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Language:
Deutsch
Stats:
Published:
2022-10-12
Completed:
2022-10-12
Words:
4,937
Chapters:
5/5
Comments:
13
Kudos:
81
Bookmarks:
3
Hits:
601

+49 618 Hölzer

Summary:

Drunk dialing through the years.
Adam besäuft sich und versucht Leo anzurufen. Mit begrenztem Erfolg.

Notes:

Sophie sitzt neben mir und schreibt Hausarbeit und da ist die logische Schlussfolgerung für mich natürlich eine Fanfiction von März zu beenden, anstatt mich auf die Klausur nächste Woche vorzubereiten. Naja, enjoy!

Chapter 1: Besoffen mit 15

Chapter Text

Die B-Jugend hat ihr erstes Spiel der Saison gewonnen und alle sind sich einig, dass das gefeiert werden muss. Auch Adam stimmt der Idee zu, so einen schönen 5:0 Sieg bei einem seiner Mannschaftskollegen ausklingen zu lassen. Das Adrenalin des Fußballspiels trägt ihn auf einem High, bis er bei ihrem Torwart Max auf dem Sofa sitzt, eingeklemmt zwischen zwei weiteren Jungs. Ehe er sich versieht hat er ein Bier in der Hand, denkt sich, so viel Zeit hab ich auf jeden Fall, bevor ich Zuhause sein muss, und hat dann schon das zweite Bier in der Hand.

Adam weiß, warum er das zulässt. Er könnte einfach gehen. Loslaufen und wahrscheinlich noch rechtzeitig nach Hause kommen. Doch es lief die letzten Wochen zu gut für ihn. Sein Vater ist den ganzen Monat schon beinahe nachsichtig gewesen. Adam ist sich allerdings bewust, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis er wieder ausrastet. Ein Wutanfall nach so langer Flaute ist immer besonders schlimm und manchmal kann Adam die Anspannung, die man in ihrem Haus gerade mit bloßen Händen greifen könnte, einfach nicht mehr aushalten. Dann ist es besser das Ganze einfach hinter sich zu bringen. Dieses Mal hat er sich jedoch deutlich in der Verhältnismäßigkeit seines Fehltritts verschätzt. Niemand ist perfekt und er ist auch nur fünfzehn und möchte mit seinem Team feiern. Und deshalb fällt ihm auch erst nach mehreren Stunden und viel zu viel buntem Alkohol auf, dass er es heute deutlich übertrieben hat.

Sie sind irgendwann vom Wohnzimmer in die Küche umgezogen, damit niemand auf den Teppich oder die gute Tischdecke kleckert. Adam sitzt auf der Küchenbank und hat ein Bein zu sich heran gezogen. Er beobachtet Daniel, der gerade aufgesprungen ist, um die beste Schauspielerische Performance seines noch jungen Lebens abzugeben. Eine Impression ihres Mathelehrers und wie er wohl reagieren würde, wenn sie morgen in seinem Unterricht alle noch einen im Tee haben. Adam lacht sich kaputt und stopft sich dabei unnötig viele Salzstangen in den Mund. Daniel hat jetzt einen Fuß auf seinen Stuhl gestellt, und macht eine eindrucksvolle Kunstpause. Es wird still in der Küche. Auf einmal zieht er eine Fratze und brüllt aus voller Brust: "NA HÖRT MA, IHR BLÖDMANNSGEHILFEN!"
Jubel und Geschrei bricht zwischen den Jungs aus und es kommt, wie es kommen musste. Adam verschluckt sich furchtbar an den trockenen Salzsangen und muss eine Menge zu gut gemeinter Klopfer auf seinen Rücken erdulden, bis er endlich wieder richtig atmen kann. Max, der die ganze Zeit neben ihm gesessen hat, ist ganz der Gastgeber. Er reicht ihm ein Getränk, und schlingt nach weiterem Klopfen einen Arm um seinen Nacken.
"Alles wieder gut?", fragt er.
"Jo, es geht wieder", antwortet Adam und wischt sich ein paar Tränen aus den Augen.
"Gut, gut. Bin übrigens echt froh, dass du heute mal länger bleiben konntest. Mit dir abhängen ist ehrlich geil. WIllst du eigentlich hier pennen? Du hast es sonst nachher am weitesten nach Hause, oder?"

