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Trotz all seiner Streiche und Sünden

Summary:

Hauptsache weg aus New York City. Loki landet mit dem Tesseract an dem für ihn langweiligsten Ort in Cleveland, Ohio: Dons Garten. Dieser hält den nordischen Gott für einen Cosplayer.

Notes:

Mein persönlicher Headcanon, den ich schon in meiner anderen Geschichte mit Loki/Don genutzt habe, lässt mich nicht los. Hier ist die etwas andere Version ohne Time Variance Authority nach Marvel’s The Avengers.

Chapter 1: Irgendwo anders

Chapter Text

Ohio. Loki dachte an Ohio. Der langweiligste Staat, der ihm einfiel, während er mit dem Tesseract ein Portal öffnete und aus der Gefahrenzone verschwand. Hauptsache weg aus New York City. Er tauchte wieder in einem halb vertrockneten Garten hinter einem weißgetünchten Haus auf. Hinter ihm befanden sich zwei Schaukeln an einem Gerüst. In der Grundstücksecke gab es versteckt ein Baumhaus. Überall lag Spielzeug herum.

Auf der Terrasse, die links und rechts mit Windschutz eingefasst war, lümmelte ein Junge am Boden. Die Sitzecke bestehend aus einem Tisch, vier Stühlen und einem Grill war von einer Markise beschattet.

Loki kam schaulustig näher. Der blonde Junge zündelte mit Streichhölzern. Er riss eins nach dem anderen an der Streichholzschachtel an und ließ sie abbrennen. Kurz bevor das Feuer seine Finger erreichte, ließ er sie fallen. Jetzt hatte er zu lang gewartet. Der Junge warf schimpfend das verbrannte Hölzchen weg, schüttelte seine Finger und steckte sich Daumen und Zeigefinger in den Mund. Als er sich Lokis Gegenwart bewusst wurde, drehte er sich um.

Der Gott des Schabernacks ging in die Hocke. Mit seinen Händen spannte er die Fesseln und deutete auf den Knebel in seinem Mund.

„Wer ist du?“, fragte der Junge neugierig, nicht im Geringsten verängstigt. „Ich bin Kevin.“

Loki streckte dem Kleinen seine Hände entgegen und nuschelte in den Knebel.

„Ich versteh’ dich nicht.“ Kevin sah ihn mit großen Augen an.

Loki rollte den Augen. Demonstrativ zerrte er an seinem Knebel. In einem plötzlichen Geistesblitz sprang Kevin auf und lief um das Haus herum. Loki erhob sich langsam. Zurzeit war der Junge seine beste Möglichkeit, die Fesseln loszuwerden. Und Kinder konnte man verdammt leicht manipulieren.

Er folgte Kevin. Der Junge hatte vorne am Haus die Garage geöffnet und suchte zwischen den Werkzeugen und Geräten etwas Brauchbares. Den meisten Platz nahmen die zwei Wassersportfahrzeuge ein. Loki sah sich ebenfalls um. Wenn es ein Mädchen gewesen wäre, hätte er ihr die Haarnadeln gemopst, aber so musste er improvisieren.

Kevin kam mit einer Rohrzange angelaufen und wollte ihm das Teil ins Gesicht schlagen. Loki duckte sich weg und hob die Hände in Abwehrhaltung, während er in seinen Knebel murmelte.

Kevin zuckte entschuldigend mit den Schultern. Loki konnte es ihm nicht mal übel nehmen, rohe Gewalt war manchmal hilfreich. Er scheuchte ihn mit den Händen weg, dass er weiter suchen sollte. Loki sah sich selbst um und entdeckte Draht. Mit dem Endstück bohrte er in das Loch seines metallischen Mundknebels. Ein bisschen Fummeln, etwas Drehen und Bohren und schon sprang die Fessel um seinen Kopf auf und fiel zu Boden.

Loki warf seine schwarzen Haare, die sich auf seinen Schultern teilweise leicht kräuselten, mit einer schnellen Kopfbewegung zurück. Er seufzte theatralisch. „Endlich.“

„Oh, du hast es geschafft.“ Kevin war bei Fuß wie sein neuer Schoßhund.

„Ja, danke für keine Hilfe, Kurzer.“

„Mein Name ist Kevin.“

„Sicher, dass du nicht einer von den Feuerriesen bist? Ein besonders kleiner Feuerriese?“ Loki sah auf den Jungen herab.

Die Augen des Jungen leuchteten auf, als er verstehe. „Ich liebe Feuer!“

„Gut, dass du keiner bist, sonst müsste ich dich jetzt töten…“, murmelte Loki. Er ignorierte den Jungen.

„Wer bist du?“, wollte Kevin wissen.

Die Frage kratzte an Lokis Ego. Er hüpfte auf eine Kiste. Sein Umhang bauschte sich leicht auf. Er streckte die Hände auf Bauchnabelhöhe auseinander, bis sich die Glieder der Kette seiner Handfesseln spannten. „Ich bin Loki von Asgard! Und ich bin mit einer glorreichen Aufgabe beladen. Knie nieder vor mir.“

„Cooles Cape.“ Kevin war angetan, machte aber nicht eine Bewegung, um Lokis Befehl Folge zu leisten.

„Danke.“ Loki machte einen angedeuteten Knicks. Es war so einfach, Kinder zu bezirzen. Er ließ es ihm durchgehen, dass er sich nicht hinkniete. Ein Publikum bestehend aus einem Kind war bedeutungslos. Gelangweilt sprang Loki von der Kiste. Es war schöner, gefürchtet zu werden, obwohl Bewunderung auch nicht schlecht war.

„Hilf mir, Junge.“ Loki schickte ihn wieder los. Er hatte die Befürchtung, dass er die magischen Handfesseln nicht ganz so einfach abstreifen konnte.

„Was ist passiert?“ Kevin missachtete Lokis Anweisung. Stattdessen starrte er Lokis verschrammtes Gesicht an. „Was hast du gemacht?“

„Wer sagt denn, dass ich irgendetwas gemacht habe?“

„Du bist gefesselt.“

„Richtig“, grummelte Loki und suchte nach einem Schuldigen. „Mein Bruder und seine Freunde haben mich fies verprügelt. Kannst du das glauben?“

„Das ist gemein.“

„Brüder können hinterhältig sein“, stimmte Loki zu.

„Don? Bist du das? Ich muss gleich los. Mein Taxi kommt gleich.“ Ein Frauenstimme kam aus dem Haus. Kurz darauf wurde am Ende der Garage eine Tür geöffnet. Eine ältere, gut gekleidete Dame mit einem modischen, fast weißhaarigen Kurzhaarschnitt erschien. Sie wirkte äußert fit für ihr Alter.

„Wer sind Sie?“ Die Frau sah die Fesseln. „Kevin, komm her.“

„Oma…“ Kevin schlurfte langsam zu ihr hinüber.

„Liz, Kevin“, meinte die Dame.

„Das ist Loki von Assgard. Ich habe ihm geholfen.“ Kevin war zufrieden mit sich. Liz runzelte die Stirn.

„Ähm, fast… Ich bin der glorreiche Loki.“

„Glorreich kriminell?“, fragte Liz. Sie drückte ihren Enkel an sich.

„Kriminell? Darüber kann man diskutieren. Ich habe Spaß. Das sorgt für Missverständnisse.“

„Ich rufe die Polizei.“

Loki winkte ab. „Nur keine Umstände.“

„Eine Kostümparty und keiner hat mir Bescheid gesagt?“ Ein Mann mit hellgrauen Haaren und einem Schnurrbart stand vor der Garage. Seine Nase war krumm, als hätte er sie sich früher einmal gebrochen und nicht gerichtet. Sein Outfit war Beige in Beige mit einer türkisen Fleeceweste. Er lächelte über den überraschenden Tumult. Mit seinem entspannten Charisma gewann er die meisten schnell für sich, was ihn zu einem sehr guten Verkäufer machte.

„Das ist Loki, Dad.“

„Loki wie… das Krokodil im Zoo?“, fragte der Vater.

„Ich bin der echte, der einzig wahre Loki von Asgard. Der Gott des Schabernacks. Und das ist kein Kostüm, sondern echtes Asgard-Leder.“ Loki hob seine Brust und richtete sich auf. Das Klingen der Handschellen störte das Bild ein wenig. „Sind Schnurrbärte nicht altmodisch?“

„Sie waren nie aus der Mode. Große Männer tragen Schnurrbart“, widersprach der Mann und lächelte amüsiert. Er hatte schon etliche Leuten gehört, dass sie seinen Schnurrbart lächerlich fanden. Das hatte nur seinen Trotz geweckt, seinen Oberlippenbart weiter zu hegen und zu pflegen. Er stand darüber. „Was ist mit dem ganzen Stylingprodukt in deinem Haar? Gesponsert von L’oreal? Die Spitzen sehen ein wenig übertrieben aus.“

„Wow, sehr unhöflich.“ Loki wandte sich beleidigt ab.

„Don“, mischte sich seine Mutter Liz ein, „Du solltest die Polizei rufen.“

„Also Loki.“ Don betonte seinen Namen. Er blickte den blassen, aristokratisch wirkenden Mann abschätzend an. Er hatte eine gewisse Attraktivität gepaart mit einem intelligenten Gesicht. „Sollte ich die Polizei rufen?“

Loki tat, als würde er ernsthaft überlegen. „Wenn du dich besser fühlst… Sie werden aber nichts ausrichten können. Von daher… kannst du dir den Anruf sparen. Aesir sind Menschen stets überlegen.“

„Loki wie… in der nordischen Mythologie?“

„Endlich, ein Schuss ins Schwarze.“

„Nordische was…?“ Kevin blieb seiner furchtlosen Neugierde treu.

„Sagen, Dichtungen und Geschichten. Loki ist eine Figur aus der Mythologie“, versuchte Don zu erklären.

„Nur großartiger“, warf Loki ein. „Und wesentlich eleganter und sagenumwogener.“ Er verwandelte sich in eine menschengroße Version eines Feuerriesen, der gänzlich von Flammen umhüllt war. Geblendet wandte sich sein Publikum ab oder schützte die Augen mit den Händen. Loki machte ein höllisches Gesicht, ehe er sich zurückverwandelte und breit grinste.

Kevin war euphorisch. „Mega!“

Don konnte seinen Augen kaum glauben. Diese Illusion war verdammt gut. Er versuchte die Lage zu beurteilen, herauszufinden, was Sache war. Wenn die Fesseln kein Kostüm waren, bedeutete das nichts Gutes.

„Hey Dad, was ist das für ein blauer, leuchtender Würfel?“ Ein zweiter Junge, etwas älter, aber unverkennbar ein Sohn von Don spazierte auf die Einfahrt zur Garage.

„Wo ist der Tesseract?“ Loki fragte den Jungen scharf, beugte sich vor und packte ihn am Kragen.

Don schob sich zwischen Loki und seinen Sohn, packte Lokis Kragen und zerrte ihn von dem Jungen weg. Seine anfängliche Freundlichkeit verwandte sich in Ablehnung gegenüber dem mysteriösen Fremden, der einen nordischen Gott spielte. Keiner sprang mit seinen Kindern so um oder fasste sie gar an!

„Der kleine Hosenscheißer hat etwas, das mir gehört“, knurrte Loki und schüttelte Don ab.

„Du bist auf meinem Grundstück. Hier kann ich tun und lassen, was ich will“, drohte Don seinerseits.

„Sag deinem Filius, er soll mein Eigentum holen, dann verlasse ich diesen trostlosen Ort.“

Don hatte die Nachrichten aus New York nicht verfolgt. Der ganze Look mit den Handfesseln hatte etwas von einem Cosplayer. Die Leute heutzutage wurden immer durchgeknallter. Lokis theatralische Art erinnerte Don an einen Schauspieler. Die Schrammen in seinem Gesicht schienen allerdings echt zu sein.

„Wer bist du?“

Loki schnaubte. „Ich bin schockiert, wie ahnungslos Sterbliche sind. Thor hat versagt, sich und unseresgleichen einen Namen auf Midgard zu machen. Dem werde ich ein Ende setzen.“

Don zog kritisch eine Augenbraue hoch. „Du solltest jetzt besser gehen…“ Er hatte entschieden, dass dieser Loki in erster Linie Kläffer, aber kein Beißer war, der sich gerne reden hörte.

„Wie großzügig, Herr Eigentümer, aber ich gehe nicht ohne den Tesseract.“

„Sean?“ Don sah seinen Sohn an, der unwillig zurückstarrte. Schließlich zuckte der mit den Schultern und stiefelte los, um das Haus herum Richtung Garten. Loki sowie der Rest der Familie folgten ihm, Liz mit einigem Abstand.

Mitten auf dem trostlosen, fast nur noch gelblichen Rasen blieb Sean stehen und sah sich suchend um. Er wandte sich schulterzuckend zu Loki um. Der Gott starrte den Jungen seinerseits wütend an. „Junge, wo ist der Tesseract?“, knurrte er. „Rück ihn heraus, oder du wirst mit deinem Leben bezahlen.“

„Dann findest du ihn nie.“ Sean ließ sich nicht einschüchtern. Er verschränkte die Arme vor der Brust, während er Lokis Blick standhielt.

„Unerhört!“, empörte sich Loki, „Er verweigert sich einem Gott.“ Er drehte sich zu Don. „Bring deinen flegelhaften Nachwuchs zur Vernunft oder ich werde es tun.“

„Du kannst dich gerne umsehen…“, erwiderte Don kühl. Er war nicht sicher, ob Sean den Tesseract versteckt hatte oder ob er wirklich verschwunden war. Ihm war beides zuzutrauen. „Niemand kann Sean zu irgendetwas veranlassen, was er nicht will. Höchstens seine Mutter.“

„Und wo ist seine Mutter?“, fragte Loki genervt.

„Nicht da.“ Don sackte ein Stück in sich zusammen. Er wusste nicht, warum er seine Ex-Frau erwähnte. Sie hatte nicht nur ihn verlassen, sondern den Kindern die Mutter genommen. Er hatte nicht die geringste Ahnung, wo sie war und wie es ihr ging.

„Sie hat sicherlich gute Gründe.“ Loki war nicht aufgefallen, wie matt Don geworden war, nachdem das Thema auf die Mutter seiner Kinder zu sprechen gekommen war.

Sean rannte plötzlich los und verschwand durch die Terrassentür ins Haus. Kevin war hin- und hergerissen, seinem Bruder zu folgen oder bei ihrem spannenden Besucher zu bleiben, schließlich lief er Sean hinterher.

„Weg ist unser aufrührerischer Held“, kommentierte Loki den Abgang der Jungen. „Bitte sei so freundlich und bestell’ mir eine Kutsche, damit ich ebenfalls diese Vorhölle verlassen kann. Ohio – was ist mir bloß durch den Kopf gegangen?“

„Ein Taxi für einen Gott?“ Don fühlte sich bestätigt in seiner Annahme, es handle sich um einen Kostümierten. Vergessen war der Feuerzauber. „Ich wusste nicht, dass nordische Götter dermaßen... untalentiert sind.“ Don genoss das klitzekleine Gefühl der Überlegenheit.

Loki rollte mit den Augen. „Oh bitte, natürlich könnte ich auch verschwinden. Ein Kronprinz von Asgard, Sohn von Odin, ist es gewöhnt, standesgemäß zu reisen.“ Mal abgesehen von der Enterbung spürte Loki, dass die Handschellen sein Seiðr schmälerten. Jedes Mal, wenn er eine Illusion von sich erschuf, fühlte er, wie die magischen Fesseln seine Kraft weiter erschöpften.

„Kronprinz, das wird immer besser!“ Don lachte. „Hochwohlgeboren darf sich gerne in unserem kargen Garten weiter nach seinem blauen Würfel umsehen.“ Er verneigte sich spielerisch.

Seine Mutter, die Don vergessen hatte, trat zu ihm und sagte vertraulich: „Du solltest ihn nicht aus den Augen lassen. Er scheint ein verwirrter Mann zu sein…“

„Mach dir keine Sorgen, Liz, ich bekomme da schon hin. Schaust du nach den Jungs?“, bat Don.

Liz nickte. Sie erinnerte ihn an ihren Wochenendtrip und dass sie bald abgeholt wurde. Don wünschte ihr viel Spaß und gab ihr einen Kuss auf die Wange, den sie mit einem Streichen über Dons Arm honorierte, bevor sie den Kindern hinterherging.

Loki musste plötzlich an seine eigene Mutter Frigga denken. Adoptiert oder nicht, er liebte sie inniglich. Am liebsten wäre er zurückgekehrt nach Asgard, aber die Heimkehr war ihm für immer verschlossen.

„Deine Mutter…“

„Ja?“

„… scheint herzlich zu sein.“

Don seufzte. „Ich wüsste manchmal nicht, was ich ohne sie machen sollte…“ Sie war ihm eine große Hilfe, als seine Ex-Frau ihn im Stich gelassen hatte. Ohne sie hätte sich vermutlich in der ersten Zeit niemand um seine Kinder gekümmert, denn Don war dazu nicht in der Lage gewesen.

Loki sah ihn verstehend an. „Eltern sollten ihre Kinder bedingungslos lieben.“ Die Enthüllung, ein Frostriese zu sein, hatte sein Weltbild erschüttert. Auch wenn er sich betrogen fühlte und voller Schmerz und Wut darüber war, hatte Frigga ihn stets wie ihre eigenes Kind behandelt.

