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Das Leben und die Kunst

Summary:

Peter fängt auf einmal an, beim Schultheater mitzuspielen, und das war sonst immer Bobs Sache. Und sowieso sucht Peter ständig Bobs Nähe und macht Andeutungen...

Aber Peter steht nicht auf Bob, da ist sich Bob sicher. Wie sollte er auch? Peter ist hetero und Bob ist kein Mädchen.

Und selbst wenn Peter auf ihn stünde, würde das nur heißen, dass er Bob als Mädchen wahrnimmt - was noch schlimmer wäre. Also bleibt Bob nichts anderes übrig, als zu verzweifeln und abends im Bett in sein Kissen zu schreien. Oder?

Notes:

Hello ihr cuten Menschen!
Ich schreibe noch, man glaubt es kaum. Die letzten Wochen waren einfach gestört stressig, da musste ich mal abtauchen. Und dann zum Start zurück ins normale Leben mal wieder was Neues anfangen. Hexenleiter kommt auch bald wieder, versprochen!

Der Prompt für diese Geschichte kommt literally aus Liams Leben (@nagisa_okazaki), ich hoffe, ich enttäusche ihn nicht.

Korrekturgelesen und signifikant verbessert von @Milopoli

Viel Spaß:)

Chapter 1: 1. Akt: Exposition

Chapter Text

Bob hatte keine Ahnung, wie um alles in der Welt Peter auf die Idee gekommen war, sich in der Theater-AG auf eine der Hauptrollen der nächsten Aufführung zu bewerben, aber aus irgendeinem bekloppten Grund hatte es funktioniert. Die Theater-AG hatte dringend neue Jungs gesucht – ein generelles Problem von Schultheater – und irgendwie war dann plötzlich Peter mit zwei seiner Kumpels ins Auditorium gestiefelt. Sie hatten alle drei gut geübt gehabt und das hatte man gemerkt.

In wenigen Wochen würden sie Shakespeares „The Taming of the Shrew“ aufführen. Während Bob Lucentio spielte, hatte Peter die Rolle des Petruchio sichern können. Jeffrey spielte den Vater von Kate und Bianca. Charlie aus Peters Basketballteam war nicht so der geborene Schauspieler und hatte deshalb die Rolle eines Dieners bekommen, aber allein, dass er hier war, erstaunte Bob zutiefst. Generell fragte sich Bob bei allen dreien, was sie hier machten.

Die Theater-AG war sein Safe Space. Der einzige Termin in der Woche, bei dem er schon immer zu hundert Prozent er selbst hatte sein können. Der Ort, an dem Bob seit er denken konnte ohne das Urteil anderer in männliche Rollen schlüpfen konnte, lange bevor er sich geoutet hatte. Seine Middle School Lehrerin hatte sich noch immer wieder erkundigt, ob er wirklich schon wieder einen Jungen spielen wollte. Natürlich wollte er keinen Jungen spielen – er war einer. Und die anderen Jungen fragte niemand, ob sie wirklich Jungen spielen wollten. Diese dumme Frage musste anscheinend nur er beantworten. Aber dann war es okay. Schul-Theater-AGs hatten schließlich immer zu wenige Jungen, also war es perfekt. Die perfekte Ausrede, sich für ein paar wenige Stunden in der Woche wie er selbst fühlen zu dürfen.

An der High School hatten die dummen Fragen zum Glück aufgehört. Am Ende des Freshman Years hatte er sich die Haare abgeschnitten. Am Ende des Sophomore Years hatte er seinen Namen geändert und seit ein paar Wochen durfte er mit dem Einverständnis seiner Eltern Testosteron nehmen. Endlich. Er hätte heulen können, als er das erste Mal ein Rezept eingelöst hatte, einfach nur von dem Funken Erleichterung bei dem Gedanken, dass sein Leben jetzt vielleicht leichter werden konnte. Bob fand trotzdem, dass er noch zu sehr wie ein Mädchen aussah. Dass die anderen ihn zu sehr wie ein Mädchen wahrnahmen. Er fragte sich, ob er dieses schmerzhafte Gefühl jemals loswerden würde. Vielleicht eines Tages. Vielleicht, in ein paar Jahren, wenn das Testosteron seine Arbeit hatte tun können. Aktuell fühlte er sich jedoch, als wäre er in seinem Körper auf einer aktiven Baustelle. Und nicht die ruhige Art, bei der jemand neue Tapete an die Wand klebte. Eher die, bei der man sich konstant die Ohren zuhalten musste, weil irgendein Depp mit dem Presslufthammer wütete.  

