Chapter Text
Zwischen Dornen und Stein
Shikamaru starrte auf das Grab. Es war einfach nur eine große Steinplatte, wie alle anderen auch. Nur der Name, der darauf geschrieben stand, unterschied sie von den anderen. In der Vase ließen ein paar mickrige Blümchen die Köpfe hängen. Sie ließen das Grab fast noch trostloser aussehen. Wer machte sich immer noch die Mühe, die Blumen regelmäßig auszutauschen? Es war immerhin schon mehr als sieben Jahre her. Shikamaru tippte auf Hinata oder Lee. Aber eigentlich hatte er keine Ahnung. Er wusste nicht, wen das Ganze überhaupt noch kümmerte. Er war schließlich nie hier gewesen und hatte also auch nie jemanden hier angetroffen.
Auf dem Friedhof war er ab und zu, das war er seinem alten Herrn schuldig und viel mehr noch seiner Mutter, die ihn manchmal herschleppte. Aber er war auch gelegentlich von sich aus hergekommen. Nicht oft, aber doch ein paar Mal.
Nur nicht zu diesem Grab. Dieses Grab besuchte er jetzt gerade zum ersten Mal.
Shikamaru merkte, wie angespannt er war und überlegte kurz, ob er schnell eine Zigarette rauchen sollte. Aber dann müsste er weggehen und so, wie er sich kannte, würde er nicht mehr zurückkommen. Er konnte nicht hier rauchen, nicht vor ihm.
Verärgert schnaubte er. Er war doch gar nicht hier. Hier war nur der kahle Stein mit den sterbenden Blumen. Shikamaru besuchte einen Stein. Warum war er hergekommen?
Seit dem Ende des Krieges hatte er nicht mehr viel über den Vorfall nachgedacht. Er hatte so viele andere Dinge zu erledigen. Er musste mit dem Verlust seines Vaters zurechtkommen und für seine Mutter da sein. Er musste endlich erwachsen werden und Verantwortung übernehmen. Er musste heiraten und eine Familie gründen. Das alles wurde von ihm erwartet. Das war der Lauf des Lebens.
Er war nicht unglücklich. Er lebte vor sich hin und bemerkte das Loch in seiner Seele nicht, das ganz langsam, Stück für Stück, größer wurde und ihn dabei immer mehr verzehrte.
Jahre vergingen und Shikamaru lebte weiter. Bis vor ein paar Monaten diese Träume anfingen.
Zuerst konnte er sich kaum erinnern; er schreckte mitten in der Nacht hoch und hatte das Gefühl, der Boden sei unter ihm weggerissen worden. Er hatte das Gefühl, als sei alles, was ihm etwas bedeutete, auf einmal verloren. Er hätte am liebsten geschrien, um dieses schreckliche Gefühl loszuwerden, aber er tat es nicht, dachte an andere Dinge und schlief allmählich wieder ein.
Doch die Träume hörten nicht auf. Was anfangs nur ein Chaos aus Gefühlen und verschwommenen Bildern war, wurde klarer und bekam einen Namen. Shikamaru konnte die Träume nicht mehr einfach ohne Weiteres verdrängen und vergessen. Die Schuld, die ihn immer noch verfolgte, wurde ihm immer bewusster.
Shikamaru beobachtete von oben, wie er selbst auf einem dunklen Schlachtfeld vor ihm stand. Er streckte seine Hand nach Shikamaru aus, während dornige Ranken versuchten, ihn zurück zu zerren. Shikamaru sah zu, wie der Shikamaru dort unten seine hilfesuchende Hand wegstieß und sich abwandte. Immer und immer wieder träumte er ähnliche Szenarien, und fast immer konnte er nur beobachten, wie er ihm nicht helfen konnte oder wollte. Und wenn er es doch versuchte, endete es so, dass er aufwachte, weil sein Blut ihn zu ersticken drohte. Immer und immer wieder.
Bis er vor Kurzem sogar von seiner eigenen Stimme aufgewacht war. Er hatte seinen Namen gerufen.
Da er nicht alleine schlief, konnte er nur hoffen, dass seine Frau nichts davon mitbekam. Wie er sie kannte, war das jedoch so ziemlich unmöglich. Aber bis jetzt hatte sie ihn zumindest nicht darauf angesprochen, wofür er sehr dankbar war. Dass es so nicht weitergehen konnte, war klar. Also musste er sich ihm stellen. Oder sich selbst?
Es war nicht das erste Mal, dass er jemanden verloren hatte, erst recht nicht, dass er sich die Schuld daran gab. Aber in diesem Fall waren so viele unterdrückte Gefühle und verdrängte Erinnerungen im Spiel, dass Shikamaru nicht auf dieselbe Art damit umgehen konnte, wie er es beim Tod seines Senseis Asuma oder seinem Vater gemacht hatte.
Er hatte sich vorgenommen, zum Friedhof zu gehen und sich zu entschuldigen. Bei ihm. Hoffentlich würde er danach wieder besser schlafen.
Aber nun, da er vor dem Grabstein hockte, war ihm klar, dass sich dadurch nichts änderte. Er war nicht hier. Und was brachte es schon, mit einem Stein zu reden? Er war nicht hier und Shikamaru konnte sich nicht einmal mehr richtig an seine Stimme erinnern, oder daran, wie er gelächelt hatte. Es war alles ganz und gar nicht so, wie mit Asuma oder seinem Vater. Nein, es war so, als wäre er nie da gewesen.
Ist es, weil ich ihn schon zu lange vergessen hatte?
Natürlich war Shikamaru damals bei dem Begräbnis gewesen. Aber da waren so viele Leute, die sich verabschieden wollten. Leute, die viel mehr mit ihm zu tun gehabt hatten, die zu seinem Team oder der Familie gehörten. Seiner „Familie“…
Also hatte er vorgehabt, noch etwas zu warten und ihn bald einmal alleine zu besuchen. Aber dass dies mehr als sieben Jahre dauern würde, hatte er wohl nicht geplant. Je mehr Shikamaru darüber nachdachte, desto mehr fiel ihm auf, dass er all die Zeit lang nicht hergekommen war, weil er Angst gehabt hatte, hier jemanden zu treffen. Er wollte keine lästigen Fragen beantworten müssen. Was hatten sie schon jemals miteinander zu tun gehabt? Jede noch so kleine Ausrede, nicht das Grab zu besuchen, war gut genug für ihn gewesen.
Und jetzt war es zu spät. Er war nicht mehr hier. Er konnte ihn nicht mehr spüren.
Die Abendsonne tauchte den Friedhof in ein warmes, rötlich-orangefarbenes Licht, aber die Wärme erreichte Shikamaru nicht. Shikamaru starrte nur weiter auf den Stein.
Wenn ich mich nicht langsam zusammenreiße, geht schon die Sonne unter. Theoretisch kann ich die ganze Nacht hier sitzen. Temari ist mit dem Kleinen in Sunagakure. Ich muss nicht unbedingt zu Hause schlafen.
Shikamaru wollte es heute erledigen. Er konnte es einfach nicht mehr länger ignorieren. Jetzt war der beste Zeitpunkt. Er war jetzt allein und hatte die Möglichkeit, sich von der Vergangenheit, die versuchte, ihn zu erdrücken, zu lösen. Wenn nötig würde er also wirklich die ganze Nacht hier bleiben und auf eine Eingebung hoffen. Vielleicht konnte er ihn zurück hierher holen, wenn er die Erinnerungen an ihn zurückholte?
Doch auch, als Shikamaru versuchte, sich die frühesten Erinnerungen, die er an ihn hatte, ins Gedächtnis zu rufen, blitzten wieder nur die Bilder aus seinen Träumen vor seinem inneren Auge auf. Und die Gefühle kamen mit ihnen. Aber es waren nicht die Gefühle, die er mit ihm verband. Es waren einfach nur Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit und Schuld. Er streckte wieder seine Hand nach ihm aus und Shikamaru sah sich wieder dabei zu, wie er sie wegstieß. Gleichzeitig hallte seine eigene Stimme aus dem Traum in seinem Kopf wider:
„Neji!“
Notes:
Hallo, danke, dass ihr meine Geschichte lest :)
Ich werde versuchen, regelmäßig neue Kapitel hochzuladen, aber da ich berufstätig bin, kann es vielleicht ab und zu etwas länger dauern.
Zur Zeit habe ich aber schon einige Kapitel zusammen, so dass es anfangs recht schnell gehen sollte.!!!ShikaNeji ist mein absolutes Lieblingsship!!!
Ich freue mich sehr über eure Kommentare und Kudos!
Chapter Text
Erkundung, Strategie, Hyuuga
Neji Hyūga – Shikamaru wusste nicht viel über ihn. Er war an der Akademie im Jahrgang über ihnen gewesen und gehörte zum berühmten Hyūga-Clan. Und er war angeblich ziemlich stark und ziemlich arrogant. Das war auch schon alles, was Shikamaru über ihn wusste.
Shikamaru hockte gerade mit seinen Teamkameraden Ino und Chōji hinter einem Busch und versteckte sich, als er Neji im Wald des Schreckens bei der Chūnin-Auswahlprüfung begegnete. Da die drei Ninjas nicht gerade das Gefühl hatten, zu den stärkeren Teams zu gehören, wollten sie, wenn möglich, nicht entdeckt werden, sondern die Schriftrolle, die sie zum Bestehen der Prüfung brauchten, mit einer guten Strategie von einem der schwächeren Teams gewinnen.
Neji war seltsamerweise ganz allein unterwegs, was Shikamaru sofort eine Falle wittern ließ. Aber bevor er überhaupt einen Blick mit seinen Teamkameraden austauschen konnte, zuckte er beim Klang von Nejis Stimme zusammen. „Ich kann euch übrigens sehr gut sehen, wie ihr da hinter eurem Busch hockt wie ängstliche Häschen!“
Innerlich fluchte Shikamaru. Sie waren doch so still gewesen. Sogar Chōji hatte keinen Mucks von sich gegeben und zur Abwechslung gerade einmal keine Chips geknabbert. Aber die Hyūgas besaßen das Byakugan, mit dem sie durch Objekte hindurchsehen konnten. Da war Verstecken hinter einem Busch natürlich nutzlos.
Bevor er etwas sagen konnte, murmelte Ino: „Dann ist nun wohl mein großer Augenblick gekommen!“
Und sie stand ohne Vorwarnung einfach auf. Shikamaru und Chōji blieben kurz noch erstarrt hocken, dann standen auch sie beide auf und stellten sich neben ihre Teamkollegin. Shikamaru wusste, dass es nichts Gutes bedeuten konnte, dass Ino gerade die Initiative ergriffen hatte.
Sie wischte sich mit einer Hand durch ihre langen blonden Haare und nahm eine seltsam gekünstelte Pose ein. „Neji, mein Süßer, endlich bist du hier! Kannst du mir helfen, die Prüfung zu bestehen? Du bekommst auch eine Belohnung von mir.“
Sie zwinkerte ihm zu und setzte ein süßes Lächeln auf. Shikamaru wäre am liebsten im Erdboden versunken. Wie konnte sie nur denken, dass sie mit diesem Getue irgendetwas erreichen würde?
Neji warf ihnen nur einen verächtlichen Blick zu und drehte sich dann um. „Ganz sicher nicht.“
Shikamaru war fast ein wenig erleichtert, dass Neji nicht auf Ino hereingefallen war. Und noch mehr, dass er sie anscheinend in Ruhe ließ! Aber Ino schien das nicht so zu sehen. „Hey, komm sofort zurück, du fieser Typ, ich bin das hübscheste Mädchen von ganz Konohagakure und du solltest mich hier nicht so dumm stehen lassen!“
Shikamaru hätte ihr am liebsten den Mund zugehalten.
Neji blieb stehen, drehte sich aber nicht um. „Willst du mich vielleicht zu einem Kampf herausfordern?“
Nun trat Shikamaru schnell einen Schritt vor Ino, um sie daran zu hindern, noch größeren Schaden anzurichten. „Nein, sie hat es nicht so gemeint. Entschuldigung.“
Neji zögerte kurz und antwortete dann: „Ich interessiere mich nicht dafür, gegen so erbärmliche Ninja wie euch zu kämpfen. Ihr solltet zusehen, dass ihr irgendwo eine Schriftrolle herbekommt, sonst könnt ihr auch gleich freiwillig aufgeben.“
Dann huschte er in den dunklen Wald davon.
Ino, die anscheinend die Luft angehalten hatte, stieß einen langen Atemstoß aus. „Er ist wirklich noch viel arroganter, als ich gehört habe!“
Shikamaru warf ihr einen genervten Blick zu. „Du solltest uns vielleicht in deine brillianten Pläne einweihen, bevor du uns zur Zielscheibe machst. Ich dachte, wir wollten uns ein schwaches Team suchen, dem wir die Schriftrolle abluchsen.“
Chōji riss eine Tüte Chips auf und stimmte Shikamaru zu. „Und du solltest dir dringend abgewöhnen, in solchen Situationen deine Snacks zu verputzen. Sonst können wir auch gleich das tun, was der Hyūga gesagt hat, und wirklich direkt aufgeben.“
„Und Sakura gewinnen lassen? Niemals!“ entgegnete Ino aufgebracht. Als würde Sakura automatisch gewinnen, sobald Ino nicht mehr im Rennen ist, dachte Shikamaru genervt. Aber er behielt seine Gedanken für sich. Sie waren alle schon angespannt genug und das würde auch nicht besser werden, wenn sie noch länger nur warteten. Sie brauchten einen konkreten Plan.
Also setzten sie sich wieder hinter ihren Busch und besprachen ihre Vorgehensweise – vorausgesetzt, sie fänden überhaupt noch ein Team, das nicht zu gefährlich für sie war.
Nachdem sie sich genau abgesprochen hatten, schlichen sie weiter vorsichtig durch den Wald. Shikamaru wusste noch, dass es ihm so vorkam, als wären sie schon stundenlang unterwegs, und er sich fragte, was seine Eltern dazu sagen würden, wenn er die Prüfung aus dem blöden Grund nicht bestanden haben würde, dass sie jegliche Konfrontation gemieden hatten. Naja, abgesehen von Inos Konfrontation mit Neji…
Aber sie hörten und sahen nichts Verdächtiges, weder trafen sie gefährliche Bestien noch kämpfende Ninjas. Es würde sich nach einer ziemlich schlechten Ausrede anhören, dass sie einfach niemanden mehr gefunden hatten. Im Notfall könnten sie direkt zum Turm gehen und gegen dort auftreffende Teams kämpfen. Aber als ob sie so eine Chance hätten...
„Scht!“, zischte Ino plötzlich, und Shikamaru wäre fast mit seinem Kopf gegen ihre Schulter gestoßen, weil sie so abrupt innehielt. Einen Augenblick später rempelte Chōji ihn von hinten an und warf ihn fast um.
„Tschuldigung!“ murmelte er, und Shikamaru hielt sich den Zeigefinger an die Lippen, um ihm zu zeigen, dass er leise sein sollte. Da hörte auch Shikamaru die Stimmen. Es hörte sich nicht nach einem Kampf an, aber sehr wohl nach einer Konfrontation. Vielleicht konnten sie es für sich nutzen, wenn zwei Teams gegeneinander kämpten und irgendwie an ihre Schriftrollen herankommen.
Langsam schlichen sie weiter vorwärts, bis sie zwischen den Blättern hindurch auf eine kleine Lichtung sehen konnten.
Shikamaru konnte sich nicht mehr genau erinnern, was dann alles passierte. Er wusste, dass sie dort Sakura entdeckten, die drei fremden Ninjas gegenüberstand. Sie sah ziemlich mitgenommen aus. Weiter hinten konnte Shikamaru Naruto und Sasuke auf dem Boden liegen sehen. Sie schienen beide bewusstlos zu sein. Zwischen Sakura und den Fremden stand Lee, der sie anscheinend beschützte.
Wieso hat sich Team Gai komplett aufgeteilt? Sie müssen schon extrem selbstsicher sein, wenn sie sich ganz allein durch diesen Wald wagen.
Shikamaru nahm an, dass Sakura die Schriftrolle ihres Teams bei sich hatte, da weder Sasuke noch Naruto in der Lage zu sein schienen, sie verteidigen zu können. Es würde wohl nichts bringen, sich zu ihnen hinüberzuschleichen, um die Schriftrolle zu suchen. Außerdem lag die Wahrscheinlichkeit, dass sie dabei unentdeckt blieben, praktisch bei null. Shikamaru betrachtete die fremden Ninjas. Es war das Team aus Otogakure und er hatte keine Ahnung, was sie für Fähigkeiten hatten. Aber es war klar, dass Sakura sich in einer brenzligen Lage befand – mit oder ohne Lees Hilfe.
Lee kämpfte daraufhin mit dem unheimlichen Typen mit den Bandagen am Kopf. Er war sehr schnell, aber da die Gegner immer noch zu dritt waren, konnte er am Ende nicht gewinnen, und Sakura geriet in Gefahr. Shikamaru konnte sich erinnern, dass Ino ewig lange wartete, bevor sie sich dazu entschied, ihrer Freundin zu Hilfe zu eilen. So halfen schließlich auch Chōji und Shikamaru – und wurden sich am Ende wieder einmal ihrer eigenen Schwäche bewusst, als all ihre Angriffe wirkungslos blieben.
Notes:
Hey, danke, dass ihr meine Geschichte weiterlest!
Shikamaru erinnert sich nun an verschiedene Situationen, die er mit Neji erlebt hat. Dabei tauchen, wie in diesem Kapitel, anfangs einige Ereignisse aus der Serie auf, die ich etwas ausgeschmückt habe. Im weiteren Verlauf der Geschichte erwarten euch aber vor allem zusätzliche Erlebnisse, von denen wir in der Serie nichts erfahren.
Ich hoffe, es gefällt euch, und freue mich sehr über euer Feedback.
Chapter Text
Friedhof - Zwischen Abschied und Kampf
Shikamaru wurde aus seinen Gedanken gerissen, als er Schritte näherkommen hörte. Eine ältere Frau mit einem kleinen Körbchen unter dem Arm lief etwas weiter hinten an ihm vorbei. Besuchte sie ihren Mann? Oder ihr Kind? Sie schien Shikamaru gar nicht zu bemerken und hinterließ in ihm nur das Gefühl, dass er nicht hier sein sollte. Hoffentlich würde keiner seiner Freunde oder Bekannten sich ausgerechnet jetzt hierher verirren! Shikamaru konnte nicht sagen, weshalb ihm der Gedanke so unangenehm war, aber er hatte das Gefühl, sich vor ihnen rechtfertigen zu müssen. Immer noch sagte ihm etwas, das Ganze sei nur eine Schnapsidee gewesen. Er könnte einfach aufstehen und nach Hause gehen.
Aber er blieb sitzen. Es gab einen guten Grund, warum er hier war. Sonst hätte er sich die Mühe doch gar nicht erst gemacht.
Also, wie war es bei den Chuunin-Prüfungen damals weitergegangen?
Sie hätten vermutlich verloren, wenn nicht Neji und Tenten aufgetaucht wären und die Feinde von ihnen abgelenkt hätten. Dann war irgendwann plötzlich Sasuke aufgewacht und hatte den einen Typen aus Otogakure besiegt, wie auch immer er noch geheißen hatte. Neji hatte Shikamaru bei diesem ersten Zusammentreffen überhaupt nicht beachtet und Shikamaru war nur mit dem Gedanken beschäftigt gewesen, ihn so gut wie möglich zu meiden, da er sicher war, dass sie nicht gegen ihn gewinnen konnten. Im Anschluss hatten sie vermutlich auch mehr Glück als Können gehabt, denn die Schriftrolle, die sie noch ergattern konnten, war zufällig genau die, die sie brauchten.
Sie hatten das gegnerische Team beobachtet und nutzten die Gelegenheit, als einer von ihnen kurz im Wald verschwand, um sich zu erleichtern. Shikamaru fesselte den anderen und Ino nahm Besitz über den Körper des Mädchens, das höchstwahrscheinlich die Schriftrolle bei sich trug. Die Rechnung ging auf und sie warf Chouji die Schriftrolle zu und schwupps, waren sie auch schon wieder im Wald verschwunden. Es fühlte sich nicht besonders toll an, aber es reichte, um in den Turm und zur nächsten Prüfung zu gelangen. Und dass Nejis Team das schon viel früher geschafft hatte, verwunderte ihn auch kein bisschen.
Nachdem Shikamarus Team es also doch noch geschafft hatte, in den Turm zu gelangen, wartete gleich die nächste schwierige Aufgabe auf die müden Ninjas.
Weil es angeblich immer noch zu viele Teilnehmer gab, sollte deren Anzahl verringert werden. Es wurden Einzelkämpfe ausgetragen und wer verlor, war raus. Shikamaru war in diesem Augenblick außer sich vor lauter Enttäuschung darüber, dass er sich offensichtlich noch viel länger nicht würde ausruhen können. Auch Chouji und Ino reklamierten lautstark. Sie alle waren von den Tagen im Wald schmutzig, erschöpft und hungrig. Außerdem hatten sie sich zahlreiche Kratzer und andere kleinere Verletzungen eingehandelt und konnten einfach nicht mehr.
Shikamaru bemerkte, dass es vielen der anderen Teams nicht anders erging. Sogar Neji und seine Teamkameraden sahen mitgenommen und fertig aus. Trotzdem ließen sich die drei nichts anmerken und hörten einfach nur zu, während der Prüfer die weitere Vorgehensweise erläuterte.
Die darauffolgenden Kämpfe dauerten zum Glück nicht allzu lange, mit Ausnahme vielleicht von Inos Kampf gegen Sakura, der sich unnötig in die Länge zog, weil die beiden sich zuerst nicht richtig zu trauen schienen, Ernst zu machen. Shikamaru schaffte es mit Mühe und Not, seine Gegnerin in eine Schattenfalle zu locken und unschädlich zu machen. Naruto erwies sich daraufhin als weniger dumm, als Shikamaru ihm jemals zugetraut hätte, und wischte dem siegessicheren Kiba so richtig eins aus, indem er ihn aus dem Turnier warf. Dann kam als nächstes Nejis Kampf gegen Hinata an die Reihe.
Es war das erste Mal, dass Shikamaru Neji wirklich als Person ansah, während seines Kampfes mit Hinata. Zuerst wirkte er kalt und vielleicht sogar grausam, als er seine Cousine beleidigte und ihr riet, die Shinobi-Laufbahn zu beenden, weil sie nicht die benötigten Fähigkeiten besaß. Er warnte sie wieder und wieder, dass sie aufgeben sollte, weil sie keine Möglichkeiten hatte, gegen ihn zu gewinnen.
Er konnte sich nicht mehr im Detail erinnern, worüber sie gesprochen hatten, aber bei dem Gedanken daran bekam Shikamaru ein flaues Gefühl in der Magengegend. Es ging dabei ungefähr darum, dass man seinem Schicksal nicht entrinnen und sich im Kern niemals wirklich ändern konnte. Es ging um die Haupt- und die Nebenfamilie des Hyuuga-Clans. Shikamaru hatte zwar von der Spaltung innerhalb des Clans gehört, begriff aber erst bei diesem Kampf, wie tief der Riss wirklich ging. Für Neji schien es in diesem Moment um alles zu gehen.
Er war so voller Wut gewesen und wenn die Lehrer nicht dazwischengegangen wären, würde hier nun vielleicht Hinatas Grabstein stehen und nicht Nejis…
Aber das war Blödsinn, seine verfluchte Familie hätte ihn vermutlich gleich hinterhergeschickt, wenn er ihr etwas angetan hätte! Und sei es nur ein Unfall in einem Prüfungskampf gewesen. Shikamarus Blick verschwamm langsam und er musste ein paarmal blinzeln. Er versuchte schnell, an etwas anderes zu denken. Etwas weniger Schmerzhaftes.
Chuunin-Auswahlprüfung: Vorbereitung für die Endrunde
Shikamaru beobachtete, wie Chouji ununterbrochen gebratene Fleischstückchen in sich hineinschaufelte. Sensei Asuma hatte sie zum Essen eingeladen, nachdem Chouji sich bereit erklärt hatte, Shikamaru beim Training für die Finalrunde behilflich zu sein. Shikamaru konnte sich nicht erinnern, schon einmal so hart und so ausdauernd trainiert zu haben. Aus irgendeinem Grund nahm Asuma die Aufgabe, ihn auf den letzten Teil der Chuuninprüfung vorzubereiten, extrem ernst. Sie hatten auch heute den ganzen Tag im Wald trainiert.
Shikamaru musste zugeben, dass Chouji tatsächlich eine große Hilfe gewesen war, denn es waren deutliche Verbesserungen in Shikamarus Ausdauer zu verzeichnen. Er hatte das Gefühl, mehr Chakra zur Verfügung zu haben und seine Schattenfesseltechnik länger aufrechterhalten zu können.
„Gute Arbeit, Jungs!“, sagte Asuma bestimmt schon zum vierten Mal an diesem Abend. „Mit deiner Hilfe, Chouji, hat Shikamaru nun echte Chancen, seine Gegner zu besiegen!“ Chouji grinste und nickte mit vollgestopften Backen.
„Ma i do gern!“, schmatzte er, und Shikamaru glaubte es ihm sofort. Bei dieser Belohnung hätte Chouji so ziemlich allem zugestimmt. Aber er war ihm wirklich dankbar für seine Hilfe.
„Ich denke, unser Trainingsprogramm ist ausgeglichen und realistisch, nicht so, wie das, was Gai sich für den Hyuugajungen überlegt hat. Wie sich das bei ihm angehört hat, trainieren die ununterbrochen, Tag und Nacht, bis zum Umfallen. Der schießt sich so ja schon selbst aus dem Rennen.“
Shikamaru zuckte mit den Schultern. „Was Sensei Gai erzählt, ist aber auch immer total übertrieben. Ich denke nicht, dass man darauf viel geben kann.“, murmelte er.
Chouji schluckte einen Happen hinunter und wischte sich mit der Hand über den Mund. „Wird Ino nicht furchtbar sauer sein, wenn sie rausfindet, dass wir die ganze Zeit zusammen essen gehen?“, fragte er nachdenklich. Asuma seufzte und erwiderte: „Ich habe ja schon mit Inos Vater darüber gesprochen. Sie muss sich klar darüber werden, was sie als Kunoichi überhaupt will. Der Kampf mit Sakura hat sie anscheinend sehr nachdenklich gemacht und sie braucht eine kleine Auszeit. Deshalb habe ich sie gar nicht erst gefragt, denn ich glaube, Inoichi kennt seine Tochter sehr gut.“
Shikamaru stimmte ihm im Stillen zu. Ino beschwerte sich zwar oft darüber, wie peinlich sie ihren Vater fand, aber es war offensichtlich, dass sie sich sehr nahe standen.
Chouji nickte zufrieden und stopfte sich das letzte große Stück Fleisch in den Mund. Als er aufgegessen hatte, wandte er sich an Asuma. „Also morgen machen wir eine Pause?“ Er sah ihn hoffnungsvoll an. Asuma nickte lächelnd. „Ja klar, ihr habt beide hart trainiert und beachtenswerte Fortschritte gemacht. Es ist wichtig, sich auch mal eine Ruhepause zu gönnen. Wir treffen uns übermorgen wieder zur selben Zeit.“ Dann stand er auf, um zu bezahlen.
Chouji grinste Shikamaru an. „Du freust dich sicher auch über einen freien Tag, oder?“ Shikamaru nickte müde und versuchte, froh auszusehen. Er fühlte sich hundemüde und wusste nicht, wie er den Weg nach Hause überhaupt noch schaffen sollte. Außerdem hatte er Muskelkater in den Beinen und sein Kopf tat ihm weh. Er hatte jedes bisschen Chakra in seinem Körper ausgeschöpft und fühlte sich, als wäre er ein Waschlappen, den jemand stundenlang ausgewrungen hatte. Chouji schleppte ihn mehr oder weniger nach Hause und lieferte ihn dort ab. Shikamarus Mutter dankte ihm für seine Hilfe, und Shikamaru schleppte sich in sein Zimmer, wo er ohne sich umzuziehen einfach ins Bett plumpste.
„Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand härter trainiert als ich“, dachte er noch, dann schlief er sofort ein.
Am nächsten Tag wurde er von seiner schimpfenden Mutter geweckt, die entdeckt hatte, dass Shikamaru in seinen verschwitzten und dreckigen Klamotten geschlafen hatte. Sie zog ihn aus dem Bett und zwang ihn, ein Bad zu nehmen. Shikamaru hatte vorgehabt, den ganzen Tag zu verschlafen, und hatte nun ausgesprochen schlechte Laune, dass sein Vorhaben zunichte gemacht worden war. Also entschied er sich dafür, einen Spaziergang zu machen und sich ein ruhiges Fleckchen zu suchen, um seiner Lieblingsbeschäftigung nachzugehen.
Der Himmel war strahlend blau und es waren nur ein paar vereinzelte dünne Wölkchen zu entdecken. Shikamaru lief durch die kleineren Straßen von Konoha und hoffte, niemanden zu treffen. Blöderweise schien es, als hätte sich bei dem guten Wetter ganz Konoha entschieden, den Tag draußen zu verbringen. Shikamaru wäre liebend gern in den Narawald ausgewichen, aber er wusste, dass heute viele Mitglieder des Nara-Clans, unter anderem auch sein Vater, damit beschäftigt waren, verschiedene Jutsus anzuwenden, um den Wald vor Eindringlingen zu schützen. Da Shikamaru weder Lust hatte, zu helfen, noch mit irgendwelchen Verwandten anstrengende Gespräche über sein Training oder die bevorstehende Prüfung zu führen, führte ihn sein Weg aus dem Dorf zum Randgebiet von Konoha. Hier gab es genug Wege über Wiesen, Hügel und durch den Wald, der Konoha umgab, so dass die Wahrscheinlichkeit, jemanden zu treffen, recht gering war.
Nachdem Shikamaru eine Weile gelaufen war und versucht hatte, nicht zu viel über die Prüfungen nachzudenken, hörte er zu seiner Rechten durch die Bäume hindurch Geräusche. Geräusche, die sich sehr nach Training anhörten. Er hörte eine große Anzahl von metallischen Gegenständen klirren und dann eine weibliche Stimme aufgeregt rufen.
Könnten das Sensei Gais Schüler sein, die da trainieren? Normalerweise würde man Lee bestimmt als allererstes schon von weit weg hören, aber der liegt noch im Krankenhaus. Dann ist das gerade Tenten mit ihren Waffen gewesen?
Da Tenten in der Vorrunde gegen Temari aus Sunagakure verloren hatte, half sie nun vermutlich Neji Hyuuga beim Training, so wie Chouji ihn selbst unterstützte. Ob Neji ihn mit dem Byakugan wohl schon bemerkt hatte?
Als er noch ein paar Schritte näher herangekommen war, hörte er auf einmal Tenten, die unverkennbar in Panik geraten war. „Neji, Neji, ist alles in Ordnung?“
Dann redete sie irgendetwas vor sich hin, das Shikamaru nicht verstand, aber es war offensichtlich, dass irgendetwas schiefgelaufen war. Innerlich fluchend rannte Shikamaru los, um zu sehen, ob sie Hilfe brauchten. Nach ein paar Metern tat sich eine Lichtung auf, wo die beiden bis gerade eben trainiert hatten. Auf dem Boden lagen überall Kunai und unterschiedliche andere Waffen verstreut. Tenten hockte in der Mitte auf dem Boden und beugte sich über Neji, der anscheinend bewusstlos auf dem Boden lag. So wie es aussah, prüfte sie, ob er noch atmete. „Ist er verletzt?“, fragte Shikamaru, und Tenten zuckte erschrocken zusammen.
„Er ist einfach so umgekippt, aber er atmet zum Glück. Wir haben nur ganz normal trainiert…“ Sie wirkte leicht hysterisch, und Shikamaru befürchtete, dass sie gleich in Tränen ausbrechen würde. Er sah sie abschätzend an. Tentens Haare waren zerzaust, und einzelne Strähnen hingen ihr ins Gesicht. Ihre Kleidung war schmutzig, und Neji sah in der Hinsicht nicht unbedingt besser aus.
„Wie lange genau trainiert ihr denn schon?“, fragte er, während sie Neji gemeinsam in die stabile Seitenlage brachten. Tenten schnaufte und wischte sich mit der Hand über die Nase. „Seit gestern Morgen, glaube ich. Wir hätten vielleicht auf Sensei Gai hören und auch mal eine Pause machen sollen. Aber Neji war so nahe dran, er wollte einfach nicht aufhören, bevor es ganz klappt.“ Shikamaru fragte sich, ob seine Rivalen alle vollkommen übergeschnappt waren, oder ob es wirklich an Sensei Gais übertriebenen Methoden lag, dass Neji sich in die Ohnmacht trainierte.
In diesem Augenblick öffnete Neji seine Augen und starrte Shikamaru verwirrt an. „Hey Neji, wie fühlst du dich?“, fragte Tenten besorgt.
Neji versuchte, sich aufzurichten, stöhnte dann aber auf und legte sich wieder hin. „Wir sollten ihn vorsichtshalber ins Krankenhaus bringen.“, stellte Shikamaru fest. Neji schüttelte langsam den Kopf. „Nicht… Krankenhaus.“, murmelte er leise. Tenten nickte. „Sein Onkel wäre vielleicht nicht erfreut, wenn sich herumspricht, dass Neji sich beim Training… überschätzt hat. Wir sollten ihn besser nach Hause bringen.“ Shikamaru verstand das Problem zwar nicht, stimmte aber zu, ihnen zu helfen.
Neji setzte sich auf und trank ein wenig Wasser. Dann halfen sie ihm, aufzustehen und stützten ihn zu beiden Seiten. Shikamaru fragte sich gerade, wo er da nur wieder hineingeraten war, als Neji stehen blieb und verärgert den Kopf schüttelte. „Ich habe keine Zeit für so etwas. Es sind nur noch ein paar Tage bis zur Endrunde. Ich war gerade so kurz davor, es zu schaffen, Tenten. Lass uns einfach weitermachen.“ Shikamaru blieb stehen und starrte Neji ungläubig an. Tenten seufzte, ließ ihn los und baute sich vor ihm auf.
„Es geht dir aber nicht gut. Und mir übrigens auch nicht. Wir haben uns seit einer Ewigkeit keine Pause mehr gegönnt und nicht einmal Sensei Gai fände es gut, so zu übertreiben.“ Neji funkelte sie böse an. „Mir geht es wieder gut!“
Tenten zog eine Schnute und giftete zurück: „Erstens glaube ich dir kein Wort und zweitens ist es dir anscheinend total egal, wie es mir geht. Ich brauche wirklich eine Pause. Ich bringe dich jetzt mit Shikamaru nach Hause und dann nehme ich erst einmal ein langes Bad und erhole mich. Wenn du unbedingt willst, trainieren wir morgen weiter, aber ich werde es nicht noch einmal so weit kommen lassen, dass du einfach umkippst!“
Neji schnaubte und wandte sich Shikamaru zu. „Was hast du überhaupt hier zu suchen?!“, fragte er feindselig und riss sich von ihm los.
Shikamaru hob seine Hände beschwichtigend und sagte: „Hey, ich war nur auf der Suche nach einem ruhigen Plätzchen und bin dann zufällig über euch gestolpert. Ich will nur helfen.“
Neji starrte ihn prüfend an und schien sich ein wenig zu beruhigen. „Es würde dir sowieso nichts bringen, unser Training auszuspionieren. Wir sind auf völlig unterschiedlichen Levels, du hättest niemals eine Chance gegen mich in einem Duell.“
Wow, der Hyuuga ist ja genau so nett, wie alle behaupten. Ich sollte einfach gehen…
Tenten stieß Neji ihre Hand in die Seite und ermahnte ihn: „Sei nicht so, Neji. Der Nara kam erst, als du schon bewusstlos warst. Du solltest dankbar sein, dass er dir hilft, obwohl ihr Rivalen seid.“
Neji senkte seinen Blick und sagte nichts. Unschlüssig, ob er auf der Stelle kehrt machen und gehen sollte, verharrte Shikamaru und wartete, ob noch etwas kam. Als keiner mehr etwas sagte, entschloss er, sich dieser dämlichen Situation nicht mehr länger auszusetzen.
„Ja naja, dann werde ich jetzt...“, begann er, als Neji plötzlich schwankte und wieder umzufallen drohte. Sofort sprangen Shikamaru und Tenten ihm zur Seite und hielten ihn fest.
„Willst du dich setzen?“, fragte Tenten besorgt.
Neji schüttelte resigniert den Kopf. Es schien ihm schwerzufallen, die richtigen Worte zu finden. „Nein, es geht schon, denke ich. Es tut mir leid, Nara. Ich fühle mich tatsächlich nicht besonders gut. Du hast recht, Tenten, wir sollten für heute Schluss machen. Bitte entschuldige, dass ich nicht auf deine Bedürfnisse geachtet habe. Und entschuldigt bitte auch, dass ich so undankbar war. Es wäre sehr nett, wenn ihr mich nach Hause bringen würdet.“
Er sagte es monoton und immer noch mit gesenktem Blick. Shikamaru hatte den Eindruck, dass er sich furchtbar schämte und verspürte sofort das Bedürfnis, die Situation irgendwie aufzulockern.
„Ja klar, ist kein Problem. Ich habe eh nichts Besseres zu tun. Vielleicht kriege ich zur Belohnung ja eine Führung über das Hyuuga-Gelände. Soll sich lohnen, sagt mein Vater immer.“
Neji sah ihn nicht an und verzog leicht das Gesicht, als hätte er Schmerzen.
„Na gut, Neji. Sag einfach Bescheid, sobald du dich wackelig fühlst.“, bat Tenten ihn. Dann setzten sie ihren Weg zu dritt fort.
Als sie zu den ersten Häusern gelangten, wollte Neji nicht mehr gestützt werden. „Es geht, wirklich. Ich kann alleine laufen. Macht bitte kein allzu großes Drama daraus.“
Wieso hat er so große Angst davor, dass jemand von seinem Schwächeanfall erfährt? Ich verstehe ja, dass es ihm peinlich ist, aber gleich so extrem?
Es schien Neji zum Glück wieder besser zu gehen, denn sie schafften den ganzen Weg bis zum Tor des Hyuuga-Anwesens. Ein Hyuuga mit Stirnband und zu einem langen Zopf geflochtenen Haaren öffnete und Neji drehte sich noch einmal zu Tenten und Shikamaru um und verbeugte sich vor ihnen. „Vielen Dank, dass ihr mich nach Hause begleitet habt.“
Shikamaru war völlig perplex. Wieso bedankte er sich auf einmal und dann auch noch auf so übertriebene Art?
Aus dem Haus ertönte eine laute Männerstimme. „Neji, wo warst du so lange? Du hast deine Pflichten vernachlässigt!“ Ein älterer Hyuuga kam aus dem Haus und Neji und der Hyuuga mit dem Zopf neigten ihre Köpfe, um ihn zu begrüßen. Der Mann hatte einen strengen Gesichtsausdruck.
„Ich hoffe, mein Neffe hat euch keine Umstände bereitet. Habt ihr zusammen trainiert?“
Er sah erst Tenten und dann Shikamaru mit seinen kalten Augen ins Gesicht. Obwohl er sich gerade indirekt entschuldigt hatte, schwang in seiner Stimme ein anklagender Ton mit. Tenten nickte und Shikamaru hatte das Gefühl, dass sie sich unwohl fühlte in der Gegenwart von Nejis Onkel.
„Neji, geh schon ins Haus.“, befahl der Onkel von Neji, der also Hiashi, das Oberhaupt des Hyuuga-Clans sein musste. Neji nickte ihnen kurz zum Abschied zu und ging dann mit dem anderen Hyuuga zum Haus. Hiashi blieb stehen und hielt sie beide mit seinem Blick fest.
„Bist du nicht Shikamaru Nara?“, fragte der Mann und starrte ihn durchdringend an.
Shikamaru konnte gut nachempfinden, wieso Tenten sich unwohl fühlte. Es fühlte sich so an, als würde er mit feindlicher Absicht direkt in seine Gedanken schauen, dabei hatte er das Byakugan noch nicht einmal aktiviert.
„Ja, der bin ich.“, bestätigte Shikamaru und hoffte, dass dies kein Verhör werden würde. Leider wurde er enttäuscht.
„Wieso trainiert mein Neffe zusammen mit einem Gegner? Du trittst doch auch in der Endrunde an, soweit ich weiß?!“
Shikamaru stöhnte innerlich auf. Was ihm gerade noch fehlte, waren Gerüchte über seine seltsame Wahl der Trainingspartner oder irgendwelcher Allianzen der Prüfungsteilnehmer oder ähnliches.
„Nein, Tenten hat mit ihm trainiert, ich habe die beiden einfach nur… auf dem Heimweg getroffen.“
Shikamaru hielt es für besser, Nejis Zusammenbruch nicht zu erwähnen. Hiashi sah ihn noch ein paar Augenblicke weiter durchdringend an.
„Ich wusste nicht, dass Neji etwas mit den Naras zu schaffen hat. Bitte richte deinem Vater einen Gruß aus. Guten Tag.“
Dann drehte er sich um, ohne Tenten noch eines Blickes zu würdigen oder eine Antwort abzuwarten, und ging.
Shikamaru hatte das Gefühl, doch ganz gut aus der Situation herausgekommen zu sein. Er merkte, wie sich Tentens Anspannung löste und sie leicht zusammensackte.
„Alles in Ordnung?“, fragte er.
Tenten nickte. „Ja, klar. Danke, dass du mitgekommen bist. Ich hoffe, sie lassen Neji sich wenigstens ein bisschen erholen.“
Sie schaute Shikamaru kurz nachdenklich an und schien etwas sagen zu wollen, sich dann aber dagegen zu entscheiden. Stattdessen drehte sie sich weg und streckte sich ausgiebig.
„Oh Mann, bin ich fertig. Ich geh dann mal nach Hause. Hab du noch einen schönen Tag und viel Glück bei deinem Training!“
Shikamaru nickte, auch wenn Tenten es nicht sehen konnte. „Danke, erhol dich gut.“ Dann gingen sie in verschiedene Richtungen auseinander.
Notes:
Hallo, dieses Kapitel ist nun ein bisschen länger als die ersten beiden und ich hoffe sehr, dass es euch gefällt.
Danke fürs Lesen! Wie immer freue ich mich sehr über Kommentare :)
Chapter Text
Friedhof
Shikamaru rutschte auf seinem Hocker hin und her. Je mehr er versuchte, sich zu erinnern, desto mehr Erinnerungen stürzten wie eine Lawine auf ihn ein. Er versuchte, seine Gedanken ein wenig zu ordnen und den Anfang seiner Freundschaft mit Neji einzufangen.
Bei der Sasuke-Rückholmission war Neji beinahe gestorben – und es war Shikamarus Schuld gewesen, weil er der Leiter der Mission gewesen war. Neji hatte sich zwar freiwillig gemeldet, ganz allein zurückzubleiben, um gegen Kidōmaru zu kämpfen, aber Shikamaru hätte es trotzdem verstanden, wenn er ihm die Schuld an seinen schlimmen Verletzungen gegeben hätte.
Das hatte er aber nie getan – und vielleicht war genau das der Anfang ihrer Freundschaft gewesen.
Krankenhaus – Nach der Sasuke-Rückhol-Mission
Shikamaru klopfte dreimal an der Tür und wartete. Als länger niemand antwortete, öffnete er sie vorsichtig und trat ein.
In dem kleinen Krankenhauszimmer, in dem nur ein Bett und ein kleiner Tisch mit einem Stuhl standen, lag Neji und schlief. Er trug einen Verband um die Stirn und war bis zum Kinn zugedeckt. Der Verband diente vermutlich dazu, sein Fluchsiegel zu verbergen, denn Kopfverletzungen hatte Neji nach Shikamarus Wissensstand keine erlitten.
Shikamaru blickte auf die Blumen herab, die er in seiner Hand hielt. Sollte er sie einfach auf den Nachttisch zu den anderen Blumen stellen und wieder gehen? Er zögerte kurz und stand ratlos mitten im Zimmer.
Dann entschied er, es einfach zu versuchen.
„Neji“, sagte er leise.
Neji reagierte nicht.
Shikamaru ging langsam zum Nachttisch hinüber und legte die Blumen vor die beiden Vasen, die schon gefüllt dort standen. Als er sich zum Gehen wieder umdrehte, sah er, dass Nejis Augen offen waren und ihn anstarrten.
„Danke, Shikamaru.“ Nejis Stimme klang rau.
Shikamaru kratzte sich verlegen am Hinterkopf.
„Nichts zu danken. Das ist ja wohl das Mindeste, das ich tun kann, nachdem du meinetwegen fast gestorben wärst.“
Shikamaru bereute seine Worte im gleichen Augenblick, als er sie aussprach. Nejis Augen weiteten sich dabei kaum merklich.
Er hatte sich doch eigentlich vorgenommen, das genau so nicht zu sagen!
Neji blickte ihn leicht fragend an, sagte aber nichts. Shikamaru wollte es so schnell wie möglich hinter sich bringen, also sagte er es einfach:
„Bitte verzeih mir, dass ich dich so in Gefahr gebracht habe. Es tut mir unglaublich leid, was passiert ist.“
Er hoffte, dass Neji ihm glaubte. Er war nicht gut darin, über so ernste Angelegenheiten zu sprechen – vor allem nicht mit jemandem wie Neji, der sich selbst kaum öffnete. Und zuzugeben, dass man versagt hatte, war sowieso nicht gerade leicht – egal vor wem.
Neji blickte ihn noch immer fragend an. Shikamaru überlegte schon, ob er einfach gehen sollte, da sagte Neji plötzlich:
„Das ist doch nicht deine Schuld, Shikamaru. Es gibt wirklich nichts zu verzeihen.“
Aber das stimmt nicht!
„Ich war der Teamführer der Mission. Und ich habe nicht nur dafür gesorgt, dass die Mission fehlgeschlagen ist – beinahe wären Chōji und du gestorben!“
Neji richtete sich im Bett auf und sagte leise:
„Das war aber nicht deine Schuld. Chōji hat selbst entschieden, dass er alleine kämpfen will. Und ich auch. So gab es wenigstens noch eine kleine Wahrscheinlichkeit, dass ihr Sasuke rechtzeitig einholen würdet.“
„Das war dann wohl nichts“, erwiderte Shikamaru trocken und setzte sich auf den einzigen Stuhl im Zimmer.
Sie schwiegen, und Shikamaru hatte wieder dieses unangenehme Gefühl im Bauch, das ihn seit der gescheiterten Mission fast ununterbrochen begleitete. Er hatte eigentlich nicht von sich gedacht, dass ihm sein Ruf viel bedeutete oder dass er besonders ehrgeizig sei. Aber gleich bei seiner ersten Mission als Chūnin versagt zu haben und nur lebend davon gekommen zu sein, weil die Verstärkung aus Sunagakure in letzter Sekunde aufgetaucht war, nagte sehr an seinem Selbstwertgefühl.
Zum ersten Mal hatte er erfahren, wie es sich anfühlte, Verantwortung tragen zu müssen. Er hatte sich seitdem tausendmal gewünscht, er wäre anstelle von Chōji und Neji so schlimm verwundet worden.
Nejis kleines Räuspern riss ihn aus seinen düsteren Gedanken.
„Ich will, dass du weißt, dass ich dir wirklich nicht die Schuld daran gebe. Ich weiß nicht, wie Lady Tsunade darüber denkt und was alle anderen dazu sagen. Aber für mich ist es ganz klar, dass niemand anders an meiner Verletzung Schuld hat – nur ich allein. Ich muss einfach noch mehr trainieren und noch stärker werden. Ich werde jederzeit wieder und ohne Bedenken eine Mission mit dir antreten, Shikamaru.“
Er sah Shikamaru fest in die Augen. Shikamaru starrte zurück. Womit hatte er dieses unbegründete Vertrauen verdient? War es, weil er Neji damals in seinem schwachen Moment gesehen und ihm geraten hatte, seinen Hass zurückzulassen? Auf jeden Fall trübte irgendetwas Nejis Analysefähigkeiten – denn sonst hätte er sofort erkennen müssen, was für ein Versager Shikamaru war. Trotzdem fühlte Shikamaru sich durch Nejis Worte etwas weniger schlecht.
Egal, was seine Gründe dafür sind – er gibt mir nicht die Schuld und scheint mir sogar immer noch zu vertrauen.
Dass Chōji so reagieren würde, war keine Überraschung. Er war sein allerbester Freund, und Shikamaru konnte sich nicht vorstellen, was zwischen ihnen vorfallen müsste, damit Chōji sich von ihm abwandte. Aber mit Neji hatte Shikamaru vorher nicht wirklich etwas zu tun gehabt. Und von dem her, was er vorher so über das Hyūga-Wunderkind gehört hatte, war er eher zurückhaltend mit netten Worten.
Natürlich tat es Shikamaru wirklich unglaublich leid, dass Neji seinetwegen so hatte leiden müssen. Aber er war nicht mit dem Ziel zum Krankenhaus gekommen, Neji dazu zu bringen, ihm wirklich zu verzeihen. Seine Mutter hatte ihn gedrängt, sich auch im Namen des Clans zu entschuldigen. Er hatte es vor allem einfach hinter sich bringen wollen.
„Hast du noch Schmerzen?“, fragte Shikamaru nach einer kleinen Pause, weil ihm nichts anderes einfiel, das er sagen könnte.
Neji schüttelte leicht den Kopf. „Es geht schon wieder. Ich wurde ziemlich gut zusammengeflickt. Sie haben gesagt, ich hatte ein riesiges Loch direkt unter der Schulter und dass es unglaublich knapp für mich war.“
Ein kleines bitteres Lächeln huschte über sein Gesicht, und er fügte hinzu:
„Nicht, dass ich an Schmerzen nicht gewöhnt wäre...“
Meint er etwa das Fluchsiegel?
Oder einfach nur sein normales alltägliches Training, das für Normalsterbliche wirklich nach einer einzigen Tortur klingt?
Was sagt wohl Nejis Onkel zu der verpatzten Mission? Gibt er mir die Schuld an Nejis Verletzungen?
„Wird er mir den Kopf abreißen?“, fragte Shikamaru. Die Frage war eigentlich mehr an sich selbst gerichtet, aber Neji schaute ihn aufmerksam an, und als Shikamaru nichts Weiteres sagte, fragte er:
„Wen meinst du?“
„Oh, sorry, ich hab mich nur gefragt, wie dein Onkel zu dieser ganzen Sache steht. Meine Eltern wären sicher nicht gerade erfreut, sich ausgerechnet den Hyūga-Clan zum Feind zu machen.“
Neji seufzte leise und starrte an Shikamaru vorbei aus dem Fenster.