„Das tue ich“, stimmte ihm Don zu. Er schluckte den Kloß in seinem Hals herunter. „Deine… Performance ist wirklich einzigartig. Ich wusste gar nicht, dass es eine Convention in der Stadt gibt. Was ist passiert?“ Don deutete auf Lokis verschrammtes Gesicht. „Gab es limitierte Comics im Angebot? Oder eine attraktive Schauspielerin, um die sich alle prügeln?“

„Nennen wir es ein unfreundliches Zusammentreffen…“

„Komm mit ins Haus. Ich suche die Wundsalbe und rufe dir ein Taxi.“

Der Stimmungswechsel kam nicht ungelegen. Loki biss mit seinem Verlangen nach Unterwerfung auf Granit. Da er sich vorerst verstecken musste, bis Gras über die Sache in New York gewachsen war und er sich von seinen Fesseln befreit hatte, konnte er auch noch etwas länger hier bleiben – zumindest solange, bis er den Tesseract wieder in seinen Händen hielt.

Don ging voran. Er warf einen Blick zurück über seine Schulter. „Werter Thronfolger, folge mir in mein bescheidenes Heim.“ Er lächelte freundlich.

Loki zögerte. Er scannte den Garten. Der Tesseract würde zu ihm kommen. Er folgte Don über die Terrasse ins Haus. Seine Augen mussten sich vom Sonnenlicht draußen an die relative Dunkelheit im Wohnzimmer gewöhnen. Don bot ihm mit einer Geste einen Platz auf dem Sofa an.

Das Wohnzimmer war ein gemütlicher, aber leicht chaotischer Raum, der das tägliche Leben einer Familie mit Kindern widerspiegelte. Die Wände waren in warmen, erdigen Tönen gestrichen, was dem Raum eine einladende Atmosphäre verlieh. Eine große Couch sowie ein Zweisitzer waren um den Flachbildfernseher an der Wand arrangiert. Die bodentiefen Fenster samt Glasschiebetür ließen viel natürliches Licht herein und boten einen weiten Blick auf Terrasse und Garten. Hinter der Sofaecke befand sich ein großer Esstisch, welcher an die offene Küche angrenzte.

Don verließ das Wohnzimmer und kam kurze Zeit mit einem Erste Hilfe-Set wieder. „Mit zwei Wildtieren als Kindern sind Pflaster und Verbandsmaterial nie weit entfernt.“ Er setzte sich zu Loki auf das Sofa und öffnete seine Erste Hilfe-Tasche.

„Mein Bruder und ich hatten als Kinder ständig den Schalk im Nacken. Ich habe ihn erstochen, er hat mich geworfen und so weiter…“ Loki lächelte bei dem Gedanken an seine Kindheit mit Thor.

„Erstochen?“, fragte Don besorgt nach.

Loki machte eine wegwerfende Bewegung. „Sorge dich nicht, er lebt. Er zieht mich immer in gefährliche oder dumme Aktionen hinein, wenn ich ihn nicht zu etwas Gefährlichem oder Dummem verleite...“

„Jüngerer oder älterer Bruder?“

„Er ist älter.“

Don grinste. „Das habe ich mir gedacht. Du bist der kleine Scheißer. Jüngere Geschwister sind alle so.“ Er rückte näher zu Loki, sodass sich ihre Knie berührten. Don legte zwei Finger als Lokis Kinn und brachte ihn dazu, seinen Kopf zu drehen. „Nur ein oberflächlicher Kratzer. Der Schnitzer auf der Stirn sieht fies aus.“

„Kleiner Scheißer?“

„Achtung, ich desinfiziere die Wunde jetzt“, warnte Don, bevor er mit einem feuchten Wattepad die Wunde auf der Nase vorsichtig abtupfte. Mit der freien Hand nahm er Lokis Schulter und drehte ihn ein wenig, damit er besser an die Stirnwunde kam.

Loki ließ sich ohne weitere Widerworte behandeln. Er konnte sich nicht daran erinnern, dass ihn jemand mit Ausnahme seiner Mutter so liebevoll gepflegt hatte. Es tat gut, betüddelt zu werden.

Don tupfte vorsichtig mit dem Finger etwas Wundsalbe auf die Stirnwunde. „Welches Pflaster möchtest du: Flammen oder Dinosaurier?“

„Ihr Menschen und eure Fabelwesen… Ich wähle selbstredend Flammen.“

„Fabelwesen…“ Don lachte. Für ihn waren Dinosaurier realer als nordische Götter. Er klebte das Kinderpflaster auf Lokis Stirn und betrachtete zufrieden sein Werk, bevor seinen Gast genauer ansah. Er hatte scharfe und markante Gesichtszüge, mit hohen Wangenknochen, eine schmalen Nase, schöne Lippen und die schwarzen, schulterlangen Haare, die inzwischen ein wenig ihre Form eingebüßt hatten. Seine grünen Augen hatten etwas Durchdringendes, mit einem Ausdruck von List und Intelligenz. Er hatte eine schlanke, wenig muskulöse Figur unter dem grünen Gewand. „Der Look gefällt mir, sieht sehr elegant aus.“

„Herzlichen Dank“, antwortete Loki höflich, „Das ist echtes asgardianisches Leder.“

„Oh, Leder. Ich dachte, die meisten Kostüme kommen aus China. Aber deines sieht wahrlich nicht billig aus.“

Loki berührte seine Brust. „Echtes Gold.“

„Spektakulär.“ Don war imponiert. „Und was hat es mit den Handfesseln auf sich?“

Loki gab sich nonchalant. „Als Gott des Unheils sind Fesseln das Mindeste, um mich gefügig zu machen.“ Er lächelte sinister.

„Ich bin nicht sehr vertraut mit den Mythen…“ Don fand ihn interessant. Er strahlte Arroganz aus, verfügte aber gleichzeitig über ein gewisses Charisma, was ihn anziehend machte.

„Dürfte ich kurz das Bad aufsuchen?“ Loki erhob sich und tat, als hätte er ein menschliches Bedürfnis.

Don wies ihm den Weg und ging danach in die Küche. Draußen hupte das Taxi, das seine Mutter geordert hatte. Ihr Reisetasche stand bereits an der Haustür. Sie eilte wie ein Jungspund die Treppe herunter. Don bewunderte ihre Umtriebigkeit. Er begleitete sie mit ihrer Tasche vor die Tür.

Loki nutzte die Gelegenheit, um in den ersten Stock zu gehen. An den Wänden hingen verschiedene Fotos mit den Bewohnern des Hauses. Loki blieb vor einem Bild einer blonden, lächelnden Frau mit Boho-Kleid mit den beiden Jungen links und rechts im Arm stehen. Sie wirkte fröhlich und lebenslustig.

Trotz seiner guten Beobachtungsgabe fiel Loki nicht auf, dass es kein gemeinsames Bild mit der ganzen Familie gab.

Loki zupfte an seinem weiß-grün gemusterten Kleid, dass den Blick auf seine schlanken Beine preisgab. Er fand sich bezaubernd. Mit einem sanften Lächeln betrat er Seans Zimmer, der auf dem Bett mit dem Handy beschäftigt war. Der Junge sah nicht einmal auf ihn.

„Sean, wie geht’s dir?“ Loki setzte sich auf Seans Bett.

Große Augen starrten die Illusion der Mutter an. „Mum?“ Sean ließ sein Handy fallen, riss die Bettdecke zur Seite, krabbelte auf seine Mutter zu und fiel ihr um den Hals.

Loki umarmte ihn zögerlich. Er strich dem Jungen über den Rücken. Das Kind war ganz anders als vorher. Loki fühlte sich fast ein schuldig, ihn zu benutzen. Aber nur fast.

„Du bist hier“, wisperte Sean ungläubig.

„Ja, mein Schatz, ich bin hier.“

Sean löste sich langsam von Loki. Er sah ihn freudestrahlend an. „Wo bist du gewesen?“

Loki blickte ihn sanftmütig an. „Ich war lange weg. Es tut mir leid, Sean. Ich habe dich vermisst.“ Er nahm Seans Hand in seine.

„Bleibst du jetzt… Zuhause?“, fragte Sean vorsichtig. Er konnte sein Glück kaum fassen, war zu hart getroffen, um zu hoffen. „Weiß Dad, dass du hier bist?“ Er wollte aufspringen, doch Loki drückte seine Hand und hielt ihn zurück.

„Wir haben geredet…“ Loki schaute auf ihre verbundenen Hände. „Er hat gesagt, du machst Ärger.“

„Was? Nein!“ Sean richtete sich empört auf und runzelte sein Stirn, weil ausgerechnet sein Vater ihn anschwärzte. „Was… was hat Dad gesagt?“

„Da unten ist ein Mann bei ihm. Er behauptet, du hättest etwas, das ihm gehört. Es geht um den Tesseract. Einen blau leuchtenden Kubus. Hast du ihn gesehen?“

„Tesseract?“ Sean wirkte verwirrt. „Ich... ich habe wirklich keine Ahnung, wovon du redest.“

Loki gab vor, enttäuscht zu sein. Er seufzte. „Ich dachte, ich könnte dir vertrauen, Sean. Ich dachte, wir könnten zusammenarbeiten, um ihn zu finden. Aber wenn du nicht kooperieren willst…“

Sean drückte seinen Lippen zusammen. „Nein, Mama, ich will helfen… ich…“

„Sean?“ Don rief vom Flur. „Mit wem sprichst du? Catherine?“ Er sah seine Frau überrascht an. Dann starrte er auf ihre beziehungsweise Lokis Beine. Die Sandalen mit den süßen Riemchen und ein Fußkettchen, eine Halskette, Ohrringe und noch mehr Goldschmuck. Hatte Loki übertrieben? Vielleicht ein wenig.

„Don.“ Loki lächelte. Er erhob sich grazil. Er ließ sich nicht anmerken, dass Don seine Pläne durchkreuzte. Wenn er etwas konnte, dann improvisieren, auch wenn er lieber strategisch vorging.

„Wann bist du gekommen?“

„Ich wollte meine Jungs sehen.“ Loki ging verführerisch grinsend auf Don zu. „Dich habe ich natürlich nicht vergessen, Donny.“

„Catherine, bist du es wirklich? Ich... ich kann es nicht glauben.“ Don war befremdet von dem neuen Spitznamen. Er ließ es ihr jedoch durchgehen. Vielleicht kannte er sie nicht mehr. Don sah zu seinem Sohn. „Sean, geh bitte nach unten. Ich muss mit deiner Mutter sprechen.“

Sein Sohn marschierte unter Protest aus dem Zimmer.

„Ich bin hier.“ Loki ging vorsichtig kalkulierend auf ihn zu, während er sein freundliches Lächeln beibehielt.

„Wo warst du? Wo zum Teufel warst du all die Monate? Du hättest anrufen sollen. Du hättest… du hättest dich melden müssen.“ Die Wut brodelte in ihm hoch. Die ganzen Vorwürfe lagen auf seiner Zunge. Neben dem Ärger spürte er Enttäuschung in sich aufsteigen. „Du hast uns allein gelassen! Die Kinder! Mich!“

Loki legte eine Hand auf Dons Brust und schaute auf seine eigene Hand. „Ich weiß, Don, und es tut mir leid. Aber ich musste gehen.“ Er blickte unter langen, hellen Wimpern zu ihm auf. Mit der anderen Hand berührte er Dons Schnurrbart und strich mit dem Daumen ein Stück darüber. Der Schnäuzer war sauber getrimmt und gut gepflegt. Loki gefiel das unerwartete Gefühl unter seinem Finger, fest und widerstandsfähig.

Dass Don Lokis Haare herabwürdigt hatte, hatte ein wenig von der Tatsache abgelenkt, dass dem Gott des Schabernacks Dons Schnurrbart und seine Attitüde diesen betreffend imponierte. Ein Mann, der wusste, was ihm gefiel.

Don verharrte wie eingefroren. Er war kurz davor, sich Loki in Gestalt seiner Frau an den Hals zu werfen. Nicht, dass er sie noch liebte. Don hatte realisiert, dass sie sich schon eine Weile entliebt hatten, bevor Catherine verschwunden war. Nein, die unvermittelte, körperliche Vertrautheit und das Wissen, dass sie alle seine Knöpfe kannte, um ihn um den Verstand zu bringen, war Verführung genug.

Er erinnerte sich an seinen letzten Sex, der gefühlt schon ewig her war. Don hatte ihn durchaus genossen, aber es fehlte etwas. Er sehnte sich nach jemandem an seiner Seite.

„Hör auf damit.“ Unwirsch befreite sich Don, nachdem er sich die Berührung einen Moment hatte gefallen lassen. Wütend runzelte er die Stirn. Er fand es merkwürdig, dass Catherine sich an ihn ranschmiss. Sie musste wissen, wie zornig er war.

„Bitte beruhige dich.“ Loki versuchte, die Situation zu entschärfen. „Ich weiß, ich habe Fehler gemacht… Aber es nützt nichts, darüber zu streiten.“

Don schnaubte. „Was willst du?“

„Wie wäre es, wenn ich nach unten zu Sean gehe und du erst einmal runterkommst, ja?“, schlug Loki vor. Er hatte keine Lust, sich weiter mit Don zu zoffen. Wenn er den Tesseract hatte, konnte er verschwinden. Loki ging zur Zimmertür.

Don nahm sein Handgelenk. In der Aufgebrachtheit hatte er fester zugepackt, als er wollte. Augenblicklich ließ er sie wieder los. „Ich kann nicht zulassen, dass du den Kindern ein zweites Mal das Herz brichst.“

Loki wandte sich ihm wieder zu. Er machte den Gesichtsausdruck einer geläuterten Frau. „Ja, du hast recht. Ich sollte mich richtig von Kevin und Sean verabschieden.“

„Warum, Catherine? Warum? Es fühlt sich an, als würde ich dich gar nicht mehr kennen.“ Seine Wut und Frustration hatte sich in Trauer verwandelt. Don sah ihn mit kummervollen Augen an.

„Du bist ein guter Mann, Don.“ Loki erwiderte seinen Blick mitfühlend. „Lass mich mit Sean reden. Wir unterhalten uns später. Ja?“

Don nickte ermattet und schickte Loki mit einem Wink weg.

Im Erdgeschoss unterhielten sich die Brüder am Wohnzimmertisch sitzend. Im Fernseher lief eine Vorabendserie im Hintergrund. Kevin sprang auf, als er Loki in Gestalt seiner Mutter kommen sah. Loki machte sich kleiner, indem er seine Knie beugte, und empfing den Jüngsten mit offenen Armen. Kevin stürzte sich freudestrahlend in seine Arme und ließ sich hochreißen.

„Wow, Mum, hast du trainiert?“, fragte Sean verblüfft.

Loki lachte. Er hatte zwar noch nie von Method Acting gehört, aber er war ganz in seiner Rolle. Er strahlte eine Mischung aus mütterlicher Geborgenheit und Vertrauen aus, während er Kevin glückselig durch die Luft schwang, bevor er ihn wieder auf dem Boden absetzte. Loki wuschelte Kevin durch die Haare und setzte sich zu Sean an den Tisch.

„Wo ist Dad?“ Sean traute der Sache nicht. Seine Mutter war zu lange weg gewesen. Kevin war noch zu jung, um nachtragend zu sein.

„Er muss nachdenken“, erwiderte Loki verständnisvoll. Er lehnte sich vertraulich vor. „Um noch einmal auf vorhin zu sprechen zu kommen. Der Tesseract, eine Art blauer Würfel… hast du ihn?“

Sean zog die Augenbrauen düster herunter. Bevor er antworten konnte, kam ihm sein Bruder zuvor.

„Ich habe ihn gesehen“, rief Kevin, der sich zu ihnen an den Tisch gesellte.

Interessiert drehte sich Loki zu ihm. „Wo ist er?“

Sean warf Kevin einen grimmigen Blick zu und schüttelte den Kopf.

„Du kannst es mir sagen, Schatz“, versicherte Loki, lächelte lieblich und legte eine Hand auf Kevins auf dem Tisch ausgestreckten Arm. Der schaute seinen Bruder an und zögerte.

„Der Idiot hat keine Ahnung, wo dieser komische Würfel ist“, widersprach Sean energisch. Er hatte nicht den blassesten Schimmer, was vor sich ging, aber er wusste, dass das Objekt von Bedeutung war. Wenn er seine Mutter damit länger hier halten konnte, umso besser.

Don kam von oben. „Catherine, was bedeutet das? Was hast du mit diesem Loki zu schaffen?“

Loki fragte sich manchmal, wie einfältig Menschen sein konnten. Don hatte mit eigenen Augen gesehen, dass er sich in einen Feuerriesen verwandelt hatte und trotzdem war er nicht in der Lage, zu sehen, was Loki war.

„Sean, bitte hilf deiner Mutter.“ Loki konzentrierte sich auf Dons älteren Sohn. Er legte Zeige- und Mittelfinger an Seans Schläfe. Seans Augen leuchteten kurz magisch hellblau auf. Er hatte versucht, die Gedankenlesen zu vermeiden, weil sie zu viel seiner magischen Ressourcen forderte. Er konnte nicht explizit seine Gedanken kontrollieren, sondern nur hervorbringen, was bereits unter der Oberfläche schlummerte. „Wo ist der Tesseract, Sean?“

„Mum…“, murrte Sean nur noch mit wenig Widerstand. Er wirkte wie in Trance versetzt, als er sein Versteck verriet. „Im Baumhaus.“

„Sean“, rief Don besorgt. Er legte eine Hand auf die Schulter seines Sohnes, bevor er sich seiner Frau zuwandte.

Mit einem theatralischen Seufzer wechselte Loki zu seinem gebräuchlichen Aesir-Aussehen zurück – mal abgesehen von den magischen Fesseln um seine Handgelenke.

„Was zum Teufel...?“ Don starrte ihn für einen Moment mit offenem Mund an.

Er fasste sich schnell wieder. Don schnaubte verärgert: „Du benutzt meinen Sohn, um an den Tesseract zu finden? Das ist unterste Schublade.“

„Nimm es nicht persönlich, mein Lieber.“ Loki erhob sich anmutig und grinste ihn siegreich an. Schlussendlich hatte seine Manipulation funktioniert. Loki verbeugte sich gut gelaunt und marschierte zur Terrassentür hinaus.