Wo Adam eben noch warm ums Herz war, wird ihm jetzt heiß und kalt. Hier schlafen? Weiter Weg nach Hause? Er schielt auf die Uhr über dem Kühlschrank. Ja, es ist definitv "Du-bist-gefickt-Uhr-dreißig".
"Oh, keine Ahnung. Ist das okay?", murmelt er, mehr um Zeit zu schinden.
"Klar, ich bin ja eh allein Zuhause. Ich frag' eigentlich, ob das bei dir okay ist." Max lacht unbeschwert und nimmt noch einen Schluck von seinem Getränk. Er ist betrunken genug, um nicht bemerkt zu haben, wie angespannt Adam plötzlich unter seinem Arm geworden ist.
"Weiß nich' ehrlich gesagt", sagt Adam. Er fühlt sich dumm. Nicht nur im Sinne von sozialer Selbstwahrnehmung, sondern wirklich als hätte er eine Menge seiner Gehirnzellen auf einen Schlag verloren. Was er wahrscheinlich auch hat.
"Willst du das kurz Zuhause klären? Telefon steht im Flur."
Nickend rutscht Adam an Max vorbei von der Bank.

Er findet das Telefon und wählt die Nummer seines Hauses. Dann löscht er sie wieder. Er wählt erneut, sein Finger wabert über dem grünen Hörer. Sein Finger drückt auf Rot. Das Telefon piepst blechern und laut im stillen Flur. Er wählt ein drittes Mal, diesmal eine andere Nummer. Eine, die er fast besser kennt, als seine eigene. Wenn er die wählt, verschwinden die schlechten Gedanken. Adam hält sich den Hörer ans Ohr, ohne Plan, was er überhaupt sagen möchte, aber er fühlt sich jetzt schon besser. Das Freizeichen hupt eine ganze Weile bis jemand abnimmt.
"Hallo?", sagt Leo am anderen Ende der Leitung.
"Hey, Leo", sagt Adam und lächelt vor sich hin. Seine Angst ist spontan verflogen und er freut sich jetzt mit Leo reden zu können. Er hätte ihn gerne hier gehabt heute Abend, aber sein Freund kann sich für Fußball nicht begeistern und ist mit den Jungs aus dem Team nie richtig warm geworden.
Irgendwann fällt Adam auf, dass Leo gar nicht 'Hey, Adam.' zurück gesagt hat, so wie sonst. Er runzelt die Stirn.
Plötzlich kommt doch ein ersticktes "Adam?", das überhaupt nicht so klingt wie sonst.
"Ja", antwortet Adam. Wer denn sonst?

Danach ist die Pause so lang, dass Adam kurz denkt das Telefon sei kaputt gegangen. Er schüttelt es verwirrt.
Halb schreiend, halb flüsternd meldet Leo sich dann doch wieder zurück, nachdem er seine Stimme gefunden hat: ”Sag mal bist du bescheuert, hier mitten in der Nacht anzurufen!?”
Er klingt alles andere als erfreut von seinem Freund zu hören und als Adams verlangsamtes Gehirn den Schluss zieht, weshalb, rutscht er für einen Moment wieder in die Realität. Hat er vielleicht gerade die komplette Familie Hölzer aus dem Bett geholt? Ihm wird schwindelig und er muss plötzlich sehr angestrengt das Foto von Max toter Oma auf der Kommode anstarren, um nicht an Ort und stelle in den Flur zu kotzen.
Wer kotzt verliert, hat Fabi vor keiner halben Stunde noch großspurig gesagt, Unterm’ Tisch ist auch auf der Party!

”Hallo!? Adam?? Bist du noch dran?”, zischt es jetzt aus dem Telefon. Adam ist sich nicht sicher, ob er gerade Worte formen kann. Ein zustimmendes Brummen muss gerade reichen. Er schweift gedanklich schon wieder ab.
”Ist was passiert?”, fragt Leo jetzt nur noch im Flüsterton. Es dauert wieder einen Moment, bis Adam versteht worauf er anspielt und warum er ursprünglich angerufen hat. Er überlegt. Alles geht sehr langsam. Hat sein Vater ihn geschlagen? Nein, zumindest nicht heute. Dann fällt es ihm wie Schuppen von den Augen. Oh Gott. Scheiße, Scheiße, verdammte Scheiße. FUCK! Er ist tot. In den letzten paar Stunden hat er sein restliches Leben gegen klebrig-süßen Alkohol eingetauscht. Er wird nach Hause kommen, viel zu lange weggewesen sein und dann auch noch nach Schnaps stinken. Der Alte wird ihn zu feinstem Mett verarbeiten und am nächsten Morgen mit Zwiebeln auf Brot essen. Scheiße.
”Leo”, krächzte er, seine Stimme verzweifelt, “Ich hab verkackt. Ich hab richtig verkackt alter ich kann nich’ nach Hause Leo ich bin-”
”Betrunken!?”, unterbricht ihn Leo entgeistert. Seine Stimme ist abrupt in die Höhe geschossen. Adam findet es irgendwie süß. Für diesen Gedanken würde er sich gerne in der Saar ertränken. ”Adam morgen ist Schule!”
”Ich weiß, ich-”
”Keine Panik”, sagt Leo panisch, “das kriegen wir hin und-"