„Darüber müsst ihr euch ganz sicher keine Sorgen machen. Wenn überhaupt, macht er sich höchstens Sorgen darüber, dass ich unseren Ruf gefährdet habe, indem ich nicht zum Erfolg der Mission beitragen konnte. Er war gestern hier, zusammen mit Hinata und Hanabi. Er war nicht besonders herzlich, aber trotzdem um einiges freundlicher, als ich es von ihm kenne. Ich denke, es könnte tatsächlich funktionieren, weißt du? Das mit dem Vergeben.“
Neji schaute immer noch aus dem Fenster, und Shikamaru bildete sich ein, dass seine Wangen etwas röter waren als gerade noch vor einem Moment.
„Oh, das hört sich gut an. Würde mich wirklich für dich freuen, wenn du dich mit deiner Familie versöhnen kannst!“
Neji hatte sich seine Worte anscheinend wirklich sehr zu Herzen genommen – seine und die seines verstorbenen Vaters natürlich.
„Ich habe viel darüber nachgedacht, weißt du. Dieser Hass lebte die ganze Zeit in mir, seitdem mein Vater gestorben war. Und er ist immer noch ein Teil von mir. So schnell verschwindet er nicht einfach so. Aber ich habe das Gefühl, dass ich mich dadurch ablenken kann, mich stärker auf meine Aufgabe, dem Hyūga-Clan zu dienen, zu konzentrieren. Ich werde noch härter trainieren und noch stärker werden.“
Er hört sich immer noch nicht so an wie jemand, der über seine Familie spricht. Eher als wäre er ein Untergebener, der sich Gedanken macht, wie er die Gunst seines Herrn wiedererlangen kann.
Shikamaru ärgerte sich oft darüber, als der Erbe der Naras so viele Pflichten auferlegt zu bekommen, und hatte das Gefühl, nichts selbst entscheiden zu dürfen. Es stand von vornherein fest, dass er auf die Ninja-Akademie gehen und irgendwann in die Fußstapfen seines Vaters treten sollte. Unzählige Male hatte er diese Rolle verflucht und sich gewünscht, er könnte alles abbrechen und stattdessen irgendeinen einfachen, möglichst ungefährlichen und entspannten Beruf erlernen und ein einfaches, ruhiges Leben führen.
Aber im Gegensatz zu Neji konnte er sich über sein Schicksal eigentlich nicht beschweren. Natürlich war das Training mit Asuma auch nicht immer angenehm, aber von dem her, was er über Nejis Team und seinen Lehrer wusste, war es im Vergleich wie ein Spaziergang im Frühling über eine Wiese, während Nejis Team im Winter mitten im Schneesturm einen Berg erklimmen musste.
„Dann musst du dir hoffentlich auch keine Gedanken mehr um mich machen, Shikamaru.“
Neji schaute Shikamaru direkt in die Augen – und er sah für einen Moment darin eine so große Einsamkeit, dass er den Blickkontakt verlegen abbrechen musste.
„Ich bin froh, das zu hören. Ich bin auch froh, dass du mir nicht die Schuld gibst, auch wenn ich das immer noch ein bisschen anders sehe. Aber falls wir wieder einmal zusammen auf eine Mission geschickt werden, versuche ich, es besser zu machen!“, versicherte Shikamaru.
Neji lachte leise.
„Dann habe ich dich vielleicht schon längst überholt und muss mir als Missionsleiter überlegen, wie ich den faulen Nara-Jungen zum Arbeiten bekomme!“
„Haha!“, antwortete Shikamaru – und fühlte sich plötzlich ziemlich erleichtert.
Neji schien es ihm wirklich nicht übel zu nehmen, wenn er sogar anfing, mit ihm zu scherzen. Soweit Shikamaru sich erinnerte, sprachen alle immer recht distanziert von Neji. Sogar Lee und Tenten schienen ihn mehr zu respektieren, als dass sie wirklich fest mit ihm befreundet waren.
Aber das, was Shikamaru jetzt fühlte, war angenehm. Als würde er mit einem Freund sprechen, den er schon lange kannte. Als müsste er sich keine Gedanken machen, was er sagte, oder sich irgendwie verstellen, um nicht aufzufallen.
Er blieb noch ein paar Minuten und erzählte Neji, was gerade so los war im Dorf. Neji hörte ihm mit einem kleinen, dankbaren Lächeln im Gesicht aufmerksam zu.
Sie wurden schließlich von einem Klopfen an der Zimmertür unterbrochen, woraufhin eine Krankenschwester das Zimmer betrat.
„Ich sollte langsam gehen“, sagte Shikamaru und stand auf.
Neji nickte und sagte:
„Danke, dass du mich besucht hast, Shikamaru. Bitte sag deinen Eltern, dass sie sich wegen meiner Familie keine Sorgen machen müssen. Ich freue mich auf unsere nächste gemeinsame Mission. Und da werden wir einfach dafür sorgen, dass wir sie erfolgreich abschließen!“
Neji hielt Shikamaru eine Hand hin.
Shikamaru nahm sie und drückte sie kurz.
Von diesem Augenblick an betrachtete er Neji wirklich als Freund.
Notes:
Das war nun Kapitel 4 – und wenn alles klappt, folgt das nächste schon am Wochenende. Dann beginnt für Team Gai und Team Asuma eine längere gemeinsame Mission … und Shikamaru und Neji werden sich dabei langsam etwas näherkommen. Ich hoffe, die Geschichte gefällt euch soweit und freue mich über Rückmeldungen :)
Chapter 5: Zwei Teams, ein Kurs
Chapter Text
Friedhof
Das Ganze bringt doch nichts, es geht irgendwie noch nicht in die richtige Richtung!
Shikamaru hatte es zwar geschafft, sich seinen Erinnerungen hinzugeben, aber ob ihn das gefühlsmäßig tatsächlich näher an Neji heranbrachte? Es öffnete zumindest eine Tür zu noch mehr unangenehmen Gefühlen, die nun langsam begannen über ihn hereinzufallen. Neji hatte schon damals im Krankenhaus gesagt, dass er sich dem Dienst an seiner Familie widmen würde. Shikamaru war zu diesem Zeitpunkt einfach nur erleichtert gewesen, dass es keine Schwierigkeiten für ihn geben würde. Dass der Hyuuga-Clan nicht gegen seine Familie in den Krieg ziehen würde, wie seine Mutter es ihm zuvor noch etwas übertrieben angedroht hatte. Shikamaru war so mit seinen eigenen mickrigen Problemchen beschäftigt gewesen, dass er die ersten Anzeichen von Nejis Sinneswandel komplett übersehen hatte. Und später, als es ihm bewusst wurde, hatte er absichtlich die Augen davor verschlossen. Es wäre vermutlich sowieso schon zu spät gewesen. Aber es vergrößerte seine Schuld an Nejis Tod nur noch mehr. Vielleicht war es genau das Falsche gewesen, heute hierher zu kommen...
Er hatte sich vorgenommen, so lange zu bleiben, bis er merkte, dass sich etwas geändert hätte. Er war ganz überzeugt gewesen, dass er sich einfach nur ein bisschen Zeit nehmen musste, um sich seinen Gefühlen und Erinnerungen zu stellen. Aber nun, da er hier mitten drin war, begann er zu befürchten, dass seine Vorgehensweise nur schlafende Hunde wecken würde.
Er hatte sein neues Leben hier in Konoha und er konnte nicht direkt behaupten, dass er unglücklich war. Es war zwar furchtbar anstrengend gewesen, sich alles zu erarbeiten und er bereute oft, dass er kaum noch Zeit hatte, mit Chouji zu plaudern. Sie trafen sich zwar öfter mal abends zum Trinken, aber meist waren sie dabei nicht allein oder sie nörgelten stundenlang nur über ihre Ehefrauen und wie schwierig es war, ein Vater zu sein.
Shikamaru hatte das Gefühl, sie hätten früher so tiefsinnige Gespräche geführt. Vielleicht lag es an der Umgebung. Wenn man faul auf dem Rücken lag und in den tiefblauen Himmel über sich starrte, flogen die Gedanken wie von selbst. Dagegen war es eher stressig und ungemütlich in einer lauten, vollgedrängten Bar zu sitzen, während der Alkohol einem den Kopf vernebelte. Er wusste, wenn er so darüber nachdachte, eigentlich überhaupt nicht, wie es Chouji wirklich ging und was für ein Mensch er geworden war. Es ging immer nur um die Arbeit und die Familie. Wann hatten sie das letzte Mal über früher gesprochen?
Shikamaru war es bis jetzt noch gar nicht in den Sinn gekommen, sich Chouji anzuvertrauen. Aber er konnte sich schon ziemlich genau denken, was er sagen würde. „Quatsch, Shikamaru! Du kannst doch nichts dafür, dass Neji sich entschieden hat, sein Leben zu opfern. Mach dir keine Gedanken. Außerdem hatten wir doch nicht mal viel mit ihm zu tun.“ Er konnte nicht verstehen, was in Shikamaru vor sich ging. Er verstand es ja nicht einmal selbst so richtig. Außerdem hatte Shikamaru ihm nie von seinen Momenten mit Neji erzählt. Geschweige denn von der Mittsommernacht…
Jetzt auf einmal damit anzukommen wäre irgendwie oberpeinlich. Und dazu kam noch, dass Shikamaru nicht wollte, dass Chouji sich Sorgen um ihn machte.
Nein, es war ganz sicher das Beste, die Sache allein zu klären.
Aufbruch – Mission Team Gai und Team Asuma
Eine Weile nachdem Neji aus dem Krankenhaus entlassen worden war, schickte Tsunade sein Team zusammen mit Shikamarus Team auf eine längere Mission. Wie sich später herausstellte, war Asuma daran nicht ganz unschuldig, denn er hatte Tsunade wohl auch aus dem Grund darum gebeten, dass seine Schüler sich von Gais fleißigem Team positiv beeinflussen lassen sollten. Er hatte sich wohl mit Gai zum Essen verabredet und dabei waren sie auf die glorreiche Idee gekommen, dass etwas Taijutsu-Nachhilfe genau das Richtige wäre für Asumas Schüler.
Sie hatten sich das so vorgestellt, dass sie auf der dreitägigen Schiffreise, die sie zu ihrem Zielort bringen würde, viel Zeit zum Trainieren haben würden. Natürlich beherrschte Shikamarus Team die Grundlagen des Taijutsu. Aber er musste sich eingestehen, dass gerade seine und Inos Technik eher im Team funktionierte und es nicht schaden konnte, den eigenen Körper zu stärken und so vielleicht auch im Einzelkampf stärker zu werden. Als Shinobi konnte man schließlich nie genau voraussagen, wie eine Mission verlaufen würde. Ob man vielleicht auch einmal von seinen Teammitgliedern getrennt werden würde. Es war wichtig gerade für solche Fälle auch in der Lage zu sein, auf sich selbst aufzupassen oder andere aus eigener Kraft beschützen zu können.
Obwohl Shikamaru sich irgendwie schon auf eine gemeinsame Mission mit Neji freute, hatte er überhaupt gar keine Lust auf Lee und seine quirlige, laute Art. Er hoffte sehr, dass Neji seinen Teamkameraden etwas drosseln würde.
Als er am Tag der Mission früh morgens am Tor ankam, war er nicht überrascht, dass die anderen alle schon auf ihn warteten.
„Da ist ja unser Langschläfer endlich!“, kommentierte Ino leicht giftig.
Großartig, sie hat ja jetzt schon richtig gute Laune. Das kann ja echt heiter werden…
Chouji lächelte ihn aber aufmunternd an. Vermutlich wollte er Shikamaru damit sagen, dass diesmal alles klappen würde und er sich keine Sorgen machen sollte. Wie immer hatte er viel zu viel Gepäck dabei und, wie Shikamaru ihn kannte, war das meiste davon vermutlich irgendwelches Knabberzeugs, das er in den ersten paar Stunden schon verputzen würde. So war es bei längeren Missionen immer. Chouji nahm sich einen riesigen Vorrat an Chips und anderen Snacks mit, konnte sich nicht kontrollieren und maulte dann die restliche Zeit herum, weil er zu wenig zu Futtern dabei hatte.
Ino hatte sich noch mehr herausgeputzt als sonst und war perfekt geschminkt. Shikamaru konnte sich nicht erklären, wie man extra für so etwas eine Stunde früher aufstehen konnte. Außerdem fand er Ino ohne Schminke irgendwie sogar hübscher. Dass sie sich für eine Mission derart ins Zeug gelegt hatte, war jedoch eher ungewöhnlich. Entweder wollte sie bei dem gutaussehenden Neji Eindruck schinden, oder sie wollte Tenten zeigen, dass sie es in Sachen Aussehen mit ihr nicht aufnehmen konnte. Vermutlich war es beides. Oh, oder sie hoffte, dass bei der Schiffsbesatzung ein „wahnsinnig attraktiver“ Typ arbeitete, den sie verführen konnte. Es musste so anstrengend sein, Ino zu sein!
Tenten hingegen war überhaupt nicht geschminkt und lächelte ihn freundlich an, auch wenn sie etwas gestresst wirkte. Lee, der zur Abwechslung gerade mal keine Liegestützen machte oder auf den Händen lief, verlor keine Zeit und rief: „Na dann lasst uns mal losgehen. Auf, auf, Richtung Meer, jippie!“ Dann sprang er los und lief einfach davon.
So geht das bei denen also zu, ohne richtige Begrüßung oder Besprechung jeglicher Art einfach losstürmen.
Shikamaru stöhnte genervt, als die anderen Lee folgten. Ich bin hier der Missionsleiter und entscheide, wann wir loslegen, wollte er am liebsten protestieren. Aber Lee war schon auf und davon.
„Ein bisschen laufen wird dir bestimmt helfen, richtig wach zu werden!“ rief Neji ihm zu, der nicht mit den anderen weiter vorn, sondern neben ihm lief.
„Es freut mich, wieder eine Mission mit dir zu haben“, fügte er hinzu und schenkte Shikamaru ein seltenes, kleines Lächeln.
Shikamaru zuckte mit den Schultern und erwiderte: „Bitte sag mir, dass du deinen Freund zurückpfeifen kannst, wenn er so waghalsig davonstürmt. Ich habe keine Lust, schon wieder eine Mission zu vermasseln, vor allem nicht aus dem Grund, dass ich die Gruppenmitglieder nicht kontrollieren konnte...“
„Ich weiß, dass Lee immer sehr impulsiv wirkt“, antwortete Neji. „Aber er ist sehr wohl in der Lage, gefährliche Situationen zu erkennen und sich angemessen zu verhalten. Und er kann auch gut Befehle annehmen und ausführen. Mach dir keine Sorgen, du schaffst das schon. Ich würde mir eher Gedanken darüber machen, wie du Ino davon abhalten kannst, Tenten weiter herauszufordern. Bevor du dazukamst, hat sie sich ihr gegenüber ziemlich arrogant benommen.“
Wenn Ino wüsste, dass Neji sie arrogant findet! Shikamaru musste innerlich schmunzeln. Irgendwie schön, dass es auf Gegenseitigkeit beruhte. Aber ich habe gewiss nicht vor, mich in irgendwelche Mädchenangelegenheiten einzumischen. Das würden Ino und Tenten schon unter sich klären müssen.
Der erste Teil der Mission verlief ohne große Unterbrechungen. Gegen Mittag des zweiten Tages hatten sie die dichten Wälder um Konohagakure herum verlassen und kamen bald darauf am Hafen an. Das Segelschiff, das sie zu der Insel Shishiyoujima bringen sollte, war nicht besonders groß, sodass es nur zwei Schlafkabinen mit jeweils vier ziemlich engen Kojen gab.
Das hieß, sie mussten sich zum Schlafen entweder nach Teams oder Geschlecht aufteilen. Auf früheren Missionen hatte Shikamaru zwar schon öfter mit Chōji und Ino in einem Zelt oder Zimmer geschlafen, aber jetzt protestierte sie bei seinem Vorschlag und argumentierte heftig dafür, dass sie mit Tenten allein eine Kabine teilen konnte. Da keiner der Jungs etwas dagegen sagte und Shikamaru keine Lust auf nervige Streitereien hatte, musste er sich wohl oder übel geschlagen geben.
Zufrieden zog Ino Tenten in eins der Zimmer und schloss die Tür hinter ihnen.
Arme Tenten, hoffentlich kommt sie mit ihr zurecht, dachte Shikamaru.
Jetzt mussten sie nur noch die Etagenbetten unter sich aufteilen. Chōji und Lee schliefen unten und Shikamaru und Neji bezogen die oberen Kojen, jeweils über ihrem Teamkameraden. Nachdem sie sich mit der Schiffsmannschaft bekannt gemacht hatten, ging die Fahrt los.
Die Sonne schien warm vom Himmel herab und es war weit und breit keine Wolke zu sehen. Shikamaru hätte die Zeit gerne genutzt, um zu faulenzen, aber da Asuma mehrmals betont hatte, dass das Training während der Reise ebenfalls ein wichtiger Teil der Mission sei, musste er den inneren Schweinehund bekämpfen und dafür sorgen, dass sie sich wenigstens ein bisschen körperlich betätigten.
Wie erwartet war Lee ganz begeistert von dem Vorschlag, dass sie zusammen trainieren sollten. Auch Tenten schien sich darauf zu freuen. Neji nickte nur mit dem Kopf und zeigte wieder einmal keinerlei Emotionen. Ino und Chōji hingegen starrten ihn an, als hätte er vorgeschlagen, dass sie ins Wasser springen und lieber den ganzen Weg schwimmen sollten.
„Was denn, das ist ein Teil des Missionsauftrags. Beschwert euch bei Asuma, das war sicher nicht meine Idee!“ entschuldigte Shikamaru sich halbherzig bei ihnen. Von allen Anwesenden hatte er sicherlich am wenigsten Lust, sich auf dem kleinen Deck des Schiffes und auch noch in der prallen Sonne mit den anderen schlagen zu müssen.
„Der Plan ist, dass Team Gai uns beim Taijutsu etwas Nachhilfe gibt, weil wir das in letzter Zeit vernachlässigt haben. Ich schlage vor, dass wir für den Rest des heutigen Tages erst einmal Teams zu zweit bilden und —“
Er sah Ino streng an, die gerade den Mund öffnete, vermutlich um loszuschreien, dass sie mit Neji in einem Team sein wollte (erstens weil sie genau wusste, dass Tenten sie im Taijutsu fertig machen würde, und sie sich das von einem anderen Mädchen nicht bieten lassen würde. Zweitens, weil sie sicher Angst hatte, dass Lee keine Rücksicht auf seinen Gegner nahm, egal ob er gegen ein Mädchen oder einen Bären kämpfen musste, und drittens, weil sie hoffte, dem hübschen Neji beim Trainieren körperlich näher zu kommen, die lästige Frau!).
„— Und! Die Teams werden zufällig mit Stein, Schere, Papier ausgewählt, damit es fair bleibt.“
Natürlich protestierte Ino trotzdem heftig, aber glücklicherweise ließ sie sich dennoch darauf ein.
Shikamaru hatte selbstverständlich eigene Gründe, wieso er die Teams zufällig entscheiden ließ. Er war sich fast hundertprozentig sicher, dass er vorhersehen würde, was Chōji und Ino für Handzeichen wählten, und so konnte er die Teams scheinbar dem Zufall überlassen, und musste Inos Gemecker vielleicht etwas weniger über sich ergehen lassen, als wenn er die Teams einfach eingeteilt hätte.
„Der erste Sieger ist mit Neji in einem Team, der zweite mit Tenten und der Verlierer darf mit Lee trainieren.“
Sie stellten sich zu dritt auf und Shikamaru zerquetschte wie geplant Inos und Chōjis Scheren mit seinem Stein. Ino biss sich wütend auf die Lippe, sagte aber nichts. Gegen Chōji verlor sie für Shikamaru etwas überraschend, nachdem beide Papier gewählt hatten, mit Papier gegen die Schere. Also hieß es: Shikamaru und Neji, Chōji und Tenten, Ino und Lee.
Ein bisschen leid tat Ino ihm schon.
„An Team Gai, denkt bitte daran, dass es nur Training ist und dass nicht alle Teams einen Taijutsu-besessenen Lehrer hatten, der vor nichts zurückschreckt. Ihr sollt uns einfach ein bisschen fordern, aber nicht überfordern. Und es ist auch nicht zielführend, wenn wir halbtot auf Shishiyoujima ankommen, also übertreibt es beim Kämpfen bitte nicht.“
Team Gai nickte und Shikamarus Blick streifte Nejis. Hoffentlich habe ich mich da mit meinem Trainingspartner nicht verrechnet...
Er sprach noch kurz mit Chōji und Ino über die einzelnen Trainingspunkte, auf die sie sich konzentrieren sollten. Dabei sah er im Blickwinkel, wie Neji Lee am Arm zupfte und ihm leise etwas zuraunte.
Hoffentlich verarbeiten sie uns nicht zu Brei…
Glücklicherweise schienen sich alle Teams erst einmal ganz bodenständig zu beraten, wie sie anfangen sollten. Shikamaru versuchte, nebenbei auch die anderen im Auge zu behalten, merkte aber schnell, dass er sich voll und ganz auf Neji konzentrieren musste.
Neji zeigte ihm zuerst die Fehler in seiner Grundhaltung und machte ihn darauf aufmerksam, dass Atmung und Bewegung zusammen funktionieren mussten, damit der Chakrafluss optimal laufen konnte. Er aktivierte das Byakugan und scannte Shikamaru von oben nach unten durch. Wie schon oft kam in Shikamaru wieder die Frage auf, ob die Hyuugas nicht doch durch Kleidung sehen und die Privatsphäre von allen Leuten so einfach mit Füßen treten konnten.
Aber Neji blickte durch die Oberfläche hindurch, in Shikamarus Inneres, und das machte ihn vielleicht noch nervöser, als wenn er nur seinen nackten Körper betrachtet hätte.
„Shikamaru, du musst dich viel mehr auf die Atmung konzentrieren. Du scheinst sehr abgelenkt zu sein, dein Chakrafluss macht Purzelbäume...“
Neji sagte es ruhig und bestimmt und Shikamaru fühlte sich wie ein kleines Kind, als er merkte, dass er rot wurde.
„Muss das wirklich sein? Die meisten von uns können nun mal keine Chakrapunkte oder -flüsse sehen, vergiss das nicht!“ warf er genervt zurück.
Neji sah ihm direkt in die Augen, das Byakugan wieder deaktiviert. „Nur weil du es nicht sehen kannst, heißt das nicht, dass es nicht da ist, Shikamaru! Ich weiß, dass wir Hyuugas eine andere Herangehensweise zum Taijutsu haben, aber diese Weise hat sich nun mal bewährt. Sogar Sensei Gai befolgt diese Techniken. Am Anfang klingt es vielleicht kompliziert, weil man an so vieles gleichzeitig denken muss. Aber wenn du die richtige Atmung erst einmal verinnerlicht hast und dein Chakrafluss stabil wird, ist es ganz einfach. Der Anfang ist immer harte Arbeit.“
Shikamaru stöhnte leicht: „Es sei denn, man ist so ein Naturtalent wie du, nehme ich an...“
Neji warf ihm einen verärgerten Blick zu. „Das ist nicht wahr, Shikamaru. Ich habe nur als Kind nicht viel Zeit mit anderen Dingen als Training verbracht. Ich habe eigentlich immer nur trainiert, seitdem mein Vater gestorben war. Und meistens habe ich alleine trainiert. Ich habe lange gebraucht, bis mein Körper verstanden hat, wie er sich bewegen muss. Sogar noch länger, bis mein Verstand verinnerlicht hat, dass man Körper und Geist nicht voneinander trennen kann. Du musst als eine Einheit funktionieren, aber damit das klappt, konzentrierst du dich zuerst auf die einzelnen Teile, wie zum Beispiel deine Atmung, und dann nimmst du irgendwann etwas Zweites dazu, wie eine bestimmte Bewegung. Und wenn du zwei Dinge gleichzeitig ausführen kannst, ohne mehr darüber nachdenken zu müssen, dann sind sie zu einer Einheit geworden. Je mehr du dich selbst zusammenfügst, desto einfacher wird das Kämpfen. Aber es dauert lange und ist harte Arbeit. Für jeden.“
Shikamaru hatte nicht beabsichtigt, Neji zu verärgern, aber er war frustriert und er wusste, dass er nur durch hartes und vor allem kontinuierliches Training wirklich Fortschritte im Taijutsu machen würde.
Sich auf etwas zu konzentrieren, während man etwas anderes machte… In manchen Bereichen gelang ihm das gut. Er konnte gut reden und dabei über etwas anderes nachdenken. Mittlerweile hatte er auch seine Schattentechnik besser im Griff. Aber das war ebenfalls nur das Resultat von langem und konsequentem Training.
„Wir haben aber nur ein paar Tage Zeit zum Trainieren. Ich dachte, es wäre sinnvoller, ein paar Abkürzungen zu nehmen. Zeig mir doch vielleicht einfach ein paar Bewegungsabläufe, die man als Normalsterblicher auch meistern kann.“
Neji schnaubte leise. „Wenn du die Basis nicht hast, dann kannst du auf nichts aufbauen. Du wirst niemals ein ernstzunehmender Gegner sein, wenn du gegen jemanden antrittst, der eine gute Basis hat. Gegen jemanden wie mich, oder Lee oder Tenten, hättest du niemals auch nur die geringste Chance im Nahkampf. Es gibt leider keine Abkürzungen und ich bringe dir keine fortgeschrittenen Techniken bei, wenn du die Grundlagen nicht beherrschst.“
Frustriert gab Shikamaru klein bei und so widmeten sie sich verschiedenen Atemtechniken, die einzig und allein darauf abzielten, Shikamaru das Atmen bewusster zu machen. Der sonst so zurückhaltende Neji hatte keine Scheu, Hand anzulegen. Er befahl ihm, sein Hemd auszuziehen und drückte seine Handflächen nacheinander auf verschiedene Stellen, auf Shikamarus Rücken, seine Seiten, seine Brust und seinen Bauch, während er tief ein- und ausatmete.
Es fühlte sich mit der Zeit irgendwie beruhigend und seltsam vertraut an.
Neji lobte ihn leise, wenn die Atmung und der Chakrafluss harmonierten, und gab ihm ab und zu neue Anweisungen, worauf er sich beim Atmen konzentrieren sollte.
Eigentlich war das Training gar nicht so schlecht. Ein wenig ablenkend waren Lees Rufe, der anscheinend Ino anfeuerte, die gerade dabei war, ein komplett anderes Training zu absolvieren als Shikamaru. So ungefähr hatte er sich seine Arbeit mit Neji vorgestellt. Verschiedene Kampftechniken vorgezeigt bekommen, nachmachen und kurze Übungskämpfe zum Ausprobieren.
Tenten und Chouji schienen Taijutsu mit seiner Fähigkeit der Teilvergrößerung zu kombinieren und Tenten sah aus, als hätte sie großen Spaß aufgrund der ungewohnten Möglichkeiten.
Nachdem ungefähr drei Stunden vergangen waren, legte Neji Shikamaru, der nun auf dem Rücken auf dem Boden lag, die Handflächen an die Schläfen und drückte leicht massierend. Es fühlte sich so angenehm an. Die Atemluft bahnte sich ihren Weg durch Shikamarus Körper und Nejis Finger an seinen Schläfen betäubten seine Gedanken. Es fühlte sich an, als wäre er in eine große Wolke aus Watte eingehüllt. Shikamaru summte leicht und hatte das Gefühl, gleich einzuschlafen.
„Vielleicht ist es an der Zeit, das Training für heute zu beenden. Ino sieht aus, als wäre sie kurz davor, Lee gleich über Bord zu werfen.“
Shikamaru öffnete die Augen und sah Nejis Gesicht direkt über sich, ein kleines Schmunzeln auf den Lippen. Hastig richtete sich Shikamaru auf und drehte sich zu Ino um. Sie sah Lee mit einem Blick an, als würde sie ihn am liebsten erwürgen.
„Hey Leute, Schluss für heute!“ rief Shikamaru und stolperte zu ihnen rüber. Sein Körper fühlte sich immer noch seltsam benommen an. Ino musterte kurz seinen nackten Oberkörper, warf Shikamaru einen absolut giftigen Blick zu, stapfte ohne ein Wort zu sagen los und verschwand unter dem Deck.
„Was ist denn mit der los?“, erkundigte sich Shikamaru. Lee ließ die Mundwinkel hängen und sagte entschuldigend: „Ich glaube, ich bin nicht der beste Lehrer. Sie war gar nicht so schlecht beim Kämpfen. Aber Tenten ist das einzige Mädchen, mit dem ich bisher gekämpft habe und da kommt sie nicht mal annähernd ran. Dann hab ich gesehen, dass ihr beide Atemtechniken übt und habe vorgeschlagen, dass wir das auch probieren können, weil sie sich immer nur beschwert hat, dass ihr alles zu anstrengend sei. Kann sein, dass sie es nicht so gut fand, als ich meinte, dass es am besten klappt, wenn sie auch ihr Oberteil auszieht.“ Er fuchtelte abwehrend mit den Händen herum. „Tenten hat das immer gemacht, sie hat immer ein Top drunter, deshalb dachte ich nicht, dass der Vorschlag sie so wütend macht. Ich hab mich tausendmal entschuldigt, aber sie hat mich dann nur noch ignoriert.“
Shikamaru sah, dass es ihm aufrichtig leid tat. Ino war in letzter Zeit oft etwas schwierig, vor allem, wenn sie nicht bekam, was sie wollte. Shikamaru bezweifelte aber, dass Tenten ein besserer Trainingspartner für sie gewesen wäre und auch wenn Nejis Trainingsansatz ihn anfangs noch frustriert hatte, wollte er jetzt auf keinen Fall mehr den Partner tauschen.
Er würde nachher noch einmal mit Ino darüber reden und ihr die Vorteile vom Trainieren mit Lee darlegen. Mithilfe von ein paar Komplimenten, wie toll sie sich heute geschlagen hätte, würde sie ihren Zorn bestimmt bald vergessen.
„Ist das Training für heute vorbei?“ Chouji und Tenten gesellten sich zu den anderen. Man sah ihnen an, dass sie sich viel bewegt hatten, ihre Gesichter waren rot von der Anstrengung. Aber Chouji sah ziemlich zufrieden aus und auch als Shikamaru ihm mitteilte, dass es wohl erst in einer Stunde Abendessen geben würde, maulte er nicht herum.
„Sag mir Bescheid, falls Ino das Badezimmer besetzt, es kann sein, dass sie sich jetzt erstmal zwei Stunden lang frisch machen muss.“ warnte Shikamaru Tenten. Tenten lachte nur und sagte: „Das macht nichts, bestimmt kann sie eine Abkühlung jetzt gut gebrauchen.“ Chouji kicherte laut und Shikamaru warf ihm einen fragenden Blick zu, der aber nicht ankam, weil Chouji nur Tenten anstrahlte.
Was war denn zwischen denen vorgefallen?
Zum Glück hatte Ino anscheinend nicht vor, das Badezimmer zu besetzen. Nach ein paar Minuten kam sie mit frisch gewaschenen Haaren schon wieder aufs Deck und legte sich dort auf eine Bank in die Sonne. Shikamaru, der wohl von allen, außer Neji, am wenigstens geschwitzt hatte, hielt es nicht für nötig sich am Kampf um das einzige Badezimmer zu beteiligen und setzte sich zu Ino.
„Hey Ino, ist alles ok?“ Ino würdigte ihn keines Blickes und blieb einfach entspannt liegen. Dann antwortete sie mit betont ruhiger Stimme: „Ich weiß genau, dass du das mit den Teams absichtlich gemacht hast! Du schlägst uns immer in diesem blöden Spiel!“
Shikamaru wusste, dass Lügen jetzt nicht besonders sinnvoll gewesen wäre. „Tut mir leid, Ino. Ich dachte einfach, dass Neji mir von den dreien am ähnlichsten ist und mir deswegen am besten helfen kann. Und da ich mir nicht sicher war, wer von den anderen beiden dir lieber ist, wollte ich es dem Zufall überlassen. Meinst du denn, das Training mit Lee bringt dich wirklich gar nicht weiter?“
Ino versetzte ihm einen kleinen Hieb in die Seite und seufzte dann. „Er ist nicht ganz so schlimm, wie ich vorher gedacht hatte. Aber ich muss es mir nicht gefallen lassen, dass er mich beim Trainieren angrapscht!“
Shikamaru zog eine Augenbraue hoch. „Hat er das denn versucht?“
Ino schmollte. „Nein, hat er nicht. Zumindest nicht, bis er vorgeschlagen hat, Neji und dich nachzuahmen. Du hast es dir ja gut gehen lassen mit deiner Massage.“
Shikamaru starrte hinaus auf den weiten Horizont und die vereinzelten Wölkchen, die sich langsam rosa färbten. „Das sah vielleicht von außen entspannt aus, aber es war wirklich total anstrengend.“
Ino lachte nur trocken, erwiderte aber nichts.
Es war auch nur halb gelogen, denn anfangs war es Shikamaru tatsächlich sehr schwer gefallen, sich nur auf seinen Körper zu konzentrieren. Aber Neji war ein unglaublich guter Lehrer gewesen und irgendwie hatte er ihm geholfen, sich auf die Aufgabe einzulassen. Der sanfte Druck seiner Handflächen auf seiner Haut hatte ihn irgendwie beruhigt. Er konnte sich nicht vorstellen, dass Neji mit Ino so hätte arbeiten können. Aus verschiedenen Gründen.
„Hast du mitbekommen, wie Tenten Chouji um den Finger gewickelt hat? Er sollte wirklich aufpassen, sich nicht gleich in jedes Mädchen zu verknallen, das nett zu ihm ist!“
Inos Ton war wieder betont gleichgültig, aber Shikamaru konnte spüren, wie sehr es sie störte. Nicht, dass sie eifersüchtig war, dass Chouji romantische Gefühle für jemanden haben könnte. Er war wie ein Bruder für Ino und das würde sich bestimmt auch niemals ändern. Genauso wie Ino für Shikamaru wie eine Schwester war. Eine lästige Schwester, die ihn oftmals seinen letzten Nerv kostete, aber im Grunde genommen mochte er sie wirklich gerne und konnte sich nicht vorstellen, langfristig auf sie verzichten zu müssen.
Aber Ino war anderen Mädchen gegenüber meist, und aus Shikamarus Sicht völlig unbegründet, extrem misstrauisch. Wenn nicht sogar regelrecht feindselig.
Gerade bei Chouji reagierte sie furchtbar beschützerisch, sobald er in Kontakt mit einem anderen Mädchen kam, was auch nicht oft passierte. Vielleicht machte sie sich Sorgen, dass er ausgenutzt werden könnte, weil er einfach ein viel zu guter Mensch war. Und so sehr sie ihn auch mochte, konnte sie sich vermutlich trotzdem nicht vorstellen, dass ein Mädchen ernsthaft an ihm Interesse hatte, weil er nun einmal nicht gerade der attraktivste Junge war, mit seinen immer vollgestopften Backen und seinem dicken Bauch.
Shikamaru rutschte auf der Bank etwas weiter nach unten und streckte seine Beine auf dem Boden aus. „Lass ihn doch ein bisschen Spaß haben. Nur weil er gute Laune hat, ist er noch lange nicht gleich verliebt. Chouji interessiert sich doch sowieso nur fürs Essen, da hat ein Mädchen gar keinen Platz.“
Ino kicherte leise. Dann öffnete sie ein Auge und blickte Shikamaru daraus streng an. „Unser Missionsleiter hat vermutlich nicht geplant, dass wir die Trainingspartner morgen wechseln, oder? Ich könnte auch ein wenig Auffrischung in Atemtechniken gebrauchen, weißt du?“
Diese Frage musste ja jetzt kommen.
Natürlich hatte Shikamaru den Gedanken in Erwägung gezogen, aber nachdem sein Training mit Neji ihm nun doch recht gut gefallen hatte und er auch seiner Argumentation, zuerst die Basis zu festigen, nichts entgegensetzen konnte, machte es keinen Sinn, am nächsten Tag mit jemand anderem zu üben. Selbst wenn alle drei die gleiche Grundausbildung bei Sensei Gai durchlaufen hatten, waren sie in ihren Ansätzen und der Vorgehensweise so unterschiedlich, dass Shikamaru jeden Tag wieder von vorn beginnen würde. Außerdem schien das Training mit Tenten Chouji in Bestlaune versetzt zu haben. Da würde Ino wohl leider in den sauren Apfel beißen müssen.
„Sorry Ino, ich weiß, dass Lee echt eine Nervensäge sein kann. Aber ich denke, dass er für dich der beste Trainer ist. Neji würde sich bei einem Mädchen bestimmt viel zu sehr zurückhalten und du weißt genau, dass du dich mit Tenten schon nach ein paar Minuten in den Haaren hättest. Abgesehen davon bist du von uns dreien die Beste, was sowas wie Atemtechniken, Körperhaltung und ähnliche basale Dinge angeht. Ich meine es wirklich ernst, ich habe heute gemerkt, dass ich beim Trainieren die ganze Zeit das Wichtigste übergangen habe. Und ich weiß nicht, wie Neji das hinkriegt, aber ich bin sogar ein bisschen motiviert, es morgen weiter zu versuchen!“
Ino seufzte und richtete sich auf, so dass sie nun neben Shikamaru saß. „War ja klar, dass Mister Oberperfekt ein gaanz toller Lehrer ist! Aber mach dir keine Sorgen, Shikamaru. Ich komme schon mit Lee zurecht. Ich kann ihn einfach nicht besonders leiden. Wer in Sakura verknallt ist, muss schon einen ziemlichen Schaden in seinem Gehirn haben, meinst du nicht auch?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, stand sie auf und machte sich wieder auf den Weg nach unten.
Shikamaru war froh, dass alle einverstanden waren, den Abend zum Ausruhen zu nutzen. Nachdem die Sonne untergegangen war, kam ein kalter Wind auf und verbannte sie in den kleinen Essbereich unter Deck. Das hieß, Shikamaru saß kurz dort mit Chouji, der nun anscheinend doch einen Anfall von Hunger hatte, Tenten und Lee, der sie alle vollplapperte mit Geschichten über vergangene Missionen und Heldentaten von Sensei Gai, den er absolut vergötterte. Shikamaru fragte sich, ob Lee sich wirklich schon wieder komplett von seinen Verletzungen aus den Kämpfen mit Gaara und Kimimaro erholt hatte. Er machte jedenfalls keine Anstalten, ihm das Gegenteil zu beweisen.
Neji war nirgends zu sehen und Ino war früh ins Bett gegangen. Auch als Shikamaru aufstand, um sich in dem kleinen Badezimmer fürs Bett fertig zu machen und als er versuchte, es sich oben in seiner kleinen Koje einigermaßen gemütlich zu machen, war von Neji keine Spur.
Bevor er einschlief, fiel ihm plötzlich wieder ein, wie nahe Nejis Gesicht vorhin an seinem gewesen war, als er ihn am Ende des Trainings aus seiner Trance weckte. Ein warmes Gefühl breitete sich in seinem ganzen Körper aus und er versuchte, sich auf seine Atmung zu konzentrieren und dachte noch einmal an Nejis ruhige Stimme, die ihm Anweisungen gab.
In der Nacht wachte er ein paarmal auf, weil das Schiff krachte und ächzte, oder weil Lee im Schlaf ein Geräusch von sich gab, das klang, als hätte er jemanden geschlagen. Er richtete sich auf und versuchte zu erkennen, ob die Koje neben ihm noch immer leer war, aber es war pechschwarz in ihrer Schlafkabine. Shikamaru überlegte kurz, ob er Neji vorsichtig antippen könnte, wollte ihn aber nicht erschrecken. Also legte er sich wieder hin und fiel in einen unruhigen Schlaf.
Chapter Text
Am nächsten Tag erwachte Shikamaru mit einem flauen Gefühl im Magen aus einem unruhigen Traum. Um ihn herum schwankte alles. Er blickte sich kurz in der Kabine um, aber die anderen waren schon aufgestanden. Als er ziemlich wacklig von seiner Koje heruntergeklettert war, wollte er die Tür zum Badezimmer öffnen. Natürlich war sie verschlossen.
„Lästig...“, murmelte er vor sich hin und spürte, wie sich ihm der Magen unangenehm hob, als das Schiff kurz zu fallen schien.
„Shikamaru, komm lieber hoch, an der frischen Luft fühlt man sich ein bisschen besser!“
Ino hatte von außen die Tür zum oberen Deck geöffnet und lugte die steile Treppe herunter.
Ihre langen blonden Haare peitschten im Wind um ihr Gesicht, und sie versuchte vergeblich, sie mit einer Hand etwas im Zaum zu halten.
„Zieh dir bloß den Regenmantel über, sonst bist du innerhalb von ein paar Sekunden plitschnass hier oben!“
Shikamaru grummelte weiter und holte seinen Mantel, wobei er abwechselnd von einer zur anderen Seite schwankte. Er kletterte nach oben und trat hinaus in den tobenden Sturm. Die anderen saßen neben der Tür unter der kleinen Überdachung, die bei diesem Wind aber nicht viel Schutz vor dem Regen bot. Lee, Tenten und Chouji, der wohl gerade noch im Bad war, hatte die Seekrankheit am schlimmsten erwischt, während Ino noch recht munter zu sein schien und Neji einfach genauso war wie immer.
Shikamaru musste Ino recht geben, draußen an der frischen Luft fühlte er sich etwas besser. Aber der Wind war eiskalt, und obwohl sie alle ihre Kapuzen tief ins Gesicht gezogen und ihre Mäntel um sich geschlungen hatten, froren sie. Tenten klammerte sich zitternd an Lees Arm, der sich wiederum an einen Holzeimer klammerte, den er vor sich auf dem Schoß stehen hatte.
Shikamaru setzte sich neben Neji, der noch ein wenig zur Seite rutschte, um Platz zu machen.
„Wenn das Wetter so bleibt, können wir unser Training heute vergessen!“, rief Shikamaru und stellte überrascht fest, dass ihn der Gedanke etwas enttäuschte. Neji hatte seine Sache gestern wirklich zu gut gemacht.
„Nein, das kommt überhaupt nicht in Frage!“, erwiderte Lee laut und vergaß für einen Moment, wie elend er sich gerade fühlte.
„Wir dürfen uns von diesem Windchen nicht unsere Pläne durchkreuzen lassen! Wenn wir gemeinsam dagegen ankämpfen, schaffen wir es. Ich habe dir versprochen, ein guter Lehrer zu sein, Ino, und Sensei Gai würde in dieser Situation auch nicht einfach aufge...“
Entsetzt verstummte er und beugte sich über seinen Eimer.
„Igitt!“, rief Ino und drehte sich weg. Auch Tenten, die Lees Arm losgelassen hatte, wich etwas zurück, sah aber so grün aus im Gesicht, als bräuchte sie den Eimer gleich als Nächste.
Wenn Shikamaru selbst nicht auch so übel gewesen wäre, hätte ihn ihre Lage vielleicht amüsiert. Aber gerade wünschte er sich nichts mehr, als sich einfach übergeben zu können, damit er sich danach wenigstens kurzzeitig etwas besser fühlte.
Neji beugte sich leicht zu Shikamaru herüber und sagte:
„Ein bisschen könnten wir das Training trotzdem weiterführen, wenn du magst.“
Als Shikamaru ihn fragend ansah, fügte er hinzu:
„Wenn du es schaffst, dich wie gestern auf deine Atmung zu konzentrieren, könnte ich versuchen, deinen Chakrafluss so zu stimulieren, dass dir der Seegang nicht mehr so zu schaffen macht. Ich denke nur, damit wir auch Erfolg haben, sollten wir runtergehen. Hier draußen ist es zu laut und zu kalt.“
Das hörte sich natürlich nicht schlecht an. Shikamaru zuckte mit den Schultern.
„Von mir aus gerne, viel schlimmer kann es ja nicht mehr werden.“
Neji nickte und stand auf.
Nachdem sie den anderen ihre Pläne mitgeteilt hatten, machten sie sich auf den Weg nach unten. Drinnen war es zwar nicht gerade leise, aber es machte einen großen Unterschied, dass der Wind ihnen nicht mehr direkt um die Ohren pfeifen konnte. Dafür nahm Shikamaru das schreckliche Hin- und Herschwanken des Schiffes hier unten noch viel stärker wahr.
Er entdeckte Chouji, der mit einer Tüte Chips am Esstisch in der Ecke saß und fröhlich mampfte. Als Chouji die beiden sah, winkte er mit der Tüte und rief:
„Shikamaru, ich habe einen echt guten Trick herausgefunden. Wenn du die ganze Zeit ununterbrochen isst, dann bleibt keine Zeit mehr dafür, dass dir schlecht werden kann!“
Shikamaru seufzte. „Ein Wunder, dass du überhaupt noch was von deinem Knabberkram übrig hast. Aber bei deinem Tempo ist das bis zum Mittag alles aufgefuttert, und dann bringt dir dein Trick auch nichts mehr."
Chouji schüttelte den Kopf und murmelte: „Bis dann ist das Unwetter ja vielleicht schon vorbei.“
Woraufhin Neji antwortete: „So wie der Sturm draußen gerade tobt, wird es wohl mindestens bis abends auch noch so weitergehen.“
Und mit einem Nicken zu Shikamaru, das wohl bedeuten sollte, dass sie nun mit dem Training beginnen sollten, stand er auf.
„Willst du was abhaben?“, fragte Chouji und hielt Shikamaru die Chipspackung unter die Nase.
„Nee danke, ich glaube, ich bin ganz froh, wenn ich nicht so viel im Magen habe. Außerdem will Neji jetzt unbedingt unser Training weiterführen. Wir sehn uns nachher!“
Chouji schmollte, als Shikamaru aufstand und Neji hinterherlief. „Ja klar, lass mich hier alleine sitzen...“
Da in ihrem Zimmer viel zu wenig Platz war, bestimmten sie den schmalen aber langen Flur zu ihrem Trainingsplatz. Die Schiffsbesatzung war bei dem Sturm ohnehin oben auf dem Deck beschäftigt und sollte sich durch sie nicht gestört fühlen. Neji bedeutete Shikamaru, sich auf den Boden zu legen. „Es ist zwar nicht gerade der ideale Platz für unser Training, aber das können wir uns gerade nicht aussuchen. Wenn du es schaffst, dich wirklich gut zu konzentrieren, klappt es vielleicht. Lass dich nicht zu sehr von den Wellen ablenken, ich halte dich fest.“
Shikamaru kam es ziemlich doof vor, sich hier mitten im Flur einfach auf den Boden zu legen. Hätte er mit jemand anderem trainiert, hätte er sich vermutlich geweigert. Aber da Neji eigentlich immer alles ernst meinte, was er sagte, tat Shikamaru, wie ihm geheißen wurde. Er schloss seine Augen und versuchte, seinen Atem ruhig und gleichmäßig ein- und ausströmen zu lassen. Er spürte, dass Neji seine Hände auf seine Seiten legte und ihn mit leichtem Druck festhielt.
Es war anfangs tatsächlich alles andere als einfach, sich auf die eigene Atmung zu konzentrieren. Der Sturm tobte und das Schiff wurde auf dem Meer herumgeworfen. Shikamaru stellte sich vor, wie er auf dem schwankenden Boden hin und hergerollt wäre, wenn Neji ihn nicht festgehalten hätte. Das Knarren und Ächzen des Schiffes machte es Shikamaru schwer, seinen Atem zu hören, was die ganze Sache noch erschwerte. Und dann meldete sich auf einmal die Übelkeit wieder. „Ich versuche dich rechtzeitig zu warnen, aber ich kann nicht versprechen, dass ich mich nicht plötzlich übergeben muss."
Choujis Schnauben direkt hinter ihm ließ Shikamaru seine Augen wieder öffnen.
„Hast du gerade echt übergeben gesagt? Ich dachte, du findest, das sagen nur ganz schnöselige Leute!“
Chouji hockte hinter Shikamaru auf dem Flur und zerquetschte seine Chipstüte vor lauter Lachen. Neji, der etwas verärgert wirkte, weil Chouji ihr Training gestört hatte, fragte genervt: „Was soll denn daran so komisch sein?“
Chouji hörte sofort auf zu lachen und blickte etwas hilflos zu Shikamaru. Er war es nicht gewöhnt, dass Neji mit ihm sprach. Um es genauer zu sagen: er hatte vermutlich immer noch ein bisschen Angst vor ihm. Vor der Sasuke-Rückhol-Mission hatte er nie etwas mit Neji zu tun gehabt. Er wusste im Grunde nur von ihm, dass er Hinata beinahe getötet hatte. Ältere Schüler waren ihm sowieso irgendwie unheimlich und da Neji auch bisher noch nie nette Worte an ihn verloren hatte, mied er ihn so gut es ging.
Als Shikamaru nichts erwiderte lief Chouji leicht rosa an und murmelte: „Naja, normale Leute sagen doch nicht Oh nein, ich muss mich gleich übergeben, das heißt Achtung, ich kotze gleich!“
Shikamarus Blick schoss sofort zu Neji, der das offensichtlich nicht besonders witzig fand. Er blickte Chouji nur genervt an und sagte kalt: „Ach, sagen normale Leute so etwas also?“
Chouji schwieg und nickte leicht, wobei er Nejis Blick auswich. Shikamaru hatte ein schlechtes Gewissen. Er hatte überhaupt nicht gemerkt, dass er seine Worte an Nejis Art zu sprechen, die so viel erwachsener war, als er es von seinen Freunden gewohnt war, angepasst hatte.
„Chouji, tut mir echt leid, aber könntest du uns vielleicht kurz in Ruhe trainieren lassen? Es sieht vielleicht nicht so aus, aber es ist gerade auch so schon schwer genug, mich zu konzentrieren.“
Chouji blickte ihn enttäuscht an und stand auf, um zu gehen. „Ja klar, sorry.“
„Bis später!“, rief Shikamaru ihm noch schnell hinterher und hoffte, dass Chouji es ihm nicht übel nehmen würde. Er würde nachher noch einmal mit ihm darüber reden, wenn es sein musste.
„Dann können wir ja nun weitermachen.“, sagte Neji und Shikamaru schloss erneut seine Augen.
Notes:
Hey, hier ist also nun Kapitel Nummer 6 :) Ich werde versuchen, das siebte schon am Mittwoch hochzuladen, weil ich am Wochenende auf der Animagic in Mannheim sein und deshalb keine Zeit haben werde.
Dieses Kapitel ist ein wenig kürzer geraten, aber das nächste wird wieder etwas länger sein.