„Krass… Das war nicht Mum…“ Sean war aufgestanden, der Bann gebrochen, und stand neben seinem Vater. Beide starrten nach draußen, Loki hinterher, unfähig, die letzten Minuten zu verarbeiten.

„Wow, Papa, das war cool! Wie hat er das gemacht?“

Don sah zu Kevin. „Ich weiß nicht.“

„Es war so echt.“ Sean sah seinen Vater an. Der nickte langsam.

Der Fremde hatte ihn, sie alle reingelegt. Der Betrug, die Vortäuschung wog schwerer als die Erkenntnis, dass es Hexen oder Zauberer wirklich gab.

Don blieb mit gemischten Gefühlen zurück. Er sah sich damit konfrontiert, dass wieder Fragen über Catherine im Raum standen, auf die er keine Antworten hatte. Es brauchte manchmal nur eine kleine Begebenheit, um die Wunde zu öffnen.

„Ich mag ihn“, sagte Kevin. Don und Sean drehten sich zu Kevin um, der entspannt am Tisch saß. „Er hat coole Tricks drauf.“

Sean sah zu seinem Vater und zog die Augenbrauen hoch. Kevin spinnt mal wieder, sagte die Mimik. „Sollen wir ihm hinterher?“, fragte er.

„Es ist sein Zauberwürfel. Ich glaube, er ist nicht gefährlich.“ Don sollte seine Annahme, vom harmlosen Gott noch früh genug revidieren.

„Er ist wie Kevin. Keine fünf Minuten, nachdem er die Sandburg zerstört hat, baut er wieder eine neue.“ Don sah seinen Sohn überrascht an. Die Weisheit hätte von ihm selbst kommen können, hätte Loki ihn nicht verwirrt. Er war erstaunt, wie klug und erwachsen sein Sohn bisweilen war. Don hoffte, dass die Pubertät Gnade bei Sean walten ließ.

Chapter 2: Der längste Tag

Chapter Text

Don war in die offene Küche gegangen und bereitete das Abendessen vor, während die Kinder am Esstisch saßen und von dort mehr oder weniger aufmerksam das Fernsehprogramm verfolgten, als Loki erbost durch die Terrassentür ins Wohnzimmer gestürmt kam.

Kevin und Sean zuckten erschrocken zusammen.

„Wo ist der Tesseract? Er ist nicht im Baumhaus.“ Loki ging direkt zu Sean. Seine Augen funkelten zornig. Er sah aus wie ein Mann, bei dem man mit allem rechnen musste. Er hatte die Handfesseln mit seinem Seiðr unsichtbar gemacht, um nicht mehr als Sträfling zu erscheinen. Schein ging bei Loki vor Sein.

Sean sprang von seinem Stuhl auf, um nicht wie ein kleiner Junge zu wirken. „Er ist dort“, beharrte er.

„Hey! Fass meinen Sohn nicht an! Was auch immer dein Problem ist, wir können es friedlich lösen.“ Don war sofort da und drängte sich mutig zwischen den Gott und seinen Sohn.

„Unsägliche Midgardianer!“, knurrte Loki.

Don baute sich vor Loki auf, indem er die Arme in die Hüfte stemmte. „Sean hat gesagt, dass er dort ist, also ist auch dort.“

„Ich habe ihn nicht gefunden!“ Loki bewegte wütend seinen Kiefer. Er mochte es nicht, zuzugeben, dass er versagt hatte. Sein Seiðr war kräftig genug gewesen, um dem Jungen die Wahrheit abzupressen. Das ließ nur wenig andere Optionen offen: der andere Bruder oder ein Langfinger. Oder er wurde aufgespürt. Aber dann wäre er nicht mehr hier. Seine Gegner warteten nicht, sie kassierten ihn ein.

„Ruhig Blut“, versuchte Don mit erhobenen Händen zu deeskalieren.

„Du hast keine Ahnung, womit du spielst.“ Loki fixierte ihn. Seine Augen schimmerten exotisch grün.

„Hör mal… wenn er im Baumhaus ist, helfe ich dir suchen. Vielleicht hast du ihn bloß übersehen.“

Loki begann breit zu lächeln und zeigte dabei seine Zähne. „Nun, wenn du darauf bestehst, Don. Deine Kooperation ist willkommen.“

„Gut…“ Don atmete sichtbar aus. Er fühlte sich sonderbar. Das Heiß-Kalte von Loki machte ihn wahnsinnig. „Sean, passt auf die Soße auf? Wenn das Wasser kocht, gib die Ravioli hinein. Ja?“

„Soll ich nicht lieber mitkommen?“, fragte Sean.

„Ich mach das. Kümmere du dich um das Essen, bitte.“

Draußen dämmerte es bereits. Der Himmel färbte sich in tiefen Orangetönen. Loki hatte ihm mit einer galanten Handgeste den Vortritt gelassen. Don fühlte sich mulmig mit dem Fremden in seinem Nacken. Er drehte sich zu ihm um und sah ihn mit einem Selbstverständnis zunicken, dass ihn noch misstrauischer machte.

Das Baumhaus erhob sich am Ende des Gartens, umgeben von dichten Ästen und Blättern, die es fast vollständig verdeckten. Don hatte vergessen, wie klein das Baumhaus war, als er über die Leiter am Stamm des Baumes nach oben kletterte. Er hatte das Dach damals hoch gesetzt, damit auch Erwachsene darin stehen konnten. Beim Aufrichten stieß er dennoch mit dem Kopf an die Campinglampe, die unter der Decke hing.

Das Licht der Lampe tauchte die Umgebung in ein angenehmes Licht. An der rückwärtigen Wand stand ein kleiner Tisch, dazu gab es zwei Kisten, die als Stühle mit Sitzkissen dienten. Auf den Regalen zu seiner Rechten lagen Comics und Spielzeugfiguren. Am Fußboden waren zwei Isomatten, eine Decke sowie Kissen ausgebreitet.

„Ich war lange nicht mehr hier…“ Don erinnerte sich an Abende, als sie sich zu viert hier eingefunden und ein kleinen Snack mit den Kindern geteilt hatten. Don war kein besonders guter Handwerker, aber das Bauwerk erfüllte ihn mit Stolz.

Don begann, die offensichtlichen Verstecke zu durchsuchen. Er hob die Kissen an, untersuchte die Decke und blickte unter die Kisten. Loki beobachtete ihn bei der Suche. Er wusste, dass sein Seiðr sich dem Ende neigte.

„Hier ist nichts.“ Don schob ein paar Comics beiseite.

„Du musst gründlicher suchen“, giftete Loki. „Der Tesseract muss hier irgendwo sein.“

Don setzte sich mit seinem Latein am Ende auf einer der Stuhlkisten. „Ich habe keine Ahnung, wo er sein könnte.“

Loki atmete tief durch, bemühte sich, ruhig zu bleiben. „Er muss hier sein.“ Er brauchte den Tesseract. Vielleicht konnte er seine Energie irgendwie nutzbar machen, um sich zu regenerieren und seine Ketten zu sprengen. Zumindest brauchte er den interdimensionalen Portalöffner, um zu verschwinden. Die Avengers und die Chitauri waren ihm auf den Fersen.

„Kannst du nicht…“, Don machte eine unbestimmte Handbewegung, „… diesen Würfel herzaubern?“

„Herzaubern?“, fauchte Loki aufgebracht. Wenn er das könnte, hätte er es längst getan. „Astralprojektion, Gestaltwandeln, Beschwörung von Illusionen und Teleportation gehören zu meinen Künsten, aber nicht lapidares Herzaubern.“

„Verzeihung, werter Zauberer, ich bin in dieser Art Künsten nicht sehr bewandert“, stichelte Don zurück.

„Bedauerlich.“ Loki fuhr sich durch die Haare, die immer mehr ihre spitzen Stacheln verloren. Die spinnenartige Frisur stand ihm gar nicht. Je weniger sie durch Haarprodukte gefestigt wurden, desto besser gefiel die Frisur Don. „Was gibt es zu starren?“

„Nichts…“, sagte Don schnell. Seine Verwirrung und sein Unbehagen über Lokis Verhalten mischten sich mit einer unerwarteten Faszination für diesen mysteriösen Mann, der behauptete, ein Gott zu sein. „Weniger Haargel steht dir deutlich besser. Die Haare sehen fast seidig aus.“ Er glaubte, dass Loki für Schmeicheleien empfänglich war.

„Danke…“, antwortete der Gott des Schabernacks langsam.

Don lächelte leicht. Sein Magen knurrte. Er sehnte sich nach einer warmen Mahlzeit und Entspannung. „Wie wäre es, wenn wir jetzt erst einmal essen und dann weiter sehen?“

Loki war nicht bereit, aufzugeben oder ihm zu vertrauen, aber er war erschöpft. Er kalkulierte seine Chancen. Wenig Seiðr. Keine Zuflucht. Es war das Beste, Dons Gutmütigkeit und Vertrauensseligkeit auszunutzen.

„Dad! Daaad!“

Als Don Seans verzweifeltes Rufen hörte, schoss er von seiner Kiste hoch und stieß sich prompt den Kopf der Campinglampe an. Das Häuschen war definitiv für Kinder gemacht. Fluchend krabbelte Don die Leiter herunter.

Loki nutzte die Gelegenheit, um sich die herumliegende Straßenkreide zu nehmen. Mit geschwinden Finger malte er Runen auf eine Baumhauswand, die seine Anwesenheit verschleierten. Wenn seine Magie gänzlich versagte, konnte sie ihn nicht mehr ohne diesen Zauber verstecken. Aber womöglich war es dafür bereits zu spät.

Unten wartete Sean bereits. „Was ist los?“, fragte Don.

Die Dunkelheit hatte sich über den Garten gelegt. Die einzige Beleuchtung kam aus den Fenstern des Wohnzimmers.

„Er hat die verdammte Batterie geschluckt!“ Sean rollte mit den Augen und schüttelte den Kopf.

„Welche Batterie?“ Don runzelte die Stirn. Er schob seinen Sohn an und ging mit ihm zusammen zurück ins Haus.

„Von dieser nervigen Geburtstagskarte.“

Don hasste die Musik spielende Karte. Kevin hatte sie immer wieder geöffnet und ihm damit jeden Nerv geraubt. Am liebsten hätte er sie weggeworfen, wenn er sie nicht von seiner Oma bekommen hätte.

„Schei…“ Don unterdrückte den Fluch. „Wie ist das passiert?“

Kevin lümmelte auf dem Sofa. „Mir geht’s gut.“

„Was weiß ich? Er ist einfach blöd“, murmelte Sean genervt.

„Hol den Honig! Bitte, Sean!“

Grummelnd ging Sean in die Küche, um den Honig zu suchen.

„Bring einen Löffel mit,“ rief Don ihm nach. Er setzte sich zu zu seinem jüngsten Sohn. „Dein Bruder sagt, du hast die kleine, runde Batterie aus der Karte geschluckt?“

Kevin zuckte mit den Schultern.

„Willst du den Burschen mit Honig für seine Missetat belohnen?“ Loki war hinter ihm im Wohnzimmer aufgetaucht.

„Das hiflt, bis wir ihn in die Notaufnahme gebracht haben“, erklärte Don. „Der Honig schafft eine schützende Barriere zwischen dem Gewebe der Speiseröhre und der Batterie.“ Loki sah völlig desinteressiert aus. Don legte seine Hand auf Kevins Stirn. Kein Fieber und bisher kein Erbrechen. Zum Glück hatte Sean ihn im Auge behalten. Verärgert belehrte Don Loki: „Eine Knopfbatterie ist deshalb so gefährlich, weil die Umgebung der Speiseröhre einen elektrischen Strom auslösen kann, der eine chemische Reaktion hervorruft, die in wenigen Stunden zu schweren Verbrennungen führt.“

„Nun, es war nicht besonders klug von ihm, die Knopfbatterie zu schlucken“, bemerkte Loki.

„Ach?“ Don blickte ihn düster an. „Hilf mir lieber statt zu klugscheißen.“

„Wie der Herr wünscht.“ Loki kam zu ihnen und ging vor Kevin auf die Knie. „Öffne deinen Mund.“

Sean stand mit dem Honig und einem Löffel bereit. Don hielt ihn zurück, weil er sehen wollte, was der Magier tat.

„Möchtest du, dass die Batterie durch eine andere Öffnung deinen Körper verlässt? Oder eine neue Öffnung schafft?“, fragte Loki, als Kevin nicht tat, was der Gott verlangte. Der Junge sah zu seinem Vater, der ihm vertrauensvoll zunickte. Schließlich öffnete er den Mund. Lokis stechende Augen hielten ihn unangenehm fixiert. Kevin gluckste, als er die Bewegung in seinem Hals spürte. „Nicht zumachen!“, warnte Loki. „Sonst bist du doch auch nicht schüchtern.“ Kurz darauf war die kleine Batterie in Kevins Mund zu sehen, wie sie in seinem Rachen auftauchte und über seine Zunge nach draußen schwebte, wo sie abrupt zu Boden fiel.

Don atmete erleichtert aus. Er bemerkte in diesem Moment, dass er die Luft vor Spannung angehalten hatte.

„Sean, der Honig!“, verlangte Loki. Er setzte sich seitlich mit einer Hand aufgestützt wie die Kleine Meerjungfrau hin und machte mit Finger seines ausgestreckten Armes eine fordernde Geste.

„Großartig.“ Don nahm Sean das Honig-Glas ab und übergab es samt Löffel Loki. „Du bist eingestellt. Ich nehme dich als Babysitter.“

„Ich hab’s gar nicht richtig gesehen“, maulte Kevin enttäuscht.

„Sei froh, dass wir jetzt nicht in einer Notaufnahme stundenlang warten müssen… nur Zweijährige stecken sich alles in den Mund, was ihnen vor die Nase kommt.“ Sean schaute seinen kleinen Bruder ätzend an. Insgeheim war er von Lokis Aktion imponiert, aber zu cool, um es zuzugeben.

„Ey, das war keine Absicht! Ich bin doch nicht doof.“ Kevin verzog den Mund in einer Mischung auf Wut und Gram.

„Genau…“ Sean rollte mit den Augen.

„Schluss jetzt.“ Don sprach ein Machtwort. Er erhob sich, knipste den Fernseher aus und ging in der Küche, um nach den Essen zu sehen. Don testete eine Ravioli und befand, dass sie nicht zu weich geworden waren. Sean war ihm gefolgt und schob den Topf mit der Tomatensoße wieder auf die heiße Herdplatte, die er umsichtigerweise nach hinten gestellt hatte.

„Sean sagt immer, ich sei doof und behandelt mich wie ein Baby“, klagte Kevin Loki sein Leid.

„Brüder!“, seufzte Loki, „Ich kenne das Gefühl. Thor hat mich auch oft so behandelt. Er denkt, er weiß alles besser. Nur weil er der Ältere ist. Weil er Odins Liebling ist.“ Er zog die Augenbrauen hoch.

Kevin nickte eifrig. „Ja, genau! Sean glaubt auch immer, dass er alles besser weiß. Und wenn ich etwas sage, rollt er mit den Augen und sagt, ich soll ruhig sein.“

„Kenne deinen Platz, Bruder“, imitierte Loki seinen älteren Bruder und schüttelte den Kopf. „Thor hat mich oft wie einen kleinen Jungen behandelt, auch wenn ich längst kein Kind mehr war. Immer der große, unfehlbare Held. Dabei bin ich der Talentiertere, was Magie betrifft. Thor ist einfach nur ein großer Lümmel mit einem blöden Hammer.“

„Sean nennt mich immer Baby und lacht über alles, was ich mache.“

Sean hatte jedes Wort gehört. Er zeigte Kevin den Mittelfinger, als dieser zu ihm hinüber sah.

„Was bedeutet dieses Handzeichen?“, fragte Loki neugierig.

„Das ist der Stinkefinger.“ Kevin beobachtete seinen Vater. Er hatte für einen Abend genug auf den Deckel bekommen. Er beugte sich zu Loki, der ganz Ohr war, und wisperte: „Das heißt, du kannst mich mal am Arsch lecken.“

„Hey“, rief Don laut, um Aufmerksamkeit zu bekommen, „Bisher hat noch niemand den Tisch gedeckt. Wärst du so gut, Kevin? Loki, du kannst gerne zum Essen bleiben.“

Loki stand zusammen mit Kevin auf und ging zu den anderen.

„Die Ravioli meiner Mutter. Sie macht immer unglaublich viele und friert sich portionsweise ein. Selbst gemachte Pasta ist einfach nicht zu toppen“, erklärte Don begeistert und lächelte Loki dabei zu. Kevin kümmerte sich die tiefen Teller, während Loki von Don mit dem Besteck beauftragt wurde. Dieser griff sich zwei gleichgroße Gemüsemesser aus der Schublade und präsentierte seine Jongleur-Künste. Er wirbelte beide Messer gleichzeitig durch die Luft und fing sie im nächsten Moment wieder mit dem Griff in der Hand auf. Das wiederholte er ein paar Male, was ihm euphorische Anfeuerungsrufe von den beiden Jungen einbrachte.

„Das will ich auch können“, rief Kevin entzückt.

„Du bist in einem Zirkus groß geworden, stimmt’s?“, fragte Sean. „Wie hast du das gelernt?“

„Jahrelanges Training.“ Loki machte seine Hände nicht schmutzig. Das Haudrauf seines Bruders war nicht sein Kampfstil. Dolche waren schnell, effizient und tödlich.

„Für die Ravioli braucht man eigentlich keine Messer…“, warf Don vorsichtig ein.