Plötzlich bricht er ab, es raschelt im Telefon. Adam kann ohnehin schon kaum zuhören, weil er zu sehr damit beschäftigt ist den Hörer nicht fallen zu lassen. Seine Hände sind taub. Gerade als er anfängt seine freie Hand unnötig stark gegen einen Türrahmen zu schlagen, um zu testen wie taub wirklich, spricht es wieder in sein Ohr. Es ist nicht Leo. Bei Adam stellen sich alle Nackenhaare auf.
”Hallo Adam? Hier ist Babsi. Sag mir bitte wo du bist, ich komme dich sofort abholen.”
”Fuck”, denkt Adam und sagt es aus Versehen laut. Er kann das nicht zulassen. Das ist schlecht. Ganz, ganz schlecht. Barbara Hölzer ist eine vorbildliche Person und eine gute Mutter und gute Mütter kümmern sich auch um fremde Kinder und bringen sie nach Hause, selbst, wenn sie was Dummes gemacht haben. Richtige Einstellung, gut für die Gesellschaft und moralisch korrekt. Nur blöd, dass es für Adam einem Todesurteil gleich kommt.
”Adam, kannst du mir eine Adresse sagen?”, fragt Babsi jetzt. Sie klingt ähnlich begeistert von so einer nächtlichen Aktion, wie Leo, doch ihr Ton ist trotzdem geduldig. Adams Antwort stand bei ‘kannst du’ schon fest.
”Nein”, sagt er und wow das war jetzt sogar für ihn unfreundlich. Er schafft es fast kein schlechtes Gewissen zu haben, doch im Hintergrund ist Leos Stimme. Ein vorwurfsvolles “Adam!” und vielleicht auch ein “Mama, bitte lass mich mit ihm reden.” Aber Adam ist sich nicht sicher, ob er das richtig verstanden hat.
”Leo”, jetzt klingt Babsi auf einmal streng, und plötzlich weiß Adam woher Leo diesen unheimlich effektiven Ton hat, den er manchmal anschlägt, “Ich denke du hältst dich dieses Mal lieber hier raus. Das ist nämlich absolut nicht mehr komisch. Frag mal Caro was auf solchen Partys alles passieren kann. Adam ist nicht mal sechzehn.”

Was Leo jetzt sagt klingt noch drängender als vorher, doch Adam kann es nicht mehr verstehen. Bevor Babsi ihn noch ein drittes Mal fragen kann, wo er überhaupt ist, reißt Adam sich endlich etwas zusammen und sagt so deutlich er kann: “’Tschuldigung, dass ich angerufen hab’. Ich komm’ allein nach Hause, aber danke.”
”Einen Moment mal-”, versucht Babsi ihn noch aufzuhalten. ”Sag Leo ich seh’ ihn Montag”, schiebt Adam noch hastig hinterher. Dann legt er auf. Mit einem Mal ist er wieder alleine und jetzt fühlt er sich auch wirklich so. In der Küche zwei Räume weiter ist es langsam ruhiger geworden. Vermutlich haben die anderen inzwischen auch gemerkt, dass sie in weniger als sieben Stunden im Matheunterricht sitzen müssen und bis dahin besser ihren Restalkohol abgebaut haben sollten. Lustige Reaktionen ihres Lehrers hin oder her.
Die bekannte Angst ringt in ihm mit einer unheimlichen Ruhe. Er kalkuliert. Das kann er gut. Risikoeinschätzungen sind in seinem Leben so wichtig, wie Atmen.
Ich schaff' das schon alleine.
Eigentlich ist das eine Lüge, denn es gibt nicht wirklich etwas zu 'schaffen'. Nichts was er tun kann. Es gibt nur etwas zu überstehen.

Während Adam in spontanem Selbstmitleid zu versinken droht, tritt Max in den Flur.
"Es sind jetzt alle andern los", sagt er.
Adam starrt ihm ausdruckslos ins Gesicht. Das sieht warscheinlich scheiße aus.
"Ist er pissig?", fragt Max. Adam weiß, dass er damit nicht Leo meint, nickt aber trotzdem.
"Ah, kacke. Na dann haben wir heute Nach beide unsere Alten erzürnt", er lacht über die Formulierung, weil es etwas ist, das Väter sagen würden.
Es kitzelt ein kleines Lächeln aus Adam heraus, das genau so schnell wieder verschwindet. Er ist so unglaublich müde.

"Komm, bleib einfach hier. Jetzt ist auch egal."
Damit hat Max wahrscheinlich Unrecht. Aber er sagte es in einem tröstlichen Ton, dem Adam einfach glauben will. Er wünscht sich, Leo hätte genau das zu ihm gesagt.