Wie immer hoffe ich, dass es euch gefällt und freue mich sehr über Kommentare. Es bedeutet mir sehr viel, dass ihr meine Fanfiction lest, danke <3
Chapter Text
Friedhof
Ein leises Miauen riss Shikamaru aus seinen Gedanken. Er drehte sich um, konnte die Katze aber nicht ausfindig machen. Shikamaru fröstelte leicht. Die Sonne war nun untergegangen und jetzt wurde es sehr schnell dunkel und kühl. Er hatte zwar noch eine warme Jacke dabei, aber die ganze Nacht wollte er dann doch nicht auf dem Friedhof verbringen. Trotzdem hatte er das Gefühl, sich mit der Situation langsam etwas wohler zu fühlen. Vielleicht lag es daran, dass, selbst wenn um diese späte Stunde jemand zum Friedhof käme, diese Person ihn wahrscheinlich gar nicht bemerken würde. Die sich ankündigende Dunkelheit war ihm sehr willkommen, vielleicht half sie ihm sogar bei seiner selbstauferlegten Mission. Er rutschte auf seinem kleinen Hocker hin und her und versuchte, sich in eine bequemere Position zu bringen.
Neji hatte es damals auf der Mission geschafft, ihm die Grundlagen des Taijutsu zu vermitteln. Nicht, dass Shikamaru in letzter Zeit einen dringenden Grund gehabt hätte, Taijutsu zu benutzen, aber ihm wurde bewusst, wie wenig er diese Grundlagen beachtet hatte. Sicher, manches davon war automatisch in seine Bewegungen und Jutsus übergegangen und hatte seine Angriffe zweifellos verstärkt. Aber Neji hatte mal erwähnt, dass bestimmte Atemtechniken es nicht nur erleichterten, den Chakrafluss positiv zu beeinflussen, sondern auch negative Emotionen und Stress abbauen konnten. Vielleicht sollte er in nächster Zeit öfter wieder von diesem Wissen Gebrauch machen. Auch wenn es sich irgendwie falsch anfühlte, eine Technik, die Neji ihm gezeigt hatte, zu nutzen, um ihn zu vergessen…
Shikamaru stutzte kurz in seinen Überlegungen. War es das, was er wollte? Wollte er Neji vergessen?
Das hatte er jahrelang doch eigentlich ziemlich erfolgreich getan. Er lebte vor sich hin, ohne einen Gedanken an seinen verstorbenen Freund zu verschwenden. Er hatte seinen Vater oder Asuma doch auch nicht vergessen. Und obwohl er sich an Asumas Tod sehr wohl schuldig gefühlt hatte, konnte er irgendwie seinen Frieden damit schließen. Natürlich glaubte er auch, dass es ihm dabei sehr geholfen hatte, Asuma zu rächen, indem er Hidan für seine Verbrechen förmlich auseinanderriss. Aber was noch wichtiger war, er hatte sich erlaubt, um ihn zu trauern.
Hatte er, von den Träumen, die ihn in letzter Zeit plagten, mal abgesehen, jemals eine Träne um Neji vergossen?
Wir standen uns nie nahe genug. Ich bin nicht der emotionale Typ, wieso sollte ich um jemanden weinen, der bestenfalls ein guter Bekannter war?
Aber diese Gedanken fühlten sich an wie eine Lüge. Etwas, das Shikamaru zu sich selbst sagte, um sich nicht mit der Wahrheit beschäftigen zu müssen. Eine Möglichkeit, wieder einfach nur davonzulaufen.
Je mehr er von Neji träumte und je mehr er nun an ihn dachte, wurde ihm klar, dass da zwischen Neji und ihm doch etwas gewesen war. Etwas besonderes, das er niemals in seinem Leben so wieder erlebt hatte. Wenn er diese Sache hier überwinden wollte, musste er ihr auf den Grund gehen und sich seiner Vergangenheit stellen.
Da hörte er das Miauen wieder. Diesmal war es lauter und schien von vorne zu kommen. Shikamaru hielt den Atem an und lauschte gespannt. Da tauchte direkt hinter Nejis Grabstein eine Katze auf. Ihre Augen leuchteten gespenstisch, wenn sie das Licht der einzelnen Laterne, die hinten am Weg stand, spiegelten. Sie rieb sich am Stein und kam dann direkt zu Shikamarus Hocker herüber, wo sie sich an seine Beine schmiegte.
Shikamaru konnte ihre Fellfarbe nicht genau erkennen, aber irgendwie hatte die Katze etwas tröstliches an sich. Er streckte die Hand aus und hielt sie vorsichtig hin, damit die Katze an ihr schnuppern konnte. Sie hielt kurz inne und drückte dann die Stirn an seine Hand und begann zu schmusen. Shikamaru streichelte sie vorsichtig und ließ seine Gedanken weiter schweifen.
Unruhige Gewässer
Irgendwie hatte Neji es geschafft – auch wenn er jedes Mal betonte, dass es ohne Shikamarus Zutun nicht geklappt hätte – so auf Shikamarus Gleichgewichtssinn einzuwirken, dass ihm nicht mehr so übel war. Natürlich blieb ein leichtes flaues Gefühl in seinem Magen zurück und auch das Schwanken des Schiffes war nicht weniger lästig, aber er fühlte sich wieder mehr wie ein Mensch.
„Wieso können deine Teamkollegen sich nicht auf diese Art von der Seekrankheit befreien?“, fragte Shikamaru, als er mit Neji und Chouji am Esstisch saß und ein Sandwich verdrückte.
Neji schluckte einen Bissen herunter und sagte dann: „Dafür muss man sein eigenes Chakranetz gut kennen und regulieren können. Die beiden sind zwar hervorragende Taijutsu-Beherrscher, aber ohne das Byakugan ist es fast unmöglich, vor allem unter den gegebenen Umständen.“
Shikamaru nickte und fragte sich insgeheim, warum Neji ihnen dann nicht so half, wie er es bei ihm getan hatte. Aber er sprach seine Gedanken nicht aus, Neji würde schon seine Gründe dafür haben.
Der Regen hörte irgendwann am späten Nachmittag auf und als es dunkel wurde, legte sich auch der Sturm ein wenig. Shikamaru und Chouji gesellten sich zu den anderen in die kleine Sitzecke mit dem Esstisch, während Neji sich in das Schlafzimmer zurückzog, um zu meditieren.
Als Shikamaru und Chouji sich zu ihnen setzten, war Ino gerade damit beschäftigt, Tenten zu erklären, wieso Sakura niemals einen Freund haben würde. Tenten wirkte leicht irritiert, hörte ihr aber aufmerksam zu und nickte ab und zu unbeholfen.
Plötzlich schlug Lee entrüstet mit den Fäusten auf den Tisch und rief: „Das ist doch nicht wahr, Sakura ist ein tolles Mädchen! Wer auch immer der Glückliche sein mag, für den sie sich entscheidet, er wird eine tolle Ehefrau haben.“
Ino sah ihn an, als wäre er ein Kind, das die Erwachsenen bei ihren wichtigen Gesprächen unterbrochen hatte. „Willst du denn gar nicht sagen, dass du derjenige sein wirst?“, fragte sie in einem kühlen Ton.
Lee zuckte mit den Schultern und antwortete: „Naja, sagen würd ich es schon gerne, aber ich bin auch nicht blöd. Ich weiß, dass Sakura immer noch in Sasuke verknallt ist und dass sie bestimmt noch ein bisschen Zeit braucht, um ihn zu vergessen. Aber in der Zwischenzeit werde ich noch viel härter trainieren und irgendwann ändert sie ihre Meinung vielleicht.“
„Lee, vielleicht ist es…“ setzte Tenten gerade an, als sie von Inos lauter Stimme unterbrochen wurde.
„Sasuke würde sich sowieso niemals für so ein brutales, unweibliches Mädchen interessieren. Bestimmt ist er überhaupt nur fortgegangen, um ihr aus dem Weg zu gehen. Wenn er zurückkommt, wird er sie ohnehin längst vergessen haben.“
Shikamaru stöhnte innerlich auf und warf Chouji einen gequälten Blick zu. Der Gedanke an Sasuke hinterließ immer noch ein unangenehmes Gefühl des Versagens in ihm. Und Inos realitätsferne Spekulationen über den Grund seines Weggangs machten es nicht besser.
Chouji lächelte Shikamaru an, aber irgendwie wirkte er nervös. Anders als sonst, wenn er seine Vorräte an Snacks schon aufgebraucht hatte, jammerte er aber auch nicht herum, was Shikamaru irgendwie seltsam vorkam.
„Ein bisschen nervig ist es schon, wenn man auf den bestaussehendsten Typen im ganzen Dorf steht. Ich habe vor kurzem gehört, wie zwei Mädchen, die ich noch nie vorher gesehen habe, in unserem Blumenladen über ihn geredet haben. Die eine war total entsetzt, als die andere ihr gesagt hat, dass Sasuke nicht mehr in Konoha sei. Die sahen beide sowas von mittelmäßig und langweilig aus, die hätten sowieso nie eine Chance bei Sasuke gehabt.“
Tenten lachte nervös. Sie schien sich mit diesem Thema nicht sehr wohl zu fühlen. Vielleicht war es auch nur Ino, die ihr zu schaffen machte?
„Was ist eigentlich mit dir, Tenten? Bist du auch so ein Sasuke-Fan?“
Shikamaru glaubte kurz, dass ihm sein Gehirn einen Streich gespielt hatte. Hatte der sonst so schüchterne Chouji wirklich gerade ein Mädchen danach gefragt, was für einen Jungen sie mochte?
Tenten schüttelte den Kopf und lachte unsicher. „Ich bin da nicht so wie die meisten Mädchen, glaube ich. Ich interessiere mich nicht gleich für einen Kerl, nur weil er gut aussieht. Ich denke, ich muss ihn dafür besser kennen, und Sasuke kannte ich eigentlich gar nicht.“
Ino zog die Augenbrauen hoch und fragte irritiert: „Aber wenn es nur ums Aussehen geht, findest du doch auch, dass Sasuke am besten aussieht, oder? Also von den Jungs in unserem Alter.“
Tenten warf Lee einen flüchtigen Blick zu und sagte dann: „Ich finde Neji sieht besser aus, aber vielleicht ist das auch nur, weil ich ihn besser kenne!“
„Neji sieht ja auch viel besser aus als Sasuke, das ist ja wohl klar!“, rief Lee und klopfte Tenten kameradschaftlich auf die Schulter.
Während Ino anfing, die arme, immer röter werdende Tenten auszufragen, ob zwischen ihr und Neji etwas sei, und Lee immer aufgebrachter anfing mit den Armen herumzufuchteln und Ino zu erklären, dass die beiden wie Geschwister seien, beobachtete Shikamaru seinen besten Freund, der tatsächlich enttäuscht zu sein schien, dass Tenten nicht seinen Namen genannt hatte. Hatte Ino etwa Recht und er hatte sich tatsächlich irgendwie in Tenten verknallt?
Bitte nicht, das bringt nur Ärger und Stress…
„Wie auch immer“, wimmelte Ino Lee ab, „Neji sieht schon nicht schlecht aus, aber er ist viel zu arrogant und abgehoben!“
Bevor er sich stoppen konnte, rutschte Shikamaru heraus: „Dieses Problem hat Sasuke ja zum Glück gar nicht.“
Er bereute es sofort, eigentlich hatte er sich aus dieser ganzen Angelegenheit heraushalten wollen.
Ino funkelte ihn giftig an, entschied sich dann aber, ihn zu ignorieren und fuhr unbeirrt weiter: „Ich wette, Neji interessiert sich überhaupt nicht für Mädchen. Der hat doch wirklich ganz andere Probleme. Er hätte die arme Hinata beinahe umgebracht, nur weil sie aus der besseren Familie kommt. Ich will euch ja nicht zu nahe treten, aber wenn ich so richtig darüber nachdenke, bin ich ziemlich froh, dass er nicht mein Trainingspartner ist. Er scheint auf Frauen ja überhaupt keine Rücksicht zu nehmen.“
Während Lee aufsprang und begann, seinen besten Freund zu verteidigen, veränderte sich Tentens Miene von Unsicherheit zu Wut. Sie holte gerade tief Luft, um Ino die Meinung zu sagen, als Shikamaru die Stimme erhob.
„Okay Leute, das reicht jetzt, wir sind nicht auf dieser Mission, um uns zu streiten!“
Ino wirbelte zu ihm herum. „Du hast dich ja anscheinend echt toll mit ihm verstanden, Shikamaru! Sogar heute habt ihr trainiert. Ausgerechnet du, dem sonst jede Ausrede recht ist, um sich vor dem Training zu drücken. Ich kann nur hoffen, dass du nicht auch noch so ein arrogantes Arschloch wirst!“
Das war der Augenblick, in dem Tenten nun doch explodierte. „Hör auf, so über Neji zu reden! Du weißt überhaupt nichts über ihn. Nur weil er sich nicht für dich interessiert, heißt das noch lange nicht, dass er arrogant ist. Du bist längst nicht so toll, wie du denkst, Ino! Ist doch wirklich peinlich, dass du dich mitten in den Chuunin-Prüfungen an ihn rangemacht hast!“
Ino lief rot an vor Wut. Beide waren aufgesprungen und sahen so aus, als wären sie kurz davor, aufeinander loszugehen.
„Das war nur eine rein strategische Maßnahme innerhalb der Prüfungen, ich habe kein solches Interesse an Neji. Schlimm genug, dass er das anscheinend überall rumerzählt hat. Er scheint sich ja ganz schön was darauf einzubilden!“
Tenten knurrte sie an. „Das hat er nicht herum erzählt, das weiß ich von Chouji!“
Ino sah aus, als hätte sie sich an ihrer Spucke verschluckt.
Shikamaru spürte, wie Chouji neben ihm zu einem Häufchen Elend zusammenschrumpfte, bevor Ino auch nur angefangen hatte, ihm die Meinung zu sagen.
Shikamaru wollte am liebsten einfach aufstehen und sich in der Schlafkabine verkriechen.
Lee versuchte, Tenten zu beschwichtigen, während Chouji von Ino eine Standpauke zu hören bekam, in der es um Kameradschaft und Verrat ging.
Da hörte Shikamaru plötzlich hinter sich ein Geräusch und einen Augenblick später schlug er mit dem Kopf beinahe auf die Tischplatte, als er von einem starken Stoß nach vorne geschubst wurde. Verwirrt blickte Shikamaru auf. Tenten und Lee hatten sich offensichtlich die Köpfe aneinander gestoßen und Ino saß plötzlich fassungslos auf dem Boden. Chouji hatte Shikamarus Teetasse umgestoßen und sah ihn mit großen Augen aufgeschreckt an.
„Könnt ihr euch vielleicht mal zusammenreißen? Ihr seid ja schlimmer als eine Horde Kleinkinder!“
Neji, der sonst immer ruhig und gefasst war, hatte seine Stimme erhoben und warf ihnen einen beinahe angeekelten Blick zu.
„Hast du uns gerade angegriffen?“, presste Ino zwischen den Lippen heraus.
Neji blickte sichtlich verärgert auf sie herab. „Was euch getroffen hat war lediglich der Luftstoß meiner Technik. Als Shinobi solltet ihr eigentlich in der Lage sein, so etwas jederzeit abzuwehren. Wenn ihr nichts besseres zu tun habt als hier rumzusitzen und zu streiten, solltet ihr vielleicht lieber ins Bett gehen. Es ist peinlich, wie ihr euch von euren Hormonen steuern lasst!“
Shikamaru fühlte sich, als hätte Neji ihm eine Ohrfeige verpasst. Soweit er es beurteilen konnte, ging es den anderen genauso. Hatte er gehört, worüber sie gesprochen hatten? Aber Ino sprang wieder auf die Beine.
„Wir sind nun mal Menschen und keine Hyuuga-Roboter, die keine Gefühle haben!“ Sie hörte sich an wie ein kleines trotziges Kind, aber Shikamaru war irgendwie trotzdem froh, dass überhaupt jemand etwas erwiderte.
Neji starrte sie kurz wortlos und voller Verachtung an, dann wandte er sich Shikamaru zu.
„Vielleicht könntest du dafür sorgen, dass deine Teammitglieder sich benehmen. Ich schlage vor, dass für diese Nacht die Teams wieder zusammen in einer Schlafkabine schlafen. Ich habe keine Lust, mir die ganze Zeit diese kindischen Streitereien anzuhören.“
Shikamaru sah kurz in die Runde, aber keiner sagte etwas. Er nickte und holte dann mit Chouji zusammen ihre Sachen, so dass Tenten zu Neji und Lee ins Zimmer wechseln konnte.
Als sie es sich schließlich zu dritt im anderen Zimmer auf den Betten gemütlich gemacht hatten, fing Chouji an, scheinbar unbeschwert über irgendwelche Dinge zu plaudern und Shikamaru machte mit, in der Hoffnung, dass Ino, die in der Koje über ihm lag, ihren Zorn vergessen würde. Aber sie sprach den Rest des Abends kein Wort mehr mit ihnen.
Nachdem sie das Licht ausgemacht hatten und Shikamaru sich einigermaßen sicher war, dass Ino schlief, fragte er leise: „Ist alles in Ordnung, Chouji? Du bist doch nicht sauer, dass ich dich heute bei meinem Training mit Neji weggeschickt habe, oder?“
Chouji lachte leise. „Quatsch, mach dir keine Gedanken, Shikamaru. Es war nur ein bisschen ungewohnt, dich trainieren zu sehen, obwohl du eigentlich eine gute Ausrede gehabt hättest, es nicht zu tun. Aber du hast ja Recht, das Training gehört zur Mission und wenn das Wetter morgen wieder besser ist, werde ich mich auch wieder anstrengen, versprochen.“
Chouji war einfach viel zu lieb. Shikamaru hatte aus irgendeinem Grund ein schlechtes Gewissen, aber versuchte, nicht weiter darüber nachzudenken.
„Was genau übt Tenten denn eigentlich mit dir?“, wollte er wissen. Er hörte, wie Chouji sich in seiner Koje aufrichtete.
„Sie meint, wenn ich mein Jutsu der Teilvergrößerung mit besserem Timing einsetze, dann bin ich unschlagbar! Naja, und dafür ist wohl die Atmung eine wichtige Grundlage, aber sie hat das eher mit Tanzschritten verglichen und mir Takte vorgezählt. Wir haben keine Atemübungen mit Rumliegen gemacht. Wenn du einen anderen Trainingspartner als Neji hättest, würde ich denken, dass er das einfach nur für dich so gestaltet hat. So nach dem Motto – wie kann ich Shikamaru dazu bringen, zu trainieren? Ach ja, ich lege ihn einfach auf den Boden, das ist ja sowieso seine Lieblingsbeschäftigung!“
Chouji kicherte leise vor sich hin und Shikamaru hoffte, dass Ino nicht aufwachen würde.
„Ich bin ehrlich gesagt total froh, dass ich nicht mit Neji trainieren muss. Ich denke, der Zufall hat es schon bestmöglich geregelt beim Schere Stein Papier. Tenten ist wirklich eine tolle Trainerin. Schade, dass sie sich anscheinend nur für Neji interessiert.“
Shikamaru wusste nicht so recht, was er dazu sagen sollte. Natürlich hatte Chouji sich doch wirklich gleich Hoffnungen gemacht, als Tenten sich im Training gut mit ihm verstanden hatte. Er glaubte, dass alle Mädchen einen großen Bogen um ihn machten, weil er „pummelig“ war. Ino war eine Ausnahme, sie gehörte schließlich zum Team. Aber er unterhielt sich fast nie mit anderen Mädchen. Hoffentlich hatte er sich nicht richtig in Tenten verliebt!
Ich kann nur hoffen, dass ich auch mal wieder eine Mission anleiten kann, zu der keine Frauen mitkommen. Das ist bestimmt so schön entspannt. Jedes Mal gibt es ihretwegen nur Ärger.
Ino könnte sich wirklich mal ein bisschen zurückhalten. Kaum zu glauben, dass sie diesem Sasuke immer noch so verfallen ist. Im Vergleich zu Neji ist der doch ein richtiges Arschloch.
Hat Neji vorhin wohl gehört, dass die anderen über ihn geredet haben? War er deshalb so sauer? Denkt er, dass wir alle über ihn gelästert haben?
Dieser Gedanke störte Shikamaru so sehr, dass er ewig nicht einschlafen konnte, weil er noch verschiedene Szenarien in seinem Kopf durchging, wie er Neji ganz beiläufig wissen lassen konnte, dass er an der Unterhaltung gar nicht wirklich beteiligt gewesen war.
Dabei wurde ihm klar, dass er wirklich nicht gerade viel über Neji wusste. Es fiel ihm schwer, seine Reaktionen vorauszusehen. Vermutlich wäre es ihm vor ein paar Monaten noch leichter gefallen, aber in der Zwischenzeit hatte er ein paar Seiten von Neji durchschimmern sehen, die er vorher nicht bemerkt hatte – und die auch nicht zu den Gerüchten über ihn passten. Hinter dieser ruhigen und meist eher abweisenden Oberfläche schien sich vieles zu verstecken.
Wenn Shikamaru an das Training dachte, war er beinahe schon aufgeregt. Stimmte etwas nicht mit ihm? Normalerweise musste man ihn fast zum Training zwingen.
Neji ist einfach wie ein Rätsel, das ich lösen will. Wie ein mathematisches Problem, an dem man etwas länger arbeitet als normalerweise. Das ist der Grund, weshalb ich mich auf das Training mit ihm freue.
Mit diesem Gedanken schlief Shikamaru schließlich doch irgendwann ein.
Notes:
Hey, hier ist mein neues Kapitel. Wie immer hoffe ich sehr, dass es euch gefällt.
Shikamaru beginnt nun ganz allmählich, mehr auf Neji zu achten. Das könnte einige lästige Folgen mit sich bringen, aber langweilig wird es sicher nicht :)
Schreibt mir gern, wie ihr die einzelnen Charaktere bisher wahrnehmt. Ich freue mich sehr über euer Feedback! ❤️
Chapter Text
Am dritten Tag auf dem Meer war das Wetter wieder besser. Der Wind wehte zwar noch recht stark, aber glücklicherweise waren die Wellen gleichmäßiger, und die Übelkeit hielt sich bei allen soweit in Grenzen, dass alle Gruppen ihr Training wieder aufnehmen konnten. Shikamaru war erleichtert, als Neji gleich nach dem Frühstück zu ihm kam und fragte, ob er bereit sei, das Training weiterzuführen. Er wirkte glücklicherweise nicht mehr verärgert, als er Shikamaru aufforderte, seine Kampfhaltung einzunehmen.
„Mit oder ohne Schattenjutsu?“, fragte Shikamaru.
Neji überlegte kurz, dann antwortete er: „Dein Jutsu gehört zu dir, wie ein Körperteil. Es wäre dumm, es nicht zu nutzen, also übe am besten von Anfang an, Taijutsu und Schatten zu kombinieren. Ich denke aber, dass du so intelligent bist, dass du auch beim Kämpfen genau weißt, wann du die Schatten brauchen kannst und wann nicht. Lass dich also nicht zu sehr davon ablenken und benutze sie nur, wenn sie dir wirklich einen Vorteil verschaffen.“
Shikamaru nickte und stellte sich abwartend gegenüber von Neji auf. Er wusste, dass sein Schattenjutsu im Nahkampf schwierig einzusetzen war, weil sich sowohl der Schatten des Gegners als auch sein eigener fortlaufend in Bewegung befinden würden, was ein Festhalten schwierig gestaltete.
„Ist das deine übliche Kampfhaltung, wenn dir ein Gegner gegenübersteht?“, fragte Neji, fast schon verdutzt. Shikamaru nickte. „Ist etwas?“, fragte er.
Neji zögerte kurz und schien Shikamaru mit seinem Blick beinahe zu durchbohren. Als wäre das noch nicht genug, aktivierte er auch noch das Byakugan und studierte Shikamaru noch genauer.
„Stimmt irgendwas nicht mit mir?“, fragte er betont desinteressiert und kratzte sich am Hinterkopf. Neji deaktivierte das Byakugan und biss sich kurz auf die Unterlippe.
Erstens: Neji beißt auf seine Unterlippe, wenn er unsicher ist.
Es war nur eine Vermutung, aber Shikamaru speicherte die Notiz in seinem Kopf unter der Überschrift Neji Hyuuga.
„Deine Haltung ist katastrophal, Shikamaru. Dein Rücken ist krumm, dein Blick ist nach unten gerichtet, es existiert überhaupt keine Spannung. Ich verstehe, dass du den Boden im Blick haben musst, weil du auf die Schatten achtest. Aber auch das sollte eigentlich klappen, ohne dass du die ganze Zeit hinsehen musst. Du weißt, in welchem Umfeld du dich befindest. Du weißt, welche Gegenstände konstant einen Schatten werfen und dass das Schiff je nach Wind seine Ausrichtung zur Sonne ändert. Und bewegte Objekte kannst du wahrnehmen, wenn du dich nur genug auf deine anderen Sinne verlässt. Du musst dir deiner Umgebung in der Gesamtheit absolut sicher sein. Dein Gegner bekommt nur genau so viel Aufmerksamkeit von dir, wie du ihm mindestens geben musst. Den Rest brauchst du, um das wahrzunehmen, was um dich herum geschieht. Wenn du im Taijutsu gegen jemanden wie mich auch nur den Hauch einer Chance haben willst, dann muss dein ganzer Körper eine Spannung erzeugen, die es dir ermöglicht, innerhalb von kleinsten Momenten zu reagieren. Richte deinen Blick niemals auf den Boden, es sei denn, du kannst es dir wirklich erlauben und planst, deinen Gegner so in Sicherheit zu wiegen.“
Zweitens: Nejis bevorzugte Lehrmethode ist es, seine Schüler in Grund und Boden zu reden.
„Warte! Warte, bitte! Ich denke, ich verstehe ungefähr was du meinst, aber was genau soll ich jetzt machen?“, fragte Shikamaru gestresst.
Wieder antwortete Neji nicht sofort, sondern schien seine Worte erst genau zu überdenken. „Soweit ich es beurteilen kann, ist eine deiner Stärken, dass du mit deinem Schattenjutsu mittlerweile gut zusammengewachsen bist. Versuche, dich jetzt vor allem auf deine Atmung und deine Haltung zu konzentrieren, während du dich bewegst. Du solltest ganz intuitiv merken, wann du deine Schatten einsetzen kannst. Verschwende also deine Aufmerksamkeit nicht auf etwas, das keine verlangt. Ich werde jetzt versuchen, dich anzugreifen, und du wirst vorerst nur meinen Angriffen ausweichen. Denke daran, die Bewegungen aus deiner Atmung heraus entstehen zu lassen, damit dein Chakrafluss sich optimal verhält.“
Was?! Er greift mich jetzt wirklich an??
Shikamaru merkte, wie er leicht panisch wurde. Er hatte noch nie gegen Neji gekämpft, aber er hatte ihm schon öfter dabei zugesehen. Von außen hatte es so ausgesehen, als würde Neji ohne Pause auf seinen Gegner einschlagen. Wie sollte er da reagieren? Und gestern hatte ihm der bloße Windstoß, der von Nejis Angriff erzeugt worden war, beinahe den Kopf auf den Tisch gehauen.
Neji nahm tatsächlich schon seine Kampfhaltung ein.
„Warte, ich weiß nicht, ob ich schon so weit bin. Können wir nicht noch einmal die Atmung in Ruhe trainieren?“
Neji sah etwas ungeduldig aus. Dabei war er es doch gewesen, der gesagt hatte, dass man nichts überstürzen dürfe und dass das Training sehr viel Zeit in Anspruch nähme!
„Wenn du dich in Ruhe auf deine Atmung konzentrierst, machst du alles richtig, Shikamaru. Das war sozusagen nur die Einführung, die Vorstufe unseres Trainings. Jetzt kommt der wirklich schwierige Teil.“
Shikamaru schluckte. Neji schien eine genaue Vorstellung davon zu haben, wie das Training ablaufen musste, und er ließ sich so leicht nicht davon abbringen.
„Aber ich bin mir sicher, dass ich einfach nur zu Brei verarbeitet werde, wenn du Ernst machst!“, stieß Shikamaru hervor und hoffte, dass Neji ihn nicht so erbärmlich fand, wie er sich selbst. Er glaubte, ein Schmunzeln auf Nejis Lippen zu erkennen.
„Ich habe nicht vor, dich ernsthaft anzugreifen. Es ist doch nur Training. Glaubst du, dass ich gegen Lee oder Tenten jedes Mal im Training ernst kämpfe? Ich werde meinen Chakraausstoß gegen dich nicht benutzen. Vertrau mir, aber denke daran, dass du dich trotzdem nicht treffen lassen solltest.“
Shikamaru stellte sich aufrecht hin und verlagerte sein Gewicht auf das linke Bein, um sofort ausweichen zu können. Gerade, als ihm noch einfiel, dass er auf seine Atmung achten sollte, sprang Neji schon auf ihn zu. Shikamaru warf sich nach links und landete hart auf den Schiffsplanken. Eine Sekunde später traf ihn ein fester Stoß im rechten Schulterblatt.
„Aau!“, entwich es Shikamaru und er drehte sich gereizt zu Neji um. „Musste das sein?“
Neji stand ruhig über ihm und schaute ihn ganz unschuldig an. „Es geht hier nicht darum, dass du einzelnen Angriffen ausweichen sollst. Du solltest doch versuchen, deine Bewegungen aus deiner Atmung herausfließen zu lassen. Das, was du da gerade fabriziert hast, sah unkoordinierter aus als ein frischgeborenes Rehkitz, das zum ersten Mal auf seinen wackligen Beinchen steht.“
„Das heißt noch lange nicht, dass du mir grundlos wehtun musst. Was genau heißt überhaupt, die Bewegungen aus der Atmung fließen zu lassen? Du kannst doch nicht alles einfach nur halbherzig anreißen und dann erwarten, dass ich sofort weiß, was damit gemeint ist.“
Neji presste ungeduldig die Lippen zusammen und antwortete: „Wenn du erwartest, dass so ein Training nicht weh tut, dann frage ich mich, was ihr mit Asuma bisher überhaupt geübt habt. Du lernst auf diese Weise viel schneller und besser. Es sollte dir langsam mal klar werden, dass du in einem echten Kampf unter Umständen schwer verletzt werden kannst. Also nimm lieber ein paar blaue Flecken im Training in Kauf, die beschützen dich vielleicht vor weitaus Schlimmerem!“
Shikamaru rappelte sich auf und murmelte vor sich hin: „War ja klar, dass im Trainingsplan eines Hyuuga Schmerzen an der Tagesordnung sind...“
Neji ging ein paar Schritte zurück und stellte sich dann wieder in Kampfposition hin.
„Achte auf deine Atmung und versuche dabei, eine gewisse Körperspannung zu behalten. Gleichzeitig solltest du nicht zu starr sein, bleib locker und versuche dir vorzustellen, dass dein Körper sich mit deiner Atmung bewegt. Ein guter Taijutsu-Kämpfer kann seinen Gegner mithilfe kleinster Bewegungen dazu bringen, ihn so anzugreifen, wie es für ihn am besten ist. Aber dafür musst du erst einmal eins werden mit deinem Körper, mit deiner Atmung und deinem Chakrafluss.“
Er machte eine kleine Pause und beobachtete Shikamaru dabei, wie er sich breitbeinig hinstellte und versuchte, seinen Atem zu beruhigen. Dann sprang Neji wieder auf ihn zu und Shikamaru hüpfte diesmal nach rechts, versuchte schnell, sich umzudrehen, nur um Nejis Handfläche gegen die Brust gestoßen zu bekommen.
„Weiter!“, befahl Neji ihm und setzte mit der anderen Hand zum Schlag an, dem Shikamaru nur knapp entfloh, indem er sich duckte. Dann lag er schon wieder am Boden, weil Neji ihm ein Bein gestellt hatte. „Weiter!“
Ein paar Minuten später, die viele schmerzhafte Hiebe, welche über seinen ganzen Körper verteilt waren, hervorgebracht hatten, hob Shikamaru seine Hände und rief: „Warte, Pause! Das bringt so nichts, ich brauche mehr Zeit, um mich vorzubereiten.“
Neji hüpfte geschickt ein Stück nach hinten und nickte. „In Ordnung. Ich gebe dir ein bisschen Zeit, um zu dir selbst zu finden. Konzentriere dich nicht mehr auf mich, als es notwendig ist. Du stehst im Vordergrund und musst auf deine eigenen Sinne vertrauen. Dein Körper weiß, wie der Atem fließt und theoretisch auch, wie er sich bewegen muss, ohne Energie zu verschwenden. Denke nicht zu viel darüber nach. Eigentlich am besten gar nicht, dein Gehirn hat sich auch mal eine Ruhepause verdient.“
Shikamaru stellte sich aufrecht hin, schloss die Augen und fühlte seinen Atem. Er fühlte den stechenden Schmerz in seiner Schulter, und die anderen Stellen, dort, wo Neji ihn gerade getroffen hatte. Er versuchte nicht darüber nachzudenken, in welche Richtung er gleich ausweichen würde. Er wusste, dass Neji von vorn kommen würde und dass er diesmal nicht auf den Boden fallen, sondern auf seinen Füßen landen würde. Er musste einfach noch mehr in Bewegung bleiben, dann würde Neji ihn nicht treffen.
Mist, ich denke schon wieder darüber nach, wie ich mich bewegen muss. Ich soll mich auf die Atmung konzentrieren? Aber Neji hat doch gesagt, dass mein Körper weiß, wie er atmet. Worauf soll ich überhaupt achten?
„Bist du so weit?“, rief Neji ihm zu und Shikamaru öffnete die Augen.
„Wenn ich ganz ehrlich bin, kein bisschen! Ich weiß nicht, wie man aufhört zu denken. Ich plane ganz automatisch meine nächsten Schritte und versuche vorherzusagen, wie du mich angreifen wirst. Das ist nun mal meine Art zu kämpfen und ich weiß ehrlichgesagt nicht, ob deine Art für mich funktionieren kann.“
Neji starrte ihn wortlos an und biss sich wieder auf die Lippe.
Shikamaru konnte seine Enttäuschung beinahe fühlen.
„Hey, es tut mir leid, okay? Ich fürchte, du hast gerade die größte Taijutsu-Niete aller Zeiten als Schüler. Vielleicht bringt das Ganze einfach nichts bei mir.“
Neji machte ein paar Schritte auf ihn zu und schaute ihm in die Augen. „Das stimmt nicht! Ich bin mir sicher, dass du es lernen kannst.“
Er überlegte kurz. „Ich habe eine Idee, komm mit!“
Und damit ging er an Shikamaru vorbei und öffnete die Tür, die nach unten in den Schiffsbauch führte. Shikamaru folgte ihm und fragte sich, was jetzt wieder kommen würde.
Wann versteht Neji endlich, dass ich absolut unbegabt in diesem Bereich bin?
Neji führte Shikamaru in die Schlafkabine, in der sie in der ersten Nacht zusammen gewohnt hatten.
„Setz dich oben auf das freie Bett!“
Shikamaru folgte seiner Anweisung und Neji nahm ihm gegenüber auf dem anderen Etagenbett im Schneidersitz Platz. Seine Augen funkelten aufgeregt und Shikamaru fragte sich, was er jetzt auf einmal vorhatte.
„Hast du schon einmal meditiert?“, fragte Neji und hörte sich so an, als würde er ein neues Produkt verkaufen wollen. Shikamaru merkte, wie seine Laune sich augenblicklich noch weiter verschlechterte.
„Ja klar, ich denke, das haben wir alle in der Akademie mal gemacht.“
Neji schüttelte den Kopf. „Nein, das meine ich nicht. Ich meine, richtig meditiert.“
„Ach soo, sag das doch gleich. Ich dachte, du redest über die weit verbreitete Form der falschen Meditation, entschuldige bitte.“
Nejis Augenbrauen zogen sich zusammen, aber er ging nicht auf die Provokation ein, sondern fuhr fort: „Dein Problem ist, dass du nicht aufhören kannst, nachzudenken. Das ist auch gleichzeitig deine Stärke, vermute ich. Aber für das Taijutsu-Training ist es zuerst einmal wichtig, dass du dich auf deine Instinkte und Sinne verlassen kannst. Zu viel Nachdenken und Planen macht dir dabei einen Strich durch die Rechnung.“
Shikamaru hatte schon befürchtet, dass sich das Ganze in diese Richtung entwickeln würde.
„Asuma hat gesagt, dass ich meinen Gegnern so theoretisch immer einen Schritt voraus sein könne“, merkte Shikamaru an und hoffte, dass es nicht zu sehr nach einer Beschwerde klang.
Neji nickte langsam und schien noch einmal genau zu überlegen, wie er seine Worte formulieren sollte. Shikamaru fühlte sich ihm ein wenig ausgeliefert, in der engen Kabine, direkt gegenüber in den kleinen Etagenbetten sitzend. Es war auffallend ruhig, als würde draußen kein Lüftchen mehr wehen und das Schiff einfach nur ruhig auf der Wasseroberfläche liegen.
Neji holte tief Luft und versuchte es noch einmal. „Ich denke, wenn du jetzt lernst, deinen Kopf völlig zu leeren und einfach nur zu fühlen, dann profitierst du später so daraus, dass dein Körper von ganz alleine macht, was er muss, während du deine nächsten Schritte planen kannst. Ich glaube, wenn dir das gelingt, hätten die wenigsten Ninjas eine Chance gegen dich. Aber damit das klappen kann, musst du das Denken jetzt erst einmal sein lassen!“
Shikamaru fand, dass einleuchtend klang, was Neji da sagte. Aber konnte das wirklich funktionieren? Auf der anderen Seite, wieso eigentlich nicht? Er war immerhin auch in der Lage, über andere Dinge nachzudenken, während er mit Chouji und Ino über belangloses Zeug quatschte. Wieso sollte es da nicht auch möglich sein, seine Reaktions- und Bewegungsfähigkeit soweit zu verbessern, dass er darüber gar nicht mehr nachzudenken brauchte? Außerdem steckte er sowieso gerade in dieser Situation fest und Neji würde ihn da nicht so einfach davonkommen lassen.
„Also gut, ich werde es ausprobieren. Aber dieses Kopf leeren und über nichts mehr nachdenken hat bisher noch nie geklappt und ich will dir keine großen Hoffnungen machen, dass du etwas daran ändern kannst.“
Neji nickte wieder bestätigend. Dann leitete er Shikamaru an, sich zuerst in eine bequeme Position zu bringen, um sich wieder auf seine Atmung zu konzentrieren.
„Wenn deine Gedanken fließen, dann lass es zu, aber versuche nicht zu sehr darauf Einfluss zu nehmen. Je mehr du dich zurückhältst, also dein aktives, denkendes Ich, desto freier wird dein fühlendes Ich.“
Shikamaru nickte und schloss die Augen. Er atmete ein und aus und hörte das Knarzen und Ächzen des Schiffes, das sich ruhig auf und ab bewegte. Er hörte dumpf, wie die Seeleute ab und zu etwas riefen oder Lees aufgeregte Stimme brabbelte. Er fragte sich, ob Ino sich heute besser mit ihm verstand und sagte sich gleich daraufhin, dass er nicht denken sollte.
Er fühlte seine schmerzenden Körperteile. Vor allem der Schmerz in seiner Schulter stach hervor. Er versuchte, seine Gedanken weiter schweifen zu lassen, aber er spürte, wie sein Unmut über das verpatzte Training ihn zu sehr im Griff hatte. Er versuchte, sich etwas anders zu positionieren und fragte sich, ob die Koje wirklich der beste Platz für eine Meditation sei.
Er öffnete seine Augen, um zu sehen, ob Neji ihn eigentlich die ganze Zeit beobachtete. Aber dieser hatte seine Augen geschlossen und saß kerzengerade auf seiner Koje.
Das sieht echt kein bisschen gemütlich aus. Will er nur ein gutes Vorbild sein, oder ist das seine normale Meditationshaltung?
Shikamaru hatte das Gefühl, dass eine seltsame Aura Neji umgab und er fragte sich, ob er sich das nur einbildete. Nejis Gesicht wirkte irgendwie ganz anders als normalerweise. Vielleicht lag es an dem etwas düsteren Licht in der Kabine, aber er sah irgendwie so zufrieden aus. Das war zumindest das Wort, das Shikamaru als Erstes in den Sinn kam. Aber es war noch mehr. Shikamaru konnte es nicht genau identifizieren. Neji wirkte auf einmal so…
Er fragte sich, ob Neji immer schon so ausgesehen hatte. Es fühlte sich auf einmal so an, als wäre die kleine Kabine ein heiliger Ort und Neji war das Wesen, das hier hingehörte. So ruhig, wie er da saß, sah er doch viel lebendiger aus als sonst. Seine dunklen glatten Haare umrahmten sein Gesicht, als wäre es ein Gemälde.
Ein wunderschönes Gemälde…
Was denke ich denn da für einen Blödsinn?! Ich sollte doch aufhören, zu denken!
Shikamaru zuckte leicht zusammen, als Neji plötzlich seine Augen öffnete. „Was ist, Shikamaru? Ich hatte das Gefühl, dass du es gerade fast hattest!“
Shikamaru hoffte, dass er nicht rot wurde und noch mehr, dass Neji nicht bemerkt hatte, wie er ihn angestarrt hatte. „Wie bitte?“, fragte er verwirrt.
„Deine Aura war gerade so ruhig und gleichmäßig, als hättest du genau den richtigen Zustand für die Meditation erreicht. Es war nur ein kurzer Moment, aber genau das war es, wovon ich gesprochen habe.“
Shikamaru schwieg und überlegte, was Neji genau meinte. Insgeheim fragte er sich noch einmal, ob Neji es irgendwie doch gefühlt hatte, wie er ihn angestarrt hatte.
Neji wartete aufmerksam und als Shikamaru nichts erwiderte, fragte er: „Kannst du versuchen, dich noch einmal in diesen Zustand zu bringen, in dem du gerade warst, bevor du wieder aktiv gedacht hast?“
Er klang neugierig und Shikamaru hatte den Eindruck, dass Neji gern gewusst hätte, was gerade genau in Shikamaru vorgegangen war. Dabei schien er schon mehr davon zu ahnen, als es Shikamaru lieb war. Shikamaru nickte und schloss wieder seine Augen, vor allem, damit Neji nicht doch noch weiter fragte.
Was zum Teufel habe ich da gerade gedacht?!?
Shikamaru versuchte, nicht mehr darüber nachzudenken - das war ja schließlich auch die Aufgabe - sondern, sich das Gefühl, das er eben gerade gehabt hatte, wieder genau vorzustellen. Und er war sich sicher, dass er dieses Gefühl kannte. Wann hatte er es zum letzten Mal gehabt? Was hatte er dabei gemacht? Es war nicht so, dass seine Gedanken vorhin komplett verschwunden waren, eher so, als kämen sie mehr von Innen heraus. Gedanken, die er nicht direkt kontrollieren konnte.
Es war ein wenig wie beim Wolken beobachten. Nein, es war eigentlich genau das Gleiche. Dieses behagliche Gefühl, das sich oft dabei von ganz allein einstellte...
Wolken beobachten soll das Gleiche sein, wie Neji beobachten? So ein Schwachsinn.
Shikamaru vermutete, dass es irgendwie die Atmosphäre in der Kabine gewesen war, die ihn in diesen Zustand versetzt hatte. Und Neji gehörte in dem Moment einfach mit dazu, genau wie die Holzwände oder die Decke, auf der Shikamaru saß.
„Ich weiß nicht, ob es Sinn macht, aber ich glaube, es war so ähnlich wie beim Wolken beobachten.“
Shikamaru hielt seine Augen weiter geschlossen. Als Neji antwortete, klang seine Stimme viel näher. „Wolken beobachten? Wozu macht ihr das?“
Shikamaru öffnete die Augen und erschrak ein wenig, weil Neji sein Byakugan aktiviert hatte und ihn anscheinend schon wieder genau untersuchte. „Ähm, das machen wir nicht als Teamaktivität oder so. Das ist sowas wie ein Hobby von mir.“
Jetzt war er sich sicher, dass er rot wurde. Es hörte sich einfach so langweilig und uncool an.
Wolken beobachten. Echt super…
Aber Neji schien das nicht komisch zu finden. „Wie genau beobachtest du die Wolken? Schaust du dabei einfach nur in den Himmel?“ Er deaktivierte das Byakugan und schaute Shikamaru gespannt an.
Shikamaru zuckte mit den Schultern. „Ganz unterschiedlich“, antwortete er. „Manchmal liege ich in meinem Zimmer auf dem Boden und schau aus dem Fenster. Es gibt ein paar Plätze in Konoha, die etwas ruhiger sind und sich auch ganz gut eignen. Am besten finde ich es zu Hause in unserem Wald. Dort gibt es mehr als nur ein paar geeignete Plätze dafür. Manchmal ist Chouji dabei, dann reden wir oft über irgendwas. Aber wenn ich alleine bin, denke ich über alles mögliche nach und dann kommt dieses Gefühl manchmal von ganz allein.“
Neji nickte und lächelte ihn zuversichtlich an. Shikamaru spürte, wie sich augenblicklich ein warmes Gefühl wie Wasser in seinem Körper ausbreitete und und die letzten Reste seiner schlechten Laune wegspülte.
„Gut gemacht! Dann hast du einen Zugang zu dir gefunden, der dir dabei helfen kann, diesen Zustand schneller zu erreichen.“
Etwas ängstlich fragte Shikamaru: „Wirst du mich jetzt wieder verhauen?“
Neji senkte den Blick und sprach diesmal ganz leise: „Es tut mir leid, wenn ich dir Schmerzen zugefügt habe. Wir beide sind wohl ziemlich verschieden aufgewachsen und es fällt mir schwer, mir vorzustellen, wie du dich fühlst und wie ich dir am besten helfen kann. Ich bin vermutlich kein allzu guter Lehrer.“
Shikamaru wollte etwas einwerfen, aber Neji sprach schon weiter. „Ich glaube aber trotzdem, dass du gerade einen großen Fortschritt gemacht hast. Weil du erkannt hast, wie du deinem Gehirn eine Pause verschaffen kannst. Vielleicht ist es am besten, wenn du für heute einfach weiter meditierst. Wir sollten es mit dem Kampftraining nicht überstürzen.“
Er kniete sich hin und machte Anstalten, nach unten zu klettern.
„Bleibst du garnicht hier?“, fragte Shikamaru. Neji hielt inne und sah ihn zögernd an.
„Ich dachte, du kannst dich besser entspannen, wenn du alleine bist“, sagte er entschuldigend.
Shikamaru wusste nicht, warum, aber er hatte das Gefühl, dass Nejis Anwesenheit ihm helfen würde.
„Ich habe nichts dagegen, wenn du mich ein bisschen überwachst. Du kannst von mir aus auch dein Byakugan benutzen. Ich weiß nicht, ob ich zu viel tauge, aber ich denke, ich komme mit deiner Hilfe besser voran. Sonst findest du mich in ein paar Stunden vermutlich schlafend hier wieder.“
Neji sah ihn mit großen Augen an und schien zu überlegen, ob das ein Witz gewesen war. Dann nickte er pflichtbewusst und antwortete: „Natürlich, du bist der Missionsleiter. Dann bleibe ich bei dir.“
Den Rest der Schifffahrt verbrachten die beiden in der Meditation. Oder zumindest versuchte Shikamaru es wirklich. Er hielt seine Augen strikt geschlossen, damit seine Gedanken nicht wieder in seltsame Richtungen abdrifteten. Trotzdem war er sich der Anwesenheit Nejis die ganze Zeit über sehr bewusst, denn mit der Zeit nahm er dessen Atemzüge fast genauso laut wahr, wie seine eigenen. Er bildete sich irgendwann ein, sogar Nejis Chakra zu fühlen, das wie eine ruhige Wolke immer weiter und weiter glitt. Es fühlte sich so gleichmäßig und sicher an. Sein eigenes Chakra wahrzunehmen, bereitete ihm seltsamerweise größere Probleme. Es war, als würde Neji seine Sinne irgendwie durcheinander bringen. Trotzdem wollte er nicht, dass er ging, weil er sicher war, dass er ohne ihn einfach aufgeben würde.
Nach einer gefühlten Ewigkeit, spürte Shikamaru, wie Neji aus seiner Trance erwachte und ihn kurz darauf sanft an seinem Handgelenk berührte.
„Shikamaru! Wir werden bald da sein. Lass uns unsere Sachen packen und aufs Deck zu den anderen gehen.“
Wenig später standen sie mit den anderen an der Reling und sahen zu, wie die Insel immer näher kam. Shikamaru war froh, zu sehen, dass sowohl Chouji als auch Ino zufrieden mit ihrem Trainingstag zu sein schienen. Das ersparte ihm heute Abend bestimmt eine Menge Genörgel. Alles in allem fand er, dass er trotz der schmerzenden Stellen doch ganz gut davongekommen war mit Neji als Trainingspartner.
Lee hingegen machte den Eindruck, erst einmal genug davon zu haben, Ino trainieren zu müssen. Er hatte es wohl aufgegeben, sie davon überzeugen zu wollen, jede freie Sekunde mit Fitnessübungen zu verbringen. Stattdessen stand er zwischen Neji und Tenten und hatte seine Arme um ihre Schultern gelegt, während er ihnen seine neuesten Erkenntnisse für ihr Training mit Sensei Gai offenbarte. Tenten schüttelte den Kopf und versuchte gegen Lees Redeschwall anzukommen, aber Neji schien gar nicht richtig zuzuhören. Er starrte wortlos auf die langsam größer werdende Insel und hatte einen düsteren Ausdruck im Gesicht.
Wieder ganz anders als noch vorhin in der Schlafkabine…
Notes:
Hallo! Ich fliege morgen für drei Wochen in den Urlaub und nehme zwar meinen Laptop mit – aber ob ich zwischen Sonne, neuen Eindrücken und etwas Abstand zum Alltag wirklich zum Schreiben komme, weiß ich noch nicht.
Es kann also sein, dass das nächste Kapitel ein wenig auf sich warten lässt.
Danke, dass ihr meine Geschichte begleitet ❤️
Chapter Text
Am späten Nachmittag lief das Schiff im Hafen von Shishiyoujima ein und die sechs Shinobi verabschiedeten sich vom Schiffspersonal. Dann stiegen sie in den Pferdewagen, der sie zur Burg des Fürsten Arisugawa bringen sollte, welcher der Auftraggeber ihrer Mission war. Seine Tochter sollte mit einem wohlhabenden Großhändler verheiratet werden und da mit der Vereinigung der beiden Familien die Machtverteilung auf der Insel komplett verändert werden würde, gab es auch einige Leute, die gegen diese Heirat waren. Shikamarus Team sollte bei den Feierlichkeiten dafür sorgen, dass alles ruhig und ohne Zwischenfälle verlief.