Ohne Widerworte legte Loki die Messer zurück. „Schlechte Balance, minderwertige Messergriffe.“

„Kannst du es mir beibringen?“, bettelte Kevin.

Der jüngere Bruder war Sean zuvorgekommen. Er war nicht abgeneigt, wenn der Hausgast ihnen ein paar Tricks zeigte. Er sah sich schon auf dem Schulhof damit angeben. Interessiert wartete er auf Lokis Antwort.

„Vielleicht morgen…“ Loki fischte Gabeln aus der Besteckschublade. Don machte ihn auf den Soßenlöffel aufmerksam.

Trotz aller Widrigkeiten und der Verkörperung von Catherine hießen die drei Midgardianer ihn in ihrer Mitte willkommen. Es fühlte sich gut an, einfach Loki sein zu können. Nicht der Gott, nicht der Bruder, nicht der Feind. Es war schön.

Sie wussten nichts über New York. Sie ahnten nicht, welche Zerstörung er über die Stadt gebracht hatte. Sie hatten keine Ahnung, wie viele Menschen durch seine Hand gestorben waren. Sie waren ahnungslos, welches Unheil er in Form der kriegerischen Außerirdischen durch das Portal heraufbeschworen hatte. Wäre die ganze Chitauri-Armee nach Midgard gelangt, hätte es viel mehr Tote gegeben. Wesentlich mehr.

Loki war froh, dass es nicht dazu gekommen war.

Als der Tisch gedeckt war, setzte sich Loki an eine Seite, die Kinder ihm gegenüber und Don ans Kopfende. Die Jungen bedienten sich hungrig. Als guter Gastgeber füllte Don Lokis Teller und schenkte ihm Wasser ein. Die Bauch füllende Mahlzeit hatte etwas Befriedigendes, stellte Loki fest. Er hatte lange nicht mehr in guter Gesellschaft gespeist. Ein Anflug von Heimweh durchfuhr ihn.

Nachdem der erste Hunger befriedigt war, verhörten die beiden Jungen Loki. Der Gott des Schabernacks beantwortete ihre Fragen nach seinem Beruf. Er erzählte von den Pflichten und Aufgaben einen Prinzen, während Don ihn skeptisch ansah. Über seine Mutter Frigga hatte er nur Gutes zu berichten.

Die Vergangenheit stimmte ihn melancholisch. Sollte er jemals wieder nach Asgard zurückkehren, wäre es nicht wieder wie zuvor. Loki war weder ihr Sohn noch Prinz von Asgard. Er würde ein Gefangener sein. Odins letzte Worten vor seinem Sturz vom Regenbogenbrücke in den Abgrund schmerzten immer noch.

Manchmal traf Loki Entscheidungen in einem Sekundenbruchteil, die sein Leben ruinierten, aus einer hitzigen Emotion heraus.

Loki hatte nicht gewusst, dass er überlebt. Wie oft hatte er sich gewünscht, der Abgrund hätte ihn tatsächlich verschlungen.

Don spürte den Stimmungswechsel. Er vermutete, dass etwas in Lokis Familie im Argen lag. Höflich wechselte er das Thema und erkundigte sich, wie ihm das Essen schmeckte. Loki war sehr angetan von den Ravioli und lobte die Mahlzeit. Don solle die Schöpferin, seine Mutter, zu ihrer Kochkunst beglückwünschen. Don beglückwünschte sich selbst mit einem Lachen.

„Loki…“, mischte sich Sean in die Unterhaltung ein, „Kannst du uns helfen, herauszufinden, wo Mum ist? Wo Catherine ist?“

Kevin ließ seine Gabel sinken und hörte auf zu essen. Er war ganz Ohr.

Don schwieg wie eingefroren. Sie waren noch da, die verletzten Gefühle, knapp unter der Oberfläche.

Loki sah sein Gegenüber durchdringend an: „Willst du sie wirklich wiedersehen?“

Die Frage ließ eine unbehagliche Stille im Raum entstehen. Don senkte den Blick, Kevin kaute auf der Unterlippe und Sean sah kalt erwischt aus.

Don räusperte sich. „Es ist kompliziert, Sean. Manchmal gehen Menschen aus Gründen, die wir nicht verstehen.“

Lokis Stimme blieb ruhig. Er bohrte tiefer mit direkten Fragen. „Habt ihr euch gefragt, warum sie gegangen ist? Was sie dazu gebracht hat, ihre Familie zu verlassen?“

Sean blickte auf seinen Teller. Seine Stimme war leise, als er antwortete. „Ich weiß nicht... Vielleicht hat sie uns nicht mehr geliebt?“

Kevin widersprach, obwohl er traurig wirkte. „Das glaube ich nicht. Mum hat uns lieb.“

Sean blickte auf. Sein Blick war fest auf Loki gerichtet. „Kannst du sie finden oder nicht?“

„Ich könnte es versuchen...“

„Aber?“

„Warum sollte ich?“ Loki zuckte desinteressiert mit den Schultern.

„Ich schwöre“, Sean hob eine Hand und legte die andere auf seine Brust, „dass der Tesseract im Baumhaus war, als ich ihn zuletzt gesehen habe. Indianerehrenwort.“

„Ein Tier könnte ihn mitgenommen haben“, warf Don ein, „Vielleicht ist er über den Zaun zu unseren Nachbarn gefallen. Wir schauen morgen bei Tageslicht noch einmal.“

„Bedeutet das, dass ich bleibe?“, fragte Loki direkt an Don gewandt. Frechheit siegte.

Don konnte fühlen, wie seine Wangen heiß wurden. Er hoffte, nicht allzu rot geworden zu sein. Er hatte nicht einmal Wein als Ausrede. „Sicher. Wenn du magst.“ Er machte eine unbestimmte Handgeste und schwenkte den Kopf, weil er ahnte, wie sich das anhörte. „Im Büro steht ein Schlafsofa. Ich kann dir natürlich auch ein Taxi rufen. Wenn du in dein Hotel oder so möchtest.“

„Nicht nötig. Schlafsofa hört sich annehmbar an.“ Loki schenkte ihm ein harmloses, süßes Lächeln.

~~~

Später nach dem Essen, nachdem Don die Kinder zum Schlafen nach oben gebracht hatte, saßen sie zusammen auf der großen Couch vor dem Fernseher. Loki hatte seinen Mantel über die Ecke drapiert. Ohne die breiten Schultern des Mantels, der wie eine Rüstung daher kam, wirkte er deutlich schmaler.

Loki hatte ein Bein angezogen und das andere darüber geschlagen. Er trank vom Wein, den Don ihm gegeben hatte.

„Die Jungs sind bestimmt noch am Handy. Keiner hört auf mich“, meinte Don mäßig verärgert. „Egal, morgen ist Wochenende. Den Wein habe ich mir verdient.“ Loki hatte ihn um Honigwein gebeten und das war das, womit Don ihm dienen konnte.

„Ich hatte Besseres, aber unter diesen Umständen...“, konstatierte Loki nach einem Schluck, mit dem er mehr als die Hälfte des Glases leerte.

„Ich bin kein großer Weinkenner.“

Don redete weiter, aber Loki hörte nicht mehr zu. Er hing seinen Gedanken nach.

Seine Stippvisite in Cleveland fühlte sich nach einer Verschnaufpause von seiner Strafe in den asgardischen Verliesen an. Nach dem Adrenalinrausch in New York spürte Loki die Erschöpfung durchkommen. Ohne seine Magie war er kastriert und domestiziert. Die Handschellen, die ihm seine Kräfte entzogen, waren ein Geniestreich, das musste man Odin lassen. Wem außer dem Allvater wäre sonst diese Art Züchtigung zuzutrauen?

Das Schicksal hatte ihm den Tesseract vor die Füße geworfen, um ihn das Relikt nun wieder aus den Händen zu reißen. Loki lauerte darauf, eingefangen und nach Asgard verschifft zu werden. Er freute sich sogar auf das Gefängnis. Endlich wieder Asgard. Und seine Mutter. Stiefmutter.

Loki mochte von Geburt an ein Frostriese sein, aber von der Kultur her war ein Aesir.

Eventuell erwartete ihn die Todesstrafe. Bei Odin war alles möglich. Wie viele Menschen waren in New York durch seine Hand gestorben? Wie viel Zerstörung hatte er über die Großstadt gebracht? Loki wollte nicht darüber nachdenken.

Vielleicht sollte sein Selbstmordversuch endlich gelingen. Suizid durch den Allvater.

„Hey, hörst du mir zu?“, fragte Don. Er beugte sich zu Loki und berührte ihn am Arm. Dieser zuckte zusammen und Don zog seine Hand zurück.

„Was?“ Loki blinzelte verwirrt.

„Wer bist du wirklich?“, rätselte Don laut und sah ihn fragend an.

Loki lehnte sich zurück und gab ihm ein schmales Lächeln. „Ein Hochstapler.“

„Langer Tag?“ Don bot ihm einen Ausweg, eine Ausrede. Er dachte an seinen Tag. Der Tag war lang, der Monat war lang – das ganze Jahr. Sah die Welt morgen anders auf, wenn er aufwachte? Seine Ex war damals wie ein Wirbelwind in sein Leben getreten, und wenn man es recht betrachtete, genauso gegangen. Don fühlte sich schuldig, weil die Kinder ihre Mutter vermissten. Aber er seine Frau vermisste nicht.

Loki hatte durchdringende grüne Augen, hohe Wangenknochen und eine schmale Nase, die ihm ein elegantes, aristokratisches Aussehen verliehen. Er war gutaussehend, nicht nur in den Augen vieler Frauen. Don spürte eine Anziehung, die er lange nicht gefühlt hatte.

Loki war intensiv und entnervend, aber auch charmant. Don wusste nicht, was er von diesem fremden Mann halten sollten. Es war reichlich naiv, einen Unbekannten mit noch unbekannteren Fähigkeiten in sein Haus einzuladen. Er hasste es, dass Loki seine Kinder benutzt hatte. Sein Rettungsaktion bei Kevin hatte Don milde gestimmt.

Am nervösesten machte ihn jedoch die Vorstellung, wie Loki seinen Schnurrbart berührt hatte.

„Der längste Tag“, antwortete Loki schließlich versonnen.

Chapter 3: Nackt

Chapter Text

Der Wein hatte Don wider Erwarten gut ein- und durchschlafen lassen. Er hatte gar keine Chance gehabt, richtig über Loki nachzudenken. Sie hatten sich angenehm unterhalten, bis Loki sich geistig ausgeklinkt hatte. Am Morgen war Don zur gewohnten Zeit aufgewacht, drehte sich jedoch noch einmal um und schlief weiter.

Als er schließlich in die Küche kam, spielte sein Jüngster mit Transformer-Figuren auf der Couch, während im Fernseher eine Animationsserie lief, die kaum Beachtung fand. Don begrüßte seinen Sohn und bekam einen knappen Gruß zurück, ohne dass Kevin den Blick von seinem Spielzeug hob.

Die marineblaue Cargohose mit Kordelzug, das graue, langärmelige Shirt und die Turnschuhe waren sein typisches Samstag-Morgen-Outfit. Don fragte sich, ob er zu casual angezogen war, um seinem attraktiven, durchgeknallten Magier gegenüber zu treten. Er überlegte, sich etwas anderes anzuziehen, andererseits hatte Loki ihn schon in seiner langweiligen Piranha Powersports-Garderobe gesehen. Don beließ es dabei und strich sich einmal stolz über den adretten Schnurrbart.

Loki saß in seinem – Dons – türkisfarbenen Bademantel auf dem Sofa und unterhielt sich mit Kevin, als Don mit einer großen Brötchentüte vom Bäcker zurück war. Sein Styling hatte die Nacht nicht überstanden. Seine schwarzen Haare waren völlig aus der Form geraten, um nicht zu sagen natürlich ungekämmt. Die Anziehung, die Don spürte, war plötzlich wieder gegenwärtig.

„Guten Morgen Loki“, sagte Don möglichst freundlich und wertfrei.

„Einen wunderschönen guten Morgen“, flötete Loki. Er stand auf und kam zu ihm. Die zerzausten, langen Locken ließen ihn wie einen Rockstar aussehen. Unter dem offenen Bademantel, der ihm bis zu den Knien ging, trug er einen schwarzen, seidigen Pyjama. Leger war und würde sein Look niemals sein.

„Dein Sohn möchte ein Transformer sein. Ich kann ihm dabei helfen.“ Loki grinste maliziös.

„Untersteh dich!“, warnte Don, „Morgen will er ein Ninja Turtle und übermorgen Spiderman sein.“

„Früh übt sich, wer ein Hexenmeister werden will. Fantasie hat er genügend.“

„Zu viel…“, murmelte Don und ließ Loki stehen, um die Brötchen auf den Esstisch zu legen. Er war froh, dass seine Mutter auf einem Wochenendtrip war. Es war unvernünftig, diesen verrückten Fremden hier übernachten zu lassen. Absolut unvernünftig. „Ich hoffe, du hast gut geschlafen.“

„Angenehm wäre nicht das Wort, das ich wählen würde. Dieses Schlafsofa ist alles andere als komfortabel.“ Loki wollte nicht glücklich klingen. Er hatte lange nicht mehr in einem richtigen Bett geschlafen, das den Namen auch verdiente, seit er sich vom Biforst gestürzt hatte. Gegen jede Vernunft fühlte sich Loki sicher.

Er wusste, dass er für seine Maßstäbe desolat aussah, aber die letzte Energie benötigte er, um seine äußere Form aufrecht zu erhalten und die Handschellen nicht wahrnehmbar zu machen. Zumindest ein bisschen letzte Würde wollte er sich bewahren. Und vielleicht hatte er seine Haare aufgrund von Dons Kommentar gestern so gelassen. Komplimente waren etwas Wunderbares.

„Hast du die Erbse gefunden?“, neckte Don amüsiert.

„Erbse?“

„Nur ein Sensibelchen wie eine Prinzessin – oder offensichtlich auch ein Prinz – findet die Erbse unter Lagen von Matratzen“, zog Don ihn auf.

„Sensibelchen? Ich verbiete mir das. Ich bin der Gott des Schabernacks! Der List! Ich habe Dinge gesehen und getan, die du dir in deinen kühnsten Träumen nicht vorstellen kannst.“

Don lächelte verschmitzt. Sein Lächeln sagte: Du kannst mir viel erzählen.

„Ich verstehe, du verspottest meine Herkunft, mein Blut.“ Loki sah ihn unterkühlt an.

Don hob beschwichtigend die Hände. „Ich meinte nur, dass du sehr aristokratisch wirkst. Sensibel und aristokratisch.“ Doch eine echte Prinzessin, dachte er bei sich. Loki war schnell eingeschnappt. Er schien irgendwo zwischen Arschloch und verletztem Kind zu wandern, wenn er nicht gerade seine Intelligenz und seinen Charme spielen ließ. Dons Faszination für Loki ließ ihn großzügig über seine negativen Eigenschaften hinwegsehen.

Er erkundigte sich nach Lokis Frühstücksgewohnheiten. Da der Trickster sich wenig mit menschlichen Essen auskannte, stimmte er Dons Vorschlägen zu. Kevin holte seinen älteren Bruder, der am Wochenende länger schlief, zum Frühstück, sodass sie sich schließlich zu viert über Dons reichhaltiges Mahl hermachen konnten. Don hatte alles aufgefahren, was sein Kühlschrank hergab. Er hatte sogar Eier gekocht. Von süß bis herzhaft gab es alles an Belag für die Brötchen.

Loki bediente sich als erstes an seinem Kaffee. Mit Genuss nahm er einen großen Schluck, bevor Don ihm die Milch hatte geben können.

„Der Kalkgehalt unseres Wassers ist sehr niedrig. Wir haben einen Wasserfilter. Das macht selbst den günstigsten Kaffee genießbar“, brabbelte Don vor sich.

Von den Brötchen war Loki weniger angetan, bezeichnete sie als primitiv und erbärmlich.

„So schlecht ist unser Bäcker nun auch wieder nicht“, erwiderte Don beleidigt, „Mit was startet die Tafelrunde des Prinzen denn in den Tag?“

„Selbstredend essen wir Brot. Das, was ihr habt, kann nur ein Lehrling am ersten Tag verbrochen haben.“ Loki machte sich stattdessen über die Eier und den Schinken her.

„Wir sind nicht unbedingt bekannt für unser Brot… Frankreich wäre eine bessere Adresse für einen Gott gewesen“ meinte Don einen Hauch verstimmt, „Aber du bist nicht der einzige wählerische Esser am Tisch. Frag mal Sean und Kevin.“

„Danke, Dad“, meinte Sean sarkastisch.

Kevin hatte sein Brötchen mit Butter und Leberwurst bestrichen. Mit vollem Mund, halb kauend fragte er: „Was machen wir heute?“

Don schaute zu Loki, dann zurück zu Kevin. „Das hängt davon ab, was unser Gast vorhat. Loki, was ist dein schelmischer Plan für heute?“

Loki hatte den Kopf in den Nacken gelegt und senkte ein dünnes Stück Schinken in seinen Mund. Er kaute genüsslich, während er seinen Gastgeber mit durchdringenden Augen ansah. „Wir werden den Tesseract finden. Das ist der einzige Grund, warum ich hier bin. Ich werde keine Zeit verschwenden.“

Don seufzte und nickte langsam. „Gut. Wir haben gestern nicht viel ausrichten können, aber wir werden unser Bestes tun, um dir zu helfen.“

„Loki, kannst du uns noch mehr Zaubertricks zeigen?“, fragte Kevin dazwischen, „Oder Messerwerfen?“

Sean stimmte mit ein. Er grinste Loki herausfordernd an. „Ja, zeig uns etwas, dass uns wirklich umhaut!“

Loki sah den Ältesten mit einem koketten, kleinen Lächeln auf den Lippen an. Wenn er nicht bereits am Limit seiner magischen Reserven wäre, hätte er ihm eine zauberhafte Lektion erteilt. „Mein Seiðr ist kein Kurzweil für Balgen. Es ist eine komplexe Kunst, die nicht leichtfertig jedermann zu Gesicht bekommt.“

„Ach komm schon, Loki. Es schadet nicht, ein bisschen Spaß zu haben.“ Don schmunzelte provokant. Wie der Sohn, so der Vater.

„Ja, Loki, bitte!“, bettelte Kevin mit vollem Mund.

Sean rollte die Augen. „Kevin, iss mit geschlossenem Mund, du bist so peinlich.“

Loki schüttelte leicht den Kopf, fühlte sich unerwartet wohl, versuchte aber, es nicht zu zeigen. Das gemeinsame Essen hatte etwas sehr Vertrautes, was er vermisst hatte. „Nun gut, wenn es euch zum Schweigen bringt.“ Plötzlich erscheinen kleine, leuchtende Schmetterlinge, die um den Tisch flatterten.

Kevin klatschte vor Begeisterung in die Hände und versuchte einen Schmetterling zu fangen. „Wow“

„Nicht schlecht, für jemanden, der behauptet, keine Unterhaltung zu bieten.“ Sean versuchte, cool zu bleiben, dennoch schlich sich ein Lächeln auf sein Gesicht.

„Sei vorsichtig, Junge. Es gibt Grenzen, wie weit du mich provozieren kannst“, warnte ihn Loki.

Don lachte. Er genoss den Moment der Unbeschwertheit. „Schon gut, Loki. Sie sind nur Kinder. Und ehrlich gesagt, es ist schön, sie fröhlich zu sehen.“

Die Schmetterlinge verschwanden, wie sie gekommen waren. Das Frühstück verlief weiter beschwingt. Kevin und Sean bombardierten Loki mit Fragen über seine Fähigkeiten und Abenteuer. Kevin wollte allerlei über Fabelwesen und Mythen hören. Loki tischte ihnen die wildesten Geschichten auf.

Loki fühlte sich fast wie ein Teil der Familie, während Don sich bemühte, den merkwürdigen Gast zu verstehen und die Balance zwischen Freundlichkeit und Vorsicht zu wahren. Die bevorstehende Suche nach dem Tesseract lag wie ein Schatten über ihnen, aber für diesen Moment genossen sie einfach nur ein gemeinsames Frühstück zusammen.

Don musste die Kinder zwingen, ihm beim Abdecken des Tisches zu helfen. Gnädig entließ er sie voreilig. Von der Suche nach dem magischen Relikt schloss er sie aus. Es war sicherer, sollte Loki die Nerven verlieren. Kaum hatte er sich ihm wieder zugewendet, war Loki wieder in dem gleichen Outfit von gestern angezogen. Das weiche Leder stand ihm sehr gut. Der Mantel machte seine Schultern breiter. Die grün-goldenen Akzente brachte seine Augen zum Strahlen. Seine Haare waren frisiert, die Locken gezähmt, aber nicht übertrieben spitz. Loki wusste sich zu kleiden. Die Attitüde eines Prinzen hatte er in jedem Fall.

Don wusste immer noch nicht, was er von der ganzen Magie-Sache halten sollte. Das war alles zu fantastisch für seine Welt.

Draußen war der Rasen vom Tau feucht. Die Sonne versprach einen schönen Tag. Auf der Terrasse waren die Spuren von Kevins Zündelei zu sehen.

Loki erinnerte sich an seine eigene Faszination für Feuer. „Auf Asgard gibt es überall Kamine. Als kleines Kind war ich entzückt vom Feuer. Ich wollte es anfassen und damit spielen. Mein Vater… Odin hat gemerkt, dass ich die Flammen berühren wollte. Er hat mir eine Kerze angezündet und eine Schale mit Wasser hingestellt und gefragt, ob die für den Anfang reiche. Ich durfte in die Kerze hineingreifen. Was ich auch getan habe. Mir war augenblicklich gewahr, warum ich nicht mit den Kaminfeuer spielen sollte.“

„Weise Entscheidung“, stimmte Don zu. Er bohrte lieber nicht nach, als Loki ein positives Bild von seinem Vater malte, hatte Don doch eher einen gegenteiligen Eindruck aus seinen Worten gewonnen. Don konnte als Vater die Weisheit von Lokis Vater sehen. Doch auch das behielt er lieber für sich.

„Das könnte bei Kevin funktionieren“, sagte Loki.

„Hast du auch heiße Tipps für pubertierende Kinder?“, fragte Don spaßeshalber nach. „Du warst als Teenager bestimmt... herzallerliebst.“ Er schenkte ihm ein unschuldiges Lächeln, was Loki mit einem empörten Blick quittierte.

„Es ist schwer, mein eigenes Vorbild zu sein“, erwiderte Loki eloquent, „Aber irgendwie schaffe ich das mit einer Anmut und Reife, von der ich nur träumen kann.“

Don versuchte sein Schmunzeln zu verbergen. Der Unbekannte war eine Marke für sich. „Eigenes Vorbild…“, wiederholte er murmelnd. Obwohl Lokis Antwort größenwahnsinnig war, fand er doch das Körnchen Wahrheit für sich. Ja, warum sollte man nicht sein eigenes Vorbild sein?

Loki schritt energisch in die Mitte des Gartens und durchmaß suchenden Blickes.

„Warum mein Bademantel?“, wollte Don wissen. Wenn er ihn das nächste Mal überzog, würde er garantiert an ihn denken müssen. Wie Loki ihn getragen hatte.

„Warum der Schnurrbart?“, schoss Loki zurück, „Die Schenkelbürste strahlt ein gewisse Exzentrik aus. Nicht jeder Mann ist gerne unorthodox. Du erscheinst ein lässiger, fast sanftmütiger Mensch ohne übergroße Emotionen zu sein.“

„Drama Queen wäre nicht mein Stil.“ Don spielte auf Lokis Haltung an. „Aber ich stehe zu meinem Geschmack.“

„Ich muss gestehen, die Bürste gefällt mir.“ Loki warf ihm einen neckischen Blick zu.

„Ähm… danke.“ Don fehlten die Worte. Er ließ sich zurückfallen, als Loki um dem Stamm unter dem Baumhaus herumging und alles inspizierte. Die unüberwindbare Bretterwand seitlich des Baumhauses verdeckte die Sicht auf das Nachbargrundstück. Don schlug vor, zu den Nachbarn hinüberzugehen, um nachzusehen, ob der Tesseract dort gelandet war.

Loki ließ sich von Don nicht beirren. Er kletterte das Baumhaus hinauf und suchte das Innere erneut ab. Zwar war das Licht besser als gestern Abend, aber trotzdem wurde er nicht fündig. Loki seufzte leise. Er lehnte sich aus allen Fenstern, ob der Tesseract womöglich außen irgendwo versteckt oder hinunter gefallen war. Nichts.

Mutlos sackte Loki in sich zusammen, lehnte gegen eine Holzwand und ließ sich daran niedersinken, bis er mit ausgestreckten Beinen am Boden des Baumhauses saß. Er hatte keine Energie mehr, die Handschellen zu maskieren. Resigniert blickte Loki auf seine Hände in seinem Schoß, als diese sich langsam blau färbten.

Er hatte nicht einmal mehr die Kraft, seine Aesir-Form zu wahren.

Unweigerlich zeigte sein Körper die blaue Haut des Eisriesens, der er von Geburt an war.