Die Zigarette, die Max ihm eine halbe Stunde später anbietet nimmt er auch an. Er hat seinen zweiten Hustenanfall diese Nacht und Max klopft ihm wieder kameradschaftlich auf den Rücken.
Sie sitzen zusammen auf der Terasse, rauchen und reden nicht mehr viel. Max macht noch ein paar Witze darüber, wie wütend sein Vater sein wird, wenn er sieht, dass sie den ungeöffneten Vodka halbiert haben, oder, dass eine Schachtel seiner Zigaretten fehlt. Es klingt lustig, so wie er es verpackt, weil alles was Max sagt lustig ist. Aber manchmal sieht er Adam doch ganz ernst an. Und dann denkt Adam, dass ihn Max vielleicht mehr versteht, als er gerade zugibt. Und als Max irgendwann auch husten muss ist Adam derjenige, der ihm auf den Rücken klopft.

Chapter 2: Besoffen mit 20

Chapter Text

Adam steht unter der einzigen Laterne weit und breit, an der einzigen Telefonzelle weit und breit. Er ist auch der einzige Mensch weit und breit und er hat gerade eine schwere Lebenskrise.

Seit knapp zwei Wochen ist er jetzt in Südamerika. Er ist verschwitzt, zerstochen, verbrannt und das Spanisch kommt ihm immer noch so schwer über die Lippen, wie in der neunten Klasse, wenn Frau Jakobs ihn mal wieder unvorbereitet aufgerufen hat. Kurz gesagt - er hatte noch nie so viel Heimweh, wie in diesem Moment.
Und jetzt hat er sich auch noch mit viel zu süßem Wein abfüllen lassen, der trotz des ganzen Obstes, das in ihm schwamm seinen Mund ausgetrocknet hat.

Obwohl immer noch eine flimmernde Hitze herrscht, zittern seine Finger, als er das letzte Kleingeld aus seiner Hosentasche fischt. Mit unscharfem Blick starrt er die Hände an, die sich sehr fremd anfühlen. Eine Vermutung, dass in seinem Getränk nicht nur Alkohol und Saft war, kratzt am Rand seines Bewusstseins. Er kneift die Augen zusammen und krallt sich die Finger in den Nacken. Festhalten! schreit sein Gehirn, und wenn nur an sich selbst. Den Sonnenbrand spürt er nicht mehr. Das dünne Hemd, mit dem er ursprünglich auf die Party gekommen war, ist ihm auch irgendwo abhanden gekommen.

Er ist alleine weg gegangen, weil er die Musik und die ewig gut gelaunten Menschen nicht mehr ertragen konnte. Wie weit und wie lange er gelaufen ist weiß er nicht, hat sein Zeitgefühl schon vor Stunden verloren. Der Wald war zumindest nicht weit weg vom Haus.
Mit Wald kennt Adam sich eigentlich aus, doch nur mit dem in Deutschland. Der Wald Zuhause, denkt er. Hier ist er aufgeschmissen und hat auf dem Weg zur Telefonzelle vermutlich auf mehrere bedrohte Arten gekotzt. Ach ja, Telefonzelle. Da war ja was.

Adam versucht sich wieder auf seine Aufgabe zu konzentrieren und das Schild neben den abgenutzten Tasten zu lesen. Er versteht kein Wort.
Leicht panisch macht er einige Schritte zurück auf die Straße und versucht sich zu orientieren. Doch es gibt keine Schilder und er hat vergessen aus welcher Richtung er gekommen ist. ”Scheiße”, sagt er und merkt sogar in seinem Zustand noch, wie heiser er klingt. Seine eigene Stimme ist zu laut in seinen Ohren, doch die Stimme in seinem Kopf ist lauter.
Ruf Leo an. Reiß dich zusammen und stell dich ihm wie ein Mann. Wer soll dir sonst helfen? Mama? Na toll.

Adam taumelt zurück zum Telefon und wirft wahllos Geld in den Schlitz. Mit einer Hand stützt er sich schwer am Kasten ab - er fühlt sich plötzlich unerträglich müde und schwer - mit der anderen wählt er Leos Nummer. Aus dem Hörer kommt sehr lange gar nichts, dann sagt eine blecherne Frauenstimme etwas auf Spanisch. Adam realisiert überhaupt nicht, dass er vielleicht hätte zuhören sollen, denn er hat gerade überlegt, welche Uhrzeit wohl jetzt in Saarbrücken ist und ob er gerade Babsi aus dem Bett klingelt.

Seine Sorge ist ungerechtfertigt, denn der Stimme folgt nur ein langer Piepton. Kein Freizeichen, keine Verbindung, kein Leo. Aber die Nummer war doch richtig? Wenn er eins weiß, dann das. Er wählt noch mal, aber bevor er überhaupt fertig ist kämpft sich ein Gedanke durch den Nebel. Du bist in Amerika. Du bist in einem scheiß Dschungel in Südamerika und du kennst die Vorwahl von Deutschland nicht.