Bei der Burg angekommen, die zu Choujis Enttäuschung gar nicht wie eine Burg, sondern eher wie ein großes Verwaltungsgebäude aussah, wurden sie von zwei Bediensteten, einer Frau und einem Mann willkommen geheißen. Die Frau nahm Ino und Tenten mit, weil sie die Braut gleich kennenlernen sollten und die vier Jungen folgten dem Mann zu ihrem Schlafquartier. Es war ein recht geräumiges Zimmer mit vier Betten, die so gemütlich aussahen, dass Shikamaru am liebsten das Abendessen abgesagt hätte. Aber da sie beim Essen auf den Fürsten treffen sollten, war das natürlich nur Wunschdenken.
Sie hatten eine knappe halbe Stunde Zeit, um ihr Gepäck im Zimmer abzustellen und sich im kleinen Badezimmer frisch zu machen. Shikamaru warf sein Zeug neben eines der Betten und setzte sich auf die Bettdecke. Die Matratze gab ein ganzes Stück nach und Shikamaru wusste sofort, dass er so viel Zeit wie möglich in diesem Bett verbringen wollte.
Lee begann Sit-Ups zu machen, sobald er aus dem Bad zurück kam. Neji nahm ein paar Kleidungsstücke aus seiner Tasche und faltete sie erneut zusammen, dann ging auch er ins Bad. Chouji kaute ungeduldig auf seiner Unterlippe herum und sehnte offensichtlich das Abendessen herbei. Bald darauf klopfte es an der Zimmertür und der Diener holte sie ab, um sie zum Speisesaal zu führen. Ino und Tenten warteten dort schon an der Tür auf sie.
Der Speisesaal war geräumig und bestand eigentlich nur aus einem riesigen, langen Tisch mit vielen Stühlen, einem großen Kronleuchter an der Decke und ein paar Kommoden und Bildern von irgendwelchen Leuten an den Wänden. Die Diener wiesen allen ihre Plätze zu und dann kam die Familie des Fürsten herein und hieß sie noch einmal willkommen. Die Hochzeit sollte in zwei Tagen stattfinden und vorher würde der Fürst sie noch einmal kurz über die politische Situation auf der kleinen Insel in Kenntnis setzen. Ino und Tenten hatten die Aufgabe, die Braut am Tag vor der Hochzeit nicht aus den Augen zu lassen, da es ihr an diesem Tag nicht erlaubt sei, mit einem Mann im selben Raum zu sein. Es gab ein paar weitere Regeln, die Shikamaru seltsam und unpraktisch vorkamen, an die sie sich alle würden halten müssen.
Dann wurde das Essen aufgetischt. Shikamaru vergaß seine Müdigkeit, als er all die köstlich aussehenden Speisen erblickte. Es gab große Platten mit verschiedenen Gemüsesorten und einen großen Schweinebraten. Und als alle schon mehr als satt waren, kam der Nachtisch. Verschiedene Gebäcke, Cremes und Schokoladenmousse. Shikamaru fragte sich, ob für die Hochzeit noch genug Essen übrig blieb, aber selbst Chouji hatte irgendwann so viel gegessen, dass er nicht mehr konnte.
Nach dem Abendessen sagte der Fürst: „Ihr seid sicher sehr erschöpft von eurer langen Reise. Am Ende des Gästeflures befindet sich ein großes Bad mit einer heißen Quelle, das ihr gern nutzen könnt. Wenn ihr sonst noch etwas benötigt, betätigt bitte das Glöckchen und ein Diener wird sofort erscheinen. Wir müssen euch bitten, den Gästebereich bis zum Sonnenaufgang nicht zu verlassen, da sich alle in höchster Alarmbereitschaft befinden und wir Missverständnisse gern vermeiden möchten. Ich wünsche euch eine gute Nacht!“ Mit diesen Worten stand er auf und verließ das Speisezimmer zusammen mit seiner Frau. Seine Tochter folgte einer Dienerin, und auch Ino und Tenten gingen hinterher zu den Gemächern der Frauen.
Im Schlafzimmer angekommen, konnte Shikamaru sich nicht entscheiden. Sollte er sich gleich ins Bett fallen lassen, oder doch vorher noch das Salz der Meeresluft von sich abwaschen? Da die anderen drei alle beschlossen hatten, noch in der heißen Quelle ein Bad zu nehmen, war es für ihn als Missionsleiter wohl unangebracht, als einziger schon schlafen zu gehen.
Neji hatte sich bereits auf den Weg zum großen Bad gemacht, während Lee im Zimmer noch Liegestützen in einem halsbrecherischen Tempo machte. Chouji hatte sein Handtuch in der Hand und fragte: „Kommst du mit, Shikamaru?“ Shikamaru lag auf dem Bauch auf dem gemütlichen Bett und nickte in das Kissen hinein.
„Wenn ich mich hier irgendwie wieder aufrappeln kann...“
Wie erwartet kam Chouji neben das Bett und rollte ihn mit festem Griff auf den Rücken, um ihm dann die Hand hinzuhalten, damit er Shikamaru hochziehen konnte. Wie oft hatten sie das schon gemacht? Shikamaru war irgendwie froh, dass Neji das nicht gesehen hatte.
Zumindest vermutlich. Wer weiß, was er so alles beobachtet, wenn er allein ist und keiner sieht, dass er sein Byakugan aktiviert.
Er schmunzelte kurz und verwarf den Gedanken dann wieder. Neji war viel zu anständig, als dass er die Privatssphäre von anderen so missachten würde. Träge griff er nach seinem Handtuch und schlurfte hinter Chouji aus dem Zimmer.
Lee rief ihnen hinterher: „Ich komme gleich nach, es sind nur noch knapp zweihundert Liegestützen übrig!“ Shikamaru schloss die Tür hinter sich und schüttelte den Kopf.
Wie kann man nur so dermaßen verrückt sein nach Anstrengung?
„Schade, dass die Mädels woanders schlafen müssen“, sagte Chouji vor sich hin. Shikamaru wusste nicht, worauf er hinauswollte, denn zusammen baden würden sie ja trotzdem nicht. „Wie die Tochter des Fürsten wohl so ist? Beim Essen hat sie kaum gesprochen.“
Du auch nicht, du warst zu sehr damit beschäftigt, so viel wie möglich gleichzeitig in dich reinzustopfen.
„Keine Ahnung, sie scheint zumindest höchstens ein paar Jahre älter zu sein als wir. Schrecklich, wenn man schon so früh heiraten muss...“, antwortete Shikamaru gähnend. Chouji nickte zustimmend. „Ja, sie sah nicht gerade glücklich aus, als ihr Vater über die Hochzeit gesprochen hat. Hoffentlich ist der Mann, den sie heiratet, kein Ekelpaket.“
Shikamaru interessierte sich eigentlich überhaupt gar nicht für diese ganze Hochzeitsgeschichte. Er wollte einfach nur die Mission erfolgreich abschließen und danach ein wenig Zeit haben, um sich auszuruhen.
Kurz bevor sie die Tür zum Bad öffneten, senkte Chouji seine Stimme und raunte Shikamaru zu: „Danke, dass du mitkommst. Ich wäre nicht so gern allein mit Neji oder Lee im Bad.“
Shikamaru seufzte. Das war wieder einmal typisch für Chouji. Er hatte immer Angst, dass jemand blöde Bemerkungen über seinen Körper machte.
Sie traten ein und zogen ihre Sachen aus. Dann betraten sie den großen Baderaum und duschten sich ab. Neji saß mit dem Rücken zu ihnen im Wasser und hatte seine Haare zu einem lockeren Knoten auf seinem Kopf aufgetürmt. Als sie sauber waren, gingen die beiden zum Becken und setzten sich schräg gegenüber von Neji ins Wasser. Er grüßte sie nicht und hatte die Augen geschlossen. Es war im ersten Moment fast zu heiß, wurde dann aber schnell sehr angenehm und Shikamaru musste sich selbst noch einmal darauf hinweisen, dass er die Augen nicht schließen sollte, weil er sonst vermutlich gleich tief und fest schlief.
Chouji fing an, über das leckere Abendessen zu reden und Shikamaru merkte ihm an, dass Nejis Anwesenheit ihn trotzdem nervös machte. Shikamaru antwortete ein paar Mal „Ja“ oder „Mhm“, hatte aber eigentlich keine große Lust auf eine Unterhaltung. Neji hatte die Augen weiterhin geschlossen und Shikamaru fragte sich, ob er versuchte, zu meditieren und ob sie ihn dabei störten. Seine Stirn und damit auch das Fluchsiegel wurde von einem breiten weißen Band verdeckt.
Dann wanderte Shikamarus Blick zu Nejis Narbe, die sich direkt unter seiner linken Schulter befand. Die Wunde war offensichtlich gut verheilt, aber sie hatte eine hässliche rote, wulstige Stelle zurückgelassen. Shikamaru spürte sofort, wie das unangenehme Gefühl des Versagens sich wieder einmal in seinem Magen auszubreiten drohte.
„Ich habe noch nie so gute Zitronenküchlein gegessen“, sagte Neji plötzlich und öffnete die Augen.
Er hatte noch kein einziges Wort gesagt, seitdem die beiden im Bad waren, daher kam es wie aus dem Nichts und Chouji schaute ihn mit großen Augen an, als könnte er nicht fassen, dass Neji ihm tatsächlich geantwortet hatte. Shikamaru fragte sich wieder einmal, ob Neji gespürt hatte, dass er ihn gerade angeschaut hatte, sagte sich aber, dass es einfach nur ein Zufall gewesen war.
„Du magst Süßigkeiten?“, fragte Chouji ganz perplex, aber offensichtlich interessiert. Neji starrte an die Decke und murmelte: „Manche schon. Aber ich esse nicht oft welche.“ Chouji sagte aufgeregt: „Ich fand die Küchlein auch total lecker. Aber nicht so gut, wie den Braten vorher, der war echt allererste Sahne!“
Drittens: Entgegen der Erwartungen mag Neji also Süßigkeiten, unter anderem Zitronenkuchen, gönnt sich aber nicht oft welche. Oder darf er sie nicht oft essen? Wer weiß was der Hyuuga-Clan so alles für lästige Regeln hat.
Ein paar Sekunden später wurde die Tür schwungvoll aufgerissen und Lee kam hereinspaziert.
„So meine Freunde, zweitausend Liegestützen wären geschafft und ich glaube, vielleicht habe ich mich verzählt, deshalb habe ich vorsichtshalber gleich noch fünfhundert mehr gemacht!“
Shikamaru sah Lees Narben am Bein und Arm und hatte das Gefühl, bisher selbst auf seinen Missionen und Kämpfen doch ganz gut weggekommen zu sein. Vermutlich war es aber nur eine Frage der Zeit, bis er sich seine erste schlimme Verletzung zuziehen würde. Andererseits war er auch nicht so kampfversessen wie die Schüler von Sensei Gai.
Neji war inzwischen aufgestanden und duschte sich noch einmal ab. Lee setzte sich neben ihn und erzählte irgendetwas, das Shikamaru wegen des lauten Geräusches der Dusche nicht verstehen konnte. Shikamaru fragte sich, wie Neji es geschafft hatte, aus dem Wasser aufzustehen, ohne dass er es mitbekommen hatte.
„Ich gehe schon zurück“, teilte Neji ihnen mit und verließ das Bad. Shikamaru starrte ihm hinterher. Da Nejis Haare hochgesteckt waren, hatten sie seine Schulter nicht verdeckt und so sah Shikamaru, dass auch auf Nejis Schulterblatt eine große Narbe zurückgeblieben war. Der Pfeil hatte ihn also wirklich buchstäblich durchbohrt. Er schauderte bei dem Gedanken, dass Nejis Leben nur so knapp gerettet worden war und nahm sich noch einmal vor, bei dieser und allen zukünftigen Missionen besser aufzupassen.
Neji schloss die Tür hinter sich und Lee starrte Shikamaru auf einmal ganz misstrauisch an – wobei er splitterfasernackt vor dem Becken stand. „Was? Hast du Angst, dass das Wasser zu heiß ist?“, fragte Shikamaru etwas irritiert, weil Lee seine ganze Pracht direkt vor ihm präsentieren musste.
Chouji kicherte. Lees Augenbrauen zogen sich noch weiter zusammen und er hörte nicht auf zu starren.
Shikamaru zuckte mit den Schultern und schloss seine Augen. Da rückte Lee endlich mit seinem Problem heraus. „Hast du gerade meinen besten Freund komisch angesehen?“
Shikamaru blinzelte verdutzt. „Wie bitte? Was soll ich gemacht haben?“ „Du hast Nejis nackten Körper angeschaut!“, rief Lee und machte immer noch keine Anstalten, ins Wasser zu gehen. „Ähm nein, das hast du dir wohl eingebildet!“, sagte Shikamaru in einem betont gelangweilten Ton und schloss wieder seine Augen.
Was, wenn Neji das gerade gehört hat?
Lee brummte nur zur Antwort. Chouji murmelte: „Was sollte es da auch groß zu sehen geben...“ und kicherte wieder.
„Neji sieht immer perfekt aus, der trainiert ja auch jeden Tag. Bei ihm gibt es bestimmt mehr zu sehen als bei dir!“, grummelte Lee aufgebracht und Chouji hörte auf zu kichern. Shikamaru hörte, dass Lee nun wohl doch entschieden hatte, sich ins Wasser zu begeben und hoffte, dass er ihm nicht zu sehr auf die Pelle rücken würde. Lee hatte so ziemlich alle komischen Angewohnheiten seines Lehrers übernommen, darunter auch, überhaupt kein Gefühl dafür zu haben, wo die Grenzen zum persönlichen Raum eines anderen überschritten waren. Aber er setzte sich ihnen schräg gegenüber, ungefähr dort, wo Neji vorher gesessen hatte und hielt zu Shikamarus Freude endlich einmal die Klappe.
Was bildet der sich bitte ein, mir so komische Dinge zu unterstellen? Wir sind hier alle zusammen in einem Raum, da ist es doch wohl normal, wenn man mal den Blick schweifen lässt. Echt lästig.
Etwas später betrat Shikamaru mit Chouji wieder das Schlafzimmer. Neji war nicht da. Shikamaru fragte sich leicht gestresst, was er wohl machte, da sie ja den Gästebereich nicht verlassen durften.
Demzufolge war Neji vermutlich noch auf der Toilette und würde bestimmt gleich zurückkehren.
Shikamaru ließ sich stöhnend ins Bett fallen und verschwand unter der riesigen, weichen Bettdecke. Hatte er jemals zuvor in so einem weichen Bett gelegen? Er fürchtete, nie wieder aufstehen zu können. Chouji schien auch müde zu sein, denn auch er lag bereits im Bett und schien tief in Gedanken versunken zu sein. Etwas später, als Shikamaru schon beinahe eingeschlafen war, kam Lee ins Zimmer und veranstaltete einen Radau, weil er seinen Schlafanzug unbedingt im Handstand anziehen wollte, was Chouji wieder zum Leben erweckte, der staunend Kommentare dazu abgab.
Shikamaru blinzelte und sah, dass Nejis Bett noch immer unberührt war. Wo blieb er denn nur? Er schien sich öfter zurück zu ziehen, wenn mehrere Personen auf einem Fleck waren.
Ein paar Minuten später war auch Lee unter seiner riesigen Bettdecke verschwunden und anscheinend sofort tief und fest eingeschlafen. Shikamaru überlegte, ob er aufstehen und Neji suchen gehen sollte, entschied sich dann aber aus Faulheit dagegen. Und weil er Neji genug vertraute, dass er die Regeln ihrer Gastgeber nicht einfach so brechen und den Gästebereich verlassen würde.
Notes:
Hey, das war nun schon das neunte Kapitel, ich hoffe, es hat euch gefallen.
Diese Mission ist erst der Anfang, aber sie ist sehr wichtig für die Beziehung von Shikamaru und Neji.Liebe Grüße aus dem abwechselnd sonnigen und gewitterhaften Florida! Ich hoffe, ihr habt auch ein bisschen Zeit, um euch zu entspannen :)
Chapter 10: Sightseeing
Chapter Text
Ein dröhnender Gongschlag zerriss die frühe Morgenstille und riss die vier Shinobi unsanft aus dem Schlaf. Shikamaru hatte Schwierigkeiten, seine verschlafenen Augen zu öffnen. Lee purzelte erschrocken aus seinem Bett und landete recht unsanft auf dem Boden. Neji schlug hektisch die Bettdecke weg und richtete sich alarmiert auf. Er aktivierte sein Byakugan und entspannte sich kurz daraufhin wieder. Seine Stimme klang recht heiser, als er sie beschwichtigte: „Ich denke, das war nur das allgemeine Wecksignal. Die Bewohner bleiben alle ruhig.“
Chouji kam mit einem lauten Gähner unter seiner Decke hervorgekrabbelt. „Bestimmt der Frühstücksruf!“, sagte er und schien sofort hellwach zu sein. Shikamaru fluchte leise vor sich hin und zwang sich dazu, die Wärme des Bettes zu verlassen.
Lee war schon damit beschäftigt, eines der Gewänder anzuziehen, die Fürst Arisugawa extra für sie hatte ins Zimmer legen lassen. Sie sollten auffallen, damit die Feinde des Fürsten durch die Präsenz der Shinobi eingeschüchtert wurden, und es sollte klar sein, dass sie die Hochzeit unterstützten. Deshalb waren die Gewänder in den dunklen Lilatönen des Familienwappens der Arisugawa gehalten. Über das Gewand, das mit goldenem Saum aufwändig vernäht worden war, zogen sie verschiedene, schwarz glänzende Rüstungsteile an. Einen Brustpanzer und Schienen für Arme und Beine, die recht schwer waren und die Shikamaru auch deshalb für absoluten Blödsinn hielt, da sie ihre Beweglichkeit stark einschränkten. Aber der Fürst hatte darauf bestanden, auch wenn es dabei wohl mehr um die Botschaft nach außen hin ging, als dass es sie besonders gut schützen würde.
„Wooah, wir sehen festlich und irgendwie wichtig aus!“, kommentierte Lee, als er sich im Spiegel an der Schlafzimmerwand betrachtete. Shikamaru musste ihm Recht geben. Lee in so einer Aufmachung zu sehen, warf ihn in ein völlig anderes Licht. Der Unterschied zu seinem üblichen, grasgrünen Trainingsanzug war extrem.
„Was die Mädels wohl anziehen?“, fragte sich Chouji laut.
Shikamaru ertappte sich dabei, wie er Neji anstarrte, der sich gerade fertig angekleidet hatte und aus der Zimmerecke in die Mitte trat, um sein Erscheinungsbild hinter Lee im Spiegel zu überprüfen.
Was auch immer die Mädels tragen werden, gegen Neji kommen sie nicht an!
Shikamaru hätte seine Gedanken beinahe laut ausgesprochen, konnte sich aber zurückhalten. Neji wirkte für gewöhnlich recht blass, mit seiner hellen Haut und den weißen Hyuugagewändern, die er fast immer trug. Doch nun verstärkte das dunkle Lila irgendwie die Farbe in seinen blassen Augen und mit dem glänzenden Goldsaum und der schwarzen Rüstung wirkte er festlich und elegant, fast schon königlich. Shikamaru musste sich zwingen, den Blick abzuwenden und sich weiter anzuziehen. Was sich als ziemlich lästig erwies, weil er schon seit ein paar Minuten mit den Verschlüssen der Armschienen kämpfte.
„Warte, ich helfe dir.“ Shikamaru zuckte fast zusammen, als er Nejis Stimme plötzlich so nah an seinem Ohr hörte. Neji zog die Lederriemen der Armschienen für ihn fest und Shikamaru stand einfach nur verlegen da. Was die Situation noch schlimmer machte, waren Nejis Haarspitzen, die Shikamaru an der Hand kitzelten, als Neji sich leicht herunterbeugte. Deshalb lenkte er die Aufmerksamkeit schnell auf den armen Chouji, der sich ebenfalls mit seiner Rüstung abmühte. Er hatte zwar eine größere Anfertigung erhalten als die anderen, musste sich aber dennoch ziemlich hineinquetschen.
„Hey danke Neji, aber den Rest krieg ich auch alleine hin. Vielleicht kannst du noch Chouji helfen...“
Chouji warf ihm einen entsetzten Blick zu und hob abwehrend seine Hände. „Nein, nein, das ist schon okay, danke, ich komme schon klar...“
Da sprang Lee zu Choijis Seite und sah ihn abschätzend an. „Hmm, also so wie ich das sehe, brauchst du ganz klar Hilfe. Ich schlage ein paar Runden Lauftraining vor, dann passt du vielleicht schon eher da rein.“
Chouji lief rot an und Shikamaru konnte genau sehen, wie er versuchte, nicht zu explodieren. „Hast du mich gerade fett genannt?“, knurrte er Lee mit zusammengepressten Lippen an.
Lee, der überhaupt nicht gemerkt zu haben schien, dass er eventuell gerade etwas Beleidigendes geäußert hatte, schüttelte aufrichtig den Kopf. „Nein, das habe ich nicht gesagt. Es ist einfach nur ganz offensichtlich, dass es dir leichter fallen würde, diese Rüstung anzuziehen, wenn du wenigstens ein bisschen mehr Sport machen würdest. Mindestens ein paar hundert Sit-Ups und vielleicht noch...“
Weiter kam er nicht, weil ganz plötzlich die Tür aufsprang und Tenten hereinplatzte. Sie trug ein langes Kleid in dunklem Lila mit feinen verschnörkelten, goldenen Linien darauf. Abgesehen von Armschienen konnte Shikamaru an ihr keine Rüstung entdecken. Die Haare hatte sie zu den üblichen zwei Knoten hochgesteckt, die aber mit schwarzgoldenen Bändern gebunden waren.
„Hey, wie wärs vielleicht mal mit Klopfen?!“, fuhr Shikamaru sie genervt an. „Hier wird sich gerade umgezogen!“ Tenten warf ihm ein entschuldigendes Lächeln zu und sprang dann zu Neji herüber, der gerade seine Haare zu einem Zopf zusammenband.
„Neji! Ich musste gerade tausend Leute um Erlaubnis bitten, euch kurz mal besuchen zu dürfen. Die haben hier so dämliche Regeln, was die Trennung von Männern und Frauen angeht. Total nervig!“
Neji nickte einfach nur ruhig.
„Und was ist mit Ino?“, fragte Shikamaru. Tenten stieß einen langen Seufzer aus. „Ino MUSSTE bei Ayaka bleiben, weil sie am Tag vor der Hochzeit nie alleine sein darf und noch viel weniger als das, darf sie einem Mann begegnen. Da sitzen gerade bestimmt noch zehn Hausmädchen mit ihr im Zimmer und trotzdem durfte nur eine von uns beiden herüberkommen.“
Chouji versuchte Tentens Aufmerksamkeit zu erlangen und fragte total interessiert und immer noch ein wenig rot im Gesicht: „Ayaka ist die Tochter des Fürsten?“
Tenten nickte ihm kurz zu, drehte sich dann aber gleich wieder zu Neji um und strahlte ihn an.
„Neji, du siehst soo toll aus! Ich wünschte, sie hätten mir auch eine Hose gegeben. In diesem langen Kleid zu kämpfen stelle ich mir ziemlich unpraktisch vor.“
Chouji holte Luft und wollte vermutlich etwas über Tentens Aussehen sagen, aber Lee kam ihm zuvor. Er sprang zwischen Tenten und Neji, legte seine Arme über ihre Schultern und rief: „Wir sehen alle drei super aus! Schade, dass Sensei Gai nicht hier ist. Wir müssen unbedingt ein Foto machen und es ihm schenken! Dann kann er richtig mit uns angeben.“
Neji schaute leicht irritiert und schlüpfte unter seinem Arm hervor. Lee beachtete es gar nicht und plapperte weiter Tenten voll, dass sie auch mit dem blöden Kleid jeden Gegner fertig machen würde und sich keine Sorgen machen müsse. Shikamaru behielt seinen Kommentar für sich, dass es recht unwahrscheinlich war, dass sie überhaupt kämpfen mussten.
Chouji war es offensichtlich peinlich, sich weiter in die Rüstung zu zwängen, so lange Tenten im Raum blieb, denn er stand unschlüssig da und zupfte an seinem Ärmel herum.
„Gibt es einen bestimmten Grund dafür, dass du hier bist, Tenten?“, fragte Shikamaru, immer noch etwas genervt. Tenten schüttelte Lees Arm von sich ab und sah Shikamaru hoffnungsvoll an.
„Ich habe mich dort drüben einfach ein bisschen nutzlos gefühlt. Die reden die ganze Zeit nur über Kleider und das Makeup der Braut und solchen Kram. Aber sobald ich auch nur das Wort 'Verteidigung' erwähne, schauen sie mich an, als hätte ich das Brautkleid schmutzig gemacht. Ich dachte, vielleicht kann ich euch bei irgendetwas helfen.“
Bevor Shikamaru antworten konnte, sagte Neji: „Tenten, es ist deine Aufgabe, die Braut zu bewachen. Du wirst dich doch sicher ein paar Stunden lang zusammenreißen und deine Pflicht erfüllen können, oder etwa nicht?“ Tenten starrte ihn wortlos mit enttäuschter Miene an.
Shikamaru wunderte sich darüber, wie streng Neji auf einmal mit seiner Teamkollegin umging. Aber da er die Situation auch nicht ändern konnte, musste er ihm zustimmen.
„Aber wenn sie dort nichts Sinnvolles machen kann… vielleicht kann Tenten ja gleich mit uns auf die Patrouille gehen?“ schlug Chouji vor. Tenten warf ihm einen dankbaren Blick zu und Chouji starrte schnell seine Füße an und wurde wieder rot.
Shikamaru konnte verstehen, dass Tenten keine Lust hatte, bei den ganzen Frauenzimmern zu sitzen und über langweilige Dinge zu reden, aber das war nun einmal ihre Aufgabe und deshalb würde sie sich wohl oder übel damit abfinden müssen.
„Sorry Tenten, aber Neji hat Recht. Der Fürst hat uns hier herbestellt und er bezahlt uns dafür, dass wir unsere Arbeit so erledigen, wie er es sich wünscht. Geh bitte wieder zu Ino und hilf ihr, auf die Fürstentochter aufzupassen. Wir müssen einfach alle nur die Hochzeit morgen überstehen und in zwei Tagen können wir uns wieder auf den Heimweg machen.“ Tenten und Chouji sahen Shikamaru enttäuscht an.
„Hey Tenten, tut mir leid für dich, aber du machst das schon.“ Lee klopfte ihr kameradschaftlich auf die Schulter und lächelte sie aufmunternd an. „Ich denke, die Braut kann froh sein, wenn du an ihrer Seite stehst. Ino allein könnte da nicht viel helfen, das kann ich jetzt nach unseren Trainingseinheiten mit großer Sicherheit sagen!“
Tenten schluckte und nickte dann. Man sah ihr deutlich an, dass sie am liebsten widersprochen hätte, aber sie fügte sich in ihr Schicksal und verabschiedete sich.
„Na dann, ich wünsch euch viel Spaß bei eurer Patrouille. Wir sehen uns dann wohl erst morgen bei der Zeremonie. Wenn etwas sein sollte, schickt uns eine Nachricht.“ Chouji winkte und sagte: „Grüße Ino von uns und passt auf euch auf!“ Tenten nickte und verließ widerwillig das Zimmer.
„Arme Tenten“, murmelte Chouji. Daraufhin baute sich Lee gleich wieder vor ihm auf und sagte viel zu laut: „Mach dir ihretwegen keine Gedanken, das schafft sie schon. Du solltest dich aber nun wirklich beeilen mit dem Anziehen. Sogar Shikamaru ist schon fertig.“
Shikamaru hätte ihm für diesen Kommentar am liebsten einen Stoß in die Seite verpasst, wäre er nicht Lee gewesen. Bei dem konnte man sich einfach nicht sicher sein, ob er es vielleicht falsch verstand und daraus gleich eine Prügelei entstehen würde. Also ging er zu den beiden und sagte nur: „Hey, was soll das denn heißen - sogar Shikamaru? Ich helfe dir Chouji, wir sollten uns wirklich langsam ein bisschen beeilen!
Neji, der anscheinend schon wieder sein Byakugan benutzt hatte, warnte sie vor. „Der Diener ist gleich hier, um uns abzuholen.“ Er stand in der Ecke des Zimmers neben seinem Bett und beobachtete, wie Shikamaru und Lee gemeinsam Chouji dabei halfen, den Brustpanzer zu schließen.
Viertens: Neji aktiviert sein Byakugan auch um eigentlich völlig überflüssige Dinge nachzusehen. Hat er sich vielleicht unbewusst so angeeignet.
Als es gleich darauf an der Tür klopfte, hatten sie es zum Glück gerade geschafft. Chouji nörgelte zwar, weil es „verdammt unbequem“ sei, aber auch er sah nicht schlecht aus und das war es ja, was für den Fürsten zählte.
Der Diener führte sie nach draußen, wo eine offene Kutsche stand, in der Fürst Arisugawa höchstpersönlich schon auf sie wartete. Als sie einstiegen und sich setzten, sagte er: „Ich hoffe, ihr konntet euch von eurer langen Reise gut erholen.“
Alle nickten, mehr oder weniger enthusiastisch. Der Fürst lächelte selbstgefällig. „Sehr gut. Ich zeige euch nun unsere Stadt. Es ist, wie ich ja schon gestern sagte, die einzige Stadt auf dieser Insel und der wichtigste Handelspunkt ist direkt unten am Hafen. Zum Dank, dass ihr uns eure Unterstützung anbietet, möchte ich euch die schönsten Sehenswürdigkeiten zeigen. Der Bräutigam soll heute Abend eintreffen, er möchte euch dann sicher auch noch kennen lernen.“
Die Kutsche setzte sich in Bewegung und schlug in gemütlichem Tempo den Weg zum Hafen ein. Es war ausgesprochen schönes Wetter, der Himmel und das Meer strahlten in schönstem Blau um die Wette und Shikamaru begann unter dem schweren Stoff und der Rüstung schon bald zu schwitzen. Auch Lee sah aus, als wäre ihm heiß und Choujis Stirn glänzte schon vom Schweiß. Neji hingegen ließ sich von der Hitze nichts anmerken. Er wirkte einfach genau so wie immer.
Fünftens: Neji bringt so schnell nichts zum Schwitzen.
„Echt schade, dass die Mädels nicht an der Tour teilnehmen können. Ino ist bestimmt enttäuscht“, raunte Chouji Shikamaru zu, als der Fürst gerade mitten in einem Gespräch mit Lee war, der nicht glauben konnte, dass er noch nie etwas von den Heldentaten seines Lehrers gehört hatte und ihm detailreich beschrieb, was dieser schon alles vollbracht hatte. Neji versuchte, Lee etwas zu bändigen, aber der Fürst schien sich an Lees überquellender Art nicht zu stören.
Shikamaru nickte. "Jaa, Ino wird sicher ausrasten, wenn sie erfährt, was wir uns alles ansehen. Sightseeing ist genau ihr Ding."
Der Fürst hatte Lees Erzählungen wohl doch nur mit einem Ohr zugehört, denn er richtete sein Wort nun an Chouji und Shikamaru. „Wenn sie gerne möchten, können die beiden Damen übermorgen, bevor ihr wieder abreist, gerne noch ein paar Orte besichtigen. So viel bin ich Ihnen schon schuldig. Ich möchte nicht, dass sie wieder heimkehren, ohne die schönsten Fleckchen unserer wunderschönen Stadt gesehen zu haben.“
Chouji lächelte ihn dankbar an. „Vielen Dank. Da würden sie sich sicher sehr freuen.“
Der Fürst verzog die Lippen erneut zu einem selbstbewussten Lächeln. „So, meine werten Herren, nun sind wir am Marktplatz angekommen.“
Die Kutsche hielt an und sie stiegen alle aus. Der Fürst führte sie zu einigen Ständen, an denen teuer aussehende Gewänder, große Mengen an verschiedensten Früchten und unterschiedliche Fischsorten angepriesen wurden. Shikamaru bemerkte, wie die Leute sie anstarrten. Viele boten ihnen Kostproben an und eine ältere Frau schenkte jedem von ihnen einen kleinen Glücksbringer. Es waren buntgewebte Bänder, an denen jeweils eine kleine metallene Tierfigur befestigt war.
Die Frau machte aus der Übergabe eine stille Inszenierung, hielt den Blick jedes Einzelnen fest, als würde sie nach etwas suchen, das nur sie sehen konnte. Bei Shikamaru und Neji verweilte ihr Blick länger, prüfend, abwägend – fast widerwillig, weiterzugehen – während Lee und Chōji ihre Glücksbringer nach einem kurzen, durchdringenden Blick erhielten.
Schließlich hatte sie ihre Wahl getroffen. Mit bedächtiger Sorgfalt legte sie jedem seinen Glücksbringer in die Hand, als würde sie damit ein unsichtbares Versprechen besiegeln, und verabschiedete sich mit einer tiefen, beinahe feierlichen Verbeugung.
Lees Tier war ein Tiger, Chouji bekam einen Bären, Shikamaru einen Adler und Neji einen Wolf. Sie bedankten sich und der Fürst erklärte ihnen, dass diese Tiere alle auf der Insel zu finden seien und die Glücksbringer sie vor Bösem bewahren würden, wenn sie die Insel wieder verließen. Die alte Frau sei in der Lage, anhand ihrer Aura zu bestimmen, welcher Glücksbringer am besten passte.
Anschließend machten sie auf einem kleinen Platz in der Mitte des Marktes Halt, auf dem ein Springbrunnen stand. Rings herum waren mehrere Tische mit Bänken aufgebaut worden und an einem davon ließen sie sich nieder. Dann ließ der Fürst ihnen verschiedene Speisen und Getränke bringen. Shikamaru verspürte wegen der Hitze keinen großen Hunger, bediente sich aber an den saftigen Früchten, die ein bisschen wie kleine Pfirsiche aussahen. Die Shinobi schienen hier tatsächlich große Aufmerksamkeit zu erregen, denn immer mehr Leute versammelten sich um sie herum.
Ja, klar... Das hier passiert nur zum Dank für unsere Unterstützung… Der eigentliche Dank ist die Bezahlung, aber das was hier gerade veranstaltet wird, ist einzig und allein eine Machtdemonstration. Der Fürst will zeigen, dass er die Unterstützung Konohas hat, um seinen Gegner einzuschüchtern. Für eine Insel, die selbst keine Ninja ausbildet, bedeutet es wohl viel, gleich vier davon auf einem Fleck zu sehen. Auch wenn wir strenggenommen alle noch nicht besonders erwachsen aussehen. Mit Ausnahme von Neji vielleicht…
Als hätte Neji seine Gedanken gelesen, warf er ihm einen neugierigen Blick zu. Im Gegensatz zu Chouji und Lee hatte auch er nicht viel von dem Essen angerührt.
„Was für ein Tier hast du?“, fragte Neji ihn. Shikamaru brauchte einen Moment, um zu verstehen, was er meinte, aber dann fiel sein Blick auf den Glücksbringer. „Sieht aus wie ein Adler“, antwortete er und hielt den Glücksbringer hoch, damit Neji ihn betrachten konnte. Neji streckte seine Hand danach aus und Shikamaru reichte ihn hinüber. Neji nahm ihn in die Hand und strich einmal beinahe liebevoll mit dem Daumen darüber. „Er ist schön. Vielleicht bringt er dir ja wirklich Glück.“ Dann gab er ihn wieder zurück.
Shikamaru fragte sich, ob Neji etwa abergläubisch war. Das passte überhaupt nicht zu seinem Bild von ihm. Deshalb entschied er sich, dieses Thema noch etwas genauer zu untersuchen, bevor er seine These zu den anderen hinzufügte.
„Du hast einen Wolf bekommen?“, fragte Shikamaru. Neji nickte und zeigte ihm seinen Anhänger. „Der passt gut zu dir“, bemerkte Shikamaru, aber Neji zuckte mit den Schultern. „Wenn du meinst.“, sagte er und steckte den Glücksbringer wieder ein.
Als sie gegessen hatten, manche mehr, andere weniger, führte Fürst Arisugawa sie wieder zu der Kutsche zurück und die Fahrt ging weiter am Hafen entlang. Der Wind war angenehm kühl und der Fürst erzählte ihnen von der Geschichte der Stadt und der ganzen Insel und Shikamaru hatte Mühe, sich wach zu halten und interessiert zu tun. Zu seiner Überraschung war Lee um einiges verlässlicher, als er gedacht hätte. Er stellte viele interessierte Fragen und unterhielt sich ausführlich mit dem Fürsten und auch Neji beteiligte sich hin und wieder am Gespräch.
Da merkt man doch, dass die beiden ein Jahr älter sind als wir.
Chouji saß einfach nur staunend da und hörte zu. Shikamaru hatte sich im Vornherein schon mit den wichtigsten Informationen über die Insel vertraut gemacht, die Tsunade ihm als Missionsleiter hatte zukommen lassen und konnte sich nicht so sehr für die Erzählungen des Fürsten begeistern. Stattdessen überlegte er, ob sie wohl Zeit für einen Mittagsschlaf bekämen. Er vermutete jedoch, dass der Fürst den ganzen Tag streng verplant hatte.
Kurz darauf hielten sie an einem großen Tempel an, wo die Gottheit der Insel verehrt wurde. Hier würde morgen das Ehepaar vermählt werden, und es huschten einige Leute umher, um Blumenkränze aufzuhängen und die Bankreihen für die Zuschauer bereitzustellen. Der Fürst bezeichnete sich zwar als nicht besonders gläubig, aber er führte sie dennoch durch den Tempel und zeigte ihnen viele seiner Kunstwerke.
„Das wäre was für Ino“, flüsterte Chouji. Shikamaru stimmte ihm zu.
Hoffentlich wird sie morgen noch ein wenig Zeit haben, sich die Bilder anzusehen.
Als er sich umdrehte, sah er, dass Neji weiter hinten stehen geblieben war, und eine Steinfigur betrachtete. Es war eine ältere Frau, die einen kleinen Käfig in der linken Hand hielt, in dem ein Vögelchen saß. Neji starrte die Figur so eindringlich an, als wollte er durch sie hindurchsehen. Was er mit dem Byakugan auch ohne Probleme hätte tun können.
Als sich die anderen immer weiter entfernten, rief Shikamaru Neji leise zu: „Hey, wir verlieren den Anschluss!“ Neji sah ihn kurz an und sagte leise: „Entschuldigung.“ Dann warf er der Figur einen letzten Blick zu und schloss zu Shikamaru auf.
„Alles klar bei dir?“, fragte Shikamaru. Neji nickte. „Ja. Ich finde den Gedanken nur ein wenig beunruhigend, dass es so etwas wie einen Gott wirklich geben könnte.“ Shikamaru lachte kurz. Sag das lieber nicht zu laut, solange wir uns hier in dem Tempel befinden.
Neji nickte und entschuldigte sich erneut. Er sah Shikamaru an und schien zu überlegen, ob er etwas sagen sollte. Dann senkte er seinen Blick aber, wandte sich ab und beschleunigte seine Schritte, um die anderen einzuholen. Chouji stand etwas weiter vorn und wartete auf Shikamaru. Als Neji an ihm vorbeiging, lächelte er ihn unsicher an, wurde jedoch komplett ignoriert.
„Ich verstehe nicht, wie du dich so normal mit ihm unterhalten kannst, Shikamaru“, sagte er, als Shikamaru ihn eingeholt hatte. Shikamaru kratzte sich am Hinterkopf. „Er ist eigentlich voll in Ordnung, wenn man mit ihm allein ist“, antwortete er, woraufhin Chouji ungläubig den Kopf schüttelte.
Der Fürst zeigte ihnen, wo sie während der Zeremonie stehen und worauf sie achten sollten. Da sich bisher aber noch keine feindlich gesinnten Leute gezeigt hatten, sei er ganz guter Hoffnung, dass auch morgen alles friedlich bleiben würde.
Der Rest des Tages verging auf ähnliche Art. Zwischendurch saßen sie in der Kutsche und hörten den Geschichten des Fürsten zu, der wirklich ausgesprochen gerne redete. Ab und zu hielten sie an und sahen sich besondere Gebäude an, wie beispielsweise den Leuchtturm oder das Inselgefängnis. Sie wurden auf eine Obstplantage geführt, auf der unter vielen anderen Sorten auch die kleinen Pfirsiche angebaut wurden. Überall herrschte ein emsiges Treiben.
Die Leute hier scheinen echt gerne zu arbeiten, dachte Shikamaru und sehnte sich wieder nach dem weichen Bett im Gästezimmer.
Dann machten sie noch an einem Aussichtspunkt weiter oben am Hügel Halt. Von dort sah man fast die ganze Stadt und dahinter erstreckte sich das Meer. Es war ein wunderschöner Anblick, der Shikamaru wenigstens für ein paar Augenblicke seine Müdigkeit vergessen ließ.
Chapter 11: Ein unerwartetes Echo
Notes:
(See the end of the chapter for notes.)
Chapter Text
Erst am späten Nachmittag kamen sie wieder bei der Burg an und der Fürst entschuldigte sich dafür, dass er sie so lange beansprucht hatte.
„Bitte ruht euch im Gästebereich für eine gute Stunde aus, ich lasse dann einen Diener schicken, der euch zum Abendessen holt. Dort werdet ihr dann auch den zukünftigen Ehemann meiner Tochter kennenlernen. Die Rüstung könnt ihr für heute dann natürlich erst einmal ablegen.“
Nachdem er sich seiner Rüstung entledigt hatte, was um einiges schneller ging, als sie anzulegen, ließ Shikamaru sich mit einem Stöhnen auf sein Bett fallen. „Eine Stunde ist viel zu wenig Zeit...“, dachte er und wäre um ein Haar eingeschlafen, wenn Chouji ihn nicht plötzlich angesprochen hätte.
„Shikamaru! Vielleicht sollten wir vor Ino so tun, als wäre der Ausflug heute total langweilig gewesen, was meinst du?“ Chouji setzte sich zu ihm aufs Bett. Shikamaru grunzte in sein Kissen hinein. War das denn etwa nicht offensichtlich? Musste er ihn jetzt wirklich deshalb vom Dösen abhalten?
„Ja, gute Idee. Machen wir“, war seine träge Antwort.
Einen Moment später keuchte er erschrocken auf, weil etwas Schweres auf seinem Rücken gelandet war und ihm die Luft aus der Lunge presste. „Das ist eine super gute Idee! Wir tun einfach so, als hätte der Fürst uns die ganze Zeit nur vollgejammert. Sowas kann Tenten nämlich überhaupt nicht ausstehen!“
Anscheinend war Lee auf die wunderbare Idee gekommen, es Chouji gleichzutun und Platz auf Shikamarus Bett zu nehmen, nur dass sein Platz nehmen um einiges ungestümer war. „Ey, geh von mir runter!“, fuhr Shikamaru ihn an und versuchte ihn abzuschütteln. Lee lachte, rappelte sich auf und setzte sich dann einfach neben ihn. Shikamaru drehte sich zur Seite und warf ihm einen genervten Blick zu.
„Was macht ihr denn da?“, fragte Neji, der gerade aus dem Bad ins Zimmer getreten war, und zog seine Augenbrauen hoch. Sie sahen bestimmt aus wie eine Horde Kleinkinder, die auf dem Bett herumtobten.
„Kannst du mal deinen Freund von meinem Bett entfernen, dann kümmere ich mich um meinen.“, bat Shikamaru ihn und hoffte, dass Neji auf diese Weise klar wurde, dass er hier nur das Opfer war. Das hatte aber nur zur Folge, dass Chouji grummelnd aufstand und sich auf sein eigenes Bett setzte.
Neji ignorierte sie aber und griff nach seinem Handtuch. Bevor er zur Tür hinausging, drehte er sich noch einmal um und sagte. „Ich gehe kurz in den Onsen. Ich denke, ihr braucht meine Hilfe nicht, um euch noch etwas auszuruhen, bevor es Essen gibt.“
Lee kicherte wieder und warf sich dann erneut auf das Bett, nur diesmal neben Shikamaru und nicht auf ihn. „Also ich kann mich so ganz wunderbar entspannen, ich weiß gar nicht, was ihr habt.“ Shikamaru stöhnte genervt und drehte sich wieder auf den Bauch. Er hatte jetzt einfach nicht die Kraft mit Lee herumzustreiten.
„Eigentlich eine gute Idee, vor dem Essen ein Bad zu nehmen. Ich hab ja so dermaßen geschwitzt!“ murmelte Chouji und Shikamaru konnte an seinem Tonfall hören, dass er ein bisschen beleidigt war, weil Shikamaru nicht wollte, dass er auf seinem Bett saß.
„Wir haben sicher nach dem Essen mehr Zeit für ein Bad. Es macht überhaupt keinen Sinn, sich jetzt so abzuhetzen“ sagte Shikamaru.
Chouji stand auf. „Dann dusche ich mich aber wenigstens noch schnell ab. Wollte gerade noch jemand von euch aufs Klo?“ Shikamaru verneinte, aber Lee rief: „Ich war gerade auf der Toilette, als wir zurückgekommen sind. Aber falls ich nochmal muss, komm ich einfach rein.“ Chouji verzog erschrocken das Gesicht. „Nein, bitte warte dann kurz, ich brauche wirklich nicht lange.“ Lee lachte. „Das war doch nur ein Witz. Ich muss überhaupt nicht.“ Chouji schloss trotzdem die Tür ab.
Shikamaru wurde es langsam zu bunt. Er drehte sich zu Lee. „Würdest du nun bitte dein eigenes Bett belagern? Ich kann mich nicht entspannen, wenn mir jemand so auf die Pelle rückt“ schnauzte er ihn noch einmal an. Lee setzte sich augenblicklich auf und sprang auf den Boden, wo er salutierte. „Aber sicher doch, Missionsleiter Nara. Ich habe mich eh schon genug ausgeruht. Ein bisschen Training wäre allerdings noch angebracht.“ Und schwupps, positionierte er sich auf dem Boden und begann Sit-Ups zu machen. „Wie du willst, aber zähl gefälligst leise!“, stöhnte Shikamaru genervt.
Sie sollten sich ausruhen. Wieso musste der Spinner jetzt trainieren? Aber das bestätigte wieder einmal nur die Theorie, dass sowohl Gai als auch seine Schüler verrückt waren. Hoffentlich benahmen sich Tenten und Ino. Eigentlich machte er sich wegen Ino keine Sorgen. Sie konnte sich sehr erwachsen und verantwortungsvoll benehmen, wenn es sein musste. Aber Tenten kannte er nicht gut und konnte sie nicht einschätzen. Andererseits hatte er bisher nie etwas schlechtes darüber gehört, wie Team Gai ihre Missionen ausführte. Sie waren eigentlich immer erfolgreich und sowie Shikamaru wusste, hatte sich keiner ihrer Auftraggeber jemals über sie beschwert.
Warum war Neji gestern Abend nicht im Zimmer? Es gibt hier im Gästebereich nur das große Bad mit der heißen Quelle, unser Zimmer mit dem kleinen Bad und einen kleinen Aufenthaltsbereich mit zwei Sesseln und einem kleinen Tischchen am Ende des Flures. Vielleicht wollte er einfach ein bisschen seine Ruhe?
Obwohl Shikamaru sich extrem auf das weiche Bett gefreut hatte und jede Sekunde darin auskosten wollte, war er jetzt auf einmal unruhig. Vielleicht lag es an Lees lauten Atemgeräuschen, die er beim Trainieren von sich gab, dass er sich nicht entspannen konnte. Oder an dem Geräusch des Wassers aus der Dusche im Bad nebenan. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund hatte er auf einmal das starke Gefühl, dass er Neji hinterhergehen und schauen sollte, ob alles in Ordnung sei. Vielleicht war es der Ausdruck in Nejis Gesicht gewesen?
Er richtete sich langsam auf. „Ich bin gleich wieder da.“ Lee hörte nicht auf mit seinen Sit-Ups. „Alles klar, Missionsleiter Nara! Ich halte hier solange die Stellung“, rief er.
„Du musst nicht so rumschreien, ich stehe direkt neben dir. Und hör auf mich so zu nennen.“
„Alles klar!“
Als Shikamaru draußen im Flur stand, fragte er sich, was in ihn gefahren war. Aber wo er schon einmal damit begonnen hatte, konnte er wohl schlecht ins Zimmer zurückgehen und sich wieder hinlegen. Er ging zum Badezimmer und betrat den Umkleidebereich. Neji musste schon im Bad sein, denn seine Sachen lagen ordentlich zusammengefaltet in einem der Körbchen im Regal.
Shikamaru, der kein Handtuch dabei hatte und eigentlich auch nicht vorgehabt hatte, so kurz zu baden, stand unschlüssig in der Mitte des Zimmers.
Das wäre viel zu umständlich, mich jetzt auszuziehen, abzuduschen, kurz im heißen Wasser zu sitzen, nur um mich dann erneut abzuduschen und gleich wieder anziehen zu müssen.
Also betrachtete er sich im Spiegel und wusch sich dann das Gesicht an dem einzigen Waschbecken im Raum. Er sah recht rot aus und hoffte, dass er sich keinen Sonnenbrand geholt hatte. Dann entschied er sich, im Wartebereich auf Neji zu warten. Er setzte sich dort auf einen der Sessel und fragte sich, ob der heutige Abend noch lang werden würde.
Eine kurze Weile später kam Neji aus dem Bad. Er trug wieder das Gewand, dass sie von Arisugawa bekommen hatten und das auch ohne die Rüstung sehr festlich aussah. Seine Haare waren noch hochgesteckt. Er nickte ihm zu. „Shikamaru.“
Zu Shikamarus Überraschung ging Neji nicht an ihm vorbei zum Zimmer, sondern setzte sich zu ihm auf den anderen Sessel. Kurz schloss er seine Augen und schien sich für ein paar Sekunden zu entspannen. Dann öffnete er sie wieder und sah Shikamaru aufmerksam an.
„Ich hätte gedacht, dich schlafend vorzufinden, wenn ich zurückkomme.“
Shikamaru lachte trocken. „Schön wärs, aber dafür haben wir wohl leider zu wenig Zeit.“
Er spürte, dass er Nejis Blick nicht weiter standhalten konnte, daher schloss er seine Augen und lehnte sich wieder gemütlich zurück. Als Neji länger nichts mehr sagte, öffnete er sie wieder, um zu sehen, ob er vielleicht eingeschlafen war. Neji hatte seine Augen tatsächlich wieder geschlossen und atmete gleichmäßig.
Shikamaru konnte sich genau vorstellen, wie er sich jetzt fühlte, nach dem anstrengenden Tag und dem wohltuenden heißen Bad. Er wäre an seiner Stelle vermutlich auf der Stelle eingeschlafen.