~~~

Don war schon fast beim Nachbarn, als er das dringende Rufen seines Sohnes Sean hörte. Er kehrte augenblicklich um und eilte zu ihm. „Was ist los? Ist etwas mit Kevin?“, fragte Don besorgt.

Sean schüttelte den Kopf. „Kevin ist okay. Wo ist Loki?“

„Im Baumhaus.“

Sean schaute argwöhnisch hinüber. Loki war nirgends zu sehen. „Du musst das sehen, Dad.“ Sean hielt ihm sein Handy vor die Nase und startete das Video. Es zeigte fremdartige Flugobjekte zwischen Hochhäusern, während in den Häuserschluchten Menschen flohen. Ein Nachrichtensprecher kommentierte die wackligen Handykamerabilder. Offensichtlich hatte eine Schlacht in New York stattgefunden. Ein paar Schnitte später war Loki in Handfesseln zu sehen, wie er von einer Gruppe Sicherheitskräften durch das gläserne Erdgeschoss des Stark Industries Tower geführt wurde.

„Schau mal, ist das nicht Loki?“, fragte Sean.

„Was hat das zu bedeuten?“ Don runzelte die Stirn.

„Die sagen, er ist ein Terrorist“, sagte Sean.

„Nein…“, widersprach Don spontan. Er fuhr sich durch die ergrauten Haare. „Ich meine… er ist dramatisch und verrückt, aber nicht…“ Don fasste sich unwillkürlich an den Mund. Die Bilder sprachen eine andere Sprache. New York hatte sich im Ausnahmezustand befunden.

Die Berichterstattung endete mit einem Statement von Tony Stark auf einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz, auf der Loki zu seinem Plan, jeden anzupissen, gratulierte. In seiner typisch humorvollen Art gab er sich nonchalant über seinen Fast-Tod und die Rettung der Großstadt, nicht ohne die Avenger erwähnen. Etwas zerknirscht beichtete Tony knapp die Flucht von Loki und nannte ihn einen Mörder und Kriegsverbrecher. Zum Schluss gedachte er Phil Coulson mit Bitternis und Trauer.

„Er ist es“, wiederholte Sean beharrlich, dennoch war Unglauben in seiner Stimme zu hören. Sie hatten den Gott ganz anders erlebt. „Loki hat eine Großstadt in Angst und Schrecken versetzt.“

Don antwortete darauf nicht. Er hielt eigentlich viel auf seine Menschenkenntnis, aber bei Loki schien sie versagt zu haben. „Ich kann es immer noch nicht glauben. Ich rufe im Stark Tower an. Oder bei Stark Industries. Die werden schon wissen, was zu tun ist.“ Don schaute zum Baumhaus hinüber, Sean folgte seinem Blick. Als Don ins Haus ging, kam sein Sohn mit.

„Denkst du, er ist ein Außerirdischer?“

„Vermutlich. Möglich. Ich weiß nicht.“ Loki hätte sie alle töten können, wenn er wollte, dachte Don bei sich.

Auf dem Handy war das nächste Video gestartet. Wieder war Tony Stark auf seiner Pressekonferenz zu sehen und zu hören.

„Arroganter Kerl, dieser Stark“, kommentierte Don. Er hielt nicht viel von Tony Stark.

Don holte sein Mobiltelefon und suchte eine passende Telefonnummer. Die Verbindung zu einer so großen Firma herzustellen, war schwieriger als gedacht. Mehrere Versuche und lange Wartezeiten später gab er frustriert auf. „Hat der Idiot sein Callcenter nach Indien outgesourct, oder was? Natürlich komme ich nicht durch. Jeder Pressefritze dieser Welt versucht irgendein Statement zu bekommen.“

Sean sah zu seinem Vater: „Was machen wir?“ Er hatte versucht, im Internet weitere Informationen zu finden, was gestern in der Großstadt passiert und wer Loki genau war.

„Mmmh“, machte Don. Er las sich durch, was sein Sohn gefunden hatte. „Ich denke, ich rede mit ihm.“ Loki hatte bei ihnen übernachtet. Er hatte auf ihn gewirkt wie ein Nichtstuer, ein Aussteiger. Eine Art moderner Hippie. Ein Freigeist. Plötzlich musste Don an seine Ex denken. Loki war ihr in gewisser Weise ähnlich. Er hatte dieses warme Gefühl im Bauch lange nicht mehr gespürt. Don fürchtete, dass es seinen Verstand vernebelte, aber er vertraute auf seinen Instinkt.

„Ich rede mit ihm.“ Don war entschlossen, die Wahrheit herauszufinden.

Am Baumhaus stehend rief Don nach oben: „Loki?“ Schließlich kletterte er hinauf, als er keine Antwort bekam.

Loki saß am Boden, den Kopf in die Hände gestützt, die Handfesseln wieder sichtbar. Sein rabenschwarzes Haar verdeckte das Gesicht. Don sah ihn zweifelnd an, als er die blaugraue Hand sah. Lokis Kleidung hatte seine besten Tage hinter sich.

Loki dachte kurz daran, Don die Leiter hinunter zu stoßen oder ihn zu erstechen. Loki war ein großer Freund von Dolchen. Auch ohne magische Kräfte war er ein exzellenter Krieger mit einem fast ballettartigen Kampfstil. Er war schnell, effizient und tödlich.

Dass Don, dieser einfache, schwache Mensch ihn in seiner wahren Erscheinung sah, war Grund genug, ihn zu töten. Loki war besessen von seiner Selbstdarstellung. Sein Aussehen und seine Kleidung waren ein großer Teil davon.

Und trotzdem tat er es nicht. Loki hatte seinen Tiefpunkt erreicht.

„Was willst du, Don? Ich bin beschäftigt“, kam es mürrisch von Loki.

„Das sehe ich“, antwortete Don beißend und krabbelte nach oben, um sich ebenfalls auf die Plattform zu setzen.

Loki seufzte. „Ich habe alles durchsucht…“ Seine Stimme war müde. Er wirkte entmutigt.

„Was ist passiert… mit deiner Haut?“

„Ausschlag…“

„Okay…“ Don zögerte. „Ich habe die Nachrichten gesehen“, begann er vorsichtig und beobachtete seine Reaktionen lauernd, „Die Schlacht von New York.“

„Ahhhh“, machte Loki scharf, „Ich erinnere mich. Ich war so wütend auf meinen Vater und meinen Bruder, dass ich auf die Erde kam und ganz New York City mit einer Alien-Armee in Geiselhaft nahm.“ Er lachte zynisch. „Ich habe versucht, Starks Gedanken zu kontrollieren. Es hat nicht geklappt, also habe ich ihn durchs Fenster geworfen.“

„Scheint nicht geklappt zu haben.“

Als Loki auf- und direkt Don ansah, zuckte dieser zusammen. Rote, eingefallene Augen starrten ihm entgegen. Seine Unterlippe war aufgesprungen. Seine Haut war blau wie seine Hände. Seine Gesicht war verziert mit dünnen Linien. Wie die Musterung eines Tieres.

„Ich hätte stattdessen den Drink nehmen sollen.“ Loki ächzte.

„Ist das ein… Trick?“, fragte Don verunsichert.

„Oh, das?“ Loki deutete vom Gesicht an seinem Körper hinab. „Ich bin ein Eisriese. Adoptiert. Meine Magie ist aufgebraucht. Mein Glamour ist dahin.“

Allmählich ging Don ein Licht auf, dass Loki vielleicht doch nicht nur dahergeredet hatte, als er meinte, er sei ein Gott. Zumindest war er kein Mensch, soviel stand fest.

„Frostriese…“, wiederholte Don. Sein Herz schlug nervös in seiner Brust, doch seine Neugierde überwog.

„Eine Beleidigung fürs Auge, nicht wahr?“

„Ich wollte sagen klein… für einen Riesen.“ Don zuckte entschuldigend mit den Schultern. Die Hautfarbe war gewöhnungsbedürftig, aber eigentlich hatte er sich wenig verändert. Wenn Loki hässlich wäre, hätte Don weniger Probleme. Er hatte sich immer gefragt, wie es zum Stockholm-Syndrom kommen konnte. Er fühlte Sympathie für diesen Teufel. Mehr als das. Aber er musste sich zusammenreißen. „Was machen Eisriesen mit ihrer Alien-Armee in New York?“

„Chitauri. Die Rasse heißt Chitauri“, gestand Loki freimütig, „Er hat mir Midgard – die Erde – versprochen, wenn ich sie erobere und ihm den Tesseract gebe.“

„Wer ist er? Du wolltest die Erde regieren?“ Don machte große Augen. „Du hast viele Menschen getötet! War es dir einfach egal?“

Loki funkelte ihn gefährlich an. Mit seinen roten Augen hatte er etwas Bedrohliches. „Ich bin mir der Konsequenzen meines Handelns sehr wohl bewusst.“ Wie einfach es war, sich selbst zu belügen.

Dons Stimme krächzte vor Wut: „Das waren unschuldige Menschen. Du hast Angst und Chaos verbreitet. Warum?“

Loki blickte Don direkt in die Augen. „Macht, Kontrolle, Herrschaft. Die Menschen sind chaotisch und brauchen Führung.“

„Und dafür bist du genau der Richtige...“ Don schüttelte den Kopf. „Glaubst du wirklich, du bist im Recht, so etwas zu tun? Das sind keine Führungsmethoden, das ist Terror.“

„Ich bin ein Gott“, knurrte Loki leise. „Mit der Nase, Don, hast du sicher keine Rangelei ausgelassen!“

„Was soll das bedeuten?“

„Mit Kräften, mit Macht… mit dem Tesseract in deinen Händen... was würdest du tun, Don?“, fragte Loki frech.

„Sicher niemanden einfach töten!“, empörte sich Don. Er appellierte an sein Gewissen: „Loki, hast du jemals darüber nachgedacht, was passiert wäre, wenn meine Kinder zufällig in New York gewesen wären, während du die Erde mit Außerirdischen bedroht hast? Hast du daran gedacht, wie deine Mutter über das Unrecht denken würde, das du auf der Erde verursacht hast?“

Loki schnaubte. Er weigerte sich, darauf einzugehen. „Wage es nicht!“, zischte er. Frigga ins Spiel zu bringen, war ein geschickter Schachzug.