Adams Hände zittern nicht mehr, sie sind nur noch taub. Er legt den Hörer auf. Klappernd spuckt das Telefon sein Geld wieder aus. Jetzt bloß nicht heulen, sagt die Stimme in seinem Kopf. Adam rutscht mit dem Rücken die Laterne herunter und starrt in den dunklen Wald der sich hinter ihrem Lichtkegel auftut. Hier ist niemand. Und es wird auch niemand mehr auftauchen heute Nacht.
“Warum eigentlich nicht?”, murmelt er gegen seine nackten Arme. Sie sind angenehm kühl. Adam lehnt seine Stirn dagegen und lässt sich weinen.

Chapter 3: Besoffen mit 25

Chapter Text

Die Flasche Wodka, die Adam zu seinem Geburtstag bekommen hat, ist jetzt endgültig leer. Wehmütig lässt er die letzten Tropfen in sein Glas fallen.

”Schade”, seufzt Vincent neben ihm, “der war echt lecker.”
Adam zuckt mit den Schultern. Sein Mitbewohner hatte schon Recht, aber lecker hin oder her. Der Wodka war alle und sie waren noch nicht so betrunken, wie geplant.
”Was haben wir noch da?”, fragt Vincent jetzt und stößt Adam mit seinem Knie unterm Küchentisch an, als dieser nicht reagiert.
"Ähm...”, macht Adam intelligent. Naja, ganz nüchtern ist er nun auch nicht mehr.

Er sieht sich einmal in der halbwegs aufgeräumten Küche um zieht dann eine Grimasse. ”Ich glaube wir sind abgebrannt.”
”Hmm...dann muss ich wohl meinen geheimen Vorrat anzapfen.”
”Du hast einen geheimen Vorrat?”, fragt Adam, bevor er sich selbst aufhalten kann. Er rollt schon mit den Augen, als Vincent nur den Mund öffnet, denn er weiß genau was der andere jetzt sagen wird. Wenn du...
”Wenn du davon wüsstest, wäre er ja nicht mehr geheim, oder?”
Bingo. Adam gibt sich 10 Punkte auf seinem mentalen Konto.
”Na dann erleuchte mich mal”, sagt er und schenkt Vincent ein ehrliches Grinsen.

Kurze Zeit später haben sie sich von der Küche auf das Ecksofa in Adams Zimmer verzogen, Adam eine Flasche Sangria, Vincent eine Flasche Weißwein in der Hand. Beides ist schon halb leer und sie sind tief in die Kissen gesunken.

”Hey”, nimmt Adam das Gespräch wieder auf, “weißt du was passiert ist, als ich das letzte Mal so ein Zeug getrunken hab?” Er hebt demonstrativ die Flasche und schüttelt sie leicht, sodass das süße Getränk im Glas plätschert. Dann trinkt er noch einen Schluck.
Vincent schüttelt den Kopf und nutzt die Bewegung schamlos aus, um weiter in die Richtung von Adams Schulter zu rutschen.
”War...”, er zögert kurz und starrt die aufgedruckten Palmen und Früchte auf der Flasche an, “so richtig beschissen.”
"Wow. Tolle Geschichte”, sagt Vincent so trocken, wie der Wein den er gerade trinkt.
”Sorry, dass ich nicht so interessant bin”, antwortet Adam ironisch.
”Hmmmm”, macht Vincent, der nun endgültig mit dem Kopf auf Adam liegt. “Ich glaub du bist viel interessanter, als ich.”
”Gut, besser ich als du. Interessant sein ist nämlich kacke.”
”Entschuldige.”

Für einen Moment schweigen sie wieder, tauschen Getränke, trinken. Dann sagt Adam: “Ich wünschte ich hätte damals die deutsche Vorwahl gewusst.”
Vincent schielt verwirrt zu ihm hoch, sagt aber nichts, in der Hoffnung, dass da noch so etwas wie Kontext kommt. Doch es kommt nichts mehr. Adam hat seinen Fernweh-Blick aufgesetzt und Vincent weiß inzwischen, dass er das nur aussitzen kann. Er nimmt sich das auch fest vor, aber die leise Musik aus Adams Radio und die Wärme lassen ihn schnell einschlafen.