Da hatte er auf einmal das Gefühl, dass er es sich nicht nur vorstellte, sondern, dass er Nejis Chakrafluss wirklich wahrnehmen konnte. Er fühlte sich sehr ruhig und sicher an und so schön warm und angenehm. Es war so, als würde sich sein eigenes Chakra an das von Neji anpassen. So etwas Ähnliches hatte er auch auf dem Schiff bemerkt. Beim Meditieren und am Ende sogar beim aktiven Training hatte er Nejis Chakra wahrgenommen. So etwas hatte er vorher noch nie geschafft. Er war kein Sensor-Ninja und sollte, abgesehen vielleicht von seinem eigenen, überhaupt kein Chakra fühlen können. Wieso konnte er ausgerechnet Nejis Chakra nun so klar erkennen?
Er ließ sich einfach treiben in diesem warmen Gefühl und merkte gar nicht, wie er dabei Nejis Gesicht anstarrte. Er verspürte immer mehr den Drang, seine helle Haut zu berühren. Seine Wangen, die immer noch leicht gerötet waren von der Hitze des Wassers. Oder von der Sonne?
Er spürte im Geist, wie sich seine langen dunklen Haare anfühlen mussten. Nejis Lippen waren zu einem winzig kleinen Lächeln geformt und er sah wieder so zufrieden aus, wie beim Meditieren im Schiff.
Auch mit geschlossenen Augen ist er wunderschön.
Shikamaru zuckte innerlich zusammen, als ihm klar wurde, was er da gerade schon wieder gedacht hatte. Sofort riss die Verbindung ab und die Ruhe war weg. Nur das warme Gefühl blieb noch ein wenig länger in seinem Körper zurück. Shikamaru räusperte sich leicht, um die seltsame Atmosphäre aufzulösen.
„Wir sollten vielleicht langsam zurückgehen und sicherstellen, dass die anderen auch bereit sind, wenn wir zum Essen abgeholt werden.“ Neji nickte und folgte ihm dann zum Zimmer.
Etwas später saßen sie beim Abendessen, das mindestens so überschwänglich war wie am Abend zuvor. Tenten, Ino und Ayaka nahmen nicht teil, da sie auf ihrem Zimmer essen mussten.
Dafür lernten die Jungs nun den zukünftigen Ehemann kennen, der ein reicher Händler war und ihnen viel über seine Erfolge erzählte. Kanemoto war nicht unbedingt unsympathisch, aber bestimmt doppelt so alt wie die Braut und schien sich nicht für viele Dinge zu interessieren, von seinen Geschäften mal abgesehen. Er war der Sohn eines alten Lehrers des Fürsten und die beiden verstanden sich prächtig. Von den Konoha-Ninjas hielt der Händler allerdings nicht so viel.
Er sprach höflich mit ihnen, aber es war schnell klar, dass sie aufgrund ihrer Jugend und der somit nicht vorhandenen Erfahrung für ihn keine allzu ernstzunehmenden Gesprächspartner waren. Er schien sich am meisten für Shikamaru zu interessieren, da er von den besonderen Heilkräutern und Medikamenten gehört hatte, die aus dem Narawald stammten. Er stellte Shikamaru diesbezüglich viele Fragen und äußerte sein Interesse an einer geschäftlichen Zusammenarbeit mit seinem Clan. Als klar wurde, dass Shikamaru in dieser Hinsicht keinerlei Autorität besaß, flaute sein Interesse an ihm jedoch wieder ab und er sagte nur, dass er ihm einen Brief für seinen Vater mitgeben würde. Zu Shikamarus Erleichterung stellte er daraufhin auch keine Fragen mehr.
Das Essen verlief alles in allem ganz angenehm. Chouji hielt sich einigermaßen zurück und stopfte sich nicht ganz so sehr voll, wie er es unter anderen Umständen wohl getan hätte. Lee schien den Großhändler ab dem Augenblick nicht mehr leiden zu können, als er vernehmen ließ, dass er die meisten Kampftechniken für Schwachsinn hielt und lieber in gute Waffen investieren würde. Seitdem aß er schweigend und warf ihm ab und zu böse Blicke zu.
Was Shikamaru aber besonders gegen Ende des Essens immer stärker auffiel, als schon das Dessert hereingebracht wurde, war, dass der Händler Neji zwischendurch immer mal wieder mit einem seltsamen Blick ansah. Neji war auch der einzige von ihnen, den er kein einziges Mal direkt angesprochen hatte. Lag es daran, dass er vom Hyuuga-Clan war? Lag es an seinen auffälligen Augen? Obwohl der Mann alles in allem eine freundliche Aura ausstrahlte, gefiel Shikamaru dieser Blick überhaupt nicht, mit dem er Neji ansah.
Als sie alle satt waren, verabschiedete sie der Fürst, der den Abend vor der großen Hochzeit mit seinem Freund verbringen wollte. Shikamaru und die anderen folgten dem Diener wieder zurück in den Gästebereich. Dort fing Lee wieder an zu trainieren und Neji setzte sich raus in den Flur, um zu meditieren. Chouji überredete Shikamaru noch einmal das große Bad zu nutzen und Shikamaru schlief im heißen Wasser fast ein.
Das wurde durch Lee verhindert, der irgendwann mit großem Trara hereinplatzte und Chouji aufforderte, noch ein wenig mit ihm zu trainieren, damit er morgen auch wirklich in die Rüstung passen würde. Chouji verlor kurz die Beherrschung und hätte Lee beinahe mit seinem Jutsu angegriffen, wenn Shikamaru nicht mit seinen Schatten dazwischengegangen wäre und mit etwas Glück beide fest umklammert hielt. Dabei spürte er mehr, wo sie sich befanden, als dass er sie sehen konnte, weil der Dampf die Sicht erschwerte.
Also entschuldigte Lee sich (recht ungeschickt, denn „War wirklich nicht böse gemeint, ich finde doch nur, dass es echt schade ist, wenn du morgen als einziger aussiehst wie eine Presswurst“ führte wohl eher dazu, Chouji noch wütender zu machen, als ihn zu besänftigen) und gesellte sich dann zu ihnen ins Wasser, was dazu führte, dass Chouji schlechtgelaunt das Bad verließ. Lee ließ die Mundwinkel hängen und beteuerte noch ein paarmal, dass er nicht verstand, wieso Chouji sauer war, weil er es wirklich nicht böse gemeint hatte.
Shikamaru seufzte genervt und versuchte sich noch kurz zu entspannen, entschied dann aber, dass er lange genug im heißen Wasser gesessen hatte. Als er sich abgetrocknet und angezogen hatte, trat er auf den Flur hinaus und entdeckte Neji, der immer noch meditierend auf einem der beiden Sessel im Aufenthaltsbereich saß.
Shikamaru zögerte kurz, als er in Erwägung zog, sich noch kurz zu ihm zu setzen, ging dann aber an ihm vorbei. Er wollte ihn nicht stören. Außerdem wartete doch das gemütlichste Bett auf ihn, das er sich vorstellen konnte.
Notes:
Hey, ich bin zurück aus dem Urlaub und werde versuchen, nun wieder regelmäßiger neue Kapitel hochzuladen. Sobald Shikamaru und Neji von ihrer Mission zurück sind, erfahrt ihr auch wieder mehr über den Shikamaru in der Zukunft – aber vorerst dauert die Mission noch ein paar weitere Tage. Ich hoffe, ihr bleibt gespannt, und danke euch sehr für eure Zeit und eure Kommentare!
Chapter 12: Der Tag der Hochzeit
Notes:
(See the end of the chapter for notes.)
Chapter Text
Am nächsten Morgen hatten sie nicht viel Zeit. Als der Gong sie aus dem Bett scheuchte, konnten sie sich gerade noch kurz im Bad frisch machen und ankleiden und dann stand schon der Diener vor der Tür, der sie abholte. Er führte sie in einen Wartebereich und gab jedem einen Beutel mit etwas Brot und Käse, ein paar Früchten und einer Wasserflasche. Sie frühstückten schnell und sprachen nicht viel dabei. Shikamaru fühlte sich müde und leicht gereizt und hoffte sehr, dass der Tag keine unangenehmen Überraschungen mit sich bringen würde.
Eine kurze Zeit später kehrte der Diener zurück und teilte ihnen mit, dass sie sich nun auf den Weg zum Tempel machen würden. Die vier Jungs achteten darauf, dass sie so selbstbewusst wie möglich auftraten, damit auch alle Zuschauer sahen, dass sie ernstzunehmende Gegner darstellen würden.
Sie trafen bei der Kutsche auf Tenten und Ino, die neben dem Fürsten, seiner Frau und der Braut standen und ihnen kurz fröhlich zunickten. Die beiden Mädchen durften zum Schutz der Braut in der Kutsche mitfahren, während die Jungen in zügigem Tempo nebenher laufen mussten, zusammen mit ungefähr einem Dutzend Dienern. Shikamaru schüttelte unwillkürlich den Kopf. Die Regeln auf dieser Insel, die Geschlechter vor der Hochzeit so strikt zu trennen, waren absolut unzeitmäßig.
Überall an den Straßen standen Leute, die ihnen zujubelten und Blüten verstreuten. Shikamaru strengte sich an, die Umgebung gut im Blick zu behalten, falls sich jemand auffällig verhielt. Neji, der vor ihm lief, würde von Zeit zu Zeit mit dem Byakugan nachsehen, ob er abseits der Hauptstraße etwas entdeckte, das auf einen Angriff hindeuten konnte. Aber schließlich kamen sie ohne Zwischenfälle am Tempel an.
Shikamaru und Neji betraten ihn zusammen mit dem Rest der Dienerschaft, während Chouji und Lee, welche die Rolle der persönlichen Bodyguards des Fürsten zugeteilt bekamen, draußen mit ihm warteten. Shikamaru und Neji stellten sich im vorderen Tempelbereich unten an die Stufen, die zum Altarbereich hochführten und beobachteten die Leute, die in großen Mengen in den Tempel strömten. Sie alle trugen einfache gelbe Gewänder, weil sich das hier bei einer Hochzeit für die Einheimischen so gehörte. Die einzigen, die aus der Reihe tanzten, waren die Shinobi aus Konohagakure, die Braut in ihrem weißen Gewand und der Bräutigam, der einen dunkelblauen Yukata trug.
Shikamaru fragte sich, wie lange sie heute wohl herumstehen mussten, und blickte zu Neji hinüber, der mit strengem Gesichtsausdruck die Leute beobachtete. Er bemerkte die hervortretenden Adern neben seinen Augen und versuchte sich vorzustellen, was genau Neji sah, wenn er das Byakugan benutzte. Er wusste, dass er durch Objekte hindurchsehen und fast wie ein Adler Dinge in weiter Ferne genaustens erkennen konnte. Aber musste es nicht furchtbar anstrengend sein, zu lernen, wie man den Blick auf etwas bestimmtes fokussierte oder die Entfernung einstellte, wenn sich ein Hindernis im Sichtfeld befand? Er überlegte, ob er Neji später einmal danach fragen konnte, oder ob das schon zu gewagt war. Die Hyuugas gingen schließlich extrem vorsichtig mit Informationen um, vor allem wenn es um ihre Kampftechniken und das Byakugan ging.
Ohne Vorwarnung stand Neji plötzlich direkt vor ihm und sah ihn alarmiert an. „Shikamaru, halte kurz hier die Stellung! Ich habe draußen eine Gruppe von Leuten mit Rauchbomben entdeckt und denke, ich sollte die anderen besser darauf hinweisen.“ Shikamaru gab ihm das Ok und schaute ihm leicht verwirrt hinterher, als Neji davondüste.
Bin ich nicht der Teamleiter? fragte Shikamaru sich, sah aber ein, dass einer von ihnen die Leute im Tempel im Auge behalten sollte. Er versuchte angestrengt zu lauschen, ob er von draußen etwas hören konnte, aber es war so laut von dem aufgeregten Gebrabbel der Leute, dass er überhaupt nichts wahrnehmen konnte.
Es kam ihm vor wie eine Ewigkeit, und er fragte sich gerade, ob er nicht doch nachsehen sollte, was draußen los war, als Neji im Tempeleingang auftauchte und sich wieder auf den Weg zu ihm nach vorn machte. Bevor er sich auf die andere Seite der Stufen stellte, raunte er Shikamaru noch kurz zu: „Alles in Ordnung, sie haben die Leute weggeschickt. Sie hatten keine Waffen dabei. Es sollte nun hoffentlich keine Probleme mehr geben.“
Shikamaru hätte gern die ganze Geschichte gehört, aber da ertönte ein lauter Gongschlag und augenblicklich verstummten die Leute. Diejenigen, die noch im Gang standen und redeten, huschten schnell auf ihre Plätze. Dann ertönte eine Flötenmusik und die Zeremonie begann.
Ein Priester sprach ein paar Worte und dann kamen nacheinander der Bräutigam und die Braut mit ihrem Vater und den restlichen vier Shinobi, die hinter ihnen liefen, nach vorn zum Altarbereich. Ino und Tenten stellten sich oben im Altarbereich in den Hintergrund und Lee und Chouji liefen dann wieder zurück zum Tempeleingang, um dort ihre Positionen einzunehmen.
Die Zeremonie bestand aus viel Gerede, viel Gesang und noch mehr Gerede und Shikamarus Füße begannen zu schmerzen. Er riss sich sehr zusammen, der Verlockung zu widerstehen, sich auf die Stufen zu setzen, die so verlockend hinter ihm warteten. Am Ende der Zeremonie wurde noch einmal Musik gespielt und dann lief das Hochzeitspaar durch den Gang zum Ausgang und wurde von den Zuschauern mit Blüten und Konfetti beworfen.
Irgendwie hatte Shikamaru es überstanden. Doch dann fiel ihm mit Schrecken ein, dass sie noch den Weg zum Hafen laufen mussten.
Als sie gerade neben der Kutsche darauf warteten, dass es los ging, tippte Ino ihm an die Schulter und raunte ihm zu: „Reiß dich mal ein bisschen zusammen, du siehst aus, als würdest du gleich im Stehen einschlafen!“ Shikamaru rollte genervt mit den Augen, aber er versuchte sich wieder mehr aufzurichten.
Der Aufbruch verzögerte sich stark, weil unzählige Leute vorbeikamen, um dem frisch vermählten Paar Glück zu wünschen. Neji überwachte mit dem Byakugan alles, was um sie herum geschah, was sehr zu Shikamarus Entspanntheit beitrug. Trotzdem behielt auch er die Leute um sie herum so gut wie möglich im Auge. Lee, der seine Aufgabe wieder einmal mehr als ernst nahm, starrte alle Gratulanten streng an und schüchterte dabei versehentlich ein paar von ihnen so sehr ein, dass sie sich anders entschieden und dem Paar einfach nur aus sicherer Entfernung zuwinkten. Shikamaru konnte hören, wie Choujis Magen neben ihm anfing zu grummeln.
Als es endlich losging, konnte Shikamaru sich ein erleichtertes Seufzen nicht verkneifen. Er wollte die ganze Sache so schnell wie möglich hinter sich bringen. Der Festzug führte durch den unteren Bereich der Stadt und bis zum Hafen, wo sie am Marktplatz anhielten. Der ganze Platz war für die Hochzeitsfeier geschmückt worden, an den Seiten standen lange Tische und Bänke und um den Springbrunnen herum war Platz zum Tanzen. Das Fest sollte vom Mittag bis zur Abenddämmerung dauern, und dann würde das Brautpaar gemeinsam das Hochzeitsschiff betreten, auf dem sie die Hochzeitsnacht nach der alten Inseltradition verbringen sollten.
Shikamaru vermutete stark, dass das Fest damit nicht beendet sein würde und machte sich auf einen sehr langen Tag gefasst. Die Gäste nahmen Platz und das Mittagessen wurde aufgetischt. Chouji fielen fast die Augen heraus bei dem Anblick des ganzen Essens. Die Shinobi durften sich zum Glück nun ebenfalls setzen und am Essen teilnehmen, wobei Lee und Neji sich bereit erklärten, zu warten und die erste Wache zu übernehmen. Die anderen wurden an verschiedenen Tischen so verteilt, dass auch sie möglichst schnell bemerken sollten, wenn sich etwas Verdächtiges ereignete.
Shikamaru saß an einem Tischende, so dass er den Fürsten und das Brautpaar am nächsten Tisch gut im Auge hatte. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass sich jemand an Nejis Byakugan vorbei Zutritt verschaffen würde, könnte Shikamaru ihn sicher rechtzeitig mit seinen Schatten fesseln.
Leider wurde ihm die Überwachung etwas erschwert, weil die Frau, die neben ihm saß, ihm Löcher in den Bauch fragte. Er versuchte sie, so höflich wie möglich abzuweisen, aber sie schien überhaupt nicht zu merken, dass sie Shikamaru störte. Nicht einmal, als der Mann neben ihr, der vermutlich ihr Ehemann war, sie barsch darauf hinwies, dass sie den Ninja nicht von seiner Arbeit abhalten sollte, hörte sie auf, mit ihm zu plaudern. Also stellte er ihr ein paar Gegenfragen und tat, als würde er ihrem Redeschwall interessiert zuhören, während er sich fragte, wie es den anderen wohl erging.
Shikamaru beeilte sich sehr mit dem Essen und löste dann Neji ab. Er war froh, der geschwätzigen Frau entkommen zu sein, aber nun musste er blöderweise schon wieder stehen.
Er beobachtete die fröhliche Menschenmasse und fragte sich, wie man so viel essen und reden konnte. Chouji konnte er von seiner Position aus gar nicht sehen, aber vermutlich genoss er immer noch das leckere Mittagessen. Tenten, die am übernächsten Tisch saß, schien in ein Gespräch mit einem älteren Pärchen vertieft, aber Shikamaru sah, wie sie den Hochzeitstisch nicht aus den Augen ließ. Ino saß weiter hinten und ab und zu konnte er ihre Stimme aus den anderen heraus erkennen, wenn sie laut lachte oder etwas überschwänglich kommentierte.
Nur Neji schien überhaupt nicht mit den Leuten um ihn herum zu interagieren. Er saß ruhig am Rand des Tisches und aktivierte von Zeit zu Zeit das Byakugan. Shikamaru wusste nicht, wie er es angestellt hatte, in Ruhe gelassen zu werden, aber es konnte an seiner Ausstrahlung liegen.
Vielleicht war es aber auch etwas ganz anderes. Auf dieser Insel galten schließlich seltsame Regeln. Er musste ihn später fragen, ob er da einen Trick hatte.
Als sich das Mittagessen dem Ende neigte, stand der Fürst auf und hielt eine lange Rede, während der Shikamaru beinahe eingeschlafen wäre. Die Mittagshitze machte es ihm nicht leichter und er musste sich zwingen, weiterhin wachsam zu bleiben. Es folgte noch eine Rede des Bräutigams und dann standen mehrere wichtige Leute der Stadt auf, um noch einmal Gratulationen auszusprechen.
Shikamaru befürchtete gerade, dass es nie ein Ende haben würde, als der Fürst sagte: „So, nun haben wir aber genug geredet, jetzt ist es Zeit, so richtig zu feiern!“
Die Leute brachen in Jubel aus und die Musiker begannen zu spielen. Sofort verwandelte sich der freie Platz um den Springbrunnen herum in ein Gewirr aus sich drehenden Menschen. Shikamaru konnte nicht verstehen, wie man sich in dieser Hitze auch noch freiwillig bewegen konnte.
„Booah, bin ich vollgefressen...“, sagte Chouji, der sich durch die Leute zu Shikamaru durchgekämpft hatte. „Kann ich mir vorstellen.“ Shikamaru lachte trocken.
Da tauchte auf einmal Fürst Arisugawa vor ihnen auf. „Vielen Dank für die gute Arbeit. Ich denke, ihr könnt euch nun auch etwas amüsieren. Wenn die Feiglinge etwas versucht hätten, dann vor der Trauung. Vielleicht wechselt ihr euch ab, so dass immer zwei von euch ein bisschen Acht geben. Meine Diener und die Leibwächter des Bräutigams sind angewiesen, aufzupassen, dass sich keine Leute unbefugt zum Fest Zutritt verschaffen, also sollte nichts passieren!“
Er lächelte sie großzügig an und verschwand dann wieder zwischen den Menschen. Chouji schaute Shikamaru fragend an.
„Ich denke, er meint damit, dass wir auch tanzen dürfen.“, vermutete Shikamaru laut. Choujis Augen weiteten sich leicht. „Oh wow, das hätte ich unter mich amüsieren jetzt nicht unbedingt verstanden!“
Shikamaru stimmte ihm zu. Aber zumindest war es wohl erlaubt, sich ein wenig auszuruhen. Also setzten sich die beiden mit zwei großen Gläsern Wasser an einen der nun beinahe leeren Tische und schauten den Leuten beim Feiern zu.
„Was war das vorhin eigentlich mit diesen Leuten, die Neji mit dem Byakugan entdeckt hatte?“, fragte Shikamaru.
Chouji erzählte ihm, dass er es zwar nicht so genau mitbekommen hatte, aber eine kleinere Gruppe von Männern hatte wohl versucht mit Rauchbomben, die sie unter ihren Gewändern versteckt hatten, in den Tempel zu gelangen.
„Sie haben wohl gesagt, dass sie nur etwas Unruhe stiften wollten, nichts wirklich Gefährliches. Sie haben falsche Namen angegeben, um reingelassen zu werden. Also, es gab schon ein bisschen Verwirrung, bevor Neji rauskam. Aber dann war der Fürst Neji wohl sehr dankbar, dass er die Rauchbomben gesehen hatte, weil sie die Männer dann mit gutem Grund abweisen konnten.“
Shikamaru nickte und war froh, dass die Männer keine richtigen Waffen dabeigehabt hatten. Es war doch ziemlich unwahrscheinlich, dass sie etwas Schlimmes geplant hatten und es jetzt, nach der Vermählung, noch durchziehen würden.
„Sieh mal, Ino hat einen Verehrer gefunden!“ Chouji zeigte auf die Masse der tanzenden Menschen. Shikamaru brauchte ein paar Sekunden, bis er Ino zwischen all den Leuten entdeckt hatte.
Tatsächlich tanzte sie gerade mit einem jungen Mann und schien sehr glücklich zu sein.
„Nicht nur einen, so wie es aussieht.“ Shikamaru deutete auf ein paar Typen, die Ino genau beobachteten und anscheinend darauf warteten, dass sie an der Reihe waren, mit ihr zu tanzen.
Chouji staunte. „Sie ist ja auch wirklich hübsch und ihre hellen Haare sind hier schon eher etwas Besonderes. Meinst du, wir sollten rübergehen und auf sie aufpassen?“
Shikamaru grunzte. „Nee, Ino kann sich selbst verteidigen, wenn ihr was nicht passt. Sie scheint doch Spaß zu haben. Wenn wir jetzt ankommen, ist sie sicher nur sauer auf uns.“
Chouji überlegte kurz und schien nicht ganz überzeugt zu sein, nickte dann aber.
Ein paar Minuten später kam auch Team Gai zu den beiden.
„Was für ein Fest, nicht wahr?“ rief Lee laut und setzte sich mit den beiden anderen gegenüber von Shikamaru an den Tisch.
„Das Essen war echt super!“, kommentierte Tenten. Chouji stimmte ihr lautstark zu.
„Was macht Ino dort?“, fragte Neji und schien etwas besorgt zu sein. Shikamaru antwortete, weil Chouji nicht reagierte. „Sie tanzt. Der Fürst hat uns gesagt, dass wir uns gern amüsieren können. Wir sollen uns nur abwechseln, so dass immer zwei von uns die Umgebung ein bisschen im Auge behalten können.“
Neji nickte und schloss kurz die Augen. Hatte das häufige Aktivieren des Byakugan seine Augen überanstrengt?
Da packte Tenten Neji aufgeregt an seinem Arm. „Neji, lass uns tanzen!“
Neji sah sie irritiert an. „Tanzen?“, fragte er und klang etwas überfordert.
„Jaa, jaa, wir haben es uns verdient!“ Sie sprang auf und zerrte Neji hoch.
Dieser wurde leicht rot und fing an zu stammeln. „Aber, sollten wir nicht besser weiter aufpassen? Wenn...“
„Das ist eine Hochzeitsfeier, Neji, und die Musik ist toll. Es gehört sich, auf einer Hochzeit zu tanzen. Komm, es wird dir sicher viel Spaß machen!“ Sie zog Neji hinter sich her zur Tanzfläche. Die drei Jungs starrten ihnen mit offenen Mündern hinterher.
Wer hätte das gedacht, Neji Hyuuga kann nicht tanzen!
Shikamaru hatte Neji noch nie so hilflos gesehen. Tenten hatte ihn komplett überrumpelt.
Ich hoffe, sie bleiben am Rand der Tanzfläche, so dass wir die beiden beobachten können.
„Aber Neji wollte doch gar nicht tanzen. Wieso fragt sie uns denn nicht stattdessen?“, murmelte Chouji beleidigt.
Lee sah ihn misstrauisch an. „Kannst du denn überhaupt tanzen, Chouji?“, fragte er, beinahe anschuldigend. Chouji schüttelte bedröppelt den Kopf. „Nicht wirklich. Vor allem nicht in dieser Rüstung. Und du?“ Lee lachte und nickte selbstbewusst. „Natürlich kann ich das. Es ist eigentlich kein großer Unterschied zu Taijutsu, nur dass man seinen Gegner nicht verletzen sollte und die Musik meistens zu langsam ist und es deshalb nicht annähernd so viel Spaß macht. Sensei Gai hat uns manchmal Tanzschritte gezeigt, die wir dann mit Taijutsu kombinieren sollten.“
Hat Team Gai überhaupt irgendeine Form des Trainings noch nicht ausprobiert?
Shikamaru und Chouji stöhnten beide frustriert. Da sah Shikamaru, wie Tenten und Neji begannen, sich zum Takt der Musik im Kreis zu drehen.
Okay, ich muss Nummer 6 auf meiner Liste wohl korrigieren. Neji Hyuuga kann verdammt gut tanzen.
Shikamaru starrte auf das tanzende Pärchen und fragte sich, ob die beiden das schon öfter zusammen gemacht hatten. Es sah irgendwie so natürlich und einfach aus.
Kurz darauf sprang Lee plötzlich wieder auf und stürzte sich auf ein Mädchen, das am Rand der Tanzfläche stand und ungefähr in ihrem Alter sein musste. Sie hatte ihr Haar in zwei langen schwarzen Zöpfen zusammengebunden und wippte mit dem Fuß im Takt der Musik. Als Lee vor ihr auftauchte, war sie von seinem Enthusiasmus offensichtlich etwas überrumpelt. Er strahlte dabei aber so ehrlich, dass sie lachen musste und sich dann tatsächlich von ihm auf die Tanzfläche führen ließ.
„Sollten wir lieber dazwischen gehen?“ Chouji klang etwas besorgt. Shikamaru schüttelte den Kopf. „Ich denke, Lee kann sich zurückhalten, wenn er mit einem Mädchen tanzt.“
Chouji sah nicht so überzeugt aus. „Vermutlich hast du Recht. Neji und Tenten hätten ihn sonst bestimmt schon aufgehalten.“ Shikamaru brummte.
Wenn die beiden überhaupt bemerkt haben, was um sie herum geschieht. Sie sehen aus, als wären sie sehr vertieft in ihren Tanz…
Ein unangenehmes Gefühl breitete sich langsam in Shikamarus Magen aus und er fragte sich, ob er irgendetwas von dem Essen nicht vertrug.
„Glaubst du, Tenten ist vielleicht in ihn verliebt?“
Shikamaru starrte Chouji verständnislos an. „Was?“, fragte er, etwas unfreundlicher als beabsichtigt.
Chouji nahm seinen Blick nicht weg von den tanzenden Pärchen. „Sie hat gesagt, dass sie ihn gutaussehend findet und sie kennen sich ja auch schon ewig, und ich finde, sie tanzen nicht so wie normale Freunde das vielleicht zusammen machen würden.“
Das unangenehme Gefühl breitete sich noch weiter aus. Shikamaru runzelte die Stirn und sah seinen besten Freund an. „Ich finde, sie tanzen ganz normal. Ist ja nicht so, als wären sie eng aneinander gedrückt und Neji wirkte nicht so, als hätte er übertrieben große Lust, zu tanzen. Du hast dich doch aber nicht in sie verknallt, oder Chouji?“
Chouji schluckte und fing an, mit einer Serviette hektisch über einen einsamen Saftspritzer auf dem Tisch zu wischen. „Du denkst also nicht, dass Tenten ihn auf diese Weise mag?“
Shikamaru zuckte mit den Schultern. Was wusste er schon von den Gefühlen eines Mädchens? Sie wirkte schon sehr glücklich, wie sie sich mit Neji im Kreis drehte und lachte. Neji hingegen zeigte nicht viel Emotionen. Konnte es sein, dass zwischen den beiden etwas war, von dem sonst niemand wusste? Theoretisch konnte es schon sein, oder?
Aber es passte nicht zu Neji. Oder?
Shikamaru stand abrupt auf. „Ich hol mir noch was zu trinken, willst du auch?“ Chouji verneinte. „Ich will nicht andauernd aufs Klo rennen müssen. Wann können wir die Rüstung endlich ausziehen? Die bringt doch eh nix...“
Als Shikamaru sich sein Glas wieder aufgefüllt hatte, entschied er sich dafür, noch ein bisschen herumzulaufen. Er beobachtete die Leute, die an den Tischen sitzen geblieben waren, plauderten und lachten. Einige Kinder rannten um die Bänke herum und spielten Fangen oder Verstecken, manche tanzten auch weiter abseits der Tanzfläche alleine oder zusammen zu den Klängen der Musik.
Shikamaru wünschte sich nichts sehnlicher, als die Feier so schnell wie möglich hinter sich zu bringen und sich in dieses übertrieben gemütliche Bett fallen zu lassen. Chouji hatte nicht auf seine Frage geantwortet, aber das musste er auch gar nicht. Seine Reaktion sagte auch so schon alles. Andererseits verknallte sich Chouji auch unnormal schnell. Schon als sie noch Kinder waren, war er eigentlich immer in irgendein Mädchen verknallt gewesen, auch wenn er nie ein Wort mit ihr gewechselt hatte.
Warum beunruhigte es ihn diesmal so sehr? War es, weil sie nun älter waren und die Option, eine Freundin zu haben, langsam realistischer wurde? Shikamaru konnte sich nicht vorstellen, wie es sein musste, wenn Chouji eine Freundin hatte. Bestimmt hätte er dann gar keine Zeit mehr für ihn.
Auf der anderen Seite konnte er sich auch nicht vorstellen, dass Tenten sich für ihn auf diese Art interessierte. Sie wirkte eher so, als hätte sie, wie auch ihre beiden Teamkameraden, nur das Training im Kopf. Aber jetzt hatte sie Neji auf einmal dazu gebracht, mit ihr zu tanzen!
Shikamaru fluchte, als er über ein Kind stolperte, das auf einmal in seine Beine hineinrannte. Die Hälfte des unangerührten Saftes landete auf dem Boden und seiner Hand. Er stellte das Glas auf dem nächsten Tisch ab und suchte nach einer Serviette, um seine Hand trocken zu wischen.
Da stand auf einmal Neji direkt vor ihm und hielt ihm ein Tuch hin. „Hier, Shikamaru!“
Überrascht griff Shikamaru nach dem Tuch und merkte erst, als er es schon zum Abtrocknen benutzte, dass es keine Serviette sondern ein kleines Stofftuch war, das Neji gehören musste.
„Entschuldigung, jetzt ist es schmutzig geworden.“, stammelte er verlegen und betrachtete das Tuch in seiner Hand. Neji schüttelte leicht den Kopf und nahm das Tuch wieder entgegen. „Das macht nichts, dafür ist es ja da. Wolltest du den Rest des Getränkes auch noch verschütten, oder könnte ich einen kleinen Schluck trinken?“
Shikamaru hielt ihm wortlos das Glas hin und schaute verwirrt zur Tanzfläche hinüber. Tenten und Ino tanzten mit den anderen Frauen in einem großen Kreis und die Männer standen um sie herum und klatschten im Takt. Shikamaru konnte sehen, wie Lee aufgeregt hin und hersprang und sehr damit zu kämpfen hatte, sich zurückzuhalten. Er wunderte sich kurz darüber, dass er nicht schon längst ganz in der Mitte ein Solo hinlegte.
„Wow, Lee sieht aus, als könnte er sich kaum noch beherrschen“, murmelte er.
Neji lachte leise. „Er liebt es, bei solchen Feiern zu tanzen. Wir waren einmal auf einer Mission, wo die Dorfbewohner für uns zum Dank ein kleines Fest gegeben haben. Ich denke, das war der Punkt, an dem er seine Leidenschaft dafür entdeckt hat.“
Shikamaru schaute Neji von der Seite her an. „Und du?“, fragte er.
Neji lehnte sich leicht zurück und schaute in den Himmel. „Es ist in Ordnung, denke ich. Es fühlt sich für mich einfach so an wie eine Abfolge von Trainingsschritten, nur dass dazu Musik gespielt wird. Ich kann aber auch gern darauf verzichten.“
Shikamaru nickte zustimmend und fühlte sich gleich viel besser.
Während er dort neben Neji saß und weiter die Leute beobachtete, flaute das komische Gefühl in seinem Magen langsam wieder ab. Immer, wenn er dachte, dass Neji so viel erwachsener war als er und in einer völlig anderen Welt lebte, merkte er kurz darauf, dass sie sich ähnlicher waren, als er gedacht hätte. Einfach nur schweigend neben ihm zu sitzen erfüllte ihn mit einem seltsam vertrauten Gefühl. Es war, als würde ihm auf einmal alles leichter fallen.
„Ich verstehe nicht, wie du bei so einer Hitze auch noch tanzen kannst. Ist dir nicht wahnsinnig heiß?“, fragte er, nachdem Neji wieder einmal mit dem Byakugan die Umgebung überprüft hatte.
Neji zögerte kurz, bevor er antwortete und sah Shikamaru nicht an. „Es ist in Ordnung. Es ist schon recht heiß mit dieser Kleidung, aber es stört mich nicht so sehr.“ Er schaute Shikamaru mit einem fast verlegenen kleinen Lächeln an. Shikamaru stutzte kurz – Neji lächelte nicht oft und schon gar nicht so!
Aus einem Reflex heraus erwiderte er den Blick und fühlte sich schlagartig ziemlich nervös. Er musste den Blickkontakt abbrechen, weil sich ein seltsames Kribbeln in seinem Körper ausbreitete, das ihm das Gefühl gab, dass er die Kontrolle über seinen Körper verlor.
„Ich sollte mal nach Chouji sehen, sonst fragt er sich bestimmt, warum ich nicht zurückkomme.“ Er stand auf.
„Ihr seid wirklich gute Freunde.“, sagte Neji. Er sagte es, als würde er gerade feststellen, dass wirklich stimmte, was ihm jemand erzählt hatte.
Shikamaru zögerte kurz, weil er nicht wusste, ob er etwas erwidern sollte. „Möchtest du auch mitkommen?“, fragte er, weil er ihn auf einmal nicht alleine dort sitzen lassen wollte. Neji sah ihn beinahe erstaunt an und überlegte kurz.
Neji nimmt sich wirklich oft sehr viel Zeit, bevor er antwortet. Als müsste er jedes einzelne Wort genaustens abwägen.
Dann stand Neji auf und folgte Shikamaru wortlos. Sie kamen fast zeitgleich mit Ino und Tenten bei Chouji an.
Die beiden Mädchen hatten gerötete Gesichter und hatten gleich einen ganzen Wasserkrug mitgebracht, den sie, wie Shikamaru vermutete, auch in kurzer Zeit geleert haben würden.
„Was war das für ein Mädchen?“, fragte Ino Chouji gerade, als Shikamaru und Neji sich zu ihnen setzten.
„Ähm, sie hat gefragt, ob ich tanzen möchte.“, stotterte Chouji und machte sich offensichtlich darauf gefasst, von Ino eine Predigt gehalten zu bekommen.
„Wieso hast du die Einladung nicht angenommen?“, rief Ino empört und Chouji sank ein ganzes Stück in sich zusammen.
„Ich weiß nicht, ich wollte sie nicht blamieren… ich kann doch gar nicht tanzen. Ich wäre ihr bestimmt nur auf die Füße getreten. Außerdem ist mir viel zu heiß und ich glaube, sie hat mich nur aus Höflichkeit gefragt.“
Ino war zu tiefst empört. „Ist doch total egal, weshalb sie dich gefragt hat. Wenn du solche Gelegenheiten nicht ergreifst, wird aus dir nie ein richtiger Mann. Und was denkst du, wie heiß mir jetzt ist? Denkst du, das hat mich davon abgehalten, mal ein bisschen Spaß zu haben? Du lebst echt nur um zu essen, oder?“
Chouji starrte auf seine Knie und hielt den Mund.
Währenddessen richtete sich Tenten an Neji. „Neji, kannst du mal schauen, ob meine Haare in Ordnung sind? Der letzte Tanz war etwas wilder...“ Sie drehte sich um und ließ Neji ihre Haare begutachten. Tatsächlich war der linke Knoten etwas herausgerutscht.
Neji sah kurz hin und sagte dann: „Es ist in Ordnung.“
Tenten drehte sich misstrauisch zu ihm um. „Nein, Ino hat gesagt, dass ich meine Frisur richten sollte. Es sieht bestimmt komisch aus.“
Neji runzelte die Stirn. „Der linke Knoten ist vielleicht etwas lockerer als der rechte.“
Tenten sah ihn erwartungsvoll an. „Ich würde schon gern präsentabel aussehen, das gehört schließlich auch zu unserer Mission dazu. Kannst du mir helfen?“
Shikamaru sah ganz genau, wie Neji sich kurz auf die Unterlippe biss. Dann sagte er: „Frag doch bitte Ino, sie kann das bestimmt besser als ich.“ Tenten sah ihn kurz enttäuscht an, als hätte sie fest damit gerechnet, dass Neji ihr half. Dann drehte sie sich zu Ino um und rettete den armen Chouji davor, noch weiter ermahnt zu werden.
Shikamaru beobachtete weiterhin Neji, der sich ziemlich unwohl zu fühlen schien, weil er Tentens Bitte abgeschlagen hatte.
Ich hab doch mit eigenen Augen gesehen, wie schnell Neji sich selbst eine perfekte Frisur machen kann und seine Haare sind auch noch um einiges länger als die von Tenten.
Warum hat er ihr nicht geholfen? Und wieso war Shikamaru irgendwie froh darüber?
„Wo ist eigentlich Lee?“, fragte Shikamaru, der seine Pflichten als Missionsleiter nicht vernachlässigen wollte und sich Gedanken machte, ob er so ganz unbeaufsichtigt bleiben sollte.
Neji suchte ihn kurz mit dem Byakugan und sagte: „Er ist weiter hinten auf der Tanzfläche. So wie es aussieht, wird er noch eine ganze Weile weitertanzen. Soll ich ihn holen?“
Shikamaru schüttelte den Kopf. „Lass ihn nur, von mir aus kann er tanzen, so viel er will. Ich hab sowieso vor, bis zum Ende weiter aufzupassen.“
Ino sah ihn misstrauisch an. „Es würde dir wirklich nicht schaden, auch mal ein bisschen Spaß zu haben. Und schon gar nicht, dich mal ein wenig zu bewegen. Hier sind bestimmt ein paar Mädchen, die gern mit dir tanzen würden! Aber wenn du immer so gelangweilt aus der Wäsche schaust, traut sich sicher keine, dich zu fragen.“
Shikamaru brummte gereizt: Gut so. was Neji wieder ein kleines Lachen entlockte. Ino warf Shikamaru einen strengen Blick zu und stöhnte frustriert.
Notes:
In letzter Zeit habe ich ein paar Spam-Kommentare bekommen, die vorgaben, von Leser:innen zu stammen, die meine Geschichte „geliebt“ haben und dann „Ideen“ teilen oder über „Illustrationen“ auf anderen Plattformen sprechen wollten. Falls ihr selbst Geschichten veröffentlicht, passt bitte auf, nicht auf so eine Masche hereinzufallen. Ich habe freundlich abgelehnt, und die Kommentare sind danach wieder verschwunden. Natürlich würde ich mich sehr freuen, echte ShikaNeji-Fans zu unterstützen und mich mit ihnen auszutauschen – es ist echt ziemlich schade, dass man selbst hier auf AO3 mit solchen Dingen rechnen muss.
Ich hoffe, es geht euch allen gut. Jeder ehrliche Kommentar bedeutet mir unendlich viel, und ich kann euch gar nicht genug dafür danken. Passt gut auf euch auf – ihr seid großartig.
Chapter 13: Die Nacht der Hochzeit
Chapter Text
Ein paar Stunden vergingen, in denen Shikamaru und die anderen umherliefen und die Umgebung überwachten oder sich mit den Einheimischen unterhielten. Die Musik wurde zwischendurch unterbrochen und es folgte ein kleines Theaterstück, das eine Legende von den frühsten Tagen dieser Insel nachspielte.
Shikamaru bemerkte, dass all die Tiere vorkamen, die ihre Glücksbringer ebenfalls repräsentierten – der schützende Bär, der mutige Tiger, der schleichende Wolf und der Adler, der alles sah. Er konnte sich aber nicht sonderlich für die hölzerne Schauspielkunst der Darsteller begeistern. Dann kam ein Zauberer, der mit ein paar Äffchen Zaubertricks aufführte und anschließend ging das Tanzen weiter.
Als die Sonne allmählich unterging, wurde das Brautpaar von Groß und Klein zum Schiff geleitet, das im Hafen auf sie wartete. Ein kleines Feuerwerk verabschiedete die beiden, als das Schiff in See stach. Dann hielt der Fürst noch einmal eine kleine Rede und schloss diese mit der Ermutigung, bis zum Morgengrauen weiter zu feiern. Die Leute jubelten und kehrten zum Marktplatz zurück.
Nur Neji blieb noch am Pier stehen und starrte dem Schiff hinterher. Shikamaru sah, wie Tenten sich nach ihm umdrehte und zögerte, dann wurde sie aber von Ino gerufen und schloss zu den anderen auf.
Shikamaru konnte Nejis Gesicht nicht sehen, aber er sah so unglaublich einsam aus, wie er dort allein am Meer stand und der Himmel sich über ihm immer mehr verdunkelte. Aber er wollte Chouji nicht schon wieder stehen lassen, und hätte sowieso nicht gewusst, was er zu Neji sagen sollte, deshalb ließ er ihn dort stehen.
Sie setzten sich wieder an die Tische und aßen zu Abend. Die meisten Leute hatten vorher schon gegessen, aber sie hatten sich geeinigt, noch zu warten, bis das Schiff abgelegt hatte. Außerdem hatte abgesehen von Chouji auch keiner wirklich Hunger, da sie alle schon viel gegessen hatten.
Shikamaru war froh, dass Ino und Tenten sich wieder gut verstanden. Das Tanzen hatte sie vielleicht etwas zusammengeschweißt, denn sogar als Lee sich in die Unterhaltung einmischte, reagierte Ino so, als wären sie schon ewig befreundet.
Im Gegensatz dazu schien sie irgendwie sauer zu sein auf ihn und Chouji, denn sie bezog sie gar nicht mehr in ihre Gespräche ein und ignorierte mehr oder weniger, dass sie überhaupt da waren. Chouji wirkte etwas geknickt, vermutlich, weil er sich Gedanken machte, was Tenten über ihn dachte und vielleicht auch, weil er sich immer noch fragte, ob zwischen Neji und ihr etwas lief.
Als Neji noch immer nicht zu ihnen zurück gekommen war, selbst nachdem sie fertig waren mit dem Essen, stand Shikamaru auf unter dem Vorwand, ein paar dreckige Teller wegzubringen.
Chouji bedankte sich und rieb sich den Bauch. Shikamaru brachte das Geschirr zum Waschzelt und lief dann Richtung Pier zurück. Und tatsächlich stand Neji dort noch genau so, wie sie ihn zurückgelassen hatten.
Gerade, als Shikamaru leise nach ihm rufen wollte, drehte er sich zu ihm um. „Ich hatte keinen Hunger und brauchte eine kurze Pause von dem Lärm dort drüben.“
Shikamaru stellte sich neben ihn und schaute auf das dunkle Wasser hinab, in dem der Mond sich nun spiegelte. „Es ist wirklich ganz angenehm, ein bisschen aus dem ganzen Trubel herauszukommen.“
Er zögerte und eine längere Pause entstand, in der keiner etwas sagte und sie beide zusammen auf das Meer hinausschauten.
Schließlich rang Shikamaru sich durch, einfach mal zu fragen. „Ist alles in Ordnung mit dir?“
Neji reagierte erst gar nicht und sah einfach weiter die glatte Wasseroberfläche an. „Es ist alles in Ordnung. Ich mag so etwas nicht so besonders. Feste mit so vielen Leuten. Es erinnert mich an etwas aus meiner Kindheit, das ich lieber vergessen würde.“
Seine Stimme brach ein wenig und er schauderte, als wäre ihm kalt. Shikamaru musste den Impuls unterdrücken, seinen Arm um ihn zu legen. Neji wirkte so verletzlich und gleichzeitig so zurückhaltend, als wäre sonst nie jemand da, um ihm zuzuhören.
Als Neji nicht weitersprach, sagte Shikamaru: „Ich kann sowas auch nicht besonders leiden. Ich verstehe nicht, wieso immer so übertrieben werden muss. Wir haben uns alle die Bäuche vollgeschlagen, bis nichts mehr reinpasste und trotzdem ist noch so viel Essen übrig. Schmeißen die den Rest dann einfach weg? Die Erwachsenen saufen so viel Alkohol, dass sie sich am nächsten Tag bestimmt gar nicht mehr an das Fest erinnern können. Und die Braut wirkte nicht so glücklich, diesen Händler heiraten zu müssen. Trotzdem tun alle so, als wäre das der beste Tag ihres Lebens. Morgen wird es eine Riesenarbeit sein, all die Tische und Bänke und den Müll und die Dekorationen wieder wegzuräumen und keiner wird auch nur annähernd genug geschlafen haben. Und die meisten Leute, die hier zusammen feiern, kennen sich gegenseitig vermutlich gar nicht. Echt lästig, das Ganze...“
Nun richtete Neji seinen Blick doch endlich einmal weg vom Wasser und schaute Shikamaru an. „Du hast Recht“, sagte er und nickte. „Es ist wirklich ein bisschen lästig.“
Dann blickte er zum Mond und Shikamaru hatte den Eindruck, dass seine hellen Augen im Mondlicht anfingen zu funkeln. Er musste seinen Blick abwenden, konnte es aber nicht. Er hatte noch nie so etwas Schönes gesehen.
Er wäre fast vor Schreck zusammengezuckt, als Neji seinen Kopf zu ihm drehte und ihm plötzlich direkt in die Augen sah.
„Vermutlich sollten wir zu den Anderen zurückkehren. Ich freue mich darauf, auf unserer Heimreise wieder mit dir zu trainieren.“ Er zögerte kurz und fügte dann noch hinzu: „Shikamaru.“
Dann lächelte er ihn kurz an und drehte dem Meer den Rücken zu. Shikamaru war überrascht. Das klang wirklich so, als hätte Neji sich tatsächlich darauf gefreut – und es auch noch laut ausgesprochen.
Zusammen gingen sie zurück zum Fest und gesellten sich wieder zu den Anderen.
Den Rest des Abends verbrachte Shikamaru hauptsächlich damit, herumzusitzen. Die Mädchen verschwanden wieder auf der Tanzfläche und irgendwann kehrte Lee zurück, um etwas zu trinken, düste danach gleich wieder davon. Etwas später kam der Fürst zu ihnen und teilte ihnen seine Dankbarkeit mit. Er hatte vorsorglich eine Kutsche für sie bereitstellen lassen, die sie jederzeit zu der Burg zurückbringen würde. Er selbst würde bis zum Morgengrauen bleiben.
Da die Mädchen unbedingt noch weiter tanzen wollten, entschied Shikamaru schweren Herzens, dass sie alle noch blieben. Ino würde ihm die Hölle heiß machen, wenn er das Fest für sie abkürzte, nur weil er schlafen gehen wollte.
Ein paar Mal kamen einheimische Mädchen zu Neji und Shikamaru, um sie zu fragen, ob sie tanzen wollten, was sie aber höflich ablehnten, mit der Ausrede, dass sie aufpassen mussten. So verging ungefähr eine weitere Stunde, bis Ino, Tenten und Lee zurückkehrten, um sich auszuruhen und etwas zu trinken. Ino klagte, weil ihre Füße schmerzten.
Gerade als Shikamaru vorschlagen wollte, den Abend zu beenden, kam der junge Mann zu ihnen, mit dem Ino schon früher am Tag getanzt hatte. Verlegen fragte er, ob sie Lust auf einen weiteren Tanz hätte. Sofort sprang Ino, die ihre Schmerzen anscheinend schon wieder vergessen hatte, freudig auf und ließ sich von ihm wegführen.
Tenten schaute etwas unschlüssig hin und her und fragte dann: „Hat von euch vielleicht auch noch jemand Lust zu tanzen? Die Musik ist echt toll!“ Shikamaru beobachtete, wie Chouji augenblicklich rot anlief und offensichtlich überhaupt kein Wort herausbrachte.
Lee ließ sich hingegen nicht zweimal bitten. „Aber klar doch, da bin ich immer dabei.“
Obwohl er schon aufgesprungen war, zögerte er plötzlich. „Es sei denn, Neji will nochmal mit dir tanzen?“ Er sah Neji mit hochgezogenen Augenbrauen an.
Neji schüttelte den Kopf. „Nein danke, ich passe lieber noch ein bisschen auf. Man kann ja nie wissen, ob nicht doch noch etwas passiert.“
Tenten verdrehte kurz die Augen, sagte aber nichts.
Da sprang Chouji plötzlich doch noch über seinen Schatten und rief: „Also ich würde jetzt auch mal tanzen, wenn es in Ordnung ist!!“
Shikamaru starrte ihn mit offenem Mund an. Lee baute sich vor ihm auf, als würde er eine Rede halten wollen und hielt ihm dann aber nur seine Faust hin. Dann ließ er theatralisch den Daumen nach oben springen, wahrscheinlich um zu zeigen, dass er das super fand. Tenten lächelte Chouji an. „Dann los, wir können ja auch zu dritt tanzen.“
Shikamaru war sich sicher, dass Chouji sich das ein bisschen anders vorgestellt hatte, aber trotzdem folgte dieser den anderen beiden zur Tanzfläche.
Nun war Shikamaru wieder allein mit Neji. Das passierte in letzter Zeit irgendwie häufig. Er wusste nicht, worüber er reden sollte. Aber das war das Angenehme an Nejis Gesellschaft. Er hatte nicht das Gefühl, dass er unbedingt etwas sagen musste. Sie saßen einfach schweigend da und beobachteten, wie die anderen Leute Spaß hatten.
Irgendwann fragte Neji: „Ist es in Ordnung, wenn ich meine Augen für ein paar Minuten schließe?“ Shikamaru nickte und fragte sich, ob Neji genau so müde war wie er.