Don begegnete ihm mit festem Blick. „Ich glaube nicht, dass deine Mutter das gewollt hätte.“

Lokis Kiefermuskeln waren angespannt. Er ließ Don nicht aus den Augen. Nein, seine Mutter hätte seine Attacke beileibe nicht befürwortet. Loki atmete sichtbar Luft ein. Sein Brustraum füllte sich mit Luft, ehe er sie wieder ausatmete und seine Schultern zusammensackten. Seine Stimme klang resigniert. „Ich... ich wollte... Ich wollte die Kontrolle haben.“ Dies kam der Wahrheit gefährlich nahe. „Ohne den Tesseract bin ich nichts.“

Don erwiderte weicher, aber bestimmt: „Loki, du kannst nicht einfach über das Leben anderer herrschen, um dich selbst zu beweisen. Es gibt andere Wege, sich zu beweisen, ohne Tod und Zerstörung zu säen.“

Loki starrte ins Leere. „Sie werden mich bald holen.“

„Wer?“

Loki machte eine lapidare Handbewegung. „Die Avengers. Stark und die anderen Witzbolde. Der Hulk. Mein Bruder.“

„Vielleicht ist es an der Zeit, etwas anderes zu versuchen“, sagte Don mitfühlend. „Wir gehen jetzt zurück ins Haus.“

~~~

Loki humpelte zurück ins Haus. Die Handschellen klirrten beim Gehen. Die blaugraue Hautfarbe und die roten Augen schockierten und verblüfften Don. Die Resignation war deutlich in seinen Augen abzulesen. Loki wirkte entmutigt, als hätte er kapituliert. Don hatte Mitleid mit ihm.

Er wusste nicht, dass Loki seinen Verschleierungszauber aufgehoben hatte.

Sean zog nonverbal fragend die Augenbrauen hoch, als Don mit ihm im Schlepptau ins Wohnzimmer kam. Sein Vater winkte nur ab und bedeutete ihm, dass alles in Ordnung war. „Loki ist ein Frostriese, kein Feuerriese“, erklärte Don Lokis Aussehen.

„Ein Monster, von dem Eltern ihren Kindern nachts erzählen“, fügte Loki hinzu. Er setzte sich schwer auf das Sofa und ließ sich in die Kissen sinken.

„Okay…“ Mit diesen Worten verschwand Sean.

„Ich denke, es ist Zeit für einen Wein. Was meinst du?“

„Ja, ein Glas Wein wäre... schön.“

Don ging direkt in die Küche. Er hätte die Flasche für die Zubereitung zum Mittagessen eh geöffnet, sagte er sich. Er holte eine Flasche Rotwein und zwei Gläser. Er füllte die Gläser und reichte eines Loki, der es annahm. Don setzte sich auf das andere Sofa. Sie saßen eine Weile schweigend da und tranken.

Don entspannte ein wenig und streckte seine Füße aus. Versehentlich berührte er dabei Lokis ausgestreckten Beine. Im ersten Moment wollte Don seine Füße zurückziehen, aber er ließ dort. Don schallte sich als hirnverbrannt, mit einem Terroristen flirten zu wollen. Die vorsichtige Fußberührung war schon zu viel. Zu verrückt.

Don rutschte ein wenig höher im Sofa, damit sich ihre Füße nicht mehr berührten. Der Wein schmeckte gut, tat gut.

Er räusperte sich, fand seine Stimme. „Weißt du, du bist nicht der Erste, der Fehler gemacht hat. Jeder von uns hat Dinge getan, auf die wir nicht stolz sind.“

„Fehler…“ Loki sah tief in sein Glas.

„Ich glaube nicht, dass du nicht einfach nur böse bist.“

Loki schwieg einen Moment und sagte dann leise: „Das ist mehr, als die meisten mir zugestehen würden.“

„Nachdem Catherine gegangen ist...“, begann Don langsam und zögerlich, „Als sie abgehauen ist, hat Sean mir Vorwürfe gemacht, dass ich sie nicht genug geliebt habe. Er hat mir die Schuld gegeben. Das hat mich sehr getroffen. Ich habe mir selbst die Schuld gegeben.“

Loki lauschte aufmerksam, seine eigenen Probleme für einen Moment vergessen. Er sah, wie schwer es Don fiel, darüber zu sprechen.

„Wir hatten schon eine Weile unsere Probleme. Ich dachte, wir könnten sie überwinden, aber sie hat anders entschieden.“

„Manchmal sehen andere Menschen die Dinge anders, als wir es tun. Es ist schwer, mit solchen Verlusten umzugehen.“

Überrascht sah Don zu Loki. Seine verständnisvollen Worte erstaunten ihn. „Sean war wütend, enttäuscht. Kevin... er war zu jung, um alles zu verstehen, aber er spürt es trotzdem. Die Leere, die sie hinterlassen hat.“

Loki nickte. „Familie kann sowohl eine Quelle großer Stärke als auch tiefer Wunden sein.“

Don dachte an Lokis Kommentar mit Monstern. Er mochte sich gar nicht vorstellen, wie es sein musste, von einer andere Rasse adoptiert zu werden. Das Konfliktpotential war immens.

„Meine Jungs mögen dich. Auch wenn du dich wie ein verzogener Prinz benimmst.“ Don lächelte leicht.

Loki ließ ein kleines, trauriges Lächeln aufblitzen. „Sie erinnern mich an mich selbst. An die Zeit, bevor alles kompliziert wurde.“ Es tat gut, mit Don zu reden. Er brauchte einen Freund, der ihm zuhörte und ihn verstand. Loki hatte gehofft, dass dieser Freund sein Bruder sein könnte, doch seine Familie hatte ihn verurteilt, ihm die Wahrheit über seine Herkunft vorenthalten.

In diesem Moment stürmte Kevin in das Wohnzimmer, mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht.

„Was macht ihr hier so ernst? Loki!“ Kevin bremste abrupt, als den veränderten Loki sah. „Sind das Kontaktlinsen? Boah!“ Der Junge klang alles andere als verängstigt.

„Ich habe ihm gesagt, der Feuerriese war beeindruckender, aber Loki meint, ein Eisriese ist sein Ding“, erklärte Don humorvoll.

„Was können Eisriesen?“, fragte Kevin interessiert. Er hüpfte neben seinen Vater aufs Sofa.

„Sieh her.“ Loki hielt sein Weinglas hoch. Langsam krochen Eiskristalle über den Glaskörper, bis das Glas völlig vereist war.

„Wow.“ Kevin war hin und weg.

Don blickte Loki fragend an. „Ich dachte, deine Kräfte wären aufgezehrt?“

„Das ist meine Natur. Eisriesen können alles vereisen und Eis aus der Feuchtigkeit in der Luft erzeugen“, erklärte Loki. Er sah Don in die Augen.

„Was können sie noch?“ Don hielt seinem Blick stand.

Loki sah weg. „Sie haben den Ruf, brutal, primitiv und widerspenstig zu sein. Ihr Reich ist unfruchtbares Ödland. Sie sind sehr gerissene Kämpfer und hatten großen Respekt vor roher Kraft und Kampfkraft. Die Aesir und die Jotun, wie sie sich nennen, sind Feinde, auch wenn Frieden herrscht. Die Eisriesen sind Monster, die die Kinder von Asgard fürchten und verachten.“

„Schrecklich…“

„Odin ist ein König, bevor er ein Vater ist. Immer. Er hat mich damals, während des Krieges als Baby mitgenommen. Angeblich allein. Zum Sterben zurückgelassen. Ich sollte als König, als installierter Herrscher in Jotunheim regieren.“

„Denkst du?“

„Ich wurde von einem feindlichen Herrscher, der eigene Absichten verfolgte, aus meinem Zuhause entführt. Ich bin kein Adoptivkind. Ich bin eine Trophäe, die in dem Glauben erzogen wurde, ich sei gleichwertig. Mir wurde beigebracht, mein eigenes Volk zu hassen!“ Lokis Stimme brach. Gefühle vom Augenblick der vergifteten Erkenntnis kamen hoch. Es war eine Mischung aus Verwirrung, Wut, Schmerz, Groll, aber auch der Frage, wie man anders hätte sein können, und dem Wunsch, die ganze Wahrheit zu erfahren. Darüber lag der alles erstickende Wunsch nach Vergeltung über jene zu bringen, die ihn verletzt hatten.

Die niederschmetternde Enthüllung hatte ihn zerrissen.

„Jesus…“, murmelte Don. Seine Zieheltern hätte ihm alles erzählen müssen. Aber bei Lokis Persönlichkeit hätte er die Wahrheit vermutlich nicht gut vertragen. Loki im Dunkeln zu lassen war allerdings auch keine Lösung. Irgendwann hatte er es herausfinden müssen – und das hatte ja nur schiefgehen können.

Tränen formten sich in Lokis Augen und rollten über seine Wangen hinab.

„Nicht weinen!“ Kevin krabbelte zu Loki aufs Sofa.

„Stopp!“, rief Loki noch, da umarmten ihn dünne Arme. Erleichtert stellte er fest, dass nicht jeder automatisch bei Berührung mit einem Eisriesen erfror.

Loki sah auf den kleinen Jungen hinab, dessen Umarmung ihm mehr Trost spendete, als er jemals erwartet hätte. Mit seiner freien Hand erwiderte er die Umarmung und schloss die Augen.

Eine neidvolle Bewunderung erfasste Don, wie einfach Kevin ihn trösten konnte. Kinder waren ehrlich. Sie teilten ihre Freude und ihre Wut ungehalten. Manchmal ohne Reue und zu brutal. Wie Sean. Don hatte bisher niemanden erzählt, wie sehr in Seans Worte damals getroffen hatten. Manchmal tat es gut, schmerzliche Wahrheiten zu teilen.

Er nahm Loki das Weinglas ab. Dieser blickte ihn kurz an, bevor die Augenlider wieder schloss und Kevin mit dem anderen Arm umschlang.

Loki seufzte, als fiele eine schwere Last von seinen Schultern. Kevins Zuspruch – trotz seiner fremdartigen äußeren Erscheinung – fühlte sich gut an. Der Junge nahm ihn, wie er war.

War er vielleicht doch kein Monster? Nein, seine Taten von New York waren grausam.

Loki hatte Menschen töten wollen und es getan. Sie standen alle unter ihm. Sie waren nichts für ihn. Er konnte sie alle töten. Sie waren schwach und nicht gewöhnt, es mit stärkeren Spezies’ aufzunehmen.

„Es tut mir leid, Loki“, nuschelte Kevin, bevor er sich löste und ihn ansah. „Wir mögen dich.“

„Danke“, antwortete Loki leise. Er wischte sich die Tränen ab.

Don nahm eine Packung Taschentücher vom Couchtisch und reichte ihm ein Taschentuch.

Der Himmel bedeckte sich zunehmend und versteckte die Sonne. Dunkle Wolken zogen entgegen der Wettervorhersage auf. Don sah besorgt in den Garten. „Unwetter? Das war gar nicht angesagt.“

Ein Schatten huschte über Lokis Gesicht. Er saß plötzlich aufrecht auf dem Sofa und starrte ebenfalls nach draußen. Ein Blitz zuckte durch das düstere Blau und kurz darauf folgte ein tiefes Donnergrollen. Es waren schwere Schritte auf der Terrasse zu hören. Dann stand Thor, Lokis Bruder, in der offenen Terrassentür.

„Loki.“ Thors Stimme war fest und bestimmend. Don und Kevin schauten verdutzt zu dem großen, muskulösen Mann mit beeindruckendem Brustpanzer und schwerem Hammer in der Hand. „Ich hoffe, ich störe nicht, aber mein Bruder und ich haben etwas zu besprechen.“

Loki erhob sich gesenkten Hauptes und schritt seinem Schicksal entgegen. Er sah aus wie jemand, der ins Büro des Direktors musste, um von seiner Mutter abgeholt zu werden. „Du kannst das Monster zum Verlies führen.“

„Loki…“ Thor seufzte. Er musterte seinen Bruder in seiner Jotun-Form. Alles, was Thor wollte, war, dass Loki nach Asgard zurückkehrte, als Teil der königlichen Familie. Trotz aller Drohungen und Täuschungen vergab er Loki immer und hieß ihn mit offenen Armen willkommen. Doch heute musste Thor seinen Bruder in Ketten nach Hause bringen, als Gefangenen für seine Verbrechen. „Du weißt genau, warum ich hier bin. Du hast genug Schaden angerichtet.“

Vom unmittelbaren Donner über dem Haus aufgerüttelt kam Sean ins Wohnzimmer gerannt. „Dad! Hast du gehört? Wer ist das?“

„Darf ich vorstellen: Thor Odinson, mein Adoptivbruder und Thronfolger.“ Loki präsentierte seinen Bruder mit einer eleganten Handbewegung.

„Thor? Wie der Krieger?“, fragte Sean. Er irritiert von Lokis neuem Aussehen, erkannte ihn jedoch augenblicklich wieder.

„Der bin ich.“ Thor lächelte den Jungen freundlich an.

„Hören Sie, wir wissen, dass Loki... Fehler gemacht hat, aber er hat sich hier benommen.“ Don stand auf, um weniger klein gegenüber dem blonden, breitschultrigen Mannsbild zu erscheinen. Er fühlte sich genötigt, eine Fürsprache für Loki zu halten.

„Ich bin überrascht, dass du dich hier... in dieser einfachen Gegend bei diesen wohlwollenden Sterblichen versteckst und sie dich sogar verteidigen“, wunderte sich Thor. Er wandte sich direkt an Don. „Ich verstehe deine Passion für meinen Bruder. Loki ist sehr charmant, sehr unterhaltsam, aber du weißt nicht, was er getan hat. Was er immer wieder tut. Fast 80 Menschen sind in New York gestorben aufgrund seiner Taten.“

Don konnte die Toten nicht entschuldigen.

Loki sah zu Don. „Don, ich... Ich wollte euch nicht in Gefahr bringen.“ Der erwiderte den Blick gütig. Womit hatte er das verdient, fragte sich Loki.

„Er ist nicht so schlimm, wie du meinst…“, murmelte Kevin traurig. „Er kann auch nett sein.“

Thor kniete sich vor Kevin. „Ich verstehe, kleiner Freund. Aber manchmal müssen die, die wir lieben, vor sich selbst gerettet werden.“

Thor stand auf und blickte ernst auf Loki. „Loki, ich wünschte, ich hätte anders erfahren, dass du lebst. Komm mit mir zurück nach Asgard.“

„Ich werde gehen, Thor. Aber nicht, weil du es mir befiehlst, sondern weil ich es will.“ Loki wusste, dass er keine andere Wahl hatte, dennoch wollte er aufrecht zurückkehren.

„Wo ist der Tesseract?“

„Wir wissen es nicht“, erklärte Don.

„Was ist mit dem Tesseract?“, fragte Sean. Für seinen Geschmack waren alle zu sehr auf diesen leuchtenden Würfel fixiert.

„Der Tesseract ist eine mächtige Energiequelle. Ohne ihn können wir nicht zurück nach Asgard. Seit der Bifrost zerstört wurde, können wir nicht mehr zwischen den Reichen reisen.“

„Wie bist du hierher gekommen?“ Sean sah Thor prüfend an. „Warum sollten wir dir vertrauen? Was, wenn du etwas Schlimmes damit machst?“

„Ich verstehe dein Misstrauen“, erwiderte Thor, „Der Allvater hat sich eines sehr mächtigen Zaubers bedient, damit ich nach Midgard reisen konnte. Sehr mächtige und gefährliche Wesen wollen den Tesseract haben. Wenn er hier auf Midgard bleibt, sind die Menschen in Gefahr.“

Sean zögerte einen Moment, dann nickte er langsam. „In Ordnung. Ich werde ihn holen. Er ist im Baumhaus.“ Er lief in den Garten. Draußen war es düster. Blitze und Grollen war zu hören, doch der Regen ließ auf sich warten.

Don fragte sich, ob sie ihn übersehen hatten. Als Sean kurz darauf mit dem Tesseract in der Hand wieder erschien, war er verblüfft. Sein Sohn war cleverer als gedacht. Er grinste triumphal. „Niemand hätte ihn gefunden.“

Loki schnaubte. Er bewunderte den Scharfsinn des Jungen, ihm nicht zu vertrauen.

„Gut gemacht, junger Mann“, lobte Thor, „Du hast eine wichtige Aufgabe erfüllt.“ Mit dem Tesseract in der Hand wäre Loki inzwischen über alle Berge und hätte sich wahrscheinlich auch bald von den Handfesseln befreit.

Don trat näher an Loki heran. „Vielleicht ist es das Beste, Loki. Aber vergiss nicht, dass du hier immer willkommen bist.“

Thor nickte dankend.

Don hatte einen Kloß im Hals. Er wünschte, er könnte ihn wie Kevin einfach umarmen, aber dafür war er zu erwachsen.

„Kevin und Sean.“ Loki schenkte besonders letzterem ein genüssliches Lächeln. „Don.“ Der Abschied ging ihm unter die Haut, mehr als er zugeben wollte.

Thor legte eine Hand auf Lokis Schulter. „Lass uns gehen, Bruder.“

Sie wandten sich zum Gehen. Loki hielt inne, bevor er auf die Terrasse trat. In seinen Augen lag ein Bedauern, gemischt mit Sehnsucht. „Don, bevor ich gehe... lass dir von niemandem etwas sagen. Dein Schnurrbart hat Charakter. Bleib dir treu.“

Don hielt seinem Blick stand. Er lächelte, sichtlich gerührt und auch durcheinander. „Pass auf dich auf.“

Mit einem letzten Blick auf die Familie, die ihm Zuflucht gewährt hatte, trat Loki mit Thor hinaus auf die Terrasse. Ein weiterer Blitz zuckte am Himmel, und im nächsten Moment waren sie mit dem Tesseract verschwunden.

Chapter 4: Zuhause

Chapter Text

„Hast du mich in Stuttgart gesehen? Ich sah grandios aus“, frohlockte Loki. Er erinnerte sich an die Lichter der Laternen, den großartigen Schlossplatz vor der Oper, die ungeteilte Aufmerksamkeit der Massen – und an seinen Auftritt. „Ich war beschwert mit einem glorreichen Helm.“ Loki lachte kehlig.

„Du hast dich nicht versteckt“, grummelte Thor, dem der Ton seines Bruders missfiel.

Auf Asgard geleitete er Loki durch die versteckten Gänge des Palastes. Thor hatte den Tesseract zur Sicherung an Heimdall übergeben. Er kannte natürlich Lokis Geheimnis. Einer mehr. Was hatte der allsehende Wächter gedacht, als Odin ein Bündel des Feindes heimgebracht hatte?

Thor achtete darauf, dass niemand seinen Bruder zu Gesicht bekam, besonders in seinem jetzigen Zustand. Loki, der sich nicht mehr hinter seiner magischen Maske verstecken konnte, erschien in seiner wahren Gestalt als Jotun.

„Und nun schau mich an, wie ich jetzt aussehe!“ Loki wies an sich herab. „Waren die Magie raubenden Fesseln Odins Idee? Wirklich sehr clever, mich damit zu strafen. Er raubt einem auch jedes Vergnügen.“

Thor sah seinen Bruder mit einer Mischung aus Entschlossenheit und Bedauern an. „Es war nicht meine Entscheidung, Loki. Vater... Odin wollte sicherstellen, dass du keinen weiteren Schaden anrichten kannst.“

Loki lachte bitter. „Spar dir dein Mitleid. Als abtrünniger Prinz muss ich selbstredend diszipliniert werden. Ich habe mich gegen den Allvater aufgelehnt. Das kann Odin nicht auf sich sitzen lassen.“

Thor seufzte tief und führte Loki in das Verlies des Palastes. „Midgard steht unter dem Schutz Asgards. Unter meinem Schutz. Du hast viele Leben zerstört“, stellte er fest, „Dennoch ich freue mich, dass du lebst. Dass du wieder hier bist.“

Loki sah seinen Bruder an. Seine Augen funkelten vor bittersüßer Wut. „Und was nun? Willst du, dass ich hier verrotte? Oder gibt es einen anderen Plan für mich, das schwarze Schaf der Familie?“

Thor öffnete das magische Tor zu seiner exklusiven Zelle, die von den anderen bewohnten Zellen nicht einsehbar war. Der großzügige, helle Raum bot ein schönes Bett und elegante, französische Möbel sowie ein kleines, privates Bad. Sie war seinem Stand angemessen, immerhin gehörte er zur königlichen Familie. „Vater wird eine gerechte Strafe finden.“

„Dein Vater! Und gerecht?“ Loki trat schnaubend in die Zelle.

Thor löste die Fesseln um Lokis Handgelenke. „Das muss nicht für immer sein. Ich glaube immer noch an dich, Bruder.“

„Ich erinnere mich, wie du mich in einen Abgrund geworfen hast.“

„Du hast dich selbst hinabgestürzt“, widersprach Thor deutlich.

Loki sah ihn zornig an. Endlich zeigte Thor mehr Emotionen, sagte jedoch nicht, was Loki hören wollte. „Deine Lügen sind armselig.“

„Du hast losgelassen. Du bist gefallen.“ Thor machte einen traurigen Gesichtsausdruck. Der Selbstmordversuch lag unausgesprochen zwischen ihnen.

Loki starrte ihn fest an. Thanos falsche Erinnerungen, die ihn gegen seinen Bruder aufstacheln sollten, waren in seinem Kopf. Nun, da der Gedankenstein im Zepter ihn nicht mehr beeinflussen konnte, fühlte er die Falschheit dieser Erinnerungen. Aber er wollte nicht an Thanos denken.

Noch während Loki sein linkes Handgelenk umfasste, spürte er die Energie Asgards in seinen Adern pulsieren. Augenblicklich, da er genug Seiðr verspürte, verlieh er sich wieder die bekannten Züge des trickreichen Aesir.

Thor beobachtete die Verwandlung. „Du hast dir dein gewohntes Aussehen angenommen.“

„Es war unvermeidlich.“ Loki zuckte mit den Schultern. Die Maske der kontrollierten Unberührtheit war ihm vertraut. Er hütete und pflegte seine Fassade wie einen Schatz. Für den Bruchteil einer Sekunde spürte er Bedauern, dass er nicht er selbst sein konnte, aber das hier war seine Rolle. Auf Asgard war er der verzogene Prinz im Schatten seines Bruders.

Thor musterte seinen Bruder. „Ich verstehe dich nicht. Nach all dem Morden, all der Verwüstung, die du angerichtet hast – warum hast du bei dieser menschlichen Familie Unterschlupf gesucht? Du schaust auf Menschen herab.“

Ein seltsames Lächeln spielte um Lokis Lippen. „Du verstehst es nicht, Bruder.“ Nein, Loki verstand selbst nicht, auch wenn er so tat.

„Was soll das bedeuten?“ Thor runzelte stutzig die Stirn. „Du hast nie viel für das Leben der Menschen übrig gehabt. Du hast sie immer als unter dir stehend betrachtet. Sie sind für dich kaum mehr als Ameisen.“

„Es war... erfrischend... eine funktionale Familie zu erleben.“ Loki lachte bitter.

„Ich möchte, dass du weißt, dass du immer ein Teil dieser Familie bist.“

„Ich bin kein Odinson. Ich komme nicht einmal aus diesem Reich!“, erinnerte Loki ihn. „Ich bin ein Frostriese, ein Monster in den Augen deines Volkes.“

„Nein! Loki, das bist du nicht. Du gehörst hierher, egal welchen Blutes, welcher Abstammung du bist. Du wirst immer mein Bruder sein.“ Thor sah ihn flehend an. „Wenn du dich so fremd fühlst, warum hast du dann wieder die Gestalt eines Aesir angenommen?“

„Frostriesen sind keine besonders attraktiven Geschöpfe.“

„Für unsere Maßstäbe wohl nicht“, gab Thor zu. „Ich habe dich gesehen, und es ändert nichts an dem, was du für mich bist.“

„Und was bin ich für dich?“ Lokis Stimme war leise, aber scharf. „Ein Adoptionsprojekt? Ein missratener Stiefbruder, den du retten musst? Ein Punchingball für den nächsten Krieg mit Jotunheim?“

„Du bist mein Bruder.“