Irgendwann bemerkt Adam das und windet sich vorsichtig unter ihm heraus. Er lässt ihn zugedeckt auf dem Sofa liegen und wechselt zwei Meter zu seinem Bett herüber. Den Sangria hat er noch komplett ausgetrunken und als er sich hinlegt, dreht sich sein Zimmer unangenehm gleichzeitig nach links und nach rechts. Vom Couchtisch aus sieht ihn sein Handy fast vorwurfsvoll an. ”Ruf doch jetzt an.” Adam braucht einen Moment um zu bemerken, dass die Stimme diesmal nicht aus seinem Kopf kommt. Als er sich langsam wieder aufsetzt, sieht Vincent ihn aus müden, aber klugen Augen an.
”Vergiss es”, sagt Adam. Sein Ton ist härter, als beabsichtigt. Vincent lässt sich davon nicht beirren. ”Ich weiß zwar nicht wofür du die deutsche Vorwahl gebraucht hättest, aber ich schätze nicht, um für DSDS abzustimmen. Komm schon, es ist nie zu spät für sowas.”
Adam schnaubt verächtlich. Er wünscht sich wirklich, dass Vincent Recht hat, so oft wie er die Nummer in seinem Kopf aufsagt. Aber er weiß, dass am anderen Ende der Leitung etwas (jemand) auf ihn warten wird, das ihn komplett zerstören könnte.
”Komm schon. Du hast immer diesen Blick”, sagt Vincent und gestikuliert träge zu Adam.
”Ich werde nirgendwo anrufen, Vincent.” Sofort wischt er den Ausdruck von seinem Gesicht. Das kann er selbst betrunken noch ziemlich gut. Vincent seufzt. Jetzt sieht sogar er frustriert aus. ”Warum nicht?”
”Nein.”
”Adam-”, fängt er sanft an und will zum Bett rüber gehen, doch wird von Adams eisigem Blick gestoppt.
”Raus.” Vincent hält dem Eis noch einen Moment stand und sieht dann weg. Müde greift er Adams Handy vom Tisch und wirft es ihm zu. ”Schlaf gut.” Dann geht er.

Adam schläft nicht gut. Hätte er nicht so viel getrunken, hätte er vermutlich überhaupt nicht geschlafen. Er wird immer wieder wach, starrt sein Handy an, ohne es in die Hand zu nehmen. Er fühlt, wie sich mörderische Kopfschmerzen in sein Hirn fressen, steht aber auch nicht auf, um sich Wasser zu holen. Ein bisschen im Stillen leiden ist genau was er jetzt braucht. Als er das nächste Mal einschläft und wieder aufwacht, steht neben ihm eine Flasche Wasser und eine Schale Obst und Kekse.

Chapter 4: Besoffen mit 30

Chapter Text

Nichts hätte Adam an diesem Morgen bei der Arbeit auf das vorbereiten können, was er in seinem Postfach vorfindet. Viele Berichte, neue Regelungen, Anliegen aus anderen Abteilungen - ja, das kennt er. Klar. Aber ein Angebot für einen Job in Saarbrücken? Das ist noch nie passiert.

Igitt, denkt er im ersten Moment. Doch man kann ja nicht aus seiner Haut und, weil er ohnehin gerade nichts dringendes zutun hat, öffnet er die E-Mail, die das Tauschgesuch anpreist. Und das war entweder gerade der größte Fehler, oder das größte Glück seines Lebens. Denn wer guckt ihn jetzt vom Bildschirm aus mit ernstem, professionellem Blick an? Leo. Sein Leo. Er erkennt ihn sofort, denn natürlich erkennt er ihn.
Adams Puls schießt in die Höhe. Aus diversen Gründen. Er liest die Mail mehrfach durch, wie in Trance und verlässt dann einfach das Büro. Erst will er nur eine rauchen, dann verbringt er gleich eine halbe Stunde und mehrere Zigaretten auf der Bank am Parkplatz. An Arbeit ist nicht mehr zu denken. Es hält ihn gerade noch bis zum Mittag auf seinem Stuhl, dann meldet er sich ab. Murmelt etwas von Kopfschmerzen und eh viel zu vielen angesammelten Überstunden und verdrückt sich. An die Heimfahrt mit der U-Bahn kann er sich später nicht erinnern.

Als er Zuhause ankommt, ist Vincent nicht da. Stimmt, gerade sind Klausuren, fällt Adam ein. Das heißt wenigstens für den Moment, dass er seine Ruhe hat und ihn mal niemand von seinen dezent selbstzerstörerischen Coping-Strategien abbringen möchte. Adam zieht das ausgedruckte Tauschgesuch aus der Innentasche seiner Jeansjacke und klatscht es vor sich auf den Küchentisch. Er starrt das Papier an, als hätte es seinen letzten Pudding aus dem Kühlschrank gegessen und dann leer wieder hinein gestellt. Das Papier scheint zurück zu starren.
”Scheiße”, flüstert er, den Kopf in die Hände gestützt. Seine Augen brennen, seine Schläfe pocht und er wünscht sich zurück zum Morgen, bevor er ins Büro gelaufen ist. Ich hätte mal lieber vor einen Bus laufen sollen, denkt er. Das wäre mit Sicherheit angenehmer gewesen.

