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Rating:
Archive Warning:
Fandom:
Characters:
Language:
Deutsch
Series:
Part 1 of Sterndiopsid – Von Funkelsteinchen und Sofageflüster
Stats:
Published:
2022-06-06
Words:
1,841
Chapters:
1/1
Comments:
2
Kudos:
32
Bookmarks:
4
Hits:
604

(K)ein Sommernachtstraum

Summary:

Charlotte kann Gideon nach der "Paparazzi- Affäre" endlich mal die Meinung sagen. One Shot aus Gideons Sicht.

Work Text:

Ich wusste nicht was mich mehr überraschte: Dass ausgerechnet Charlotte Montrose die goldenen Regeln gebrochen hatte, oder dass ich bereits zum zweiten Mal in zwei Wochen ein betrunkenes Mädchen beim Laufen unterstützen musste.

Es war ja nicht so, dass ich noch nie zuvor mit alkoholisierten Jugendlichen in Berührung gekommen war oder sogar selbst dazugehört hatte.

Ausserdem hatte ich jetzt gelernt, wie einfach man Fruchtbowle strecken und damit Unwissende dazu bringen konnte, vor versammelter Mannschaft ein Ständchen zu bringen.

Wenn man das alles berücksichtigte, konnte man sich schon fragen, woher ich mir das Recht nahm, den Moralapostel zu spielen. Allerdings konnte man nach der eher chaotisch ausgefallenen Soirée und diesem kleinen Karaoke Vorfall durchaus davon ausgehen, dass Montrose-Mädchen im Allgemeinen ein wenig zum versehentlich fahrlässigen Alkoholgenuss neigten – und trotz fragwürdiger Liederauswahl eine musikalische Ader besassen.

Im Falle von Charlotte konnte ich sogar mehr Verständnis aufbringen als ich selbst erwartet hätte, wenn man bedachte, was sie die letzten Wochen hatte durchmachen müssen. Bei all dem Chaos hatte ich wohl Charlotte und ihren Umgang mit dieser.... Situation nicht bedacht. Gwendolyn und mir stand das Schlimmste zwar noch bevor, und wie wir den Grafen zu überlisten gedachten, stand ehrlich gesagt noch komplett in den Sternen.

Trotzdem entschloss ich mich kurzerhand Charlotte nach Hause zu begleiten – so viel Zeit musste sein. Raphael, Gwendolyn und Leslie hatte ich inzwischen schon in meine Wohnung geschickt. Es hatte eine Weile gedauert, Charlotte auf der Party das Mikrofon zu entreissen, hatte sie sich doch gerade schön in Rage geredet, doch nun schwankte sie widerwillig neben mir her zu meinem Auto.

Ich hatte den Arm um sie gelegt und bugsierte sie mit einigen „Geht’s?“ und „Vorsicht, Stufe!“ Richtung Parkplatz. Charlotte hielt ihr eisernes Schweigen (was mir vorher im Wintergarten lieber gewesen wäre), hickste und schniefte jedoch hie – und da.

Sie sah sehr mitgenommen aus, mit einer Gesichtsfarbe, die sehr gut zu ihrem grünen Traum in Tüll passte. So wie sie mich zwischen zwei Schlenkern ansah, war ich sehr froh, dass sie anscheinend nicht in der Lage war ihre ausserordentlichen Krav Maga Künste anzuwenden. Nachdem ich sie eher unbeholfen ins Auto gehievt hatte, versuchte ich sie anzuschnallen, und sie brach ihr Schweigen: „Ich kann das auch selber.“

Ihrem Genuschel entnahm ich, dass sie es wahrscheinlich nicht schaffen oder es vielleicht sogar vergessen würde, doch als ich sie überging schlug sie meinen Arm beiseite. „Fass mich nicht an, ich bin kein Baby mehr.“ Seufzend liess ich von ihr ab, schlug die Tür zu und begab mich auf die Fahrerseite meines Minis. Ich war darauf bedacht, sie in ihrem Zustand nicht noch mehr zu provozieren, was aber (wie sich später herausstellte) kläglich scheiterte. Die ganze Fahrt über herrschte abermals eine unangenehme Stille. Ihr Auftritt an der Party liess mich dabei nicht los. „Er kann Liebeserklärungen in acht Sprachen machen! Nicht dass er mir jemals eine gemacht hätte – nein! Er hat ja nur Augen für meine dämliche Cousine“, hatte sie ins Mikrofon gesagt.

Die Offenherzigkeit, die der Alkohol bei ihr ausgelöst hatte, war für mich fast schlimmer als die Tatsache, dass sie vor versammelter Mannschaft von Zeitreisen und dem Mysterienunterricht geredet hatte – schliesslich hatten die Partygäste nicht so gewirkt, als wären sie genug bei sich, um mit diesen Informationen irgendetwas anzufangen.