Loki schüttelte den Kopf. Er durchmaß seine Zelle mit langen Schritten, ehe er stehen blieb. Er schloss einen Moment die Augen. Er konzentrierte sich und spürte die Magie wohlig durch seinen Körper fließen.

„Auch wenn du für deine Taten büßen musst, so wie es Odin entscheidet“, erklärte Thor, „Wir finden einen Weg...“

Loki schnaubte verächtlich. „Nach allem, was ich getan habe? Das klingt sehr naiv, selbst für dich.“

„Ich erinnere mich, wie viel ich auf Midgard gelernt habe. Die Menschen dort haben mir geholfen, Demut zu lernen und Verantwortung zu übernehmen. Ich kann mir vorstellen, dir ist Ähnliches widerfahren.“ Thor, der ewige Optimist, lächelte seinen Bruder an.

„Ich glaube, es war mein Verdienst, dass das Königreich vor der Regentschaft eines hitzköpfigen Prinzen gerettet wurde.“ Loki schmunzelte frech.

„Ich bin nicht derjenige, der den Bifröst für einen Völkermordversuch benutzt hat.“

Loki zog eine Augenbraue leicht hoch und erwiderte sarkastisch. „Stimmt, zu einem Völkermord wären du und deine drei glorreichen Kameraden auch nicht in der Lage.“

Thor ging nicht darauf ein. „Es liegt an dir. Vielleicht kannst du anfangen, einen anderen Weg zu gehen. Einen Weg, der nicht von Zerstörung und Verrat geprägt ist.“

Als keine Antwort mehr kam, verschwand Thor.

Loki machte sich frisch, wechselte in die bereit gelegte Kleidung und legte sich auf das Bett. Es hatte etwas Beruhigendes, in seiner Heimat zu sein, auch wenn es im Kerker war. Er streckte und räkelte sich schläfrig im Bett. Im Schlaf konnte er sein Seiðr aufladen und sich regenerieren.

Aus den Nachbarzellen hörte er Beleidigungen und Obszönitäten in seine Richtung. Prinzessin war noch das Netteste, was er zu hören bekam. Ein Wort, das Thor veranlasst hatte, den Krieg gegen Jotunheim zu initiieren. Ein Wort, das ihn nicht besonders juckte.

Loki blendete die anderen Gefangenen aus, bis die anderen Kreaturen ein Murmeln waren. Es kratzte an Lokis Ego, dass er das Verlies mit diesen niedrigen Wesen teilen musste. Er war besser als diese Amateure.

Ohne Sonnenlicht fehlte ihm das Zeitgefühl. Das musste ein Teil der Strafe sein: die Hölle der Ewigkeit.

Loki atmete tief ein. Seine Brust hob sich und senkte sich leicht bebend.

Zu viele Gedanken kreisten in seinem Kopf, als dass er gleich einschlafen konnte. Thors’ Worte wirkten fort. Gedanklich kehrte Loki zurück nach Midgard.

Sean, der ihm von Anfang an misstraute, hatte ihn beeindruckt. Loki erinnerte sich an den entschlossenen Blick in Seans Augen, als er den Tesseract schließlich herausholte. Trotz seines Argwohns hatte Sean ihn gewürdigt.

Dann war da Kevin. Der kleine Junge hatte ihn mit seiner Zuneigung überrascht. Die Erinnerung an Kevins Umarmung ließ Lokis Herz einen Moment lang weicher werden.

Und Don. Dons Freundlichkeit und Gastfreundschaft hatten ihn tiefer berührt, als er vor sich zugeben mochte. Menschen waren schwach und einfältig und unter seiner Würde, aber Don hatte ihn nicht nur aufgenommen, sondern ihm auch zugehörig fühlen lassen. Das Kribbeln im Bauch, das Loki empfunden hatte, wann immer er an ihn dachte, war nicht neu. Er kannte die Mischung aus Begierde und Nervosität, wenn er sich von jemandem angezogen fühlte.

Don war für einen Menschen nicht unattraktiv. Loki hätte seiner Lust folgen sollen, als er die Chance dazu gehabt hatte. Stattdessen hatte er die Gelegenheit verstreichen lassen. Er war nicht in Stimmung gewesen. Nun ärgerte er sich darüber.

In seiner Fantasie spielte Loki einige Szenarien durch, wie ein Wiedersehen mit Don verlaufen könnte. Dabei dominierten die erotischen Fantasien. In der Realität würde er Midgard erst betreten, wenn Don und seine Kinder nicht mehr waren. Sofern Odin seinem Leben nicht vorher ein Ende setzte.

Mit Gram erinnerte sich Loki an die Situation vor seinem Sturz, die nun hochkam. Wie er Odin auch da noch hatte gefallen wollen, als er am Bifrost hing. „Nein, Loki!“, klang ewig in seinen Ohren nach. Er hatte einfach Nein gesagt. Nichts hätte in diesem Moment verletzender oder erschütternder sein können.

Loki hatte sich in die Leere fallen gelassen – und überlebt.

Er war an die schlimmsten Orte, die man sich vorstellen konnte, gelangt. Er hatte die dunkelsten Ecken des Universums und die zwielichtigsten Gestalten der Neun Reiche gesehen. Mehrmals war er mit dem Tod in Berührung gekommen. Es war ein sehr beängstigendes und prekäres Dasein. Ständig auf der Flucht, ständig in Angst. Bis Thanos’ Handlanger ihn gefunden und ihm ein vermeintliches Angebot gemacht hatte.

Keiner überlebte die Leere. Es musste etwas bedeuten, dass Loki es getan hatte. Überlebt.

Heimdall hatte seine Rufe, sein Betteln und zum Schluss sein Wimmern nicht erhört. Zwischen Folter, Isolation und Hunger hatte ihn sein Stolz am Leben gehalten. Irgendwann hatten sie aufgepäppelt und ihm Freiheit gegeben. Loki hätte fliehen können. Aber wohin weglaufen?

Und so war er der Mission des wahnsinnigen Titanen gefolgt.

Im Schlaf verfolgten ihn die kalten, gnadenlosen Blicken des Anderen und Thanos’. Die mächtigen Hände Thanos‘ schlossen sich um sein Bewusstsein. Ein unerträglicher Schmerz durchfuhr ihn, als er wieder und wieder unter Gedankenkontrolle gezwungen wurde.

Loki rang nach Atem und versuchte, sich zu wehren, doch jede Anstrengung war vergeblich. Thanos' Stimme hallte in seinem Kopf wider und drohte ihm, befehlsgewohnt und unerbittlich.

Er sah sich selbst, wie er das Zepter hielt, das ihn unter fremde Kontrolle stellte. Wie eine Marionette hatte er all das getan, was Thanos von ihm verlangte. Die Schreie der Menschen, das Tohuwabohu und die Trümmer, alles lief vor seinen Augen ab wie ein endloser Film des Grauens.

„Du kannst diesen Wahnsinn stoppen.“ Loki hörte Thors Stimme. Sie waren draußen auf dem Stark Tower. Der Schock überfuhr ihn wie ein durchgegangener Streitwagen. Ungläubig streifte sein Blick die Gebäude von NYC, während eine Träne über seine Wange rollte.

Loki schreckte hoch. Schweißgebadet saß er aufrecht in seiner Zelle, sein Herz hämmerte in seiner Brust. Es dauerte einige Minuten, bis er realisierte, dass es nur ein Traum gewesen war. Doch die Erinnerungen waren real.

Langsam und zögernd begann sich das Bewusstsein darüber, was geschehen war, in seinem Geist festzusetzen. Ohne das Zepter, ohne die Kontrolle war er wieder er selbst. Die schrecklichen Taten, die er begangen hatte, waren nicht seine eigenen gewesen. Er hatte zwar die Fähigkeiten und den Willen dazu gehabt, doch die Herrschaft lag bei jemand anderem.

Loki hatte die Schlacht von New York verloren, weil er sie niemals hatte gewinnen wollen.

Er hatte es ihnen einfach gemacht, ihn zu besiegen und zu fangen. Okay, nicht zu einfach. Das wäre unter seiner Würde gewesen. Er hatte ihnen einen Show geliefert.

In dieser trostlosen Stimmung, als er sich verloren fühlte, fand ihn seine Mutter Frigga. Sie war gekommen, um nach ihm zu sehen.

„Loki.“

Schlagartig richtete sich Loki auf und ließ die frischen Tränen hinter der Maske eines rosig-frischen Gesichts verschwinden.

„Mutter“, rutschte es ihm heraus, was Frigga mit einem Lächeln quittierte.

Begleitet von einem Wächter, der sie in Lokis Zelle ließ, kam sie auf Loki zu. Sie war genauso makellos, elegant und fürsorglich wie eh und je.

Loki trat ihr entgegen, während er ihr ein selbstsicheres Lächeln schenkte. Zur Begrüßung nahm er ihre Hand und küsste, wobei er sich verneigte. Sie war tatsächlich hier.

„Was führt dich in die Tiefen des Palastes, wo sich nur Halunken und Taugenichtse aufhalten?“ Mit einem Zauber sorgte Loki dafür, dass niemand außerhalb der Zelle ihre Worte hörte.

Frigga sah ihn mit traurigen Augen an. „Loki, mein Sohn, lass dich ansehen. Ich will wissen, wie es dir ergangen ist.“

Loki unterdrückte ein peinigendes Seufzen. „Ich bin nicht dein Sohn.“

„Du bist unser Sohn, Loki, und wir sind deine Familie.“ Frigga lächelte gutmütig. „Was ist passiert? Warum wolltest du Midgard knechten? Weil es das Lieblingsreich deines Bruders ist? Weil dir ein Thron gebührt?“

„Vieles.“ Loki lachte bitter. Das Lachen blieb ihm fast im Halse stecken. „Ja, ja. Ja!“

„Odin und ich haben damals darüber diskutiert, dich zu Thors Berater zu machen, wenn er König wird. Odin hatte seine Bedenken gegenüber Thor. Du hättest ihm eine weise, rechte Hand sein können“, erzählte Frigga ihm.

„Ein Frostriese auf dem Thron wäre auch ein Ding der Unmöglichkeit. Wo kämen wir denn hin?“, schoss Loki scharf zurück. „Ihr habt mich von Anfang an belogen.“

„Du bist von Asgard. Du bist unser Sohn.“ Frigga ließ sich nicht beirren.

„Ich bin ein Terrorist, ein Attentäter“, erwiderte Loki bissig.

„Es schmerzt mich, zu sehen, was aus dir geworden ist.“ Frigga ging ein paar Schritte, bevor sie sich ihm wieder zuwandte. „Thor hat mir berichtet, was auf Midgard geschehen ist. Du hast dich bei Menschen versteckt. Erzähl mir, was ist in dir vorgegangen?“

„Ich habe die Gelegenheit zur Flucht genutzt und dabei den Tesseract verloren. Welche Ironie, dass mich ausgerechnet ein simples Kind mich ausgetrickst hat.“ Loki lachte hölzern.

„Thor hat gesagt, die Menschen hätten Fürsprache für dich gehalten. Du musst einen guten Eindruck hinterlassen haben.“ Frigga betrachtete ihn genau.

„Menschen sind einfach zu belügen und zu manipulieren.“

Frigga ließ sich nicht täuschen. „Ich habe über deine Taten nachgedacht. Ich denke, es gibt einen Weg für dich, zu lernen und zu wachsen, ohne dass du in den Tiefen dieses Kerkers eingehst. Ich werde mit Odin sprechen und ihm eine verhältnismäßige Sanktionierung unterbreiten.“ Sie lächelte ihn an.

Loki hob überrascht die Augenbrauen. „Welche Sanktionierung?“

„Odin hat Thor für seine leichtfertige Kriegserklärung nach Midgard verbannt. Ich werde ihm empfehlen, dich wie einst Thor wegzuschicken. Du wirst deiner Kräfte beraubt und musst unter den Menschen leben. Aber diesmal wirst du nicht allein sein. Du wirst zu dieser Familie zurückkehren und lernen.“

Loki starrte sie an, sprachlos. Der Gedanke, zurück zur Erde zu gehen, ohne sein Seiðr, war beängstigend und verwirrend zugleich. Er hatte fest vorgehabt, Don zu vergessen. „Lernen?“

„Ich glaube, ich kann dir im Moment nicht geben, was du brauchst“, gestand Frigga betrübt. „Es bekümmert mich, zu wissen, dass du dich stets nur im Schatten deines Bruders gesehen hast. Du bist so viel mehr, Loki. Ich möchte dich nicht wegschicken, nun da ich dich endlich wieder habe, aber ich möchte auch nicht, dass du hier vor dich hindämmerst. Ich sehe doch, wie du leidest.“

Loki wollte stark bleiben, wollte die Maske des unbezwingbaren Gottes der Täuschung aufrechterhalten. Doch die mütterliche Fürsorge in Friggas Augen durchbrach seine Abwehr. Er spielte nervös mit seinen Fingern. „Mutter, ich muss für mein Morden bestraft werden.“

Frigga lächelte ihn warmherzig an. „Du hättest viel mehr Menschen töten können, wenn du gewollt hättest.“

„Das macht es nicht besser.“ Warum musste Loki sie über seine Boshaftigkeit belehren? Wusste sie nicht, dass er ein Monster war? „Es ist geschehen. Die Menschen sind tot.“

„Du bist nicht böse, Loki“, entgegnete Frigga sanft. „Man kann eine schlechte Tat, nicht wegbeichten. Wer unrecht begeht, kann dies in Ordnung bringen, indem er dazu steht und sich den Konsequenzen stellt. Wir beschmutzen unsere Herzen, wenn wir es nicht tun.“

Loki kniff die Augen zusammen und drehte sich weg.

Frigga trat näher, ihre Stimme wurde leiser, fast wie ein Flüstern. „Niemand wird durch Lügen glücklich. Du kannst das Glück der Entlastung erfahren. Du bist fähig zu wachsen und kannst dir vielleicht sogar vergeben – dir selbst und anderen.“

Loki schwieg. Er wollte nicht schwach erscheinen, doch er fühlte sich zerrissen zwischen seiner Entrüstung und einer unerwarteten Hoffnung.

„Warum?“ Loki wandte sich ihr abrupt zu. „Warum habt ihr mir verschwiegen, dass ich nicht euer Sohn bin? Dass ich ein verdammter Frostriese bin?“ Verbitterung klang aus seiner Stimme. Er hatte sich oft fehl am Platz gefühlt.

„Wir wollten dich vor der Wahrheit schützen.“

„Weil ihr dachtet, es wäre von Natur aus falsch, ein Jotun zu sein? Habt ihr euch geschämt, dass ich einer von ihnen bin? Ein barbarisches, minderwertiges Monstern? Sollte ich mich deswegen schämen?“ Loki war geneigt, sie mit seinen roten Augen und seiner blauen Haut zu schocken, aber er ließ es bleiben.

Frigga wirkte unglücklich. Sie hob die Hände, aber wagte es nicht, ihn zu berühren. „Wir hätten es dir sagen müssen. Das war ein Fehler.“

„Ich war ein Fehler.“

„Verdreh mir nicht die Worte im Mund“, brauste Frigga auf, bevor sie sich wieder beruhigte. „Wir hatten unsere Gründe... Wir hätten es dir sagen sollen. Es ist unverzeihlich.“

„Die meisten fürchten oder verachten die Frostriesen“, konstatierte Loki, „Odin hat nichts getan, um die Verständigung der beiden Reiche zu verbessern. Weil er selbst voreingenommen ist! Er hat sie besiegt. Hat sie in einen Waffenstillstand gezwungen.“

„Du hast vergessen, dass die Frostriesen den Menschen auf Midgard eine ewige Eiszeit bringen wollten. Die Aesir haben sie davon abgehalten, was zu einem Krieg führte.“

Loki gab ihr diesen Punkt und machte eine großzügige Handbewegung. „Vielleicht hätte Odin mich einfach dort sterben lassen sollen.“

„Rede nicht so!“

„Wenn das gute Volk wüsste, dass ihr einen Bastard groß gezogen habt!“ Loki schnaubte.

Frigga setzte sich auf Lokis Bett. Sie hatte sich ihr Wiedersehen anders vorgestellt. Natürlich hatte sie gewusst, dass zahlreiche Themen unter Lokis Haut brannten und nicht wenige womöglich hingekommen waren. „Wir haben immer wieder diskutiert, ob wir es dir sagen sollen…“ Sie seufzte. „Wir waren uns einig, dass du nicht mit dieser Enthüllung umgehen können würdest.“

„Ich bin schuld?“

„Du bist... sensibel“, drückte sich Frigga vorsichtig aus. Lokis Unsicherheit äußerte sich Einschüchterungen und Wut, um sein Elend zu verbergen.

„Ich weiß nichts über meine Natur, über meine Herkunft.“ Loki lenkte ein. Er wollte nicht über seine Verletzlichkeit, seinen Minderwertigkeitskomplex sprechen.

„Ich bringe dir Bücher. Alles, was du willst.“

Loki setzte sich neben sie.

Frigga berührte seine Wange. „Loki, du bist nicht allein.“

Loki schluckte schwer und fühlte, wie Tränen seine Augen füllten. Ohne ein weiteres Wort zog er Frigga in eine Umarmung. Es tat gut, ihre Arme um sich, ihre Wärme zu spüren, ihren Duft einzuatmen und die düsteren Erinnerungen an sein erbärmliches Dasein in den Fremde des Universums zu verdrängen.

Chapter 5: Exil

Chapter Text

Odin hatte sich viel Zeit gelassen, sein Urteil zu fällen. Die Tage zogen sich endlos hin, während Loki in seiner Zelle auf sein Schicksal wartete. Er hatte zu viel Zeit zum Nachdenken. Nicht dass er Nachdenken nicht mochte – es waren die unschönen Gedanken an die Leere und sein Gefühlschaos, mit denen er sich lieber nicht tiefgehend beschäftigte.

Schließlich kam der Tag, an dem Thor ihn abholte. Loki hörte das Geräusch schwerer Schritte, und kurz darauf erschien Thor mit ernster Miene vor seiner Zelle. Er öffnete die Zelle und trat ein.

„Es ist an der Zeit. Vater ist bereit, dich zu sehen.“

„Ich habe kein Interesse, ihn zu sehen.“ Loki erhob sich gelangweilt von seinem Stuhl und schlenderte ihm langsam entgegen. Er bemerkte die goldenen Armreifen, die Thor in den Händen hielt. Sie waren wunderschön, mit feinen Runen graviert, doch Loki wusste sofort, dass sie nicht der Zierde dienten.

Loki betrachtete die Armreifen. „Goldene Reifen, Thor? Du weißt, wie sehr ich solche Pracht schätze.“

„Diese Armreifen werden deine Kräfte einfrieren,“ erklärte Thor.

„Einfrieren? Welche Ironie“, unterbrach Loki ihn spottend. Er hielt seine Arme willig hin. Die Armreifen schlossen sich fest um Lokis Handgelenke. Es gab keine erkennbare Öffnung oder Spielraum, sie passten sich perfekt an und fühlten sich wie ein unnachgiebiger Teil seines Körpers an.

„Dein Äußeres bleibt erhalten.“

„Eine echte Strafe wäre es gewesen, mich für alle sichtbar als das Monster zu zeigen. Aber das wäre eine Bloßstellung für die royale Familie.“ Loki schnaubte.

„Es geht nicht um deine Demütigung! Taten haben Konsequenzen.“ Thors Augen blitzten vor Zorn. Etwas ruhiger fügte er hinzu: „Du wirst für alle wie einer der unseren erscheinen.“

„Wer möchte schon einen Eisriesen seinen Bruder nennen?“, piesackte Loki weiter. „Manchmal ist eben doch Krieg die Antwort! Sein Ekel gegen seine eigene Rasse ging weit tiefer als Thors Abneigung. Er erinnerte sich daran, wie sich seine Haut gefärbt hatte, als ihn ein Jotun bei einem Kampf berührt hatte. Um sich selbst zu schützen, hatte er die Lüge, dass er ein Aesir war, aufrecht erhalten. Doch der Damm, der Zauber, den Odin auf ihn gelegt hatte, um seine Physiognomie zu verändern, ohne dass er es je gemerkt hatte, war gebrochen.

„Loki…“, knurrte Thor entnervt. Den Vorwurf von kriegstreiberischer Arroganz hatte er zu oft aus Lokis Mund gehört. Er wusste, wie es lief. Ja, er schämte sich, dass er leichtsinnig einen Krieg hatte beginnen wollen und dass er eine ganze Rasse aus einem anderen Reich pauschal verurteilt hatte. Das änderte nichts daran, dass er mit Loki als Bruder, als Familie aufgewachsen war.

„Sei froh, bald bist du mich los.“

Thor ballte die Fäuste, seine Muskeln spannten sich an. „Red nicht so!“

„Wie denn?“ Loki trat näher und flüsterte, seine Stimme triefend vor Spott. „Als wenn ich keine Missgeburt wäre?“

Thor verlor die Beherrschung. Er packte Loki am Kragen und zog ihn dicht an sich heran. „Wenn du so weiter machst, werde ich dir persönlich Vernunft in den Schädel prügeln.“

„Ach, Thor, wenn das nur so einfach wäre, könnte es ja auch bei dir funktionieren.“ Loki lachte hässlich.

„Deine Arroganz wird dir nicht helfen. Wenn der Allvater auf Frigga hört, wirst vielleicht du ein wenig Demut auf Midgard finden.“

Lokis Augen funkelten vor Bosheit. „Demut, Thor? Von dir habe ich viel gelernt, aber Demut war nie Teil des Lehrplans.“

Thor ließ ihn abrupt los und drehte sich um. „Komm. Vater erwartet uns.“

Loki folgte ihm, die goldenen Armreifen schwer an seinen Handgelenken. Vor der Zelle warteten zehn Wächter in schwerer, glänzender Rüstung, die ihn flankierten. Während sie durch die Hallen Asgards gingen, spürte Loki die Blicke der anderen auf sich. Doch es war nicht Scham, die er fühlte, sondern eine seltsame Mischung aus Trotz und Resignation.

Als sie schließlich vor Odin, der hoch oben über ihnen im Thron saß, standen, blickte der Allvater ernst auf seinen gefallenen Sohn herab. Etwas weiter unten stand Frigga, die nervös ihre Hände hielt. Loki hatte erwartet, dass Odin ihn den Bewohnern Asgards zum Fraß vorwarf, doch gab es keine Zuschauer, die seine Erniedrigung bejubeln konnten.

„Mutter“, grüßte Loki sie und deutete ein leichtes Nicken an.

„Loki.“

„Endlich ist es soweit. Der weise Allvater nimmt sich Zeit für eine Audienz, um seinen Sprössling eine Lektion zu er–“

„Sei dankbar, dass du lebst, Loki,“ donnerte Odin, als er sah, dass Loki seine freche Zunge nicht zügeln konnte. Der Klang von Odins tiefer Stimme hallte durch den Raum und ließ keine Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Situation zu. „Deine Mutter hat für dein Leben gebeten.“

Loki fühlte den Blick seiner Mutter auf sich. Ihre Augen glänzten feucht, als er zu ihr sah.

„Loki, deine Gräueltaten in New York City haben viele Menschenleben gekostet. Du hast Zerstörung über die Stadt gebracht und Männer, Frauen und Kinder getötet. Du hast Menschen mit Schmerz zurück gelassen. Menschen, die jetzt um ihre Liebsten trauern.“

Loki hob seinen Kopf trotzig.

„Du wirst auf die Erde verbannt,“ verkündete Odin mit ernster Miene. „Du wirst ohne deine Magie leben, bis du beweisen kannst, dass du dich geändert hast.“

Loki öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, aber Odin schnitt ihm das Wort ab. „Es gibt nichts mehr zu sagen. Thor wird dich nach Midgard bringen.“

„Wann bin ich würdig? Gibt es einen Hammer-Test?“

Thor trat vor und nahm den Tesseract in die Hand. „Komm, Bruder.“

Loki warf einen letzten Blick auf Frigga, die ihm ein ermutigendes Lächeln schenkte. Dann legte Thor eine Hand auf Lokis Schulter und sie verschwanden in einem hellen Lichtblitz.