Adams Impulskontrolle ist dürftig an den besten Tagen, deshalb dauert es nicht lange, bis sein ruheloses Streifen durch die Wohnung am Gefrierschrank endet. Er braucht jetzt etwas scharfes, um für einen Moment den Kopf klar zu bekommen. Beim durchwühlen der Schubladen fällt ihm eine Flasche Kümmel in die Hände. Wiederlich. Perfekt. Er schenkt sich ein. Die Kopfschmerzen wird das definitiv nicht lindern, aber ein beruhigender Tee kann wiederum keine Gefühle unterdrücken. Adam setzt Prioritäten.

Der Hochprozentige steigt ihm sofort in den Kopf, denn wie üblich hat er nicht gefrühstückt und ist dann abgehauen, bevor er die Chance auf Mittagessen hatte. Nicht, dass er gerade etwas runterkriegen würde. Eher das genaue Gegenteil. Doch das einzige, wodurch Adam sich jetzt noch mieser fühlen könnte, wäre Kotzen. Er schraubt den Deckel wieder auf die Flasche. Ein kleines bisschen hat er über die Jahre dann doch dazu gelernt.
Die Kälte des Getränks hat seinen Kreislauf ein wenig wach gerüttelt und er fühlt sich bereit den absolut belastenden Zettel noch mal in die Hand zu nehmen. Auf der Rückseite stehen Leos Kontaktdaten, neben denen seines Partners. Oder jetzt wohl ehemaligen Partners. Was da wohl passiert ist?, wundert Adam sich. Leo konnte zwar nicht mit jedem, aber er war eigentlich immer sehr diplomatisch veranlagt. Als er 16 war, sagt die Stimme in Adams Kopf. Er verzieht das Gesicht. Nicht daran denken, wie lange es her ist.

Er fühlt sich ein bisschen wie ein Alkoholiker, als er die Flasche mit auf den Balkon nimmt, um sich dieses Mal mit einer Zigarrette zu beruhigen. Während er versucht gelcihmäßig zu Atmen verschwindet auch langsam die Übelkeit. Eine gute Gelegenheit sich noch einen Schluck zu genehmigen. Der Schnaps schmeckt wirklich grauenhaft. Adam kann sich nicht mal daran erinnern, wo er herkommt. Zum Glück läuft sowas nicht ab. Es ist immer gut Alkohol parat zu haben, wenn einem plötzlich an einem unbedeutenden Dienstag Vormittag die ultimative zweite Chance auf seine Jugendliebe vor die Füße geworfen wird. Weil das ja so oft vorkommt.

Leos Telefonnummer - die von seinem Diensthandy, nimmt Adam an - kommt bei ihm leicht verschwommen an, als er es das nächste Mal wagt auf den Zettel zu schauen. Der Drang sie einfach zu wählen und mit Leo zu reden überkommt ihn so stark, wie schon seit Jahren nicht mehr.
"
Echt erbärmlich, Schürk", sagt Adam zu seiner Zigarette, die er bis zum Filter aufgeraucht hat. Er schnipst den Stummel über den Balko, nur weil er weiß, dass es Vincent ärgern würde. Leo würde es vermutlich auch ärgern. Leo, der früher auf dem Weg zum Baumhaus immer die McDonald's Tüten aus den Büschen gefischt und auf die Autofahrer geflucht hat, die sie aus ihren Fenstern werfen. Plötzlich hat Adam ein schlechtes Gewissen. Und weil ihm jetzt gerade sowieso alles egal ist, steht er auf und geht den Zigarettenstummel holen.

Im Treppenhaus trifft er die Teenager Tochter vom Nachbarn über ihnen. Sie grüßen sich verhalten. Adam ist sicher, dass sie den Alkohol an ihm riechen kann und weiß, dass er eigentlich bei der Arbeit sein sollte. Arbeit bei der Polizeit. Schürk das große Vorbild, denkt Adam. Er hält ihr höflich die Tür auf, als würde das irgendwie helfen. Sie lächelt und geht dann mit schnellen Schritten in den Innenhof, wo ihre Freundin schon auf sie gewartet hat. Adam hat das andere Mädchen schon so oft gesehen, er vermutet sie verbringt mehr Zeit in diesem Haus, als er selbst.
Die beiden umarmen sich und sehen dann zu ihm herüber, als sie merken, dass er immer noch da steht. In einem Anflug von Sozialkompetenz nickt er ihnen steif zu, dreht sich zu schnell in richtung Balkon um und stolpert über den Kantstein. Er fängt sich im letzten Moment an einer Mülltonne. Dann sprintet er fast um die Hausecke, ohne sich noch einmal umzudrehen. Es ist der peinlichste Moment seiner Woche.