Aber hier, hier im Theater, hier juckte es keinen. Hier war sein Kopf meistens ein bisschen stiller. Die Jocks setzten für gewöhnlich keinen Fuß in die Theater-AG, hier wurde er nicht gedeadnamed und hier gaben sich die Leute Mühe, ihn nicht mit „sie“ anzusprechen. Hier waren Menschen, mit denen sich Bob wohl fühlte. Ennie, die ihm im Sekretariat quietschend um den Hals gefallen war, als er endlich den Namen in den Verwaltungspapieren ändern durfte. Ray mit den Schnürsenkeln in Farben der nicht-binären Flagge – die erste Person, mit der Bob sich je getraut hatte, seine Identität zu teilen. Es war eine Chaostruppe aus linken Nerds, Queers und ein paar Wannabe-Celebrities, aber sie waren Bobs Wohlfühlort. Klar, nichts kam an die drei Fragezeichen heran – Peter und Justus waren auch schon immer wie Bobs Familie gewesen – aber es war schon ziemlich nah dran.

Allein deshalb war Bob sehr skeptisch gewesen, als Peter mit seinen Jock-Kumpels ins Auditorium spaziert war. Für einen kurzen Moment hatte sich Bob gefragt, ob seine kleine sichere Blase jetzt zerplatzen könnte – stets auf der Hut vor transfeindlichen Arschlöchern, von denen es an der Schule leider immer noch ein paar gab, selbst wenn sie in Kalifornien lebten – aber eigentlich kannte er ja Peter. Er würde niemals Menschen mitbringen, die scheiße zu Bob waren. Das würde er ihm nicht antun. Zumal Peter auch rigoros alle Freundschaften mit Menschen kappte, die sich auch nur einen einzigen unpassenden Kommentar erlaubten. Und so war es auch hier nicht anders. Die drei Jungs hatten sich perfekt in dieses kleine, bekloppte Sammelsurium aus Außenseitern und Kreativköpfen eingefügt – ganz so, als hätten sie schon immer dazugehört.

Natürlich hatten die Rachel Berrys der Gruppe sich innerhalb kürzester Zeit auf Peter und Charlie gestürzt. Gutaussehende Jungs in der Theatergruppe? Wer hätte das gedacht? Und seit Peter im Junior Year mit Kelly Schluss gemacht hatte, fragte sich eh die ganze Schule, wie er noch immer niemand Neues hatte. Es mangelte auf jeden Fall nicht an Interessentinnen.

Halb belustigt beobachtete Bob das Schauspiel. Leana, die die Rolle der Kate spielte, Peters Love Interest, drehte gerade mit den Fingern ihre Locken ein Stück enger und sah Peter mit großen Augen an. Es war fast schon unangenehm.

Ms McCarthy klatschte in die Hände, was die Leute, die gerade auf der Bühne standen, zusammenzucken ließ. „Leana, hör auf zu gucken wie ein Reh im Scheinwerferlicht. Wir sind im zweiten Akt, du findest ihn kacke!“ Sie fuchtelte verzweifelt mit ihrem Arm zwischen Leana und Peter hin und her um ihren Punkt zu unterstreichen.