„Hast du das Byakugan zu viel benutzt?“, fragte Shikamaru. Neji schüttelte den Kopf. „Nein, es geht schon. Es tut nur ein bisschen weh. Ich habe es heute sehr viel benutzt, aber nicht zu viel. Ich versuche nur, meine Augen ein wenig zu schonen, damit ich morgen wieder brauchbar bin.“
Shikamaru fragte sich, ob Neji sich wirklich immer Gedanken über seine Pflichten machte. Er selbst konnte gerade noch gar nicht daran denken, dass sie morgen wieder abreisen würden. Er wollte einfach nur ins Bett. Trotzdem hielt er seine Augen offen und ließ den Blick ab und zu zur Seite schweifen.
Neji sah aus, als würde er schlafen. Aber Shikamaru glaubte, seinen aufgewühlten Chakrafluss spüren zu können. Vielleicht weil er so nahe bei ihm saß? Wenn es stimmte, was er da spürte, warum war Neji so unruhig? War es, weil er das Byakugan überanstrengt hatte? Wirkte sich das auf sein Chakranetzwerk aus? Oder weckte das Fest so schlimme Erinnerungen in ihm?
Als Kind des Hyuugaclans aufzuwachsen war bestimmt kein Zuckerschlecken. Und dann auch noch in der Nebenfamilie. Bis vor kurzem hatte Shikamaru gar nicht gewusst, was das für eine Bedeutung für die Mitglieder der Familie haben musste. Jetzt wusste er es theoretisch, konnte es sich aber nicht wirklich vorstellen. Er hätte Neji gern gefragt, aber er wollte sich nicht zu sehr aufdrängen. Er merkte nicht, wie er unwillkürlich näher an Neji heranrutschte, um sein Chakra deutlicher spüren zu können. Schließlich schloss er doch die Augen und ließ sich von dem Gefühl der sich langsam beruhigenden Chakrawellen neben ihm tragen.
„Hey du Schnarchnase, aufgewacht!“ Shikamaru öffnete verwirrt die Augen, als er von Lees kräftigen Armen durchgeschüttelt wurde. „Während wir tanzen, machst du es dir einfach auf Nejis Schulter gemütlich?“
Shikamaru fuhr erschrocken hoch. War er wirklich eingenickt? „Was?“, brachte er hervor und starrte Lee verständnislos an.
„Du hast Nejis Schulter als Kissen missbraucht!“, erklärte Lee und grinste ihn schelmisch an. Shikamaru kratzte sich am Hinterkopf. „Tschuldigung.“
Neji stand auf und glättete sein Gewand mit den Händen. „Das macht mir nichts aus. Aber es ist schon sehr spät. Ich hole die Anderen, damit wir bald ins Bett kommen. Morgen ist immerhin ein anstrengender Tag für uns.“
Als Neji nicht mehr da war, schaute Lee Shikamaru noch einmal so an, als hätte er ihn durchschaut. „Ich glaube nicht, dass Neji schonmal jemanden auf seiner Schulter hat schlafen lassen. Du scheinst einen starken Einfluss auf ihn zu haben. Das habe ich gleich gemerkt.“
Shikamaru rollte mit den Augen. „Blödsinn. Wir sind einfach nur ziemlich müde.“
Lee ließ sich nicht beirren. „Aber Neji ist mein bester Freund und mein Rivale. Wenn du ihn haben willst, musst du erst an mir vorbei!“
Shikamaru merkte, wie er wütend wurde. Er war sowieso schon übermüdet und sein Geduldsfaden war merklich kürzer geworden. „Hör auf mit dem Unsinn, Lee. Ich will überhaupt nichts von Neji. Ich bin einfach nur verdammt müde und will endlich schlafen!“
Lee hob abwehrend die Hände. „Schon gut, schon gut. War ja nicht böse gemeint. Du kannst dir schon was darauf einbilden, wenn Neji dich mag. Er geht nicht gerade großzügig um mit Zuneigung.“
Shikamaru stand auf und streckte sich, so gut es in der Rüstung möglich war. Er versuchte, Lees Blick zu ignorieren.
Da kam Neji mit den anderen im Schlepptau zurück. Gemeinsam liefen sie zur Straße, wo die Kutsche wie versprochen auf sie wartete. Ino, Chouji und Tenten plapperten aufgeregt durcheinander. Anscheinend war Ino von dem jungen Mann gefragt worden, ob sie nicht hierbleiben und ihn heiraten wollte. Chouji hatte sich bereit gemacht, ihn so richtig einzuschüchtern, was aber nicht nötig war, weil Ino ihm klipp und klar erklärt hatte, dass sie erstens noch zu jung zum Heiraten sei und zweitens in Konoha jemand auf sie wartete.
Shikamaru verdrehte genervt die Augen, weil Ino manchmal so schrecklich störrisch sein konnte. Schließlich war unklar, ob Sasuke jemals nach Konoha zurückkehrte. Außerdem hatte er noch niemals Interesse an Ino bekundet. Andererseits war es gut, dass Ino den Typen so eindeutig abserviert hatte, da er die Botschaft anscheinend verstanden und sie nicht weiter gedrängt hatte.
Die ganze Fahrt zurück redeten sie noch wild durcheinander. Shikamaru warf Neji ab und zu einen Blick zu, um zu analysieren, ob er böse auf ihn war, weil er an seiner Schulter eingenickt war. Aber Neji hatte seine Augen die meiste Zeit geschlossen und reagierte nicht auf ihn.
Als sie endlich bei der Burg angekommen waren, sagten sie den Mädchen gute Nacht und gingen dann auf ihr Zimmer. Shikamaru wollte so schnell wie möglich aus der Rüstung heraus und ins Bett, aber zuerst mussten sie Chouji helfen, der es alleine vermutlich nicht geschafft hätte.
Nachdem Shikamaru endlich seine Schlafsachen angezogen und sich im kleinen Badezimmer bettfertig gemacht hatte, lag er dann endlich im Bett. Neji entschied sich, noch einmal kurz in die heiße Quelle zu gehen und Lee ging mit ihm. Shikamaru bekam ihr Zurückkehren nicht mehr mit, weil er nach ein paar Minuten tief und fest eingeschlafen war.
Chapter 14: Augen in der Dunkelheit
Chapter Text
Shikamaru lag in seiner Koje, schon halb in den dunklen Schlaf gesunken, während unter ihm noch leise Stimmen zu hören waren – Lee und Chouji, die sich ihre Schlafsachen anzogen. Dann hörte er Schritte auf der Leiter und einen leisen Ruck, als jemand sich zu ihm hochzog.
Neji.
Aber anstatt sich in sein eigenes Bett zu legen, kniete er sich einfach neben ihn und sah ihn an. Shikamaru hob den Kopf und blinzelte. Bevor er etwas sagen konnte, beugte sich Neji zu ihm hinab, so nah, dass sein Atem Shikamarus Ohr streifte.
„Die anderen sollen es nicht merken“, flüsterte er.
Ein Zittern durchlief Shikamarus Körper. Es war nicht unangenehm – im Gegenteil. Es war wie ein Stromstoß, weich und heiß und vollkommen neu.
Dann öffnete Neji langsam seine Robe. Er offenbarte seine Schultern und der Stoff raschelte leise, als er über seine Arme glitt. Sein Oberkörper befreite sich aus der Dunkelheit wie aus Nebel: hell, makellos, schon fast leuchtend. Shikamaru konnte den Blick nicht abwenden. Er hatte ihn schon ein paarmal gesehen – aber so? Noch nie.
Er konnte sich nicht zurückhalten und hob die Hand. Berührte ihn. Nur mit den Fingerspitzen, vorsichtig. Die Haut unter seiner Hand war warm, lebendig und einladend. Neji atmete ruhig, ließ es zu, lächelte nur und legte dann selbst eine Hand an Shikamarus Wange – sanft, aber fordernd.
Ihre Lippen trafen sich langsam. Der Kuss war weich und wurde dann tiefer. Shikamaru stöhnte leise, ohne es zu wollen, und ließ sich in den Moment fallen. Sein ganzer Körper spannte sich, wollte mehr, wollte sich verlieren in diesem Gefühl –
– und dann war es vorbei.
Shikamaru fuhr hoch, als hätte ihn etwas geschlagen. Sein Herz raste, seine Haut war heiß, seine Decke klebte an ihm. Alles um ihn herum war dunkel, aber es fühlte sich an, als würde er im hellsten Licht stehen.
Ein Traum. Nur ein verdammter Traum.
Er stützte sich auf den Ellbogen, spähte in die Dunkelheit. Alles war ruhig. Kein Laut, nur das gleichmäßige Atmen der anderen. Kein Neji bei ihm. Erst jetzt dämmerte es ihm: Sie waren auf der Insel. Nicht mehr auf dem Schiff.
Er fuhr sich mit der Hand über sein Gesicht. Sein ganzer Körper vibrierte noch, wie unter Strom. Sein Herz schlug so laut, dass es fast wehtat. Und da war mehr – ein pochender Druck zwischen seinen Beinen und ein Gefühl von Nacktheit, obwohl er vollständig bekleidet war.
Shikamaru biss sich auf die Lippe. Hatte er… im Schlaf…? Hatte jemand etwas gehört?
Er wagte es nicht, sich zu rühren. Was, wenn Lee wach war? Oder Neji selbst? Hatte er seinen Namen gesagt? Gestöhnt? Sich irgendwie bewegt?
Es war zu dunkel, um irgendetwas zu erkennen.
Er drehte sich auf die Seite, zog die Decke enger um sich und versuchte, den heißen Knoten in seinem Bauch zu ignorieren. Aber der Traum klebte an ihm wie Schweiß – die Bilder, das Gefühl, Nejis Stimme.
Wieso träumte er plötzlich so etwas? Und wieso hatte sein Körper reagiert, als wäre es kein Traum gewesen, sondern die Wirklichkeit?
Es dauerte lange, bis sein Puls sich beruhigte. Und noch länger, bis er sich wieder traute, die Augen zu schließen.
Am nächsten Tag wurde Shikamaru von Chouji geweckt. Es war kurz vor Mittag und sie sollten sich langsam zum Frühstücken fertig machen. Shikamaru fühlte sich, als hätte er statt ein paar Stunden nur ein paar Minuten geschlafen und das, obwohl er in solch einem gemütlichen Bett gelegen hatte. Er fragte sich, ob sein Traum daran Schuld war, schob den Gedanken aber gleich weg und versuchte, nicht weiter daran zu denken.
Die Shinobi packten ihre Sachen zusammen und gerade, als Shikamaru sich zum letzten Mal umdrehte, um sich von seinem Bett zu verabschieden, platzten Ino und Tenten ins Zimmer, um sie abzuholen.
„Der Fürst hat uns eingeladen, uns auf dem Weg zum Hafen noch ein paar Sehenswürdigkeiten zu zeigen, weil wir vorgestern ja nicht dabei sein konnten“, berichtete Ino, als sie gerade noch beim Frühstück saßen, und Shikamaru fluchte innerlich. Er konnte nicht verstehen, wie irgendjemand nach der letzten Nacht so energiegeladen sein konnte. Er selbst hatte Kopfschmerzen und schlechte Laune und wollte einfach nur noch so schnell es ging zum Schiff und sich dort ausruhen. Aber wieder einmal wurde ihm ein Strich durch die Rechnung gemacht.
Nach dem Frühstück führte der Diener sie in die Eingangshalle, wo sie kurz warten sollten. Wenig später erschien Fürst Arisugawa, um sich von ihnen zu verabschieden. Er bedankte sich herzlich und gab jedem von ihnen ein kleines Abschiedsgeschenk.
„Leider kann ich euch nicht zum Hafen begleiten, da ich nun seit ungefähr dreißig Stunden auf den Beinen bin und dringend schlafen muss. Ich habe den Kutscher aber angewiesen, euch auf dem Weg zu eurem Schiff überall hinzubringen, wo ihr euch noch etwas ansehen möchtet. Ich wünsche euch allen eine gute Heimreise und stehe tief in eurer Schuld. Richtet der Hokage meine Grüße aus.“
Dann gab er Shikamaru noch einen Briefumschlag des Händlers für seinen Vater mit und verbeugte sich vor ihnen.
Als sie in der Kutsche Platz genommen hatten, sah Shikamaru zum ersten Mal an diesem Tag zu Neji hinüber. Er saß schräg gegenüber von ihm neben Lee und schaute zum Meer hinunter. Er hatte heute noch nicht mehr als ein paar Worte gesprochen und hielt sich auch jetzt aus der Unterhaltung heraus.
Die anderen sprachen immer noch über die Feier gestern und über Inos Heiratsantrag. Sie tat es als Kleinigkeit ab, aber Shikamaru wusste ganz genau, dass sie sich insgeheim sehr darüber freute.
Sie hielten noch einmal bei dem Aussichtspunkt an und besuchten einen kleinen Garten, wo die verschiedensten Blumen blühten und wo ebenfalls Früchte angebaut wurden. Lee versuchte den Mädchen ein paar von den Geschichten und Legenden zu erzählen, die sie von dem Fürsten gehört hatten.
Es dauerte wieder einmal alles viel länger, als es Shikamaru lieb war, und er war sehr froh, als sie am späten Nachmittag endlich am Schiff ankamen. Jeder von ihnen hatte auf dem Markt, der nun wieder so aussah, als hätte dort nie eine Feier stattgefunden, noch eine Schale warmen, einheimischen Eintopf und dazu Brot und kleine Fleischspieße gegessen, so dass sie nun satt waren.
Sie bedankten sich bei dem Kutscher und stiegen dann auf das Schiff, das sie wieder zurück nach Hause bringen würde. Da ihr ursprüngliches Transportschiff bereits hatte ablegen müssen, hatte der Fürst für Ersatz gesorgt. Sie mussten sich mit der neuen Schiffcrew bekannt machen und sich wieder neu auf die Schlafkabinen aufteilen, die jeweils aus nur drei Betten bestanden. Also entschieden sie, dass jedes Team zusammen in eine Kabine ziehen sollte und verstauten ihr Gepäck.
Shikamaru verkündete dann, dass sie den Abend heute zum Ausruhen nutzen und dann morgen früh wieder mit dem Training starten sollten.
„Bleiben die Trainingspaare denn nun so, wie auf der Hinfahrt?“, wollte Ino wissen. Shikamaru begegnete kurz Nejis Blick und spürte, wie er schlagartig nervös wurde. War es eine gute Idee mit Neji zu trainieren, nach dem seltsamen Traum, den er letzte Nacht gehabt hatte?
Er war unsicher. „Naja, sinnvoll wäre es schon, denke ich. Was meint ihr denn dazu?“
Lee salutierte. „Wir hören auf dein Kommando, Missionsleiter Nara!“
„Lass den Quatsch!“, schnauzte Shikamaru ihn gereizt an, woraufhin Lee nur erneut salutierte.
Ino schaute unschlüssig in die Runde und zuckte mit den Schultern.
„Von mir aus können wir gerne so weitertrainieren. Es hat Spaß gemacht!“, meldete sich Tenten zu Wort und Chouji lief sichtbar rot an. Neji nickte und so war die Sache wohl entschieden.
Shikamaru wies sie an, beim Training wieder auf ausreichend Pausen zu achten und sich auch mit den anderen abzusprechen, damit sie alle so viel wie möglich profitieren konnten.
„Ich werde heute früh ins Bett gehen und würde euch das auch empfehlen, damit wir alle morgen fit sind und uns wieder an unseren normalen Schlafrhythmus gewöhnen.“ Die anderen stimmten zu.
Shikamaru blieb noch kurz mit den anderen auf Deck und sah zu, wie die Insel immer kleiner wurde, während die Sonne schon langsam unterging. Dann stieg er hinunter in den Schiffsbauch und machte sich bettfertig. Ino würde oben auf dem Etagenbett schlafen und die beiden Jungs auf den unteren Betten.
Shikamaru hoffte, dass er einschlafen konnte, bevor die anderen ins Zimmer kamen, wurde aber immer wieder von dem Gedanken an seinen Traum in der letzten Nacht eingeholt. Er hatte noch nie so etwas geträumt. Er vermutete, dass er unbewusst im Halbschlaf mitbekommen hatte, wie Neji und Lee ins Zimmer gekommen waren und dass er es deshalb geträumt hatte. Es hatte sich so echt angefühlt und er hatte eine Weile gebraucht, bis er verstanden hatte, wo er sich befand und dass es wirklich nur ein Traum gewesen war.
Aber wieso träumte er so etwas, und dann ausgerechnet von Neji?
Er interessierte sich nicht für Liebe und Küssen. Selbst wenn er es täte, dann sicher nicht mit einem Jungen!
Vielleicht war es, weil er Neji in so kurzer Zeit so viel besser kennengelernt hatte. Vielleicht war es, weil Neji mit seinen langen, seidigen Haaren und seinen feinen Gesichtszügen doch irgendwie etwas Weibliches ausstrahlte?
Shikamaru versuchte, es nur als dummen Traum abzutun, der nichts bedeutete und redete sich ein, dass er einfach in diesem Alter war, wo es normal war, dass der Körper ein wenig verrückt spielte. Aber eigentlich hatte er immer gedacht, dass er sich von solchen Dingen nicht beeinflussen ließ…
Er warf sich hin und her und grübelte, obwohl er wusste, dass es zu nichts führen würde.
Schließlich kamen Chouji und Ino in die Kabine und bemerkten erstaunt, dass Shikamaru noch wach war. Aus irgendeinem Grund hieß das für sie, dass sie ihn pausenlos vollreden konnten. Selbst als sie alle in ihren Betten lagen, hörten sie noch eine Weile nicht auf zu reden. Diesmal war Shikamaru jedoch fast dankbar dafür, denn sie lenkten ihn von seinen verwirrten Gedanken ab und irgendwann schlief er doch ein.
Friedhof.
Shikamaru hatte sich eindeutig mit der Temperatur verschätzt. Eine kurze Weile nachdem die Sonne untergegangen war, hatte er seine warme Jacke angezogen. Mittlerweile war es aber um einiges kälter geworden und die kleine Katze, die sich zu Shikamarus Füßen hingelegt hatte, sprang erschrocken auf, als er von einem Kälteschauer aus seinen Gedanken gerissen wurde und sich leicht schüttelte.
„Hey, entschuldige“, murmelte er ihr zu und hielt ihr seine Hand hin. Die Katze wahrte die Distanz und beäugte ihn misstrauisch. Shikamaru schüttelte den Kopf. „Mach doch was du willst.“
Ja, er hatte sich verschätzt. Es war nicht nur kälter, als er angenommen hatte, es zeigte sich nun, dass es auch viel länger dauern würde. Shikamaru spürte, dass er sich allmählich doch auf dem richtigen Weg befand. Wo er vor einer Stunde noch das Gefühl gehabt hatte, dass er überhaupt keinen Zugang zu seinen Erinnerungen an Neji finden würde, konnte er sich nun schon viel besser in sein früheres Ich hineinversetzen. Aber er spürte auch, dass er noch Zeit brauchen würde. Viel mehr Zeit.
Selbst wenn er die ganze Nacht hier säße, würde die Zeit vielleicht nicht ausreichen. Er durfte sich bei dieser Sache nicht so sehr hetzen. Er musste die Erinnerungen gründlich durchforsten, sich an kleinste Details erinnern, so gut wie möglich. Er musste versuchen, die verschlossenen Gefühle langsam wieder zu befreien.
„Es gibt leider keine Abkürzungen…“ murmelte Shikamaru vor sich hin und Nejis Worte, die er zu ihm beim Training gesagt hatte, hallten in seinem Kopf wieder.
Shikamaru seufzte und ließ sich langsam nach vorn auf die Knie fallen. Er streckte den rechten Arm und legte seine Hand an den kalten Grabstein.
„Ich brauche mehr Zeit. Wenn ich zu lange hier bleibe, hole ich mir nur eine Erkältung. Aber du bist sowieso nicht hier, oder? Du bist nicht gefangen in einem Grabstein. Du bist frei, wie du es immer sein wolltest...“ Shikamarus Stimme brach weg und er spürte einen Kloß im Hals.
Hör auf, so zu tun, als würde er dir gerade zuhören! Er hört dich nicht. Und wenn doch, dann will er es bestimmt nicht hören. Du hast dich von ihm abgewendet und dein Leben einfach ohne ihn weitergelebt.
Du hast nicht einmal versucht, ihn zu retten, obwohl er dein Freund war. Obwohl er jemand... Besonderes für dich war.
Nur weil es für dich einfacher war, die Augen zu verschließen.
Da ertönte wieder das Miauen der Katze. Shikamarus Gedanken flackerten zu einer ganz bestimmten Szene, die sich in einem weit entfernten Sommer in Konoha zugetragen hatte.
Er hörte das gleiche Miauen und dazu gesellte sich Nejis fröhliches Lachen. Im Hintergrund leuchteten die Glühwürmchen und Shikamaru erinnerte sich an einen unglaublich süßen Geschmack in seinem Mund…
Dann war es wieder dunkel und Shikamarus Augen wanderten hinüber zu der Katze, die ihn aus einiger Entfernung immer noch anstarrte. Konnte es sein? Aber nein, es war sicher nur ein Zufall.
Konnte das kleine Babykätzchen von damals alles Unheil, das seitdem über das Dorf gekommen war, überstanden haben und jetzt hier auf dem Friedhof leben? Es war einfach zu dunkel, um die Fellfarbe der Katze genau zu sehen. Es musste sich um einen Zufall handeln.
Shikamaru stand auf, streckte sich und griff dann nach dem Hocker. Er würde zu Hause weitermachen müssen. Oder in der nächsten Nacht. Es war einfach zu kalt und er war sich wieder gar nicht mehr so sicher, ob das Ganze schlussendlich überhaupt zu etwas führen würde.
Ohne noch ein Wort an Neji zu richten, drehte er sich um und lief langsam los zum Ausgang des Friedhofes.
Kurz nachdem er ihn verlassen hatte, spürte er plötzlich eine fremde Präsenz, die ihn aus seinen Gedanken riss. Er hob den Kopf und versuchte die Ursache herauszufinden, aber da war das Gefühl auch schon wieder verschwunden.
Er konzentrierte sich den ganzen Weg nach Hause und versuchte diese Präsenz noch einmal wahrzunehmen, aber es gelang ihm nicht mehr. Schließlich war er zu Hause angekommen und ließ sich erschöpft ins Bett fallen.
Chapter 15: Zwischen Sonne und Mond
Notes:
(See the end of the chapter for notes.)
Chapter Text
Unter der Sonne des Tages
Der nächste Tag brachte einen strahlend blauen Himmel mit ein paar einsamen Wölkchen und einem günstigen Wind mit sich. Sie aßen alle zusammen Frühstück und teilten sich dann in die Trainingsgrüppchen auf. Neji und Shikamaru einigten sich darauf, mit Meditation zu beginnen, was sich als schwierig erwies, da die Seemänner um einiges lauter arbeiteten als die auf dem anderen Schiff. Andauernd riefen sie sich etwas zu und lachten oder fluchten.
Shikamaru fiel es sehr schwer, seine Ruhe zu finden. Sie wechselten den Ort und nahmen weiter vorn auf dem Deck Platz, wo Shikamaru zuerst nur das Meer beobachten sollte, um zur Ruhe zukommen. Dort ging es ein wenig besser, auch wenn Neji mit dem Ergebnis nicht ganz so zufrieden zu sein schien.
„Du darfst dich nicht gegen die Gedanken wehren, die von alleine zu dir fließen, Shikamaru! Auch wenn du sie nicht kontrollieren kannst, gehören sie zu dir.“
Neji schien ihn noch mehr zu durchschauen, als es Shikamaru lieb war. Aber wenigstens wusste er nicht, was für Gedanken es waren, die Shikamaru die ganze Zeit versuchte zu verdrängen. Sonst hätte er das Training mit ihm wahrscheinlich auf der Stelle abgebrochen.
Schließlich beschloss Neji, dass es nicht mehr viel besser werden würde und sie standen auf. Dann kritisierte Neji ewig an Shikamarus Körperhaltung herum, bis sie sich schließlich wieder gegenüber standen und Shikamaru versuchen sollte, Nejis Angriffen auszuweichen.
Obwohl Neji selbst gemerkt hatte, dass Shikamaru heute Probleme hatte, sich auf seine Instinkte zu verlassen, zeigte er keine Gnade. Sehnsüchtig wünschte Shikamaru sich nun, sie hätten die Trainingspartner doch gewechselt, da er sich nicht vorstellen konnte, dass Chouji oder Ino auch nur halb so sehr leiden mussten wie er es gerade tat.
Neji trieb ihn immer härter an und Shikamaru war kurz davor, das Training hinzuschmeißen und sich in der Schlafkabine zu verkriechen. Wären da nicht zwischendurch immer wieder diese Blicke von Neji gewesen, als würde er nach etwas suchen. Ein kurzes Zögern, eine klare Unsicherheit in seinem Gesicht. Irgendetwas stimmte nicht mit ihm.
Eine halbe Ewigkeit später, als ihm der Schweiß in Strömen das Gesicht hinunterlief und er vor Schmerzen kaum mehr stehen konnte, sagte Neji zu ihm: „Machen wir eine Pause.“
Shikamaru hob ungläubig den Kopf. „Ganz sicher? Jetzt schon?“
Neji schien seinen Sarkasmus nicht zu bemerken, oder er ignorierte ihn absichtlich.
„Du brauchst jetzt eine Pause. Wenn wir so weitermachen, wird es offensichtlich nicht besser. Wir sollten etwas essen und es später noch einmal anders angehen.“
Das ließ Shikamaru sich nicht zweimal sagen. Er trank bestimmt einen halben Liter Wasser und setzte sich dann auf die Bank, auf der er am Morgen mit Neji gesessen hatte, um zu meditieren. Er versuchte, sich von dem harten Training zu erholen und der warme Wind trocknete seinen Schweiß.
Shikamaru fragte sich, ob er jemals so hart trainiert hatte. Vielleicht war Neji doch kein so guter Lehrer? Es konnte doch nicht förderlich sein, seinen Schüler so dermaßen fertig zu machen!
Er hatte überhaupt keine Möglichkeit gehabt, mit ihm mitzuhalten. Selbst, als er heimlich seine Schatten benutzen wollte, um Neji aufzuhalten, war dieser ihm mit Leichtigkeit zuvorgekommen, obwohl er das Byakugan nicht einmal aktiviert hatte. Am liebsten hätte Shikamaru ihm vorgeschlagen, es noch einmal mit der Atemübung zu probieren. Andererseits war es vielleicht nicht die beste Idee, wenn Neji ihm so nahe kam.
Obwohl Shikamaru die ganze Zeit versucht hatte, so wenig wie möglich an den Traum zu denken, schlich er sich immer wieder in seinen Kopf.
Es war nichts weiter als ein dämlicher Traum eines pubertierenden Jugendlichen! Kein Grund, sich deshalb so verrückt zu machen.
Schließlich aßen die sechs Shinobi zusammen zu Mittag und teilten sich danach wieder auf, um weiter zu trainieren.
Neji schien sich extra viel Zeit zu lassen mit dem Essen, so dass die anderen schon wieder fleißig weiterübten, während Shikamaru noch mit ihm am Esstisch saß. „Geht es dir gut?“, fragte Neji vorsichtig und Shikamaru konnte sehen, dass er sich wegen des Trainings viele Gedanken machte.
„Nun ja, gut wäre gelogen.“ Er versuchte, es vorsichtig auszudrücken, um Neji nicht noch mehr zu frustrieren. Wobei er auf Shikamarus Wohlbefinden vorhin auch nicht besonders gut geachtet hatte…
Neji senkte den Kopf und starrte seinen Teller an. Shikamaru wartete auf eine Entschuldigung oder dergleichen, aber Neji sagte nichts.
Shikamaru seufzte. „Ich fürchte, unser Taijutsu-Level ist einfach zu unterschiedlich. Wenn du willst, dass ich besser werde, musst du vielleicht versuchen, alles etwas mehr aus meiner Perspektive zu betrachten. Und wie du selbst gesagt hast, das Training braucht viel Zeit und es gibt keine Abkürzungen, oder?“
Wieso bin ich jetzt damit beschäftigt, Neji aufzumuntern, nachdem er mich so fertig gemacht hat?
Schließlich nickte Neji, steckte den letzten Löffel vom Eintopf in den Mund und lächelte Shikamaru dann kurz an. Es war ein winzig kleines Lächeln, das Shikamaru beinahe entgangen wäre.
„Danke Shikamaru. Du hast Recht. Ich war zu gierig und es tut mir leid. Ich werde versuchen, geduldiger mit dir zu sein. Ich fürchte nur, dass es nicht meine größte Stärke ist, weil ich zu mir selbst früher vermutlich auch immer viel zu streng war.“
Er wischte sich den Mund mit einer Serviette ab und stand dann auf. „Also, wenn du noch nicht die Nase voll hast von meinen Trainingsmethoden, würde ich es gern noch einmal ein bisschen anders versuchen.“
Es stellte sich heraus, dass das Training nicht viel anders ablief als vorher, aber dafür hielt Neji sich stark mit seinen Hieben zurück. Irgendwie schaffte er es immer abzudrehen, kurz bevor er Shikamaru traf, und die Bewegung dann an ihm vorbeigleiten zu lassen.
„Getroffen!“, rief er jedes Mal, obwohl er ihn nicht berührt hatte. Shikamaru wusste aber, dass Neji ihn getroffen hätte und das verletzte seinen Stolz fast noch mehr als Nejis Schläge vorhin seinen Körper verletzt hatten.
Nach einer Weile merkte Shikamaru jedoch, dass sich ein seltsames Muster in die Angriffe und Ausweichbewegungen einschlich. Es war, als hätten sie sich so auf den jeweils anderen eingestellt, dass ihre Körper sich wie von allein bewegten. Shikamaru hatte es zuerst gar nicht bewusst wahrgenommen, aber plötzlich schien er Nejis Chakrafluss zu spüren und es war so, als hätte sich sein eigener an ihn angepasst. Auch schien Neji ihn nicht mehr so häufig zu treffen, was bestimmt nicht daran lag, dass Shikamaru schneller war oder besser vortäuschte, in welche Richtung er sprang.
Es fühlte sich ein bisschen so an, als würden sie tanzen.
Wenn Neji einen Schritt nach vorne machte, bewegte Shikamaru sich beinahe zeitgleich einen Schritt zurück und wenn Neji sich auf eine Seite drehte, hatte Shikamaru sich schon zur anderen Seite gedreht.
War das vielleicht das, was Neji damit gemeint hat, dass mein Körper sich von alleine bewegen soll?
Genau als ihm dieser Gedanke kam, taumelte Shikamaru und das Zusammenspiel war zerstört. Gleich darauf trat Neji ihm schmerzhaft gegen das Schienbein und Shikamaru setzte sich auf den Boden, um nach Atem zu ringen.
„Entschuldigung, der Tritt war keine Absicht. Du hast dich so plötzlich aus unserem Rhythmus gelöst, dass ich aus Reflex angegriffen habe. Ich konnte mich nicht mehr rechtzeitig bremsen.“
„Dieses Bewegungsmuster...“, begann Shikamaru und hoffte, dass er sich mit seiner Frage nicht blamierte, „war das, was du meintest, als du gesagt hast, dass ich meinem Körper die Kontrolle überlassen sollte?“
Neji hockte sich zu ihm auf den Boden. „Ja so ähnlich. Du hast dich an meine Bewegungen gewöhnt und dich ihnen angepasst. Ich wusste nicht, dass das in dem Maß so schnell überhaupt möglich ist, aber deine Bewegungen waren auf einmal ganz anders. Vielleicht schlummert in dir ja ein verborgenes Talent für Taijutsu.“
Shikamaru lachte trocken. „Gib zu, du hattest diese geheime Veranlagung von Anfang an mit dem Byakugan gesehen, sonst hättest du niemals zugestimmt, den faulen Nara zu trainieren!“
Neji schüttelte den Kopf. „So etwas kann man mit dem Byakugan nicht sehen.“
Okay, Nummer 7 ist jetzt auch ziemlich sicher: Neji Hyuuga versteht keine Ironie.
Shikamaru sah ihn an und musste plötzlich wieder an seinen Traum denken. Hastig brach er den Blickkontakt ab und räusperte sich.
„Aber vielleicht hast du Recht“, sagte er. „Ich habe gar nicht richtig mitbekommen, wie ich mich auf dich abgestimmt habe. Es ist wirklich so, als hätte mein Körper das einfach von allein getan. Und in dem Augenblick, als es mir richtig bewusst wurde, hat es plötzlich nicht mehr funktioniert!“
Neji nickte und schwieg eine Weile. Dann stand er auf und hielt Shikamaru die Hand hin, um ihn hochzuziehen.
„Ich glaube, dass es für heute reicht. Du musst deinem Körper eine Pause gönnen. Versuch doch, noch ein bisschen zu meditieren. Und ich würde dir raten, jeden Tag wenigstens ein bisschen Krafttraining zu machen. Egal wie gut deine Atmung und deine Bewegungen synchronisieren, es bringt dir in einem realen Kampf nicht viel, wenn deine Muskeln nicht mithalten können.“
Shikamaru seufzte und erinnerte sich an die Worte von Asuma, die er immer und immer wieder hören musste.
„Deine Intelligenz mag zwar deine größte Stärke sein, aber wenn du einem unbekannten Gegner im Duell ausgeliefert bist, kann es passieren, dass jede noch so gute Strategie dich nicht retten kann. Trainiere deinen Körper, damit du gegen solche Situationen gewappnet bist. Um jemanden mit der Schattenfessel festzuhalten, brauchst du eine Menge Chakra und je stärker dein Körper ist, umso mehr Chakra wirst du auch zur Verfügung haben. Am Ende gewinnt nur der, der sowohl seinen Geist schärft, als auch seinen Körper in bester Verfassung hält.“
Shikamaru hasste sowohl Kraft-, als auch Ausdauertraining wie die Pest, aber er sah ein, dass er ein wenig mehr würde trainieren müssen, wenn er auf schwierigen Missionen eine Chance haben wollte. Und er wollte nicht, dass sich so etwas wie bei der Sasuke-Rückhol-Mission wiederholte.
Neji lächelte ihn aufmunternd an. „Wenn der faule Nara sich nicht überwinden kann, sollte er sich einen Trainingspartner suchen, der mit ihm trainiert und ihn ein bisschen motiviert. Dein bester Freund könnte bestimmt auch noch ein wenig mehr Training gebrauchen.“
Er deutete zu Chouji hinüber, der schwer keuchend weiter hinten auf dem Deck am Boden lag und sich anscheinend gerade von Tenten eine Standpauke anhörte.
Shikamaru brummte nur. Neji zog seine Augenbrauen zusammen.
„Ich meine es ernst, Shikamaru. Wenn du jeden Tag ein bisschen mehr daran arbeitest, als du es jetzt tust, wird es sich schon auszahlen. Du musst ja nicht gleich ein Trainingsprogramm von Sensei Gai absolvieren.“
„Gut zu wissen, dass ihr anscheinend selber wisst, wie verrückt ihr alle seid!“, gab Shikamaru zurück.
Neji zuckte mit den Schultern. „Für mich ist es nicht viel anstrengender als das Training, das ich allein durchgeführt habe. Seit der Chuuninprüfung trainiert mein Onkel mich zusätzlich auch noch in den speziellen Hyuuga-Techniken. Ich habe am Tag nicht viel Zeit, in der ich nicht trainiere, es sei denn, ich bin auf einer Mission unterwegs. Aber ich habe auch dazu gelernt und weiß jetzt, dass ich zwischendurch Ruhepausen brauche und meinen Verstand ebenso weiterbilden muss. Da kommt dann das Meditieren ins Spiel.“
Shikamaru nickte und stellte sich Nejis normalen Tagesablauf vor. Sie kamen wirklich aus zwei extrem unterschiedlichen Welten.
„Was meinst du damit, den Verstand weiterzubilden?“, fragte Shikamaru.
Neji zögerte kurz und sagte dann leise: „Ich habe begonnen, Bücher zu lesen. Ich habe früher nie freiwillig gelesen, nur das, was mir von der Akademie aufgetragen wurde. Aber mein Vater hat mir, als ich noch klein war, immer viele Geschichten vorgelesen und irgendwie habe ich vor einer Weile damit angefangen. Genau genommen war es eigentlich, als ich nach unserer Mission im Krankenhaus bleiben musste. Sensei Gai hatte mir ein Buch über die Abenteuer eines Shinobi gebracht und ich wollte mich von meinen Schmerzen ablenken, also habe ich es gelesen. Es ist auch ein bisschen so wie Meditation, nur dass man in die Gedanken eines Anderen eintaucht und fremde Welten kennenlernt. Ich glaube, dass es wichtig ist, andere Sichtweisen kennenzulernen, damit man besser auf Situationen in Missionen oder Kämpfen vorbereitet ist und schneller Entscheidungen fällen kann...“
Er verstummte und Shikamaru nickte zustimmend. Neji drehte sich weg und trat an die Reling heran, um ins Wasser hinab zu sehen.
„Und ich habe begonnen, Shogi zu lernen.“ Er murmelte es so leise vor sich hin, dass Shikamaru ihn zuerst gar nicht verstanden hatte, aber sein Verstand setzte die Worte im Nachhinein richtig zusammen. „Shogi?“, fragte er, was mit einem Nicken bestätigt wurde. Shikamaru bildete sich ein, dass Nejis Wangen eine leicht rötliche Farbe angenommen hatten.
„Ich habe gehört, dass du ein hervorragender Shogi-Spieler bist.“
Shikamaru kratzte sich verlegen am Hinterkopf. „Ach naja, das behaupten die, die das gar nicht einschätzen können. Gegen meinen Vater habe ich noch kein einziges Mal gewonnen. So gut kann ich also nicht sein.“
Neji wandte seine Augen vom Meer ab und sah Shikamaru direkt in die Augen. „Du bist viel zu bescheiden. Sensei Gai hat erzählt, dass Sensei Asuma beim Shogi immer gegen dich verliert. Er ist doppelt so alt wie du, ich finde, das ist schon eine beachtliche Leistung, wenn man seinen eigenen Sensei mit Leichtigkeit schlagen kann.“
Shikamaru merkte, wie er rot anlief und zuckte mit den Schultern. „Ist doch nur Shogi. Das hilft mir auf einer Mission nicht viel.“
Neji öffnete den Mund um zu widersprechen, aber Shikamaru kam ihm zuvor. „Wenn du möchtest, bringe ich dir als Gegenleistung dafür, dass du mich jetzt in den Taijutsu-Grundlagen trainierst, die Shogi-Grundlagen bei. Das ist vermutlich das Einzige, was ich dir überhaupt beibringen kann, also wenn du es nicht annimmst, kann ich mich nicht wirklich revanchieren.“
Neji nickte. „In Ordnung. Ich bin aber bisher noch nicht weit gekommen.“
Shikamaru lachte. „Ich beim Taijutsu ja bisher auch noch nicht. Ich kann sehr geduldig sein, mach dir deshalb also keine Sorgen. Außerdem habe ich versucht, Chouji Shogi beizubringen und ich bin mir schon jetzt sicher, dass es mit dir nicht einmal halb so anstrengend werden kann.“
Neji nickte erneut und lächelte dann. „Ich freue mich auf unser baldiges Shogi-Training.“
Zum Abendessen saßen die Shinobi zusammen auf dem Deck und sahen zu, wie der Himmel sich orange färbte und die Sonne langsam unterging. Lee war mittendrin aufgesprungen und hatte sein Geschenk geholt. Ein kleines Päckchen, von dem der Fürst jedem von ihnen eines zum Abschied gegeben hatte. Er packte es beinahe feierlich aus und stieß einen lauten Freudenschrei aus, als er sah, was sich in dem Papier verbarg.
„Aaah Leute, seht euch das mal an! Ist das toll!!“ Er wedelte eine kleine Holzplatte herum und Shikamaru erkannte erst gar nicht, was es sein sollte. Aber als Lee es herumreichte, so dass alle sehen konnten, was der Fürst ihnen zum Abschied gegeben hatte, erkannte er, dass es ein Foto war, das auf die glatte Holzplatte aufgezogen war. Auf dem Foto waren sie alle in den dunklen Gewändern und Rüstungen des Fürstenhauses zu sehen.
„Ich wollte doch so gern, dass wir noch ein Foto machen, wisst ihr noch? Und dann war die ganze Zeit so viel Trubel, da hab ich es einfach vergessen. Wie aufmerksam von ihm. Bestimmt haben wir alle eines bekommen!“
Daraufhin eilten Ino und Tenten in die Schlafkabinen, um den Rest der Päckchen zu holen. Es stellte sich heraus, dass tatsächlich alle ein Bild bekommen hatten. Zu ihrer Überraschung war aber jedes Bild ein wenig anders und bei genauerem Betrachten wurde klar, dass es keine Fotos, sondern extrem feine Zeichnungen waren, die wie echt aussahen.
Lee war selig vor Glück und sinnierte darüber, ob er sein Bild Sensei Gai schenken oder selbst behalten wollte. Dann kam ihm anscheinend ein neuer Gedanke und er legte seine Hand auf Nejis Schulter. „Neji, du hast doch immer gesagt, dass du keinen Platz für Fotos hast. Wenn du es nicht behalten willst, könnten wir auch deines verschenken? Aber Neji schüttelte den Kopf. „Ich möchte es gern behalten“, sagte er fest und Lee ließ das Thema fallen.
Der nächste Tag verging wie im Flug. Es war sehr windig und zwischendurch setzte bei ein paar von ihnen, Shikamaru eingenommen, wieder die Übelkeit ein, aber es war glücklicherweise nicht so schlimm wie auf der Hinreise. Irgendwie schafften sie es, das Training trotzdem fortzusetzen.
Am Nachmittag gaben die einzelnen Gruppen den anderen einen kurzen Überblick darüber, wie sie trainiert und was für Fortschritte sie gemacht hatten. Shikamaru staunte nicht schlecht, als er sah, wie effektiv die anderen die Zeit genutzt hatten. Ino legte sich so sehr ins Zeug gegen Lee, dass Shikamaru sich fragte, ob sie es nicht übertrieb, aber Lee feuerte sie mit glänzenden Augen immer weiter an. Sogar Neji nickte zustimmend mit dem Kopf, was für Shikamaru der größte Beweis dafür war, dass Ino sich in kurzer Zeit beachtlich verbessert hatte.
Chouji hatte sich wohl vordergründig auf die Defensive konzentriert und schaffte es einigermaßen, Tentens schnell aufeinanderfolgende Reihen von Hieben und Tritten abzublocken. Shikamaru schämte sich beinahe, weil er das Gefühl hatte, am wenigstens Verbesserungen vorzeigen zu können.
Neji stand auf und erläuterte ihre Vorgehensweise. „Wir haben, ähnlich wie ihr, mit den Grundlagen begonnen. Atmung, Haltung und das Zusammenspiel mit den Bewegungen. Shikamaru hat noch Schwierigkeiten damit, die bewusste Kontrolle aufzugeben, aber wenn es ihm gelingt, ist eine deutliche Verbesserung erkennbar.“
Auch wenn Neji sachlich geblieben war, fühlte Shikamaru sich trotzdem ein bisschen so, als würde ein Lehrer ihn gerade vor der Klasse vorführen.
Schlimmer wurde es noch, als sie den anderen eine kleine Kostprobe von den Trainingsergebnissen geben wollten und Shikamaru es ganz und gar nicht schaffte, sich in den Rhythmus von Nejis Angriffen einzufinden. Trotzdem klatschten die anderen nach der Vorstellung brav und dann gaben die drei ihren jeweiligen „Schülern“ noch einen groben Plan mit, wie diese das Training in Zukunft weiterführen konnten.
Der Zettel für Ino war vollgekritzelt mit unzähligen Empfehlungen für verschiedenste Fitnessübungen, während Choujis Plan in kurzen Stichpunkten noch einmal die wichtigsten Aspekte des durchgeführten Trainings beinhaltete.
Neji hatte Shikamaru in seiner perfekten Handschrift nur wenig aufgeschrieben:
- Atmung.
- Haltung.
- Kontrolle abgeben – Wolken beobachten.
- Regelmäßiges Krafttraining, auch wenn es nur ein bisschen ist.
- Ich freue mich darauf, gegen dich im Shogi zu verlieren.
Shikamaru starrte Nejis Handschrift auf dem Papier an und fragte sich, ob er seine Erwartungen wohl sehr enttäuschen würde, wenn er ihn in ein paar Tagen oder Wochen nach seinem Training fragte und Shikamaru antworten würde, dass er ihr Training überhaupt nicht fortgeführt hatte. Aber wie er sich kannte, konnte er einfach nicht die Motivation aufbringen.
Oder wer weiß… ganz vielleicht ja doch?
Schließlich begann es leicht zu regnen und die Shinobi verzogen sich nach drinnen.
Als sie schließlich in ihren kleinen, ungemütlichen Betten lagen, fühlte Shikamaru sich seltsam unruhig. Sie würden am nächsten Tag vermutlich schon vormittags ankommen, da der Wind die ganze Fahrt lang sehr günstig gewesen war. Die Mission war wirklich alles andere als schwierig gewesen, aber trotzdem freute Shikamaru sich eigentlich darüber, dass es so gut geklappt hatte.
Warum habe ich auf einmal so ein mulmiges Gefühl im Bauch?
Er wälzte sich hin und her und lauschte dem Ächzen des Schiffes und dem Geräusch des Wassers, das gegen das Holz schlug. Die ganze Zeit ging er im Kopf das Training durch und sah Neji wieder und wieder auf sich zuspringen.
Plötzlich spürte er ein starkes Bedürfnis, seine Beine zu bewegen und setzte sich im Bett auf. Er musste sich kurz überwinden, die Wärme seiner Decke aufzugeben und begab sich dann zum Bad. Als er fertig war, entschied er sich, nachzusehen, ob der Regen aufgehört hatte. Er stieg die Treppe zum Deck hinauf und trat in die kühle Nacht hinaus.
Es regnete nicht mehr. Der Himmel bestand aus einem riesigen, hellleuchtenden Vollmond, um den herum sich ein paar Wolken versammelten.
Shikamaru stand einfach nur da, starrte in den Himmel hinauf und sah den Wolken dabei zu, wie sie sich vor den Mond schoben und versuchten, sein Licht zu dämmen. Doch immer wieder brach die Helligkeit aus ihnen hervor, bis die leuchtende Kugel sich wieder ganz von ihnen befreit hatte.
Erst als Shikamaru aufs Meer hinunter blickte, um darin die Spiegelung des Mondes zu bewundern, bemerkte er die Gestalt, die ganz vorn am Deck an der Reling stand und das Gesicht nach oben gerichtet hatte.
Shikamaru stand da, wie in einer Trance und beobachtete, wie Nejis lange, dunkle Haare und die weiten Ärmel seines hellen Schlafgewandes im Wind flatterten.
Unter dem Licht des Mondes
Der Drang, Nejis Gesicht zu sehen, wurde immer stärker. Schließlich gab er den Anblick auf, der sich ihm gerade bot, um nach vorn zu laufen und sich neben ihn zu stellen.
„Kannst du nicht schlafen?“, fragte Neji, ohne ihn anzusehen.
Shikamaru musste erst seine Stimme wiederfinden, er fühlte sich, als wäre er gerade aus einem ewig langen Traum erwacht. „Irgendwie nicht. Ich gehe die ganze Zeit im Kopf unser Training durch. Also, das passiert unabsichtlich, die Gedanken spielen sich von ganz allein ab.“
Er machte eine Pause und wartete, aber Neji sagte nichts. Shikamaru stützte seine Arme auf der Reling ab und starrte die Spiegelung des Mondes im Wasser an. Er spürte, wie Neji neben ihm erschauerte und fragte, ob ihm kalt sei.
Neji nickte und zeigte auf die kleine Bank hinter ihnen. „Vielleicht setzen wir uns, dort ist es etwas windgeschützter.“
Shikamaru hatte eigentlich nur einen kleinen Spaziergang machen und dann wieder ins Bett gehen wollen. Er hatte das Gefühl, dass es schlauer wäre, jetzt einfach zu sagen, dass er versuchen wolle zu schlafen, aber aus irgendeinem unerfindlichen Grund hatte er sich, ohne es so richtig zu merken, schon neben Neji auf die Bank gesetzt.
Da saßen sie nun und sahen weiter den Wolken dabei zu, wie sie versuchten, den Mond zu verstecken.
„Mir ging es ähnlich wie dir. Ich habe die ganze Zeit über unser Training nachgedacht“, begann Neji nach ein paar ruhigen Minuten, in denen man nur das Rauschen des Meeres hören konnte. „Ich bin sicher, dass ich es hätte besser machen können und es tut mir leid, dass ich mich so blöd angestellt habe.“
Shikamaru starrte ihn an. Er hatte sich die Aufgabe, ihm Taijutsu näher zu bringen, offensichtlich sehr zu Herzen genommen.
„Wenn du möchtest, kann ich Sensei Gai fragen, ob er dir Einzelunterricht geben kann. Viel Zeit hat er vermutlich nicht, aber ich kann mir vorstellen, dass er…“
Shikamaru fiel ihm schnell ins Wort. „Nein, nein, das ist wirklich nicht nötig. Also ich meine, das ist nett von dir, dass du dir Gedanken machst, aber eigentlich kann ich mir keinen besseren Lehrer als dich vorstellen. Zumindest was das Taijutsu-Training angeht.“
In seinem Inneren war Shikamaru jedoch leicht irritiert. Es war nicht so sehr das, was Neji gesagt hatte – sondern wie er es sagte. Die Worte kamen irgendwie zu schnell, so als hätte Neji sie nicht geplant, sondern in einem Moment der Unachtsamkeit laut ausgesprochen. Er wirkte plötzlich fast gehetzt, als hätte er Angst, etwas zu verpassen.
Shikamaru spürte ein leichtes Ziehen in der Brust, eine Ahnung, dass da gerade mehr unter der Oberfläche brodelte, als Neji preisgab.
„Asuma hat wirklich schon oft versucht, uns Taijutsu schmackhafter zu machen, aber er war einfach nicht hartnäckig genug. Und es ist ja klar, dass du noch nie jemanden trainiert hast und auch selbst erst mal ausprobieren musst, welche Methoden funktionieren oder was vielleicht nicht so gut klappt.“
Neji ballte seine Hände zu Fäusten und schüttelte den Kopf. „Nein, ich hätte es besser machen müssen! Es fällt mir immer noch schwer, mich auf andere Leute einzulassen.“ Er zögerte und warf Shikamaru einen kurzen Seitenblick zu. „Ich weiß nicht, wieso ich dir das überhaupt erzähle...“
Er sah beinahe verzweifelt aus und Shikamaru wusste nicht, wie er reagieren sollte. Ohne darüber nachzudenken legte er seine Hand auf Nejis Faust und öffnete sie sanft.