Beim Gedanken daran verzog ich das Gesicht. Ich hatte zugegebenermassen geahnt welche Gefühle Charlotte seit Jahren für mich gehegt hatte. Dennoch war mir nie bewusst gewesen, was für Ausmasse das für sie hatte. Besonders in Kombination mit der Tatsache, das Gwendolyn an ihrer statt der Rubin war und sie so alles auf einen Schlag verloren hatte.

Wie viel Zeit ihr gestohlen wurde. Wie viel sie hätte erleben können, wenn sie nicht jeden Tag mit mir auf ein schlussendlich nichtexistentes Ziel hingearbeitet hätte.

Sie hätte reisen können. Sie hätte jemanden kennenlernen können, der ihre Gefühle erwiderte.

Als Gwendolyn in mein Leben trat und sich als der Rubin entpuppte, hatte ich gedacht, der Abstand von der Loge und die plötzlichen Freiheiten hätten Charlottes Leid Abhilfe geleistet. Wie hatte ich nur so naiv sein können? All dies hatte ihre Lage nur verschlimmert.

„Kannst du selber aussteigen?“, fragte ich vorsichtig, als wir vor dem Haus der Montroses halt gemacht hatten. Die Lichter waren allesamt schon gelöscht und das Haus sah im Schein der Strassenlaternen noch imposanter aus als am Tag. „Was denkst du denn?“

Einen Moment lang nestelte sie an ihrem Sicherheitsgurt herum, bis er sich schliesslich löste und sie mühselig aus dem Auto stieg. Schnellen (jedoch auch äusserst wackeligen) Schrittes ging sie Richtung Haustür, und ich folgte ihr.

Bevor sie zu den Stufen gelangte, entschloss ich mich, es endlich anzusprechen. „Ich bin dir kein besonders guter Freund gewesen, nicht wahr?“

Sie erstarrte. „Freund“, wiederholte sie.

Ihre Stimme war jetzt ganz klar. Sie warf die hohen Schuhe achtlos ab, drehte sich zu mir um und stapfte barfuss auf mich zu.

Die roten Haare tanzten ihr jetzt wie Flammen um das schöne Gesicht, ihre Augen blitzten bedrohlich. Sie hatte auf einmal nichts Zerbrechliches mehr an sich, alles, was ich sah, war Wut. Berechtigte Wut.

„Ich glaube nicht, dass das Wort Freund auch nur annähernd angebracht ist!“

Sie blieb kurz vor mir stehen und funkelte mich an.

Wie erstarrt erwiderte ich ihren Blick – jetzt etwas zu sagen war wohl keine Gute Idee.

„Als ob ich dich zum Freund haben wollte!“ Das kam mir bekannt vor.

„Lass mich es dir erklären: Stell dir vor, du hast dein ganzes Leben nur auf ein Ziel hingearbeitet. Stell dir vor, du verbringst abertausende Stunden damit, dafür ausgebildet zu werden. Stell dir vor, du hast dein ganzes Leben keine Möglichkeit andere „Freunde“ zu finden oder irgendetwas zu erleben, was nichts mit dieser Sache zu tun hat, denn alle erwarten von dir, dass du perfekt bist!“

Sie blies sich wütend eine rote Strähne aus dem Gesicht.

„Stell dir vor, du teilst dir eine riesige Verantwortung mit einem Menschen und glaubst, er ist der Einzige, der dich in Allem unterstützt, der Einzige, dem du zu hundert Prozent vertrauen kannst. Aber als sich herausstellt, dass du dein Leben komplett verschwendet hast, interessiert ihn das kein Stück – stattdessen hängt er sich an deine Cousine, die sich nicht einmal an dich wendet, keine Ratschläge oder Hilfe annimmt und mit ihrer Heimlichtuerei droht, dein einziges grosses Lebensziel in Gefahr zu bringen!“

„Charlotte, hör mal“, begann ich kläglich. Ich wusste nicht, ob es der Richtige Zeitpunkt war, sie in unsere neuesten Erkenntnisse einzuweihen, doch sie unterbrach mich sowieso.

„Nein! Stattdessen lässt er dich im Stich, lässt dich seinen verantwortungslosen Bruder babysitten und kommt nicht einmal auf die Idee, vielleicht zu erklären was genau er vorhat! Nein! Er verliebt sich ausgerechnet in Gwendolyn und hat sich schlimmstenfalls dazu überreden lassen, die Rettung der Menschheit zu sabotieren! Aber sich erklären? Oder sich dir, dem Menschen mit dem er praktisch aufgewachsen ist, anvertrauen? Ha!“

Sie lachte spöttisch auf. „Schlimm genug, dass mein Wort bei den Wächtern nichts mehr zählt. Schlimm genug, dass meine Sorgen nicht ernstgenommen werden, weil meine reizende Cousine alle um den Finger wickelt und belügt.

Und schlimm genug, dass du es nicht einmal geschafft hast, mir in die Augen zu sehen und mir in eigenen Worten zu sagen, dass ich nicht nur nie der Rubin war, sondern für dich auch nie -“

Sie stockte. Nach einem kurzen Kopfschütteln fuhr sie fort, als ob sie den letzten Satz nie gesagt hätte.

