr wollte. Weil ich Angst hatte zu versagen. Weil ich ein Idiot bin. Es sich selbst einzugestehen war schwer genug gewesen. Es vor Manuel zuzugeben unmöglich. Unwillkürlich ballten sich Mounirs Hände zu Fäusten. »Weil die anderen es auch gemacht haben.«

   »Das ist doch bescheuert.«

   »Ich weiß.«

   »Du hättest wie dieser Dennis enden können. Im Krankenhaus!« Manuels Stimme brach. »Oder noch schlimmer-« 

   »Ich weiß!«, fauchte Mounir und machte seiner Frustration Luft, indem er mit der Faust seiner linken Hand gegen die Lehne des Sofas schlug. »Scheiße! Glaubst du, ich weiß das nicht?«

Abermals schlug er zu. Und noch einmal. Immer wieder, bis sich sich Manuels Finger um sein Handgelenk schlossen und ihn festhielten. »Mounir!«

   »Alles kaputt,« er versuchte erfolglos, sich Manuels Griff zu entwinden, »es ist alles kaputt!«

   »Mounir, hör auf.« 

   »Du denkst doch auch, dass ich ein Versager bin!« Frische Tränen brannten in seinen Augen und er blinzelte sie wütend fort. »Gib’s zu!«

   »Nein«, sagte Manuel bestimmt, »das denk’ ich nicht.«

Sein Daumen zeichnete die Hügel und Täler seiner Knöchel nach, ehe er mit sanften Druck Mounirs Faust öffnete und ihre Finger miteinander verschränkte. Mounir ließ es geschehen. Plötzlich überwältigt von der Zuneigung, die er für Manuel empfand, ließ er sich zurück gegen ihn sinken. Es war okay. Weil es von Manuel ausging. Niemals hätte Mounir von sich aus so viel Nähe gefordert, aber er war schwach, und wer könnte es ihm verübeln, dass er sich nahm, was immer Manuel ihm bot?

   »Geht doch«, murmelte Manuel, die Stirn an Mounirs Schulter gelegt.

   »Mhm«, machte Mounir nur, unfähig in Worte zu fassen, was er empfand. Unfähig, zu tun, wonach ihm verlangte.

   »Danke«, sagte er schließlich, so leise, dass er sich erst nicht sicher war, ob Manuel es überhaupt gehört hatte, doch dann drückte er kurz seine Hand, ehe er Mounir näher an sich zog, ihre verschränkten Hände ruhten gleich über Mounirs rasendem Herzen.

 

   Als Frau Bräuning wenig später die BfZ betrat, fand sie die beiden Jungen schlafend vor. Sie hatte ihnen absichtlich ein wenig Zeit gelassen, denn sie hatte gehofft, dass es Manuel gelingen würde, Mounir zu besänftigen. Auch wenn er sich genau genommen ihren Anweisungen widersetzt hatte, als er ihm nachgegangen war. 

Auf Mounir würden ohnehin einige schwere Tage und Wochen zukommen, er würde sich für sein Fehlverhalten verantworten und die Konsequenzen tragen müssen, daher beschloss sie, ihn nicht zu wecken. Immerhin hatte er das Hausarrest nicht gebrochen, er befand sich noch auf Internatsgelände, und somit sah sie keine Notwendigkeit darin, ihn um diesen Moment des Friedens zu bringen. Und vermutlich war es für alle beteiligten besser, wenn er vorerst nicht zu Phillip aufs Zimmer zurückkehrte.

Notes:

Danke fürs Lesen 🫶🏻

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