Fuck my life. Ich hasse alles. Es ist alles für den Arsch. Mist. Ich will Leo anrufen.

Ein betrunkenes Gehirn interpretiert ein peinliches Ereignis entweder als das Witzigste überhaupt, oder als regelrechte Nahtoderfahrung. Und manchmal braucht es die Illusion eben fast gestorben zu sein, um sich seiner Prioritäten wieder bewust zu werden. Adam sammelt mit zitternden Fingern den Zigarettenstummel vom Rasen und geht wieder nach oben. Dann zündet er mit einer Hand die nächste an und tippt mit der anderen Leos Handynummer ab. Bevor er einen Rückzieher machen kann, tut er es einfach. Er ruft tatsächlich an.
Meine Damen und Herren, denkt Adam in sarkastischer Zirkusdirektorstimme, heute dürfen Sie den seltenen Moment miterleben, in dem Adam Schürk kein scheiß Feigling ist. Genießen sie es! Vielleicht war es das letzte Mal.
Mit klopfendem Herzen hört Adam auf das Tuten in der Leitung. Einmal. Zweimal. Dreimal. Und Leo geht nicht ran. Nach dem fünften Tuut springt der Anrufbeantworter an. Adam möchte einfach nur schreien, aber er hält den Atem an, denn nur, um Leos Stimme auf der Nachricht zu hören, war es dieser schreckliche Tag fast schon wert. Fast.
'Hauptkommisar Hölzer. Ich bin gerade nicht erreichbar. Hinterlassen sie bitte eine Nachricht und ich rufe zurück.'
Das waren die schönsten und schrecklichsten zweieinhalb Sätze, die Adam sich je anhören musste. Jetzt will er doch wieder kotzen. Bevor sein flaches Atmen auch noch aufgenommen und später Leo vorgespielt werden kann legt er schnell auf. Dann weiß er für einige Sekunden nicht wohin mit sich und seinem Frust. Er umklammert sein Handy so fest, die schon vorhandenen Risse knirschen gefährlich. Er zieht noch einmal an seiner Zigarette, aber das Nikotin reicht nicht mehr aus, um ihn zu entspannen. Dann schmeißt er das Telefon mit voller Wucht vom Balkon und macht dabei ein Geräusch zwischen Wutschrei und Schluchzer. Es klingt wie eine gequälte Quietscheente. Das Handy fliegt in einem hohen Bogen und landet weit weg auf der Wiese.
"Fuck", sagt Adam viel zu laut und mit Gefühl. Er läst das Handy ein Handy sein und geht rein. Er möchte am liebsten vollkommen leugnen, was heute passiert ist. Aber, als er es - eine Stunde später mit dem Geischt ins Kissen gedrückt und wieder halb nüchtern - wagt für zwei Sekunden ehrlich zu sich selbst zu sein, ist eigentlich schon alles klar. Heute Nacht wird Adam nicht schlafen, ehe er nicht auf diese Mail geantwortet und das verfluchte Tauschgesucht angenommen hat. Denn er kann an nichts anderes denken, als an diese Stimme, die so anders, aber auch so bekannt klingt. Und daran, dass er inzwischen alles tun würde, um sie wieder zu hören.

Chapter 5: Bonus

Chapter Text

“Hölzer”, meldet sich Leo auf dem Festnetz seiner Eltern.
”Hey, Leo”, sagt Adam am anderen Ende der Leitung. Leo runzelt verwirrt die Stirn. Adam hat ihn noch nie bei seinen Eltern angerufen. Also nicht noch nie, nur nicht, seit er zurück ist.
”Ist was passiert?”, fragt Leo vorsichtshalber. Adam klang allerdings nicht besonders beunruhigt.
”Nee.”
Na immerhin.
”Warum rufst du dann an?”, fragt Leo jetzt in etwas genervterem Ton. Er würde gerne zurück ins Wohnzimmer gehen und sein Stück Kuchen aufessen.
”Wollte nur gucken, ob ich deine Nummer immer noch auswendig kann”, antwortet Adam. Leo kann das Lächeln in seiner Stimme hören und muss unwillkürlich selber lächeln. Solche kleinen Dinge machen ihn immer besonders glücklich. Trotzdem ist das hier gerade Adam-untypisches Verhalten und das weckt seine Neugier. Er zögert kurz, dann kommt eine alte Erinnerung in ihm hoch und er fragt: ”Sag mal, bist du besoffen?”
Ein zweites “Nee.”
Leo überlegt kurz. Dann wandern seine Augenbrauen nach oben.
”High?”
”Hehehe”
”Alter, Adam...”