Neji sah ihn mit großen Augen verwundert an. Shikamaru merkte, wie sein Gesicht warm wurde und hoffte, dass Neji es nicht bemerkte. Er ließ Nejis kalte Hand wieder los und räusperte sich.
„Du hattest einfach einen extrem schwierigen Schüler. Meine Stärken liegen nun einmal woanders. Ohne dich wäre ich nie auch nur ansatzweise so weit gekommen. Ich meine es wirklich ernst, Neji. Mach dich deswegen nicht fertig, in Ordnung?“
Neji nickte und wandte seinen Blick wieder dem Mond zu. Shikamaru fügte hinzu: „Außerdem fühle ich mich, als wär ich der letzte Idiot, wenn du nur wegen meiner schlechten Entwicklung so verzweifelt bist.“
Neji starrte ihn erschrocken an. „Das wollte ich damit nicht sagen. Du hast gute Fortschritte gemacht in der kurzen Zeit. Ich… ich bin einfach nur...“
Er verstummte und schien nach den richtigen Worten zu suchen.
„Es ist schade, dass unsere Reise bald vorüber ist“, schloss er leise.
Shikamaru musste an Nejis Familie denken und fragte sich, ob sich ihr Verhältnis wohl gebessert hatte.
Als hätte Neji seine Gedanken gelesen, sagte er: „Ich versuche, meinen Groll gegen die Hauptfamilie zu vergessen, aber es ist viel schwieriger, als ich gedacht hatte. Ich frage mich manchmal, ob mein Vater mir vielleicht die ganze Zeit zusieht. Und ob er enttäuscht von mir ist.“
Nejis Stimme klang gebrochen, aber Shikamaru konnte von seinem Gesicht keine Emotionen ablesen. Er schwieg, weil er nicht wusste, was er dazu sagen sollte. Der Gedanke, dass die Verstorbenen irgendwo weiter existierten und sie beobachteten, erschien ihm nicht besonders logisch.
„Ich kann mich nicht mehr gut an ihn erinnern, aber er hat mich immer gelobt, weil ich als Kind so freundlich und hilfsbereit war, wie er sagte. Er sagte auch, dass es wichtig sei, anderen gegenüber aufgeschlossen und entgegenkommend zu sein, weil man so auch lernen würde, sich selbst zu akzeptieren. Und dass jeder irgendwann einmal schlimme Dinge erlebt hat und man deswegen rücksichtsvoll und nachsichtig mit anderen umgehen muss.
Aber dann dachte ich jahrelang, dass die Hauptfamilie ihn ermordet hat, und dann war einfach so viel Hass in mir, dass ich seine Prinzipien nicht mehr berücksichtigen konnte.
Ich denke, mein Vater würde sich wünschen, dass ich noch so wäre wie früher. Aber ich glaube nicht daran, dass ich jemals wieder so sein kann. Ich bin abweisend und streng mit anderen, weil ich so auch mit mir selbst umgehe.“
Er schwieg wieder und Shikamaru fragte sich, ob Neji sich vorher auch schon einmal jemandem anvertraut hatte oder er vielleicht der Erste war.
„Hast du denn das Gefühl, dass sich in Bezug auf deine Familie etwas verändert hat in der letzten Zeit?“, fragte Shikamaru, als Neji nicht mehr weitersprach.
„Ja, es ist auf jeden Fall anders geworden seit der Chuunin-Auswahlprüfung. Mein Onkel trainiert mich jetzt höchstpersönlich und ich habe offiziell das Recht, Techniken zu lernen, die eigentlich nur die Mitglieder der Hauptfamilie ausüben. Er hat mir ein Zimmer im Haupt-Haus zugewiesen und möchte, dass ich mit ihnen esse und so weiter. Aber ich glaube trotz allem nicht, dass er irgendwelche väterlichen Gefühle für mich hat. Oder auch nur Zuneigung. Es ist schwierig, das zu erklären. Es geht sowieso alles sehr distanziert und förmlich zu bei uns zu Hause. Auch seinen Töchtern gegenüber zeigt er nicht gerade viel Wärme.
Und den Ältesten des Clans gefällt es ganz und gar nicht, dass auf einmal gewisse Vorzüge mit mir geteilt werden. Ich wurde zwar bestraft dafür, dass ich Hinata so schlimm verletzte, aber ich bin mir sicher, dass die Bestrafung vielen zu mild war.
Also ja, es hat sich vieles geändert und für mich auch verbessert, aber im Großen und Ganzen fällt es mir trotzdem schwer, mich mit ganzem Herzen der Hauptfamilie zu verschreiben.“
Shikamaru konnte sich Nejis Leben nicht wirklich vorstellen. Als Kind schon diese Trennung der Haupt- und Nebenfamilie zu spüren. Das einzige Elternteil zu verlieren. Dann der Hauptfamilie dienen zu müssen, die laut Nejis Wissen vor den Prüfungen für diesen Tod verantwortlich war…
„Wie haben sie dich bestraft?“, fragte Shikamaru.
Neji senkte seinen Blick. „Sie haben das Fluchsiegel aktiviert. Mein Onkel hat es selbst getan. Sie wollten eigentlich, dass Hinata es tut, aber sie hat nur geweint und dann hat er es an ihrer Stelle aktiviert.“
Shikamaru hoffte, dass er mit seinen Fragen nicht zu weit ging, aber er wollte Neji irgendwie helfen, und das konnte er nicht, wenn er überhaupt nicht wusste, wovon er sprach.
„Und was genau ist dann passiert, als sie das Siegel aktiviert haben?“
Neji zuckte mit den Schultern, als wäre es nichts. „Es verursacht zuerst nur Schmerzen. Am Anfang fühlt es sich an, als würde der Kopf gleich explodieren und dann schmerzt der ganze Körper, jeder einzelne Nerv brennt. Und wenn sie es länger aktiviert lassen, zerstört das Siegel irgendwann die Nerven und führt zum Tod. Das wäre den Ältesten vermutlich am liebsten gewesen, aber mein Onkel hat das verhindert, indem er das Siegel rechtzeitig deaktiviert hat.
Er hat mir vor kurzem sogar versichert, dass er verboten hat, dass ich von jemand anderem als ihm oder seiner Tochter mit dem Fluchsiegel bestraft werde. Nett, nicht wahr?“ Er lachte trocken.
Shikamaru wusste nicht so recht, ob Neji das wirklich ernst meinte.
„Wieso sollten deine eigenen Verwandten wollen, dass du stirbst?“, fragte er fassungslos. Neji schwieg. Shikamaru wartete seine Antwort ab, aber sie kam nicht. Neji hatte seine Augen fest auf den Mond gerichtet und schien ihn gar nicht gehört zu haben.
Shikamaru schwieg ebenfalls und beobachtete, wie der Mond allmählich von der nächsten dunklen Wolke gänzlich verschlungen wurde.
Wahrscheinlich war es in diesem Moment besser, wenn er nicht zu viele Fragen stellte. Wenn Neji etwas sagen wollte, würde er es tun.
Shikamaru war nicht besonders gut darin, seine Freunde zu trösten. Er neigte dazu, aus objektiver Sicht die Argumente aufzuzählen, die dagegen sprachen, überhaupt traurig über etwas zu sein und das kam, bei Ino zumindest, überhaupt nicht gut an. Und Chouji hätte er wahrscheinlich mit einer einfachen Umarmung aufgemuntert, aber Shikamaru mochte Umarmungen überhaupt nicht und würde niemals von sich aus jemanden umarmen. Er wusste nicht, was er zu Chouji sagen sollte, wenn dieser traurig war, weil seine Eltern ihn ausgeschimpft hatten oder im Fall von Ino, weil Sasuke ihr immer noch nicht seine Liebe gestanden hatte. Wenn er etwas sagte, schadete es meist eher.
Was kann man sagen zu jemandem, den die eigene Familie gefoltert und mit dem Tod bedroht hat?
Es gibt nichts zu sagen, das es besser macht.
Also hielt Shikamaru den Mund.
Der Mond schien in den dunklen Fängen der Wolken gefangen. Wie eine Lampe, über die jemand ein schwarzes Tuch geworfen hatte.
Shikamaru begann allmählich zu frieren. Ohne es zu merken, rückte er näher an Neji heran, als könne dessen Nähe die Kälte vertreiben.
Neji drehte sich zu ihm und murmelte: „Es tut mir leid, dass ich dich vollgejammert habe. Das war erbärmlich. Ich sollte froh sein, dass mein Onkel mich so großzügig behandelt, nachdem, was in der Chuunin-Prüfung passiert ist. Danke, dass du mir zugehört hast.“
Er sagte es förmlich, beinahe steif, als spräche er mit einem Fremden bei einem offiziellen Anlass. Es hörte sich nicht so an, als würde er wirklich meinen, was er da sagte. Aber Shikamaru hatte den Verdacht, dass Neji glauben wollte, dass es so wäre.
„Ich habe ihn zwar nicht gekannt, aber ich denke, dein Vater wäre bestimmt sehr stolz auf dich!“
Shikamaru hörte sich die Worte sagen, ohne dass er sie geplant hatte.
In diesem Augenblick brach der Vollmond wieder aus dem Wolkengefängis hervor und beleuchtete Nejis Gesicht so hell, dass Shikamaru beinahe die Augen zusammengekniffen hätte. Aber er musste sie einfach offen halten, weil das, was er da sah, das Schönste war, was er jemals gesehen hatte.
In Nejis hellen Augen spiegelten Tränen den ganzen Nachthimmel wider. Das Mondlicht und die Wolken, die sich langsam entfernten, schienen in seinen Augen noch realer zu sein als in der Wirklichkeit.
Neji versuchte angestrengt die Tränen zurückzuhalten und das zerriss Shikamaru das Herz.
Bevor er verstehen konnte, was geschah, hatte sich sein Körper wie von selbst nach vorne geneigt. Und dann spürte er plötzlich, wie sich seine Lippen sanft auf Nejis legten.
In diesem Moment schien die Zeit kurz stehen zu bleiben. Shikamaru spürte Nejis Lippen auf seinen und merkte, dass er zitterte. Aber Neji wich nicht zurück.
So verharrten sie kurz in einem sanften Kuss, bis Shikamaru wieder die Kontrolle über seinen Körper erlangt hatte und sich von Neji löste.
Bin ich eigentlich völlig übergeschnappt, wieso zur Hölle habe ich das gemacht? War das, weil ich diesen blöden Traum hatte? Scheiße, Neji ist ein Junge. Ich bin total verrückt geworden…
Shikamarus Gedanken rasten in seinem Kopf, während er sich darauf gefasst machte, von Neji eine Ohrfeige oder Schlimmeres zu erhalten. Der Kuss hatte vielleicht drei, höchstens vier Sekunden gedauert.>/p>
Neji war nicht zurückgewichen!
Shikamaru starrte Neji erschrocken an und Neji starrte erschrocken zurück. Keiner sagte ein Wort. Zumindest hatte Neji anscheinend seine Traurigkeit für den Moment vergessen.
Shikamaru stand hastig von der Bank auf. Das war so ziemlich die peinlichste Situation, in der er sich jemals befunden hatte! Er musste das irgendwie wieder gerade biegen und dann so schnell wie möglich abhauen.
Er räusperte sich.
„Entschuldigung. Ich weiß nicht, wieso ich das getan habe. Ich sollte wohl besser ins Bett gehen.“
Neji nickte langsam. Er sagte nichts dazu und er schien auch nicht wütend zu werden. Er sah Shikamaru immer noch mit seinen großen Augen an, als wäre für ihn die Zeit noch immer eingefroren.
Shikamaru spürte, wie das Blut in seinen Ohren rauschte und hatte Angst, erneut die Kontrolle über seinen Körper zu verlieren.
„Gute Nacht“, sagte er und drehte sich eilig um, um sich auf den Weg in seine Schlafkabine zu machen und vor Neji zu fliehen.
„Gute Nacht, Shikamaru.“ Shikamaru drehte sich nicht noch einmal um und verließ hastig das Deck.
Als er endlich wieder in seinem Bett lag, flüsterte Chouji, den er aus Versehen geweckt hatte: „Shikamaru, wo warst du?“
„Ich war nur auf dem Klo“, log er und drehte sich zur Wand, um Chouji klarzumachen, dass er jetzt schlafen wollte. „Gute Nacht!“
„Oh na gut, schlaf schön“, gab Chouji leise zurück, und Shikamaru konnte an seinem Tonfall hören, dass er eigentlich noch mit ihm hatte reden wollen. Aber darauf konnte Shikamaru jetzt keine Rücksicht nehmen, er musste darüber nachdenken, was zum Teufel gerade geschehen war.
Sicher war nur, dass das, was passiert war, mehr als nur oberpeinlich war. Shikamaru konnte sich nicht vorstellen, was Neji davon halten musste und er war immer noch verwundert darüber, dass er ihn nicht über Bord geworfen hatte. Seine einzige Erklärung dafür war, dass Neji so perplex gewesen sein musste, dass er gar nicht rechtzeitig hatte verstehen können, was Shikamaru gemacht hatte.
Wie konnte das nur passieren? Normalerweise hätte ich so etwas niemals getan. Aber dieser Traum war ja auch schon so merkwürdig. Und diese Gedanken, die sich beim Meditieren immer wieder in meinen Kopf geschlichen haben. Das grundlegende Problem ist wohl, dass ich meinem Körper die Kontrolle überlassen habe. Genau wie beim Training, nur dass es dort das Ziel war…
Wenn ich nicht so unvorsichtig gewesen wäre, hätte ich auch nie so etwas getan, das steht fest! Aber damit stellt sich die nächste Frage. Wieso um alles in der Welt kommen diese Gedanken und … Ideen überhaupt in meinen Kopf?
Scheiß Pubertät!
Shikamaru musste sich schließlich damit zufrieden geben, dass es an seinem Alter liegen musste. Er war, ob er es wollte oder nicht, nun wohl auch nicht mehr immun gegen solchen Quatsch wie Liebe oder bestimmte körperliche Triebe, über die er gar nicht nachdenken wollte. Aber so oder so, Neji war ein Junge, auch wenn nicht zu leugnen war, dass er mit den langen seidigen Haaren, der hellen makellosen Haut und seinem hübschen Gesicht auch etwas sehr Weibliches ausstrahlte.
Aber Neji war ein Junge!
Shikamaru hatte seinen Körper gesehen, nackt, im Onsen. Die klar definierten Muskeln, die Schultern, die Oberschenkel, alles an ihm sprach eine eindeutige Sprache.
Der Gedanke an Nejis weiche Lippen ließ eine Hitzewelle durch Shikamarus ganzen Körper schießen. Neji hatte sich nicht dagegen gewehrt. Seine Lippen waren fest geschlossen gewesen, aber bildete sich Shikamaru nur ein, dass sie sich, kurz bevor Shikamaru den Kuss beendet hatte, leicht geöffnet hatten?
War Neji in der Zwischenzeit ins Bett gegangen oder sah er immer noch dem Mond und den Wolken bei ihrem Kampf um die Vorherrschaft des Himmels zu?
Shikamaru versuchte diese Gedanken beiseite zu schieben und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.
- 1. Er hatte Neji geküsst, der Grund war erst einmal egal.
- 2. Neji hatte sich nicht gewehrt und nichts dazu gesagt.
- 3. Shikamaru musste sich überlegen, wie er mit der Situation nun umgehen sollte!
Am einfachsten wäre es vermutlich, so zu tun, als wäre gar nichts gewesen.
Shikamaru konnte froh sein, dass dies ihre letzte Nacht auf dem Schiff war und dass er dann nicht mehr mit Neji allein sein musste. Er würde ihm auf dem Heimweg nach Konohagakure schon irgendwie ausweichen können.
Andererseits hatte er mehr oder weniger versprochen, dass er ihm beibrachte, Shogi zu spielen. Vielleicht würde Neji darauf nun sowieso lieber verzichten, aber was sollte Shikamaru tun, wenn nicht?
Schließlich entschied er sich, darauf zu vertrauen, dass er seinen Körper von nun an wieder mehr unter Kontrolle haben würde. Er war jetzt vorgewarnt und wusste, was passieren konnte, wenn er unachtsam war. Er würde aufpassen, dass so etwas nicht noch einmal geschah!
Shikamaru wälzte sich noch eine ganze Weile mit seinen aufgescheuchten Gedanken im Bett hin und her, bis er irgendwann in einen tiefen, aber leider kurzen Schlaf fiel.
Am nächsten Tag wurde Shikamaru von einem lauten Klopfen an der Kabinentür geweckt, das ihnen sagen sollte, dass sie bereits im Hafen anlegten. Er war schrecklich müde und schlecht gelaunt, aber er sagte sich, dass es am besten sei, sich zu beeilen, damit er sich so schnell wie möglich zu Hause in seinem Bett verkriechen konnte.
Den ersten Teil der Strecke legten sie mithilfe eines Wagens zurück, der Güter aus einem Dorf am Rand des Waldgebietes zum Meer transportieren sollte. Weil das Schiff, dessen Fracht der Kutscher zum Dorf hatte bringen sollen, nie am Hafen angekommen war, hatte er genug Platz für die sechs Shinobi und nahm sie zu einem recht günstigen Preis mit. Da Shikamaru es sehr eilig hatte, bestimmte er diesmal einfach, ohne die Anderen nach ihrer Meinung zu fragen, dass sie den Weg vom Dorf aus gleich weiter fortsetzten würden. Ohne dort zu übernachten, wie sie es zuvor auf dem Hinweg getan hatten.
Er ignorierte das Gemurre von Ino, Tenten und Chouji und so zogen sie gleich weiter. In der Nacht machten sie eine kurze Pause, weil es zu dunkel war, um weiter zu ziehen.
Als Neji sich freiwillig meldete, um Wache zu halten, war für Shikamaru klar, dass er jemanden finden musste, der an seiner Stelle mit ihm aufblieb. Er vertraute Neji, aber es war immer besser, zu zweit Wache zu halten. Zum Glück meldete sich Lee, um mit ihm die erste Nachtwache zu übernehmen und so legten sich die anderen für eine kurze Weile schlafen.
Etwas später lösten Shikamaru und Chouji die beiden ab und Ino machte mit Tenten zusammen die letzte Nachtwache.
Glücklicherweise verlief alles ohne Zwischenfälle und Shikamaru hatte es tatsächlich geschafft, den ganzen Tag nichts anderes als „Guten Morgen“ und „Gute Nacht“ zu Neji zu sagen und war seinem Blick so weit möglich ausgewichen, so dass er selbst gar nicht sagen konnte, ob Neji ihn ebenfalls meidete.
Als sie am nächsten Abend vollkommen erschöpft Konohagakure erreichten, hatte Shikamaru das Gefühl, er habe seit Wochen nicht mehr richtig geschlafen.
Der einzige, der immer noch guter Laune zu sein schien, war Lee. Diesmal war Shikamaru sogar dankbar für Lees Gebrabbel und seine Motivationsrufe auf dem Weg durch die Wälder gewesen, weil er das Gefühl hatte, dass alle anderen, er selbst eingeschlossen, extrem schlecht gestimmt waren. Sie redeten kaum und trotzdem schaffte Lee es irgendwie, immer mal wieder jemanden zum Lachen zu bringen oder kleinere Gespräche zu beginnen.
Als sie sich endlich am Eingang des Dorfes voneinander verabschiedeten, bedankte sich Shikamaru nur kurz für die gute Arbeit und wünschte allen eine erholsame Nacht.
Zu Hause angekommen versuchte er, seine Eltern abzuwimmeln, die natürlich genau wissen wollten, wie die Mission verlaufen war. Er musste sich aber trotzdem noch an den Tisch setzen und ein kleines Abendessen zu sich nehmen, bevor seine Mutter ihm erlaubte, ins Bett zu gehen.
„Aber morgen erzählst du uns alles ganz genau!“, sagte sie streng, bevor Shikamaru in sein Zimmer verschwand. „Und nimm gefälligst vorher noch ein Bad, ich habe dein Bett extra vorhin noch frisch bezogen! Wage es ja nicht, dich so müffelnd hinzulegen, hörst du?“
War ja klar, dass das noch kommen musste. Sie könnte wirklich etwas verständnisvoller sein, nachdem ich ewig weg war.
Grummelnd duschte er sich schnell ab und hoffte, dass seine Mutter das so durchgehen lassen würde. Dann zog er sich um und legte sich hin.
Er versuchte, nicht mehr an die letzten Tage zu denken und so schnell wie möglich einzuschlafen.
Aber er merkte, dass er ein ziemlich schlechtes Gewissen hatte, weil er mit seiner schlechten Stimmung die beiden letzten Tage der Mission ruiniert hatte. Es war doch eigentlich eine gute Mission gewesen und sie hatten sich, alles in allem, besser verstanden, als er gedacht hätte. Von ein paar kleinen Streitigkeiten mal abgesehen, die aber auch nicht allzu sehr ins Gewicht fielen.
Hoffentlich verziehen Chōji und Ino ihm. Wie er sie kannte, ließ sich das sicher wieder geradebiegen. Vielleicht würde es ein paar Tage seltsamer Stimmung geben – aber das war schon okay.
Mit Neji war es komplizierter. Oder vielleicht auch nicht?
Shikamaru sagte sich, dass es besser war, wenn jeder wieder seiner Wege ging. Vermutlich würden sie sowieso nicht mehr oft gemeinsam trainieren. Vielleicht gar nicht mehr.
Neji war ehrgeizig, diszipliniert und viel ernster bei der Sache als er selbst – jemand wie er war sowieso besser dran, wenn er sich auf wichtigere Dinge konzentrierte.
Es war alles gut so.
Je seltener sie sich sahen, desto eher würde auch diese verflixte letzte Nacht in Vergessenheit geraten.
Notes:
Heute ist der 22.September, Shikamarus Geburtstag. Alles Gute für unseren faulen Lieblingsstrategen! 🎉
Und beinahe zufällig ist heute ein langes und sehr wichtiges Kapitel an der Reihe, mit dem sich die Beziehung zwischen Shikamaru und Neji stark verändern wird. Ich hoffe, es zu lesen hat euch genauso viel Spaß gemacht wie mir das Schreiben 💛
Chapter 16: Der Brief, der nie ankam
Notes:
(See the end of the chapter for notes.)
Chapter Text
Shikamaru erwachte erst gegen Mittag und war sehr froh darüber, dass er das Haus für sich allein hatte und niemand an ihm herumnörgeln konnte. Er bemerkte, dass er letzte Nacht zwar keine Albträume gehabt hatte, Neji aber sehr wohl in seinen Träumen vorgekommen war. Vielleicht war das ja ein Zeichen dafür, dass seine selbst auferlegte Therapie wirkte.
Shikamaru aß eine Kleinigkeit zum Frühstück und überlegte, wie er seinen freien Tag nutzen sollte. Da er die ganze Thematik gern so weit wie möglich bearbeitet haben wollte, wenn seine Frau zurückkehrte, entschied er sich dazu, über seinen eigenen Schatten zu springen und mit jemandem zu sprechen, der Neji sehr nahe gestanden hatte.
Er suchte ewig in seiner Kiste mit alten Erinnerungsstücken, bis er den Beutel fand, den er mitnehmen wollte.
Es kostete ihn dann dennoch sehr viel Überwindung, sein Vorhaben in die Tat umzusetzen, aber schließlich machte er sich auf den Weg. Auf den Straßen herrschte geschäftiges Treiben und Shikamaru versuchte sich zu erinnern, wie genau Konohagakure zu seiner Kindheit ausgesehen hatte. Es war seitdem sehr gewachsen und hatte sich insgesamt total verändert, aber trotzdem konnte er sich immer noch gut an die Straßen und Häuser von früher erinnern.
Schließlich stand er vor dem Laden und schaute sich das Schild mit den Öffnungszeiten an. Erleichtert stellte er fest, dass er die Zeit der Mittagspause richtig im Kopf gehabt hatte, und klingelte an der Tür. Es dauerte ein Weilchen und er klingelte erneut.
Bitte sei da!
Shikamaru war sich relativ sicher, dass er nicht noch einmal den Mut aufbringen würde, hierher zu kommen, wenn sich die Tür jetzt nicht öffnen würde. Gleichzeitig hoffte er so sehr, dass ihm diese ganze Sache einfach erspart bleiben würde, dass er zusammenzuckte, als die Tür schließlich doch aufgerissen wurde.
Tenten war offensichtlich genervt davon, in ihrer Mittagspause gestört zu werden, aber als sie Shikamaru erkannte, mischte sich Verwirrung in ihren Blick.
„Oh hallo Shikamaru, habe ich etwa eine Waffenlieferung vergessen?“, fragte sie und Shikamaru fiel auf, dass sie sofort in ihren Geschäftston fiel.
Er schüttelte den Kopf. „Nein, alles in Ordnung. Ich…“ Er zögerte kurz und beschloss dann, dass es am besten sei, einfach damit herauszurücken. „Es gibt etwas, über das ich gern mit dir reden würde. Wenn es geht jetzt gleich, wenn du etwas Zeit dafür einräumen kannst.“
Tentens Verwirrung schien nur noch mehr zu steigen. „Was gibt es denn?“, fragte sie und machte keine Anstalten, Shikamaru in ihr Haus zu bitten.
Shikamaru musste den Impuls unterdrücken, sich am Hinterkopf zu kratzen, wie er es meistens tat, wenn ihm etwas unangenehm war. Stattdessen steckte er die Hände in die Manteltaschen und fluchte innerlich, weil er sich keinen guten Vorwand hatte einfallen lassen, bevor er hergekommen war. Aber er hatte gespürt, dass er es nicht über sich bringen würde, wenn er vorher zu viel darüber nachdachte.
„Kann ich vielleicht reinkommen?“, fragte er und versuchte nicht zu genervt zu klingen.
Tenten zog eine Augenbraue hoch. „Bist du sicher, dass es in Ordnung ist, wenn du das Haus einer unverheirateten Frau betrittst, während deine eigene Frau nicht im Land ist? Ich habe keine Lust, mich vor ihr verantworten zu müssen.“
Unangenehm!
Shikamaru hatte sich schon gedacht, dass es für Tenten ein Problem sein würde, mit ihm über private Dinge zu reden. Es war ein offenes Geheimnis, dass sie Temari nicht leiden konnte. Temari würde ihm vermutlich die Hölle heiß machen, wenn sie davon erführe, aber das hier ging sie nichts an. Es war etwas, das nur ihn und Neji betraf. Dass Tenten so etwas sagte, nervte ihn allerdings so sehr, dass er beinahe einfach wieder umgekehrt wäre.
„Bitte Tenten, es ist wichtig. Es geht um… es geht um Neji.“
Es war, als würde eine dunkle Wolke über ihr Gesicht ziehen, als sie diesen Namen hörte. Sie presste die Lippen fest aufeinander und Shikamaru konnte sehen, dass sie kurz davor war, ihm die Tür vor der Nase zuzuschlagen.
„Ich kann das alles nicht so einfach hier auf der Straße sagen, aber ich weiß, dass du ihn besser kanntest als die meisten, und ich bitte dich, nimm dir einfach nur ein paar Minuten Zeit, um mir zuzuhören, und dann lass ich dich für immer damit in Ruhe!“
Tenten zögerte und starrte ihn emotionslos an. Schließlich seufzte sie widerwillig und öffnete die Tür etwas weiter, um ihn herein zu bitten. Sie führte ihn in ihr kleines Wohnzimmer und deutete ihm, sich auf das Sofa zu setzen.
„Ich mache uns einen Tee, warte kurz.“
Mit diesen Worten verschwand sie in der Küche und Shikamaru musterte die Unordnung in dem Raum. Überall lagen Waffenteile und Schriftrollen verstreut auf großen Bücherstapeln. Er schaute, ob Tenten Fotos an den Wänden hatte. Er erinnerte sich, dass in ihrem Laden ein Bild von ihrem Team hing, aus ihrer Genin-Zeit. Doch im Wohnzimmer war kein einziges Foto zu sehen. Auch an den Wänden hingen überall nur Waffen und Zeichnungen von Waffen, die Tenten vermutlich selbst angefertigt hatte.
„Falls du mir gleich gestehen willst, dass du dich unsterblich in mich verliebt hast, kannst du dir den Tee sparen. Ich bin glücklich allein und ich brauche keinen Mann, um mich gut zu fühlen oder was auch immer die Leute so reden.“
Tenten stellte den Tee auf dem Wohnzimmertischchen ab und sah Shikamaru kühl in die Augen. Shikamaru schaute sie entsetzt an.
Glaubt sie das wirklich? Dass ich hergekommen bin, um sie zu verführen?
Ausgerechnet ich?
Wieso muss sie mir das Ganze so schwer machen?
Er schüttelte den Kopf und legte den Beutel vor sich ab.
„Keine Sorge, ich habe mit einer Frau schon genug Stress, wieso sollte ich noch eine zweite wollen?“
Tenten machte ein Geräusch, von dem Shikamaru nicht sicher war, ob es ein kurzes Lachen oder ein verächtliches Stöhnen sein sollte, daher entschied er sich, es einfach zu ignorieren. Dass er auf so viel Feindseligkeit stoßen würde, hatte er nicht ganz erwartet.
„Ich denke, es ist am besten, wenn ich gleich zur Sache komme.“
Tenten nickte zustimmend und setzte sich ihm gegenüber. Shikamaru schluckte und versuchte seine Gedanken zu sortieren.
„Ich habe in letzter Zeit viel darüber nachgedacht, was mit Neji war.“
Tentens Blick war starr auf ihre Teetasse gerichtet und sie fuhr mit dem Zeigefinger immer wieder über die kleinen erhobenen Schnörkel auf der Außenseite.
„Was war denn mit Neji?“, fragte sie kalt.
Shikamaru begann noch einmal anders. „Also, was ich sagen wollte… Ich habe mit niemandem darüber gesprochen und es tut mir leid, dass ich ausgerechnet dich jetzt damit belästige, aber es geht leider nicht anders. Ich habe in letzter Zeit nicht nur viel darüber nachgedacht, ich hatte immer wieder Träume. Albträume. Ich meine, wir haben vermutlich immer noch alle ab und zu Albträume vom Krieg, aber ich habe immer ganz spezifisch von Nejis Tod geträumt.“
Tenten fuhr mit dem Finger weiter über die Schnörkel und sagte kein Wort. Shikamaru fragte sich, ob die Tasse nicht zu heiß war, um sie die ganze Zeit in der Hand zu halten. Er fuhr fort.
„Ich habe ihm nie besonders nahe gestanden, deswegen weiß ich nicht, wo diese Träume jetzt, nach so vielen Jahren, auf einmal herkommen. Es ist mir wirklich unangenehm, aber ich muss das irgendwie überwinden. Es ist immer schlimmer geworden und ich glaube, dass ich erst wieder ruhig schlafen kann, wenn ich das geklärt habe. Ich fühle mich schuldig dafür, dass er sich geopfert hat. Zumindest teilweise.“
Tenten hob ihren Blick und Shikamaru konnte darin nichts als reinen Hass erkennen.
„Du gibst dir die Schuld an seinem Tod? Wieso denn? Wieso glaubst du, dass du irgendeinen Einfluss auf ihn hattest? Du warst doch nicht mal in der Nähe, als es passiert ist. Neji hat sich entschieden, sich zu opfern, um Naruto und Hinata zu retten und es hatte rein gar nichts mit dir zu tun!“
Shikamaru richtete sich auf, um Tentens Blick standhalten zu können. „Aber ich habe ihm eingeredet, dass er seinen Hass auf die Hauptfamilie vergessen muss. Ich weiß, dass ich keinen großen Einfluss auf ihn hatte, aber er hat manchmal versucht, sich mir anzuvertrauen und ich habe ihm nicht geholfen.“
Tenten holte Luft, aber Shikamaru versuchte, ihr zuvorzukommen. „Sieh mal, Tenten, ich habe Neji wirklich nicht besonders gut gekannt. Ich hatte ein paar vereinzelte, recht vertraute Gespräche mit ihm, aber das war lange vor dem Krieg. Ich will mich auch nicht wichtiger machen, als ich bin. Bitte gib mir nur eine ehrliche Antwort auf diese eine Frage:
Hat Neji jemals mit dir über mich gesprochen? Über etwas, was zwischen uns passiert ist? Das ist alles, was ich wissen muss.“
Tenten senkte ihren Blick wieder und Shikamaru wartete. Sie sagte nichts.
So verging eine Minute. Shikamaru wartete geduldig weiter. Er konnte sehen, dass in Tenten ein Kampf tobte. Er konnte sehen, dass es da etwas gab. Neji hatte ihr tatsächlich irgendetwas anvertraut. Ihre Reaktion auf seine Bitte machte es offensichtlich. Aber würde sie sich ihm öffnen? Es war ganz klar, dass sie auch ihn nicht besonders mochte. Vor allem nicht in diesem Moment.
Schließlich fing Tenten leise an zu sprechen, und ihre Stimme klang monoton und schwach. Sie schaute Shikamaru kein einziges Mal an, ihre Augen waren starr auf die Teetasse gerichtet, als würde sie auf ihrer Oberfläche den Text ablesen.
„Ich weiß wirklich nicht, was du dir davon versprichst, aber ich versuche, auf deine Frage zu antworten. Neji kam zu mir, kurz bevor er starb. Er bat mich darum, einen Brief anzunehmen, den ich dir geben sollte, im Fall, dass ihm etwas passierte. Ich wollte so etwas nicht hören und habe ihn einfach abgewiesen.“
Sie machte eine Pause.
„Ich hatte schon eine ganze Weile gewusst, dass irgendetwas mit euch beiden nicht stimmte. Als Lee mir nach unserer Mission auf Shishiyoujima erzählte, dass Neji dich auf der Hochzeitsfeier hat an seiner Schulter schlafen lassen, habe ich gleich schon vermutet, dass da etwas seltsam ist. Aber ich habe die Augen davor verschlossen.
Dann hat Neji ab und zu solche Sachen über dich gesagt. Er hat dich immer verteidigt, wenn jemand über dich redete. Er schien dich so übertrieben zu respektieren, obwohl du dem gar nicht gerecht wurdest. Ich habe mir damals nicht allzu viele Gedanken gemacht. Ich war jung und unerfahren und dumm.
Ich glaube, ich war irgendwie immer schon ein bisschen... in ihn verknallt gewesen, seitdem wir an der Akademie waren. Er war so cool und unnahbar und unglaublich mysteriös.
„Aber nach der ersten Chuunin-Auswahlprüfung änderte er sich langsam. Ich habe bemerkt, wie er versuchte, offener zu werden. Mehr mit uns zu interagieren und manchmal hat er sogar ein bisschen mit uns geblödelt. Aber Körperkontakt und Nähe zuzulassen, das waren Dinge, mit denen er sich immer unglaublich schwer getan hat.“
„Dann war da das Training auf dem Schiff. Er ist mit dir ganz anders umgegangen, als jemals mit Lee oder mir. Es war, als wäre es seine Lebensaufgabe, dir Taijutsu beizubringen, obwohl es offensichtlich war, dass du absolut kein Talent dafür hattest. Er hat sich so viele Gedanken darüber gemacht, auch lange nach der Mission noch.“
„Er war irgendwie anders mit dir, auch wenn er über dich sprach. Es war seltsam und es hat mich auch irgendwie beunruhigt, aber ich habe mir trotz allem immer noch nicht viele Gedanken darüber gemacht.“
„Dann kam irgendwann heraus, dass er sich mit dir traf, um Shogi zu spielen. Vor seiner Wandlung hätte er mit so etwas niemals seine Zeit verschwendet, aber er änderte sich Stück für Stück und deshalb schrieb ich es einfach seinem allgemeinen Sinneswandel zu.“
Tenten nahm einen Schluck vom Tee und starrte dann auf ein großes Shuriken, das an der Wand hinter Shikamaru hing. Shikamaru hatte ein flaues Gefühl im Magen und musste sich zwingen, sitzen zu bleiben und weiter zuzuhören. Er würde nicht weglaufen. Nicht heute!
Schließlich sprach Tenten weiter und nun sah sie Shikamaru wieder an. „Ich glaube, das erste Mal, dass ich den Verdacht hatte, war als Neji bei dem Sommerfest plötzlich spurlos verschwand. Er hatte uns gesagt, dass er leider nicht mit uns an der Feier teilnehmen konnte, weil er seine Cousinen eskortieren müsse. Als wir sie trafen, sagte Hinata, Neji hätte uns gesucht. Aber Neji hätte uns gefunden, wenn er gesucht hätte, das ist ja keine Frage.
Und er war irgendwie nochmal auf eine andere Art anders nach diesem Sommerfest. Als wäre etwas passiert, das alles grundlegend änderte. Er war nie besonders emotional, aber wir merkten schon, dass er in seinen Stimmungen hin- und herschwankte und etwas später hatte sich seine Meinung zu dir auch komplett verändert. Ich wusste, dass es einen Streit gab, aber er hat nie genau erzählt, was passiert war. Ich war ehrlichgesagt froh, als eure Freundschaft vorbei war.“
Shikamaru stockte bei diesen Worten kurz der Atem. Ja, sie hatten sich gestritten und ja, danach trafen sie sich nicht mehr, weder um Shogi zu spielen, noch zum Trainieren. Aber niemals hatte er das so betrachtet, dass deswegen ihre Freundschaft zerbrochen war.
Es tat unglaublich weh, das hören zu müssen, auch nach so langer Zeit.
Tenten räusperte sich. „Neji war dann irgendwie ausgeglichener und wirkte glücklicher, als er sich nicht mehr mit dir traf. Als wäre ihm ein Stein vom Herzen gefallen. Aber jetzt weiß ich, dass er danach einfach nur noch an sein Training dachte und sich damit von allem anderen ablenkte.“
Shikamaru nickte und nahm schnell einen Schluck Tee, um nichts sagen zu müssen. Tenten seufzte resigniert und fuhr fort.
„Also, Neji kam, wie gesagt, kurz vor unserem Einsatz zu mir und wollte mir diesen Brief geben. Ich war einfach schockiert, weil er so sicher zu sein schien, dass er nicht wieder zurückkehren würde, und dass er in einem solchen Fall ausgerechnet dir einen Brief geschrieben hatte.
Und ich wollte es eigentlich gar nicht, aber aus irgendeinem unerfindlichen Grund habe ich ihn einfach gefragt, ob er in dich verliebt sei, oder wieso er ausgerechnet dir Briefe schreibt. Und Neji hat es nicht abgestritten. Er hat es auch nicht zugegeben, aber es war dadurch einfach klar.“
Shikamaru spürte, wie sich in ihm alles zusammenzog, als Tenten die Worte aussprach, aber er versuchte sich nichts anmerken zu lassen und einen neutralen Gesichtsausdruck zu bewahren.
„Ich habe ihn gefragt, ob da irgendwas zwischen euch passiert war und dann erzählte er, dass du ihn in den Nara-Wald mitgenommen hättest und ihr euch geküsst hättet oder so ähnlich. Es war seltsam, wie er das sagte und ich glaube, er hätte es mir nie erzählt, wenn er nicht davon ausgegangen wäre, dass er bald sterben würde. Ich war einfach nur schockiert, weil ausgerechnet Neji, der aus einer so strengen und konservativen Familie kommt, so etwas getan hatte...“
Ihre Stimme brach und Shikamaru befürchtete, dass sie anfangen würde zu weinen. Wieder machte sie eine Pause und ihre Finger fuhren erneut über die Tasse.
„Ich habe im Nachhinein viel darüber nachgedacht. Ich glaube, er hat dich wirklich geliebt. Ich weiß nicht, wie du darüber gedacht hast und wieso du nach so vielen Jahren auf einmal hier auftauchst, um über ihn zu reden.“
Nach einer kurzen Pause fügte sie mit boshafter Stimme hinzu:
„Vielleicht hast du Recht und du bist wirklich Schuld an dem, was passiert ist.“
Shikamaru nickte nur und schwieg, auch wenn in seinem Inneren ein Sturm aus Gefühlen tobte, der ihn zu zerreißen drohte.
Sie saßen beide stumm da und tranken ihren Tee. Schließlich stellte Shikamaru eine Frage, die er gleich darauf am liebsten wieder zurückgenommen hätte, aber da war es schon zu spät.
„Und du… hast du Neji geliebt?“
Tenten stellte ihre Tasse unsanft ab und sah ihn wütend an. Shikamaru sah, dass ihre Augen feucht waren und fluchte innerlich, weil er nicht einfach den Mund gehalten hatte.
„Es geht hier nicht um mich, Shikamaru. Ich habe es ihm nie gesagt und es hätte auch keinen Unterschied gemacht“, rief Tenten mit erhobener Stimme und man konnte hören, wie viel Reue in ihren Worten mitschwang.
Shikamaru merkte entsetzt, wie seine eigenen Augen ebenfalls feucht wurden, als er so mit Tentens Gefühlen konfrontiert wurde und schluckte schnell, um den Tränenkloß, der sich langsam in seinem Hals ansammelte, loszuwerden.
Es war sicherlich gut, wenn er um Neji weinen konnte, aber dies war der falsche Zeitpunkt. Er war nicht hergekommen, um sich trösten zu lassen und er hatte auch nicht beabsichtigt, Tenten zu verletzen.
„Entschuldigung Tenten, es tut mir leid. Es war eine dumme Frage."
Mit leiser Stimme fügte er hinzu: "Weißt du, was mit seinem Brief passiert ist?“
Tenten wischte sich mit einem Finger die Tränen aus den Augen. „Ich habe ihn nicht angenommen. Ich war wütend und verletzt und wollte ihn nicht, auch aus Angst, dass ich ihn vielleicht lesen würde. Ich glaube, er wollte ihn dann Hinata geben, vielleicht fragst du sie einfach mal danach. Kannst ihr von mir aus sagen, dass ich erwähnt hätte, dass Neji damals einen Brief für dich hatte, dann musst du ihr keine peinlichen Geschichten erzählen.“
Shikamaru nickte dankbar.
Tenten stand auf, wie um zu sagen, dass er jetzt gehen sollte. Aber Shikamaru hatte das Gefühl, dass er sie wenigstens ein bisschen einweihen sollte. Er konnte es sich nicht leisten, dass sie im Dorf komische Gerüchte über ihn verbreitete. Er holte tief Luft und sah ihr direkt in die Augen.
„Tenten, ich kann nur immer wieder sagen, wie leid es mir tut, was passiert ist. Ich habe Neji nicht geholfen und jetzt holen mich meine Fehler von früher ein. Aber ich habe mir vorgenommen, nicht mehr weiter davonzulaufen. Es stimmt, was Neji erzählt hat. Ich habe ihm die tiefsten Gebiete des Nara-Waldes gezeigt und ihm Zutritt gewährt, wo nie vorher ein Hyuuga war. Ich habe Geheimnisse mit ihm geteilt, die nie ein Außenstehender erfahren sollte.
Und ich glaube, dass da etwas zwischen uns war, das weit mehr als nur freundschaftlich war. Aber wir waren beide zu jung und hatten unsere eigenen Probleme, wobei meine sicherlich nicht der Rede wert waren, im Vergleich zu seinen.
Ich habe ihm etwas gegeben, das ihm sonst vermutlich noch niemand so geben konnte und dann habe ich es zerstört und ihn fallen lassen.
Ich hätte mehr mit ihm reden müssen, ich hätte mich einfach ein bisschen mehr zwingen sollen, unsere… Beziehung zu retten. Aber ich war faul und ignorant und habe den Weg des geringsten Widerstandes gewählt und Neji musste dafür büßen. Ich weiß nicht, ob alles anders verlaufen wäre, wenn ich mich ein bisschen mehr um ihn bemüht hätte.
Es tut mir leid und ich weiß, dass ich das nie wieder gutmachen kann. Aber bitte behalte das alles für dich! Temari weiß nichts davon und ich versuche, erst einmal allein damit zurecht zu kommen. Danke, dass du es mir gesagt hast.“
Mit diesen Worten stand er auf und hielt Tenten den Beutel hin. Sie nahm ihn zögernd entgegen und öffnete ihn dann.
Sie holte den Glücksbringer heraus, der einen Wolf darstellte und das Bild, das Fürst Arisugawa ihnen als Dankeschön mitgegeben hatte. Sie starrte das Bild an und strich wortlos mit dem Finger über Nejis Gesicht. Dann sah sie Shikamaru verständnislos an.
„Was soll ich damit?“
Shikamaru zuckte mit den Schultern. „Den Glücksbringer hat Neji mir geschenkt. Ich dachte, ich gebe ihn dir, weil ich ihn nicht verdient habe.“
Tenten sah sich den Wolf genauer an und schüttelte dann den Kopf. „Neji hat ihn dir geschenkt und er wollte, dass du ihn behältst.“
Sie steckte beide Gegenstände in den Beutel zurück und warf ihn Shikamaru zu.
„Ich habe mein Bild von der Mission noch, behalte du dieses. Ich weiß, dass Neji dir immer noch etwas bedeutet. Ich kann es spüren, weil ich das Gleiche fühle. Und keine Sorge, ich werde es nicht herumerzählen. Ich will nicht, dass die Leute schlecht über ihn reden.“
Shikamaru nickte und bedankte sich noch einmal.
Dann verließ er das Haus.
Notes:
Dieses Kapitel spielt nun wieder in der Zukunft bei dem erwachsenen Shikamaru.
Ich hoffe, es kommt nicht zu gehetzt rüber, dass Shikamaru sich so plötzlich dazu entscheidet, mit Tenten über Neji zu sprechen. Er will die Sache für sich unbedingt klären, bevor Temari und Shikadai wieder nach Hause zurück kommen.Ich danke euch für eure Unterstützung und hoffe, dass das Lesen euch nach wie vor Spaß macht!! ❤️
Chapter 17: Züge der Erinnerung
Chapter Text
Shikamaru wanderte ziellos durch die Straßen und war froh, den Besuch bei Tenten hinter sich zu haben.
Neji hatte ihr tatsächlich etwas erzählt. Es war für Neji wirklich wichtig gewesen.
Vielleicht… vielleicht hatte Neji ihn sogar geliebt...
Shikamaru ärgerte sich darüber, dass er Tentens Gefühle verletzen musste, aber vielleicht war es ja auch für sie gut gewesen, mit jemandem darüber zu reden.
Sie hatte Nejis Zuneigung viel mehr verdient als er. Er hatte seinen Tod mehr oder weniger ignoriert und einfach weitergelebt. Er hatte geheiratet und eine Familie gegründet.
Tenten war ihm auf ihre Weise treu geblieben, sie war allein geblieben und hatte vermutlich jeden einzelnen Tag an ihn gedacht.
Wieso hatte Neji ausgerechnet ihm einen Brief geschrieben? Er hatte überhaupt keine Nachricht von ihm verdient!
Trotzdem sollte er irgendwie versuchen, den Brief zu bekommen. Er überlegte, ob er Hinata einfach danach fragen sollte.
Er könnte es jetzt sofort tun. Naruto war höchstwahrscheinlich um diese Zeit nicht zu Hause und würde nichts davon mitbekommen. Aber das wäre schon die zweite Frau, die er heute besuchte. Es wäre wirklich nicht gut, wenn jemand ihn beobachtete und Temari erfuhr, wie er seinen freien Tag verbracht hatte. Und diese seltsame Präsenz, die er gespürt hatte, sagte ihm, dass ihn jemand beobachtete.
Shikamaru fürchtete, dass er es trotzdem jetzt tun musste.
Aber wieso hat Hinata mir nie gesagt, dass Neji ihr einen Brief für mich gegeben hatte? Höchstwahrscheinlich hat sie diesen Brief gar nicht mehr...
Leider konnte er Lee nicht fragen, ob er etwas davon wusste, weil dieser vor zwei Tagen mit den anderen nach Sunagakure aufgebrochen war.
Shikamaru kam eine Idee und so machte er einen Zwischenstopp zu Hause, um ein paar Bücher zu holen. Er hatte die Bücher eigentlich zu Naruto ins Büro bringen wollen, aber sie boten ein so gutes Alibi, dass er sie nun einfach direkt zu ihm nach Hause schleppte. So würde hoffentlich niemand auf die Idee kommen, dass er irgendeinen anderen Grund hatte, Narutos Frau aufzusuchen.
Beim Haus angekommen, klopfte er an die Tür. Er wollte die Kinder nicht mit der Türklingel im Mittagsschlaf stören. Shikamaru erschrak, als die Tür sich unmittelbar nach dem Klopfen öffnete.
Hanabi war anscheinend gerade dabei, sich auf den Weg zu machen.
„Hey Shikamaru, Naruto arbeitet noch, wie du ja vermutlich weißt. Geh rein, Hinata ist in der Küche“, rief sie ihm freundlich zu und winkte kurz, bevor sie zur Tür hinaustrat und davonsprintete.
Shikamaru starrte ihr kurz hinterher. Sie sah Neji viel ähnlicher als Hinata...
Zögernd betrat er das Haus und zog die Schuhe aus. Dann schlug er den Weg zur Küche ein, wo er Hinata fand. Sie hatte eine blaue Schürze umgebunden und war damit beschäftigt, das Geschirr abzuwaschen.
„Guten Tag, Shikamaru. Die Kinder schlafen gerade beide, danke dass du nicht geklingelt hast“, sagte sie und schenkte ihm ein warmes Lächeln.
Ja, Hanabi sah Neji wirklich um einiges ähnlicher als Hinata. Shikamaru hatte noch nie darüber nachgedacht, aber eigentlich konnte man gar nicht glauben, dass ihre Väter Zwillinge gewesen waren. Hinatas rundes Gesicht und ihre etwas hervorstehenden Augen verliehen ihr seiner Meinung nach immer ein gutmütiges, aber auch etwas einfältiges Aussehen. Sie wirkte freundlich, aber seltsam abwesend. Als würde sie immer allem zustimmen, ohne je wirklich an etwas teilzunehmen.
Shikamaru grüßte zurück und stellte den Bücherstapel auf dem Küchentisch ab.
„Die sind für Naruto, ich hoffe, es ist in Ordnung, dass ich sie nicht direkt ins Büro gebracht habe.“
Hinata nickte dankend und bot ihm etwas zu Trinken an, was Shikamaru höflich ablehnte.
„Hast du schon etwas von Temari gehört? Sind sie gut angekommen?“, fragte Hinata.
Shikamaru schüttelte den Kopf. „Sie sollten erst heute oder morgen in Sunagakure ankommen.“
Es behagte ihm überhaupt nicht, mit Hinata allein zu sein. Er mochte Naruto wirklich gern und er respektierte auch seine Entscheidung, Hinata zu heiraten, aber eigentlich gab es nicht viel, was er an ihr mochte. Das einzige, das ihr wichtig zu sein schien, war ihre neue Familie, und sie ging in der Hausfrauenrolle so richtig auf. Und sie war immer höflich und nett, immer, zu allen. Aber hatte sie jemals wirklich etwas für jemanden, außer Naruto oder ihre Schwester, getan?