Bob grinste. Er mochte Ms McCarthy. Sie hatte eine unverblümte Art, Dinge auf den Punkt zu bringen. Und sie hatte recht. Kate hasste Petruchio in den ersten Akten den Stücks. Herzaugen waren da definitiv nicht angezeigt. Und Leana, Tochter irgendeiner C-List Schauspielerin und möglicherweise zukünftiges Nepo-Baby, war wirklich keine Person, die Bob gerne als Kellys Nachfolgerin sehen würde. Nicht, dass Bob irgendwen gerne als Kellys Nachfolgerin sah. Er wünschte Peter zwar nicht, für immer single bleiben zu müssen, aber gleichzeitig fand Bob die Vorstellung, dass Peter eine neue Beziehung eingehen könnte, anstrengend. Ihm war zwar klar, dass seine Gefühle für Peter völlig fehlplatziert waren, aber das hieß nicht, dass er sie einfach so abstellen konnte. Früher oder später würde es sicherlich passieren, dass Peter eine neue Freundin fand, und Bob hatte wirklich nicht die geringste Lust, sich mit dem Gedanken auseinander zu setzen.

„Ihr überzieht ja schon wieder.“

Bob drehte seinen Kopf nach links, wo sich jetzt Justus in den gepolsterten Stuhl neben ihm plumpsen ließ. „Jap“, sagte Bob und ließ dabei das P ploppen.

Justus seufzte. Es kam in letzter Zeit immer öfter vor, dass er am Ende des Schultages auf Bob und Peter warten musste, weil die Theater-AG zu lange probte und Justus noch immer kein eigenes Auto besaß. Einerseits tat es Bob leid, andererseits hatte es aber auch dazu geführt, dass Justus die Theaterleute mittlerweile ganz gut kannte. Bobs Freundeskreise begannen zu verschmelzen und irgendwie war das schön.

„Peter, du kannst Leana schon ein bisschen mehr auf die Pelle rücken“, empfahl Ms McCarthy jetzt. „Du willst sie schließlich überreden, dich zu heiraten.“

Peter zog die Augenbrauen zusammen und trat unangenehm berührt einen halben Schritt näher an Leana heran. „So?“

Ms McCarthy lächelte. „Zum Beispiel. Du könntest ihr auch eine Hand auf den Arm legen oder so.“

Leana griff nach Peters Hand und legte ihn sich selbst auf die Hüfte.

„Nein, nein, das ist zu intim. Wir sind im 16. Jahrhundert, Leute.“

Peter zog seine Hand wieder zu sich, als hätte er auf eine Herdplatte gefasst. Bob schmunzelte amüsiert.

„Er kann Leana echt nicht so richtig ausstehen, oder?“, murmelte Justus jetzt leise.

„Ich fürchte nicht. Dabei ist sie so schlimm eigentlich nicht. Sie hat nur einen Crush“, raunte Bob zurück. „Aber für seine Rolle hilft das, finde ich. Sein Charakter soll sie ja nicht wirklich mögen, er will sie eigentlich nur brechen.“

„Ideale Voraussetzungen also.“ Justus zog verschwörerisch die Augenbrauen nach oben.

Bob grinste. „Das Problem ist nur, dass Leana das noch nicht so richtig verstanden hat.“

„Manche Leute brauchen wohl etwas länger, um sich über die Gefühle anderer Leute im Klaren zu werden“, antwortete Justus, als ob er Experte für romantische Gefühle wäre. „Ich habe das Gefühl, dieser Umstand betrifft mehr Menschen, als man manchmal glaubt.“

 

 

„Oh mein Gott, wenn ich diese Szene nächste Woche wieder so oft spielen muss, kann ich den Text bald im Schlaf aufsagen. Ich fühle mich wie ein Papagei“, stöhnte Peter, als sie endlich im Auto saßen.

Bob lachte. „Willkommen im Theater, Zweiter. Darf ich dich daran erinnern, dass du dir dein Schicksal selbst ausgesucht hast?“ Er hatte noch immer nicht ganz verstanden, warum Peter überhaupt in die Theater-AG eingetreten war. Aber irgendwie belustigte es ihn auch, wie investiert Peter in die Sache schien. Er hatte nie erwartet, dass Peter tatsächlich so gut schauspielern konnte, wenn er sich wirklich anstrengte. Und ganz nebenbei würde er sich definitiv nicht beschweren, wenn er Peter noch ein bisschen mehr um sich hatte, als sonst. 