“Währenddessen springt ihr gemeinsam fröhlich verliebt in der Zeit herum, tanzt an Bällen und trefft einflussreiche Persönlichkeiten, von denen sie vor zwei Wochen noch nicht einmal etwas wusste!”

Sie schnaubte. „Und ich dämliche Kuh erkläre mich sogar bereit, ihr beim Unterricht zu helfen, damit die Mission nicht durch ihr Unwissen gefährdet wird. Und putze dir undankbaren Kerl“, sie stach mir mit dem Finger in die Brust, „sogar noch die Wohnung, um dir Arbeit abzunehmen!“

Sprachlos starrte ich sie an, während sie sich schwer atmend umdrehte und sich bei der Treppe angekommen auf die unterste Stufe setzte. Erschöpft stütze sie ihren Kopf auf die Hände. Wie hatte ich es bloss angestellt, in einer Woche gleich zwei mir wichtige Menschen auf einmal so zu verletzen?

Vorsichtig ging ich auf Charlotte zu. „Darf ich mich setzen?“, fragte ich leise. Charlotte schniefte und blickte auf.

Sie hatte wieder feuchte Augen. „Wehe du setzt dich auf den Tüll.“

Ich schob die Stoffschichten beiseite und liess mich schweigend neben sie sinken.

„Wenn du mir wenigstens gesagt hättest, was du und Gwendolyn vorhabt“, murmelte sie nach einer Weile. Die Wut war Enttäuschung gewichen.

„Ich weiss nicht was ich denken soll. Einerseits vertraue ich dir und glaube, dass du die richtigen Entscheidungen triffst, egal was.“ Sie sah mich an. „Aber ich hätte niemals gedacht, dass du mich aussen vor lässt und mir dermassen mistraust, nach all dem, was wir gemeinsam erlebt haben. Du weißt, was ich kann. Du weißt dass ich euch helfen könnte.“

Ich rieb mir über die Stirn. „Ich weiss. Und es tut mir leid. Doch ehrlich gesagt hatte ich selber bis vor kurzem noch keine Ahnung von dem Ausmass, die diese ganze Sache angenommen hat. Ich bin ein Vollidiot, Charlotte.“

Sie schnaubte wieder. „Allerdings.“

Ich nahm sie an beiden Schultern, drehte sie zu mir und blickte sie ernst an.

„Ich habe mich wie ein Ekel verhalten. Ich weiss, mit einer Entschuldigung ist es nicht getan. Und du hast Recht. Ich hätte dich einweihen müssen. Ich hätte dir alles sagen sollen. Aber ich weiss nicht, ob ich dir gerade erklären kann, was wirklich vor sich geht. Auch wenn es zu viel verlangt ist, muss ich dich bitten, noch Geduld zu haben. Ich kann dir nur sagen, das alles, an was wir geglaubt haben, eine Lüge ist. Und das wir jetzt alles daran setzen, es zum Guten zu wenden.“

Sie starrte mich verständnislos an. „Was zur Hölle meinst du?“

„Guten Abend, Miss Charlotte.“

Erschrocken wandten wir uns um. Die Haustüre zum Bourdonplace stand offen.

Den älteren Herren, der uns nun aus ernsten Augen hinter einer Brille betrachtete, erkannte ich als Mr. Bernhard, den Butler der Montrose Familie.

„Ich hatte ihre Stimmen gehört und dachte, ich erkundige mich nach ihrem Wohlbefinden“, erklärte er. „Die Nacht ist doch ziemlich kühl. Ich würde vorschlagen, hereinzukommen, sonst erkälten sie sich noch.“

Charlotte blickte verwirrt, als wäre sie gerade aus einem Traum erwacht.

Dann, immer noch etwas wackelig, richtete sie sich auf. „Das ist eine gute Idee, Mr. Bernhard.“, murmelte sie. Sie machte Anstalten,ins Haus zu gehen, doch ich hielt sie am Arm fest.

„Charlotte. Ich verspreche dir, wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist, werde dir alles erklären.“

Sie riss sich los. „Deine Art Versprechen kenne ich mittlerweile.“ Dann wankte sie an dem besorgt blickenden Butler vorbei ins Haus.

„Sorgen Sie dafür, dass er verschwindet“, sagte sie müde.

„Einen Mitternachtssnack, ein grosses Glas Wasser und einige Schmerztabletten für die junge Miss, würde ich meinen“, sagte Mr. Bernhard nachdem verschwunden war und blickte mich fragend an.

Seufzend rieb ich mir die Augen. „Ich denke, ja.“

„Verzeihung, Mr. De Villiers. Ich würde sie ja auf ein Getränk hereinbitten, aber sie haben Miss Charlottes Bitte gehört.“

Ich nickte. „Natürlich. Entschuldigen sie die Störung. Ich bin schon weg.“