Neji hatte sie jedenfalls nicht wirklich geholfen!
Vielleicht war das gemein. Vielleicht verurteilte er sie zu sehr – aber irgendetwas an ihr wirkte auf ihn schon immer seltsam unbeteiligt. Als würde sie durch die Welt gehen, ohne wirklich da zu sein.
„Ich muss gleich wieder los, aber ich wollte dich noch etwas fragen. Tenten hat vor kurzem mal erwähnt, dass Neji dir vor dem Krieg einen Brief für mich geben wollte. Weißt du etwas darüber?“
Hinata starrte ihn mit großen Augen und merkwürdigerweise leicht entsetzt an. Shikamaru konnte sehen, dass sie irgendein Problem mit seiner Frage hatte.
„Hast du den Brief noch?“, fragte er, weil sie zu wissen schien, worauf er anspielte.
Hinata wandte sich wieder dem Abwasch zu.
„Das ist aber wirklich schon ewig her. Wieso fragst du nach so langer Zeit nach einem Brief?“
Shikamaru konnte den Impuls, genervt die Augen zu verdrehen, nicht unterdrücken und hoffte, dass Hinata es nicht mit dem Byakugan gesehen hatte.
„Wie gesagt, Tenten hat es erwähnt. Ich wusste bisher nichts davon.“ Am liebsten hätte er hinzugefügt, dass normalerweise die Person, die den Brief erhielt, diesen eigentlich auch weitergeben sollte. Hinata wusch seelenruhig weiter ab.
„Deshalb bist du hergekommen? Wegen Nejis Brief? Ist es nach so langer Zeit überhaupt noch wichtig, selbst wenn er dir früher mal einen Brief hinterlassen hätte?“
Shikamaru wunderte sich langsam etwas darüber, dass Hinata ausgerechnet jetzt ihre Höflichkeit vergessen hatte.
„Ich möchte gern wissen, was Neji mir sagen wollte. Vielleicht ist es ja wichtig gewesen.“ Er machte eine kurze Pause und fügte dann hinzu: „Er war ein wichtiger Freund für mich und wenn es da noch etwas gibt, dass er mir mitteilen wollte, muss ich das unbedingt erfahren.“
Hinata stellte das Wasser ab und griff nach dem Handtuch, um das Geschirr abzutrocknen.
„Also war er dir wichtig? Du möchtest den Brief unbedingt lesen?“, fragte sie und sah Shikamaru neugierig an.
Shikamaru nickte und hoffte, dass es langsam doch zu ihr durchgedrungen war, dass er den Brief tatsächlich haben wollte.
„Wenn du den Brief noch hast, dann gib ihn mir bitte.“
Hinata trocknete sich die Hände mit dem Tuch ab und lud Shikamaru ein, sich an den Küchentisch zu setzen. „Ich hole ihn, warte kurz.“ Shikamaru setzte sich und wartete. Es gab den Brief tatsächlich. Sie hatte ihn hier. Er würde ihn vermutlich gleich in seinen Händen halten und lesen können. Neji würde zurückkehren. Er würde noch einmal mit ihm sprechen. Was würde er ihm sagen? Es war nicht seine Art, anderen Vorwürfe zu machen. Aber wenn er so verzweifelt war, dass er sich umbringen würde, konnte es schon sein, dass er Shikamaru die Schuld daran gab. Shikamarus Herz klopfte auf einmal immer schneller und er merkte, dass er anfing zu zittern. Als Hinata nach ein paar Minuten zurückkehrte, hielt sie ihm einen Briefumschlag hin, dessen Siegel noch völlig intakt war. Aber vielleicht hatte Hinata den Inhalt trotzdem schon längst gelesen.
Verdammtes Byakugan!
Shikamaru hoffte, dass sie nicht bemerkte, wie seine Hände leicht zitterten, als er den Brief entgegennahm. Er war schwerer, als Shikamaru erwartet hatte.
„Willst du ihn nicht öffnen?“, fragte Hinata, als er einfach nur dasaß und den Umschlag anstarrte. Shikamaru schüttelte den Kopf.
„Ich sehe ihn mir lieber zu Hause an, wenn es in Ordnung ist. Ich sage es dir natürlich, wenn es etwas Wichtiges ist, dass du wissen solltest.“
Hinata nickte und schien leicht enttäuscht zu sein. Also hatte sie den Inhalt vielleicht doch nicht angesehen. Aber Shikamaru musste hier weg. Er wollte sich am liebsten einfach nur in seinem Bett verkriechen und den Brief vorher irgendwo vergraben. Er wollte auf einmal gar nicht mehr wissen, was darin stand.
Ich bin so ein jämmerlicher Feigling!
Hinata brachte ihn noch zur Tür. „Neji hat ihn mir ein paar Tage bevor er starb gegeben, bevor wir in den Krieg gezogen sind. Er hat gesagt, dass ich ihn dir aber nur unter den Umständen geben darf, wenn er nicht mehr lebt und wenn du mich direkt nach Neji fragst. Ich hätte ihn dir gern schon früher gegeben, aber ich konnte seinen letzten Wunsch an mich einfach nicht ignorieren. Ich bin wirklich froh, dass du nun danach gefragt hast, es wäre schade gewesen, wenn er den Brief umsonst geschrieben hätte.“
Shikamaru zog seine Schuhe an und bedankte sich.
„Grüße Naruto von mir!“, bat er sie gerade, als das laute Schreien eines Kindes ertönte. Eilig verabschiedete Hinata sich und hastete dann den Flur entlang davon.
Shikamaru trat nach draußen und schloss die Tür hinter sich. Er schaute noch einmal auf den Brief in seiner Hand und steckte ihn dann vorsichtig in seine Manteltasche.
Das wäre erstmal geschafft!
Nach der Mission auf Shishiyoujima
Am Tag nach der Mission fertigte Shikamaru ganz gewissenhaft den Missionsbericht für Tsunade an. Er beschrieb so knapp wie möglich ihre Trainingserfolge und betonte, wie gut die Mission auf der Insel verlaufen war. Nachdem er den Bericht abgegeben hatte, gönnte er sich den Rest des Tages viel Erholung und machte sonst nichts weiter.
Am Tag darauf traf er sich mit seinem Team und sie erzählten viel und zeigten Asuma, was sie gelernt und erlebt hatten. Asuma schien sich sehr über ihre Erfolge zu freuen und versuchte, einen Trainingsplan für jeden von ihnen aufzustellen, um ihre Kraft und Ausdauer weiter zu verbessern.
Shikamaru merkte, dass er, obwohl die Mission in den letzten Tagen etwas anders verlaufen war, als er es sich gewünscht hatte, irgendwie motivierter war und tatsächlich auch selbstständig ein wenig trainierte. Nur das Meditieren ließ er aus, weil er befürchtete, dass seine Gedanken wieder in Gebiete abdriften könnten, die er zur Zeit lieber nicht genauer erforschen wollte.
So vergingen zwei Wochen, während derer sie nur eine kleine Mission in der Nähe von Konoha hatten und sich sonst auf ihr Training konzentrierten.
Als Shikamaru eines Nachmittags zusammen mit Chouji nach Hause lief, fragte dieser ihn plötzlich: „Meinst du, es wäre komisch, wenn ich Tenten frage, ob sie mit uns zum Sommerfest möchte? Ich habe heute Morgen gehört, dass ihr Team von ihrer Mission zurückgekehrt ist.“
Shikamaru stöhnte innerlich auf, weil Chouji anscheinend immer noch an Tenten dachte. Er hatte eigentlich erwartet, dass es wie sonst nur eine kurze Phase von ihm war.
„Du willst sie fragen, ob sie mit uns zum Fest geht? Meinst du nicht, dass sie da lieber mit ihrem Team zusammen sein will?“
Chouji zuckte mit den Schultern. „Ich meine, wir könnten auch Lee und Neji fragen, ich dachte nur, dass es irgendwie gut gepasst hat auf unserer Mission.“
Shikamaru fand die Vorstellung Neji das zu fragen so peinlich, dass er sich beinahe schütteln musste. Er stieß Chouji leicht mit dem Arm an und senkte seine Stimme.
„Willst du nicht eigentlich fragen, ob Tenten mit dir allein zum Sommerfest geht?“ Chouji warf ihm einen überraschten Blick zu. „Nein, nein. Ich möchte mit Ino und dir zum Fest. Ich dachte nur, dass es vielleicht schön wäre, wenn sie auch dabei wär.“
Shikamaru seufzte. „Du bist echt in sie verknallt, oder?“
Chouji antwortete nicht, aber seine Wangen liefen eindeutig rosa an. Shikamaru überlegte, was er Chouji raten sollte. Es war nicht sehr wahrscheinlich, dass Tenten Chouji auf diese Weise betrachtete. Andererseits wollte er ihn auch nicht total entmutigen.
„Ich denke, wenn ich du wäre, würde ich sie einfach fragen, ob sie Lust hat, mit mir hinzugehen. Ich glaube, es bringt dir nicht so viel, wenn ihr ganzes Team sich uns anschließt. Dann wüsstest du wenigstens, woran du bei ihr bist und flüchtest dich nicht in irgendwelche Ausreden. Wenn sie schlau ist und einen guten Charakter erkennen kann, sagt sie ja.“
Chouji kaute auf seiner Unterlippe herum und schien sehr unschlüssig zu sein. „Du würdest also nicht fragen, ob sie mit uns Zeit verbringen möchte? Ich dachte, ich könnte sagen, dass Ino sich freuen würde, wenn sie nicht das einzige Mädchen ist.“
Shikamaru schüttelte den Kopf. „Das würde ich nicht machen, Chouji. Wenn Ino dann gerade wieder einen ihrer besonders anstrengenden Tage hat, wird es bestimmt nicht gerade angenehm für Tenten. Außerdem denke ich, dass es in so einem Fall gerade wichtig ist, die Wahrheit zu sagen.“
Sie waren vor Shikamarus Haustür angekommen und blieben stehen. „Aber ich kann ihr doch nicht einfach so sagen, dass ich sie mag!“, jammerte Chouji kleinlaut.
Shikamaru lachte kurz und legte ihm dann die Hand auf die Schulter. „Ich weiß doch auch nicht, was ich an deiner Stelle tun würde. Aber ich weiß, dass du der beste Freund bist, den man überhaupt nur haben kann und dass Tenten froh sein kann, dass so jemand sich für sie interessiert. Kommst du noch mit rein?“ Chouji bedankte sich, lehnte aber ab, weil er zu Hause erwartet wurde.
Nach dem Abendessen zog Shikamaru sich seine gemütliche Schlafanzughose an und warf sich auf sein Bett, um ein bisschen zu lesen. Sein Vater hatte ihm etliche Bücher mit komplizierten Berichten herausgesucht, weil er der Meinung war, dass sich Shikamaru als Chuunin nun unbedingt weiterbilden musste, um den Anforderungen gerecht zu werden. Es waren Berichte über gefährliche Missionen, in denen schwierige Entscheidungen getroffen werden mussten, Berichte über Kriege und Aufstände, politische Berichte aus verschiedenen Ländern.
Shikamaru war es am Anfang schwergefallen, einen Nutzen aus diesen Büchern zu ziehen, aber mittlerweile machte es ihm sogar Spaß, sich damit zu beschäftigen. Solange es theoretisch blieb und er nicht selbst in solche Situationen kam.
Wenn sein Vater Zeit hatte, stellte er ihm manchmal Fragen dazu. Viele Berichte hatte er selbst verfasst und Shikamaru bemerkte, wie stolz sein Vater auf ihn war und dass er hoffte, er würde in der Shinobilaufbahn noch weiter nach oben steigen und irgendwann in seine Fußstapfen treten.
Als Shikamaru gerade einen neuen Kriegsbericht zu lesen begann, hörte er, wie es an der Tür klingelte. Er kümmerte sich nicht darum und las weiter. Er hörte nebenbei, wie sein Vater die Tür öffnete und mit jemandem sprach. Als sich wenig später Schritte näherten und ein Klopfen an seiner Zimmertür ertönte, hatte er immer noch nicht damit gerechnet, dass sein entspannter Abend gleich ein Ende haben würde.
„Guten Abend, Shikamaru.“
Shikamaru hatte Chouji oder seinen Vater erwartet und nicht einmal hingesehen, wer da sein Zimmer betrat, und so zuckte er vor Schreck zusammen, als er plötzlich Nejis Stimme hörte.
„Dein Vater meinte, ich solle einfach reinkommen. Ich hoffe, ich störe dich nicht.“
Shikamarus Gedanken rasten auf einmal wild in seinem Kopf umher und er konnte sie nicht festhalten. Er richtete sich auf und starrte Neji verständnislos an. Er war vorher noch nie in seinem Haus gewesen und jetzt stand er einfach in seinem Zimmer!
Wieso kam er zu ihm? Er wollte doch hoffentlich nicht darüber reden, was in der Nacht auf dem Schiff geschehen war?
Shikamaru wünschte sich plötzlich, nicht in seiner Schlafanzughose dazusitzen. Irgendwie fühlte er sich so ausgeliefert.
„Hey, wie gehts?“, hörte er sich mit heiserer Stimme sagen und merkte, dass er überhaupt nicht wusste, wie er sich verhalten sollte.
Neji schloss die Tür hinter sich und blieb mitten im Zimmer stehen. Er schien auch nicht sicher zu sein, was er sagen wollte und sah sich kurz um. Dann schien ihm wieder einzufallen, dass Shikamaru ihm eine Frage gestellt hatte, auch wenn er darauf eigentlich keine Antwort erwartete und sagte: „Es geht mir gut. Wir sind heute von unserer Mission zurückgekehrt.“
Shikamaru nickte und legte sein Buch auf den Nachttisch.
„Hat alles geklappt?“, fragte er, ohne überhaupt zu wissen, was für eine Mission sie gehabt hatten.
Neji nickte und stand immer noch unschlüssig im Zimmer herum.
„Setz dich doch!“, bot Shikamaru ihm an und meinte eigentlich seinen Schreibtischstuhl, bemerkte dann aber erst, dass er voll war mit Anziehsachen. Neji schaute auf das Bett und fragte dann:
„Ist es wirklich in Ordnung, wenn ich mich auf dein Bett setze? Meine Sachen sind nicht frischgewaschen.“
Shikamaru nickte und rutschte ein Stück, um Neji Platz zu machen. Eigentlich war es so ziemlich das Letzte, was er wollte, so nah neben Neji zu sitzen, wo er sich doch eigentlich vorgenommen hatte, ihm ganz aus dem Weg zu gehen.
Wieso ist er hier?
Neji sah ihn kurz verlegen an und starrte dann schnell aus dem Fenster.
„Es ist gemütlich hier“, sagte er und Shikamaru hielt die Spannung zwischen ihnen fast nicht mehr aus. Irgendwie musste er ihn dazu bringen, sein Anliegen vorzutragen, damit es so schnell wie möglich geschafft war.
Er zählte im Kopf bis fünf, bevor er zu sprechen begann.
„Also, ich will nicht unhöflich klingen, aber wieso bist du denn eigentlich hier?“
Nejis Augen wanderten über die Bücher in seinem Regal und blieben dann bei Shikamarus Gesicht stehen.
„Ich wollte gerne auf dein Angebot zurückkommen. Das Shogispielen. Ich hatte bisher keine Zeit, aber wenn es für dich passt, könnten wir uns abends ab und zu treffen und spielen. Und wenn ich dir noch weiter beim Taijutsu-Training helfen kann, mache ich das auch gerne.“
Shikamaru holte gerade Luft, um ihm zu erklären, dass er zur Zeit leider viel zu tun hätte, als Neji noch hinzufügte:
„Es hat mir auf dem Schiff wirklich viel Spaß gemacht mit dir zu trainieren und ich glaube, dass du mit Sicherheit ein richtig guter Shogilehrer bist.“
Mist. Ich hatte es ihm doch versprochen…
Neji sah ihn so aufrichtig an, dass Shikamaru auf einmal nicht mehr ablehnen konnte. Also nickte er einfach nur und stand auf, um sein Shogibrett aus dem Schrank zu holen.
„Du hast doch noch ein bisschen Zeit oder? Dann lass uns gleich anfangen.“ Neji nickte.
Shikamaru legte das Brett auf den Boden und sie setzten sich beide gegenüber voneinander.
„Hast du denn überhaupt schon mal gespielt?“, fragte Shikamaru, der sich nicht ganz sicher war, wie er beginnen sollte.
Neji nickte. „Erst einmal. Das war gerade erst, direkt vor meiner Mission. Gegen Tokuma. Er ist auch aus der Nebenfamilie.“
Shikamaru nickte. „Und du sagtest, du hättest dir einiges darüber durchgelesen.“
Neji bestätigte es.
„Okay, dann schlage ich vor, dass wir einfach mal spielen, dann merke ich, auf welchem Stand du bist. Und nur zur Warnung, ich werde mich nicht zurückhalten, so kann ich es am besten einschätzen.“
Neji lächelte ihn an. „Das habe ich mir auch nicht anders vorgestellt. Ich bin schon auf eine vernichtende Niederlage gefasst.“
Shikamaru stellte schnell fest, dass Neji nicht so schlecht war, wie er gedacht hätte.
Wenn es stimmte, dass er erst einmal gespielt hatte, musste er unglaublich gut darin sein, die Theorie, über die er gelesen hatte, zu verinnerlichen.
Shikamaru merkte aber auch schnell, dass Neji dazu tendierte, auswendig gelernte Manöver auszuführen, was seine Strategie für ihn jedes Mal recht offensichtlich machte. Anders als Asuma, bei dem es meist nicht allzu viele Züge brauchte, um ihn zu besiegen, war Neji jedoch flexibler mit seinen Manövern, so dass Shikamaru ihn regelrecht einkesseln musste, bis er ihn schließlich besiegen konnte. Neji sah ihn mit großen Augen an. Sie hatten das ganze Spiel lang nicht gesprochen und es hatte länger gedauert, als Shikamaru gedacht hätte.
„Sicher, dass du erst ein einziges Mal gespielt hast?“, fragte Shikamaru. Neji schaute leicht resigniert auf das Shogibrett und schien nachvollziehen zu wollen, wie Shikamaru ihn in die Enge getrieben hatte.
„Ja, nur dieses eine Mal. Aber ich glaube, ich muss noch viel üben.“
Shikamaru konnte sich ein kleines Lachen nicht verkneifen.
„Hey, wenn das stimmt, bist du echt gut, Neji. Einfach nur mit Büchern so gut zu werden ist schon eine Leistung. Ich spiele Shogi mit meinem Vater, seitdem ich vier war. Wer weiß, wenn du so früh begonnen hättest, hätte ich gerade vielleicht keine Chance gegen dich gehabt.“
Neji schüttelte den Kopf. „Nein, ich konnte nichts machen. Du hast jeden meiner Züge durchschaut und von Anfang an konnte ich nichts dagegen tun. Ich habe versucht, Strategien auswendig zu lernen und sie auszuprobieren. Also, ich habe ein paar Male gegen mich selbst gespielt, aber ich habe jetzt das Gefühl, dass du meine Züge besser verstanden hast, als ich, obwohl ich meine Hintergedanken kenne und du eigentlich nicht.“
Shikamaru räumte die Shogisteine zusammen. Es war wirklich viel später, als er gedacht hatte.
„Ich finde es trotzdem beeindruckend, wie ernst es dir anscheinend ist. Ich hätte ehrlichgesagt nicht gedacht, dass es so lange dauern würde, dich zu besiegen.“
In dem Augenblick hörten sie, dass jemand sich dem Zimmer näherte. Neji stand hastig auf und stieß dabei mit seinem rechten Arm gegen Shikamarus Bücherregal. Eine Sekunde später öffnete sich die Tür und Shikamarus Vater steckte den Kopf herein.
„Hey, es ist schon recht spät. Ist es in Ordnung, wenn du so spät nach Hause kommst, Neji?“
Neji hielt sich den Arm und Shikamaru überlegte, ob er ihn jemals so tollpatschig gesehen hatte. Und bildete er sich nur ein, dass Neji leicht rot geworden war?
Neji starrte Shikaku erschrocken an.
„Es tut mir leid, Herr Nara. Ich wollte nicht stören. Wir haben Shogi gespielt und die Zeit ein bisschen vergessen.“
Shikaku warf seinem Sohn einen leicht fragenden Blick zu. Dann wandte er sich wieder an Neji.
„Ich habe kein Problem damit, aber ich möchte es lieber vermeiden, dass ein Hyuuga-Suchtrupp vor unserer Tür steht und denkt, wir hätten dich gekidnappt oder so.“
Mit diesen Worten schloss er die Tür wieder und Neji sah Shikamaru entschuldigend an.
„Es tut mir leid, ich hoffe, du bekommst keinen Ärger meinetwegen.“
Shikamaru schüttelte den Kopf. „Ich bekomme keinen Ärger, schon gar nicht dafür, mit einem Freund Shogi zu spielen. Ich glaube, es geht ihm eher darum, dass du keinen Ärger bekommen sollst.“
Neji nickte und sah Shikamaru unschlüssig an. Dann zuckte er mit den Schultern. „Dann gehe ich jetzt besser.“
Er lief zwei Schritte zur Tür und drehte sich dann nochmal zu Shikamaru um.
„Ich würde gern öfter mit dir spielen, wenn es dir nicht zu langweilig ist. Und mein Angebot mit dem Taijutsu-Training steht übrigens nach wie vor.“
Shikamaru nickte. Und wollte seine Hände aus Gewohnheit in die Hosentaschen stecken, aber er hatte vergessen, dass er seine Schlafanzughose trug.
„Gern, Neji. Es hat mir auch echt Spaß gemacht. Wir schauen einfach mal, wann wir Zeit haben. Du kannst auch einfach vorbeikommen, so wie heute.“
Neji lächelte ihn erleichtert an. Hatte er wirklich gedacht, dass es Shikamaru gar keinen Spaß gemacht hatte? Shikamaru lächelte zurück.
„Also dann, gute Nacht, Neji. Wir sehn uns.“
Neji nickte und öffnete die Tür. „Gute Nacht, Shikamaru. Und danke.“
Shikamaru lauschte noch, um zu hören, was seine Eltern zu Neji sagten, aber seine Mutter war von ihrem Frauentreffen anscheinend immer noch nicht zurück. Sein Vater wünschte Neji auch nur eine gute Nacht und bat ihn, Grüße an Lord Hiashi auszurichten.
Shikamaru wusste genau, dass er ihn eigentlich nicht leiden konnte.
Gähnend machte er sich fürs Bett fertig. Als er fertig war mit Zähneputzen und sich gerade ins Bett gelegt hatte, kam sein Vater noch einmal in sein Zimmer.
„Seit wann bist du denn mit dem Hyuugajungen befreundet?“, fragte er und Shikamaru merkte sofort an seinem Tonfall, dass er sich aus einem bestimmten Grund Gedanken darüber machte. Aber aus welchem?
Er versuchte so lässig und uninteressiert wie möglich zu klingen. „Wir haben auf der Mission vor kurzem zusammen trainiert, das hatte ich doch erzählt. Dann hat Neji mich gefragt, ob ich ihm ein bisschen Shogi beibringen kann. Viel mehr gibt's dazu nicht zu sagen. Wieso? Sonst interessiert es dich doch auch nicht, mit wem ich Zeit verbringe...“
Shikaku zog eine Augenbraue hoch. Wenn es etwas gab, das Shikamaru nicht konnte, war es seinen Vater anzulügen. Er durchschaute ihn nicht nur beim Shogi, sondern bei all seinen Ausreden und Ausflüchten. Aber eigentlich log Shikamaru ja gar nicht. Wieso hatte er das Gefühl, dass er sich verstellen musste?
Shikaku seufzte. „Du weißt, du kannst dich anfreunden, mit wem du willst. Ich sage überhaupt nichts dagegen. Dem Jungen tut es bestimmt ganz gut, Freunde zu haben. Aber ich will, dass du vorsichtig bist. Der Hyuugaclan ist… schwierig. Trefft euch am besten nicht bei ihm zu Hause. Und nehmt es ernst, wenn es Regeln zu befolgen gibt. Nejis Onkel duldet keinen Ungehorsam und es ist keine gute Idee, ihn sich zum Feind zu machen.“
Shikamaru schluckte. Er dachte daran, als er Neji mit Tenten zusammen nach Hause gebracht hatte, nachdem er beim Training zusammengebrochen war. Nejis Onkel war alles andere als freundlich zu ihm gewesen.
„Gab es da irgendeinen speziellen Vorfall zwischen unseren Clans, von dem ich wissen sollte? Oder ist es einfach nur eine allgemeine Vorsicht gegenüber anderen Clans, weil sie Angst haben, dass ihnen jemand das Byakugan stehlen könnte?“, fragte Shikamaru, obwohl er sich doch gerade noch vorgenommen hatte, mit seinem Vater jetzt nicht darüber zu sprechen.
Shikaku sah ihn kurz durchdringend an. „Das ist einfach die Einstellung der Hyuugas. Sie halten sich für etwas Besseres. Aber zugegebenermaßen hassen sie uns, und auch den Akimichi und vor allem den Yamanaka-Clan noch ein bisschen mehr, als die anderen. Wieso das so ist, kannst du dir vielleicht selbst zusammenreimen. Wenn du trotzdem mit Neji befreundet sein möchtest, denke bitte daran, dass du nicht derjenige bist, der für eventuelle Fehler bezahlen muss. Wenn er dir als Freund wichtig ist, musst du die Regeln der Hyuugas ernst nehmen, damit Neji nicht bestraft wird. Das Fluchsiegel darf man nicht unterschätzen.“
Shikamaru hatte tausend Fragen auf der Zunge, aber sein Vater wünschte ihm eine gute Nacht, schaltete das Licht aus und verließ sein Zimmer.
Nun lag er da und ließ den Abend noch einmal Revue passieren. Es hatte ihm wirklich Spaß gemacht, mit Neji Shogi zu spielen. Die seltsame Anspannung vom vorhin war mit dem Spielen verflogen und Shikamaru hatte sich wieder in diesem Zustand befunden. Ähnlich wie beim Meditieren, aber mit der Aufmerksamkeit des Shogispielens kombiniert. Es hatte sich so gut angefühlt.
Vielleicht hatte er sich zu viele Gedanken gemacht. Ja, er hatte Neji geküsst, das konnte er nicht leugnen. Aber vielleicht hatte es an der Nacht gelegen. An dem Traum, den er vorher gehabt hatte, am Mond und den Wolken, die ihn in ihren Bann gezogen hatten. Und an Nejis Augen, die das alles widerspiegelten. Es war eine vollkommen surreale Atmosphäre gewesen und Shikamaru hatte sich von einem Impuls leiten lassen.
Neji nahm es ihm offensichtlich nicht übel. Sie waren einfach nur Freunde. Es würde schon nicht schaden, sich ab und zu fürs Training zu verabreden.
Aber was hatte sein Vater damit gemeint, dass der Hyuugaclan seinen, Choujis und vor allem Inos Clan hasste? Das hörte sich doch sehr danach an, als wäre früher mal irgendetwas zwischen ihnen passiert.
Shikamaru wälzte sich hin und her und grübelte über die Worte seines Vaters nach. Schließlich entschloss er sich, mit Neji befreundet zu bleiben, solange Neji das wollte.
Sie hatten sich wirklich überraschend gut verstanden und Shikamaru hatte auf eine seltsame Weise das Gefühl, dass sie sich, von Shikamarus Faulheit einmal abgesehen, irgendwie sehr ähnlich waren.
Er würde aufpassen, so wie sein Vater es ihm geraten hatte.
Was kann schon schiefgehen?
Chapter 18: Zerbrochene Siegel
Notes:
(See the end of the chapter for notes.)
Chapter Text
Der Brief in der Schublade
Zu Hause angekommen, machte Shikamaru sich erst einmal etwas zu Essen. Den Brief hatte er in seiner Schublade verstaut. Eigentlich wusste er genau, dass er ihn so schnell wie möglich lesen sollte, weil er sich sonst nur unnötige Gedanken über seinen Inhalt machen würde. Aber jetzt, da er ihn wirklich hatte, verspürte er auf einmal eine große Angst, ihn zu lesen. Es kam ihm so unwirklich vor. Er hatte an einem einzigen Tag mit Tenten und mit Hinata über Neji gesprochen. Nachdem er seinen Namen etliche Jahre lang kein einziges Mal erwähnt hatte.
Den Rest des Tages ließ er mehr oder weniger an sich vorbeiziehen. Er grübelte, versuchte sich zu überwinden. Er war kurz davor den Brief zu öffnen und legte ihn dann wieder zurück in die Schublade.
Schließlich hielt er es im Haus nicht mehr aus und wanderte ziellos in Konohagakure umher. Die Sonne war schon im Begriff unterzugehen. Shikamaru hatte den Eindruck, innerhalb eines Tages gleichzeitig sehr viel und auch fast gar nichts erreicht zu haben.
Kurz bevor er wieder nach Hause zurückkehrte, traf er seinen besten Freund, der gerade auf dem Weg nach Hause war. Als Chouji hörte, dass Shikamaru seinen freien Tag ganz allein verbracht hatte, schmollte er ein wenig.
„Wieso hast du denn nichts gesagt, ich hätte mir doch für dich Zeit genommen!“
Shikamaru hatte ein schlechtes Gewissen. Sie hatten einfach viel zu viel zu tun und es boten sich wenig Gelegenheiten, tagsüber etwas zusammen zu unternehmen. Er zog kurz in Erwägung, Chouji von Nejis Brief zu berichten, kam sich aber bei dem Gedanken noch viel feiger vor. Wie sollte er ihm erklären, dass er sich nicht traute, den Brief zu lesen?
Also verschwieg er ihm wieder einmal, was ihn in seinem Innersten beschäftigte und plauderte nur kurz über unwichtige Dinge mit ihm. Chouji versprach ihm, morgen bei ihm vorbeizuschauen, wenn er spontan etwas Zeit für ihn einräumen konnte. Nach ein paar Minuten verabschiedeten sie sich schon wieder und Shikamaru kehrte nach Hause zurück.
Er machte sich kurzerhand bettfertig und holte dann den Brief wieder aus der Schublade. Morgen war erst einmal sein letzter freier Tag. Vielleicht war es besser, wenn er den Brief erst dann öffnete? So war die Wahrscheinlichkeit größer, dass er diese Nacht vielleicht wenigstens ein bisschen Schlaf bekäme.
Er legte den Brief auf den Nachttisch und schaltete das Licht aus. Aber er hatte sich verrechnet. Er schaffte es nicht, seine Gedanken abzustellen. Sie kreisten immer wieder um Neji herum.
Was stand in seinem Brief? Hatte er nur ihm geschrieben? Er hatte die Angelegenheit mit Hinata vorhin so schnell es ging beenden wollen, deswegen war ihm gar nicht eingefallen, zu fragen, ob sie wusste, ob es vielleicht auch noch weitere Briefe von Neji an andere Personen gegeben hatte. Aber eigentlich war es auch nicht wichtig. Das einzige, was jetzt zählte, war Nejis Brief für ihn, Shikamaru.
Mit Mühe und Not gelang es ihm irgendwann schließlich doch noch einzuschlafen.
Neji stand auf einer dunklen weiten Ebene. Der Himmel war pechschwarz und Shikamaru konnte hinter Neji weit und breit nichts anderes sehen als dunkle Felsen. Nejis weißes Gewand war schmutzig. Shikamaru konnte nicht erkennen, ob es sich bei den Flecken einfach nur um Dreck handelte oder ob es Blutspritzer waren. Neji war von ihm weggedreht und stand einfach nur da. Seine Haare waren offen und ungewöhnlich unordentlich.
Shikamaru versuchte, zu ihm zu gehen, aber seine Füße waren so schwer, dass er einfach nur wie angewurzelt stehen bleiben konnte.
Da tauchte in seinem Blickfeld auf einmal Hinata auf, die langsam auf Neji zuging. Sie hatte ein Kunai in ihrer rechten Hand, von dem etwas auf den Boden tropfte. Das ungute Gefühl in Shikamaru verstärkte sich und er versuchte sich dazu zu zwingen, loszulaufen.
Da merkte er, dass schwarze Schatten ihn festhielten.
Seine eigenen Schatten.
Und er war nicht der einzige, der von den Schatten gefesselt wurde. Die Schatten breiteten sich über die ganze Ebene aus und reichten bis in den Himmel hinauf. Sie hielten auch Neji umklammert.
Nur Hinata lief langsam und ungehindert immer weiter.
Shikamaru versuchte entsetzt, sich zu bewegen. Er probierte, die Schattenfessel zu lösen, aber je mehr er es versuchte, desto fester hielt sie ihn in ihrem Griff gefangen.
Hinata war mittlerweile bei Neji angekommen und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Ein unangenehm stechender Schmerz zuckte durch Shikamarus Schulter und er sah, wie die Schatten von Neji abließen.
Neji drehte sich langsam um und sah an Hinata vorbei zu Shikamaru. Er trug sein Stirnband nicht und das Fluchsiegel leuchtete grell auf seiner Stirn. Das Licht schmerzte Shikamaru in den Augen, aber er konnte sie nicht schließen.
Shikamaru wollte schreien: „Lauf weg, Neji!“, aber seine Schatten hielten sogar seine Zunge fest. Er konnte keinen einzigen Muskel in seinem Körper bewegen.
Er beobachtete schreckerfüllt wie Hinata das Kunai hob. Neji beachtete sie gar nicht. Er sah nur weiter zu Shikamaru hinüber und lächelte ihn traurig an. Dann holte Hinata mit einem grausamen Grinsen, das ihr Gesicht beinahe unmenschlich erscheinen ließ, weit aus und rammte das Kunai in Nejis Stirn.
In diesem Augenblick ließen Shikamarus Schatten ihn los und er fiel zu Boden. Seine Hände wurden von einer dunkelroten Flüssigkeit überschwemmt und Shikamaru hob seinen Blick. Neji lag in einer Blutlache, die sich rasend schnell ausbreitete und die ganze Ebene dunkelrot färbte. Das Blut ergoss sich über Nejis Körper, so dass Shikamaru ihn nicht mehr sehen konnte.
Dann brach das grelle Licht des Fluchsiegels aus der Stelle, wo Neji gerade noch gelegen hatte, hervor und wurde immer heller. Shikamaru schloss seine Augen, aber das Licht drang durch seine Augenlider und verbrannte ihm die Augen. Er schrie verzweifelt und schmerzerfüllt, während Nejis Blut sich über die Erde und den Himmel ergoss und Shikamaru schließlich ertränkte.
Er wachte von seinem eigenen Schluchzen auf. Es dauerte ein paar Sekunden, bis er sich erinnerte, wo er war und dass er alleine war. Erleichtert darüber, dass er die Sache niemandem erklären musste und gleichzeitig erfüllt von einer großen Hoffnungslosigkeit, weinte er eine ganze Weile in der Dunkelheit und schluchzte immer wieder: „Entschuldigung, Neji, es tut mir so leid…“
Auch wenn er eigentlich wusste, dass er nicht für seinen Tod verantwortlich war, fühlte er sich in diesem Augenblick so schuldig, als hätte er ihn selbst umgebracht. Neji hatte so hilflos und einsam gewirkt in seinem Traum – so, als hätte er gar keinen Grund mehr gehabt, weiterzuleben.
Shikamaru gab sich der Trauer ganz hin und ließ alles heraus.
Als er sich endlich ein wenig gefasst hatte, knipste er das Licht an und griff nach dem Brief. Er musste ihn jetzt lesen.
Er öffnete das Siegel und holte den Brief aus dem Umschlag. Das Papier war ordentlich gefaltet. Außerdem war noch etwas anderes im Umschlag. Es war der Adler, den er Neji beim Sommerfest geschenkt hatte.
Shikamaru schluckte schwer. Er glaubte zwar nicht an Glücksbringer, aber es kam ihm sehr ironisch vor, dass Neji ihn vor dem Krieg zurückgegeben hatte und dann gleich darauf sterben musste.
Als er das Papier auseinandergefaltet hatte, sah er sofort, dass der Brief überraschend kurz war.
Shikamaru hielt den Glücksbringer fest in seiner Hand und begann, den Brief zu lesen.
Hallo Shikamaru. Ich hoffe, es geht dir gut.
Ich habe Hinata gebeten, dir den Brief nur zu geben, wenn du von dir aus auf sie zukommst und nach mir fragst. Ich hoffe, sie hält sich an ihr Versprechen. Wenn du nicht wissen möchtest, was ich dir zu sagen habe, verbrenne den Brief bitte, ohne ihn zu lesen.
Du erinnerst dich sicherlich noch an das Sommerfest, das Kätzchen und die Glühwürmchen. Das, was ich dir sagen will, habe ich dort zurückgelassen. Dein Geschenk ist der Schlüssel.
Es ist meine Entscheidung, nicht zurückzukommen, weil selbst der jetzt golden gewordene Käfig mich davon abhält, ich selbst zu sein. Ich habe wirklich versucht, deinen Rat von damals zu befolgen, aber ich fürchte, dass ich leider zu egoistisch bin. Ich wünschte, ich wäre ein besserer Mensch, aber ich kann die Freiheit, die du mir zeigtest, einfach nicht vergessen.
Ich wünsche dir alles Glück der Welt. Danke für alles.
Neji
Shikamaru starrte den Brief an und las ihn wieder und wieder.
Das, was ich dir sagen will, habe ich dort zurückgelassen.
Shikamaru schloss die Augen und rieb sich die Schläfen, die schmerzhaft pochten.
Wenn es um das Sommerfest von damals geht und ich einen Schlüssel brauche, kann das nur eines bedeuten. Aber kann das wirklich sein?
Wie hatte Neji herausgefunden, wie es funktionierte?
Ein flaues Gefühl breitete sich in Shikamarus Magen aus. Er war seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr an diesem Ort gewesen, aber er hatte die Berichte über den Narawald sehr wohl vernommen.
Es waren so viele Jahre vergangen.
Selbst wenn es Neji wirklich gelungen sein sollte, mir eine Nachricht zu hinterlassen… der Baum ist tot!
Es ist zu spät.
Nejis Nachricht – seine eigentliche Nachricht an ihn – war für immer verloren.
Vergangenheit – Ein Abend voller Stimmen
Ungefähr eine Woche vor dem großen Sommerfest, das jedes Jahr in Konohagakure stattfand, saßen Shikamaru und Neji zusammen in seinem Zimmer und waren gerade mit einer Runde Shogi fertig. Neji stand auf und streckte sich. Shikamaru, der sich beim Training wieder einmal Choujis Gejammer angehört hatte, weil er Tenten noch immer nicht zum Fest eingeladen hatte, versuchte beiläufig zu klingen, als er fragte: „Gehst du eigentlich mit deinem Team zum Sommerfest?“
Neji schien erst überlegen zu müssen, was Shikamaru meinte. Es fühlte sich fast seltsam an, nach dem langen Schweigen beim Spiel wieder zu sprechen. Neji schüttelte den Kopf. „Wir haben eine Mission. Wir sind höchstwahrscheinlich erst nach dem Fest wieder zurück. Und du?“
Sorry, Chouji, damit hat sich die Angelegenheit wohl geklärt… Aber wenigstens musst du dich jetzt nicht mehr länger mit diesem Thema stressen.
„Jaa, ich muss hin. Meine Familie hat einen kleinen Stand dort, wo Medizin und anderes Zeug aus dem Narawald angeboten werden. Meine Mutter zwingt mich, wenigstens ein bisschen auszuhelfen, und den Rest der Zeit werde ich vermutlich mit Chouji und Ino rumlatschen.“
Neji nickte. Er wirkte auf einmal sehr niedergeschlagen.
„Alles klar mit dir?“, fragte Shikamaru und stand ebenfalls auf.
Neji nickte. „Ja, es ist nur… Ich war das letzte Mal mit meinem Vater zusammen auf diesem Sommerfest.“
Shikamaru starrte ihn erstaunt an. Das bedeutete, dass Neji seit zehn Jahren das Fest nicht miterlebt hatte! Shikamaru war zwar im Allgemeinen kein Fan von Feierlichkeiten, aber das Sommerfest war trotzdem etwas Besonderes. Er wollte fragen, wieso Neji nach dem Tod seines Vaters nicht mehr hingegangen war, aber die Worte blieben ihm im Hals stecken.
Auf Nejis Gesicht erschien ein bitteres Lächeln. „Mein Onkel hält nicht viel von dem Fest. Selbst wenn ich zu der Zeit hier wäre… ich denke, er hätte es vermutlich sowieso nicht erlaubt, dass ich teilnehme.“
Shikamaru schluckte betroffen. „Wieso denn nicht?“
Neji zuckte mit den Schultern. „Er sieht einfach keinen Zweck darin. Viele Leute sind betrunken, man kann die Zeit sinnvoller nutzen und so weiter.“
Shikamaru legte ihm mitfühlend die Hand auf die Schulter. „Das ist echt ätzend. Aber dafür musst du nicht am Stand der Familie stehen und ewig mit allen möglichen Leuten Smalltalk halten, das ist echt das Schlimmste!“
Neji stieß ein kleines Lachen aus, das sich eher wie ein Schnauben anhörte. „Da hast du natürlich Recht.“
Er grinste ihn an, und Shikamaru war froh, dass er ihn ein wenig hatte aufmuntern können.
Chouji war einerseits enttäuscht, als Shikamaru ihm beichtete, dass Tenten am Tag des Sommerfests gar nicht in Konoha sein würde, wirkte aber auch irgendwie erleichtert, weil ihm die Entscheidung, was er deswegen tun sollte, nun abgenommen worden war.
Das Fest an sich war nicht weiter spektakulär. Shikamaru musste wie erwartet zwei Stunden am Stand stehen und alle möglichen lästigen Gespräche über sich ergehen lassen. Viele Verwandte und Freunde der Familie kommentierten, wie groß er doch geworden sei, und gratulierten ihm erneut zu seiner Beförderung.
Shikamaru hasste jede einzelne Sekunde davon, hatte dann aber doch noch einen schönen Abend mit seinen Freunden. Sie schlenderten von Stand zu Stand und kauften jede Menge Essen.
Ino wirkte zwischenzeitlich etwas traurig, und Shikamaru vermutete, dass es irgendwie mit Sasukes Abwesenheit zu tun hatte. Doch kaum hatte sie Sakura entdeckt, die mit ihren Eltern unterwegs war, verfiel sie augenblicklich in Bestlaune und verabschiedete sich von ihren Teammitgliedern – vermutlich, um mit ihrer Freundin über Jungs zu reden.
Als Shikamaru und Chouji sich die Bäuche vollgeschlagen hatten und sich etwas abseits des Festes auf eine freie Bank setzten, ertönte eine Stimme, die Shikamaru innerlich entsetzt aufstöhnen ließ.
„Na, wenn das mal nicht Mister Unmotiviert ist!“
Temari baute sich vor den beiden Shinobi auf und grinste Shikamaru herausfordernd an.
Chouji verschluckte sich vor Schreck und begann zu husten, was Temari keines Blickes würdigte.
Shikamaru fragte genervt: „Was machst du denn hier?“
Temari kniff die Augen zusammen. „Wow, wie gastfreundlich. Gaara wurde von eurer Hokage eingeladen, und Kankuro und ich begleiten ihn.“
Shikamaru klopfte Chouji auf den Rücken, der sich langsam wieder beruhigte und Temari eingeschüchtert anstarrte. „Tatsächlich. Du scheinst sie aber irgendwie verloren zu haben“, antwortete er trocken.
Diese Frau hatte ihm gerade noch gefehlt. Wenn es eine Frau gab, die er noch furchteinflößender fand als seine Mutter, dann war sie es.
Temari ignorierte seine Bemerkung und ließ ihre Augen von oben bis unten über Shikamarus Kleidung gleiten. Er trug den traditionellen Nara-Yukata mit dem Symbol des Clans auf dem Rücken.
„Willst du mich nicht ein wenig umherführen? So ein Fest ist alleine nicht besonders lustig.“
Lass mich doch einfach in Ruhe… Wenn meine Mutter erfährt, dass ich mich geweigert habe, unserer Verbündeten, die zufälligerweise auch noch diejenige ist, die mich damals auf dieser blöden Mission gerettet hat, das Fest zu zeigen, wird sie mir den Kopf abreißen.
„Ähm, also eigentlich wollten Chouji und ich uns gerade ausruhen“, stammelte Shikamaru und überlegte angestrengt, wie er aus dieser blöden Sache herauskommen konnte.
„Ausruhen könnt ihr euch später, nun komm schon. Dein Freund kann ja mitkommen, wenn er will.“
Shikamaru warf Chouji einen flehenden Blick zu. Er wusste genau, dass Chouji am liebsten einfach alleine sitzen geblieben wäre.
Chouji erwiderte seinen Blick und gab sich geschlagen. „Na gut“, murmelte er.
Widerwillig standen die beiden Jungs auf.
„Super, dann mal los!“, rief Temari und hakte sich einfach so bei Shikamaru ein.
Shikamaru merkte, wie er rot anlief. Temari war drei Jahre älter als sie, und es fühlte sich irgendwie merkwürdig an, dass sie auf einmal so tat, als wären sie alte Freunde. Vermutlich tat sie es hauptsächlich, um ihn zu necken.
Sie zog ihn durch die Hauptstraße mit den Ständen, und Shikamaru hatte eher das Gefühl, dass sie ihm das Fest zeigte – und nicht andersherum. Der arme Chouji trottete hinterher und wusste nicht so recht, wie er sich verhalten sollte.
Als sie beim Narastand vorbeikamen, machte seine Mutter große Augen, als sie sah, dass Shikamaru mit einem Mädchen unterwegs war, das sie nicht kannte.
Shikamaru versuchte, Temari abzulenken, sodass sie den Stand nicht bemerkte, aber natürlich ließ sie sich überhaupt nicht beirren und steuerte geradewegs auf den Stand zu.
„Das sind also alles Erträge aus dem legendären Narawald!“, rief sie aus, während sie die Waren ansah.
Ist mir neu, dass unser Wald so legendär sein soll… Als würden ihr Bäume überhaupt etwas bedeuten. Beim letzten Mal hat sie den halben Wald gefällt, um unsere Gegnerin aus dem Versteck zu locken. Lästige Frau!
„Willst du deine nette Begleitung nicht vorstellen?“, fragte Shikamarus Mutter mit einem argwöhnischen Unterton. Es war offensichtlich, dass sie die Sache merkwürdig fand.
Shikamaru seufzte und versuchte, die Sache schnell hinter sich zu bringen. „Mama, das ist Temari, aus Sunagakure.“
Seine Mutter nickte anerkennend. „Deine Gegnerin aus der Chūnin-Prüfung. Du kamst mir gleich irgendwie bekannt vor. Shikamaru hat sonst nicht mit so hübschen Mädchen zu tun! Vielen Dank, dass du meinen Sohn vor diesen Otogakure-Ninjas gerettet hast!“
Shikamaru beobachtete peinlich berührt, wie seine Mutter kurz den Kopf neigte. Außerdem fand er es ziemlich gemein, zu behaupten, er hätte nie mit hübschen Mädchen zu tun.>/p>
Was ist denn bitte mit Ino?
Aber die zählte vermutlich nicht, weil sie schon fast zur Familie gehörte. Das musste wohl der Versuch gewesen sein, sich bei den neuen Verbündeten einzuschmeicheln – anders konnte er es sich nicht erklären. Seine Mutter war sonst die Letzte, die jemandem Honig um den Mund schmierte.
Temari unterhielt sich daraufhin eine Weile mit Shikamarus Mutter und stellte einige Fragen zu den Produkten.
Chouji zupfte an Shikamarus Ärmel und warf ihm fragende Blicke zu. Shikamaru rollte genervt mit den Augen, um ihm klarzumachen, dass er am liebsten einfach davongelaufen wäre.
Schließlich war Inos Vater Shikamarus Rettung. Er kam zum Stand, als Temari gerade noch mitten im Gespräch war, und fragte die beiden Jungs, ob sie Ino gesehen hätten. Er wirkte sehr beunruhigt, dass sie nicht bei ihnen war.
Er machte sich immer viel zu viele Sorgen um seine Tochter, aber Shikamaru musste ihm diesmal zustimmen, dass es unaufmerksam von ihnen gewesen war, sich einfach von ihr zu trennen.
„Sie ist mit Sakura losgezogen!“, sagte Chouji und meinte damit eigentlich, dass selbst wenn jemand auf sie losgehen würde, Sakura kurzen Prozess mit der armen Seele machen würde.
Inos Vater schien das jedoch gar nicht zu beruhigen.
„Zwei hübsche Mädchen ganz allein auf einem solchen Fest. Hier sind so viele betrunkene, perverse Männer unterwegs. Helft mir bitte, sie zu finden!“
Shikamaru fand, dass Inoichi wirklich etwas übertrieb, aber da es eine gute Ausrede darstellte, Temari nicht länger umherführen zu müssen, stimmte er zu, zu helfen.
Sie wollten gerade losgehen, als Temari sagte: „Ich komme mit!“
Inos Vater nickte ihr dankbar zu, deshalb konnte Shikamaru nichts dagegen einwenden.
So wurde aus dem Abend eine wilde Suchaktion, die schließlich durch Kibas und Akamarus Hilfe zu einem glücklichen Ende führte.
Inos Vater schloss seine Tochter in die Arme, und Ino warf allen genervte Blicke zu.
Als Shikamaru und Chouji keine Anstalten machten, sich von der Gruppe zu trennen, verabschiedete Temari sich schließlich, um sich wieder ihren Brüdern anzuschließen, und Shikamaru atmete erleichtert auf.
Wer hätte gedacht, dass das Sommerfest so dermaßen stressig werden würde? Er beneidete Neji ein bisschen und fragte sich, ob er gerade über das Fest nachdachte – und ob es ihm gut ging.
Notes:
Hallo ihr Lieben,
es tut mir leid, dass meine Geschichte stellenweise ziemlich traurig wirkt. Es wird auch wieder hellere, fröhlichere Abschnitte geben – versprochen!
Ich versuche gerade, beim Schreiben wieder ein bisschen aufzuholen, weil ich in den letzten Wochen leider nicht so viel geschafft habe, wie ich gern wollte. Dabei macht es mir immer noch unglaublich viel Spaß! Aber der Alltag kommt einem manchmal einfach dazwischen.
Ich hoffe, euch geht es gut – und vielen, vielen Dank, dass ihr meine Geschichte weiterhin lest! 💛
(Previous comment deleted.)
RhiyaDarkfire on Chapter 1 Thu 14 Aug 2025 05:26PM UTC
Comment Actions
Lunaria303 on Chapter 1 Fri 10 Oct 2025 07:50PM UTC
Comment Actions