Peter stöhnte laut auf. „Käthchen, wie die Haselgerte, ist rank und schlank und schwarzbraun wie die Haselnuss und süßer als ihr Kern. – Meint ihr, man hat damals wirklich Frauen so Komplimente gemacht? Da wär ich ja weggerannt. Mir kann keiner erzählen, dass die Leute früher tatsächlich so geredet haben. Das hat sich Shakespeare doch ausgedacht.“

Justus lachte. „Also ich bin der Ansicht, das passt ganz prima zu dir. Du solltest öfter so reden.“

„Pete, ich sag’s dir ja nur ungern, aber Shakespeare hat sich alles in dem Stück ausgedacht. Soll ich dir erklären, wie das Konzept des Autor-Seins funktioniert?“

Peter ignorierte Bobs frechen Kommentar. „Vielleicht würde mich Leana ja in Ruhe lassen, wenn ich anfangen würde, so mit ihr zu reden.“

„Ich denke eher, das würde sie nur noch mehr beeindrucken.“ Bob grinste.

„Oh man, ich glaub, ich muss ihr echt mal ne Ansage machen“, murmelte Peter und sah aus dem Fenster. „Aber ich brauche es eigentlich auch nicht, dass die ganzen nächsten Proben mega komisch werden.“

Bob verzog das Gesicht. „Ja, du musst ihr das glaub ich echt vorsichtig beibringen.“

Peter seufzte. „Ja, mal gucken.“

„Vielleicht musst du es machen wie Petruchio“, schlug Justus vor. „Ihr so lange erklären, was sie zu denken und zu sagen hat, bis sie dich hasst.“

„Damit sie mich dann in einem ihrer Tiktoks als die toxischste Person, die ihr je begegnet ist, proklamiert? Nein, danke.“

Sie waren mittlerweile am Gebrauchtwarencenter T. Jonas angekommen und Justus stieg aus. Bob kletterte nach vorne und faltete sich in den frei gewordenen Beifahrersitz. Peter startete den Wagen und fuhr ihn in Richtung von Bobs Haus.

Für eine Weile schwiegen sie, bis Peter die Stille schließlich brach. „Ich finde es echt schade, dass wir so wenige Szenen zusammen haben.“

Bob zog die Augenbrauen zusammen. „Ein paar haben wir doch.“

Peter verdrehte die Augen. „Ja, ein paar. Aber die meisten muss ich mit Leana machen.“

„Ja, das stimmt.“

„Ich hätte gerne mehr mit dir.“

Bob presste die Lippen zusammen. Peter sagte oft solche Dinge. So Dinge, bei denen man fast meinen könnte, Peter könnte auch etwas für Bob empfinden. Aber halt nur fast. Es war Bob ein Rätsel.

Damals, in der Middle School, vor Bobs Coming-Out, hatte er sich manchmal gefragt, ob Peter ihn eventuell tatsächlich mögen könnte. Also mehr als freundschaftlich. Aber dann hatte Bob sich geoutet und außerdem war Peter dann mit Kelly zusammengekommen. Und Peter hatte schon mehrmals in der Vergangenheit gesagt, dass er hetero war. So war es eben. Wäre Bob nicht trans – wäre er das Mädchen, für das ihn damals alle gehalten hatten – hätte er vielleicht eine Chance bei Peter gehabt. Vielleicht. Aber so? 

Und: Selbst wenn Peter auf ihn stünde – was er nicht tat – wäre das Ganze für Bob ja nur noch schmerzhafter. Dann wüsste er, wie Peter ihn sah. Nämlich als Mädchen. Das würde Bob noch mehr das Herz brechen als nicht erwiderte Gefühle. 

Es war also aussichtslos. Er würde sich damit zufriedengeben müssen, dass sie halt Freunde waren. Sehr gute Freunde. Und Kollegen. Das war ja immerhin auch etwas wert.