~~~

Sie landeten in der Dämmerung vor Dons Haus. Die Luft war kühl und die Straße still. Thor ließ Lokis Schulter los und sah ihn angestrengt an. „Ich wünsche dir Glück.“ Bevor Loki etwas sagen konnte, steckte Thor ihm ein Säckchen mit Goldstücken zu. „Für den Anfang. Bis du dich zurechtfindest.“

„Ich hätte Dolche und ein paar Wurfsterne bevorzugt.“

„Bitte, Loki, ich will nur das Beste für dich.“ Thor sah ihn flehend an.

Loki spürte einen Hauch Wehmut, dass sich ihre Wege hier und jetzt trennten. Reue überkam ihn, dass er die Zeit auf Asgard mit Vorwürfen und Streit verbracht hatte. Er packte Thors Arm. „Pass auf Mutter auf.“

„Natürlich, Bruder.“ Thor lächelte nachsichtig.

„Ihr müsst den Tesseract verstecken oder ihn loswerden. Thanos wird kommen und ihn holen. Er, seine Lakaien und seine Armee“, warnte Loki zum wiederholten Mal. Er konnte und wollte nicht mehr sagen. „Ihr solltet vorbereitet sein.“

„Sei versichert, Asgard kann sich verteidigen. Egal, wer dieser Thanos ist.“

„Pass bitte auch auf dich auf“, sagte Loki plötzlich sentimental.

„Wir sehen uns wieder“, versicherte Thor und legte seine Hand in einer rührigen Geste an Lokis Gesicht, ehe er ihn losließ, zurücktrat und mit einem Lichtblitz verschwand.

Loki blieb unschlüssig auf dem Fußweg stehen, das vertraute Haus vor sich. Erinnerungen an Don, Sean und Kevin schossen ihm durch den Kopf, aber er fühlte sich nicht bereit, ihnen gegenüberzutreten. Stattdessen wandte er sich ab und begann zu Fuß zu gehen.

Auch wenn die Sonne schon untergegangen war, wehte eine laue, angenehme Brise. Loki atmete genüsslich ein. Er hatte das alltägliche Wetter vermisst, den Wind im Haar, die Sonne auf dem Gesicht und den Geruch von Sommer. Gemütlich schlenderte er die Straße entlang.

Von Lichtblitz und Rumpeln angelockt trat Don vor die Haustür und sah sich um. Beim letzten Sommergewitter war er in den Garten gelaufen, in der Hoffnung, dass es sich bei dem Donnergrollen um die Ankündigung von Thor oder Loki handelte.

Don seufzte enttäuscht, als er feststellte, dass in seiner Nachbarschaft alles wie immer war. Auch wenn Loki sein Leben nur kurze Zeit durcheinander gewirbelt hatte und Don die Warnsignale durchaus wahrnahm, konnte er ihn nicht vergessen.

Die Verwendung des Tesseracts blieb andernorts nicht unbemerkt. Iron Man kam etwa eine Stunde später an den Ort des Geschehens. Ohne konkrete Hinweise oder Spuren verließ er nach ergebnisloser Suche wieder die Gegend.

Loki hatte derweil ein kleines, unscheinbares Hotel auserkoren, um dort zu nächtigen. Am Empfang zeigte man sich durch sein Vorauszahlung in Gold kooperativ und gab ihm den Tipp, das Edelmetall zur eigenen Sicherheit besser in Geld umzutauschen. Das Zimmer war unter seinem Anspruch, aber was tat Loki nicht alles für die gebotene Anonymität.

Er setzte sich auf das viel zu weiche Bett und starrte nachdenklich auf seine magischen Armreife. Sie loszuwerden war seine oberste Priorität. Ohne Magie war er verwundbar und gewöhnlich. Loki fühlte sich nackt und ungeschützt.

Er zog sich bis auf die Unterkleidung aus und legte sich auf das Bett. Loki hatte wenig Lust, sich mit den menschlichen Annehmlichkeiten eines Hotelzimmers auseinander zu setzen. Er grübelte im Liegen, was er auf Midgard unternehmen wollte und machte sich einen Plan für die nächsten Tage.

Loki zweifelte, dass er hier etwas lernen konnte. Die Menschen in New York City, die gestorben waren, kannte er nicht. Das waren Fremde für ihn. Er stand ihnen gleichgültig bis herablassend gegenüber.

Er war nicht Thor, der immer sofort Freunde und Herzen gewann. Oder der sich der sich Hals über Kopf verliebte.

Irgendwann hatte er die Augen geschlossen und schlummerte weg. In der Nacht plagte ihn ein Alptraum. Das Gesicht von Thanos und der kalte Griff des Anderen verfolgten ihn.

Als Loki aus dem Schlaf hoch schreckte, war es draußen bereits hell. Noch schlaftrunken wandelte er ins Bad, wo er sich im Spiegel betrachtete, als könne er darin Antworten finden. Loki suchte nach Spuren des Frostriesen, der in ihm schlief. Er haderte mit seiner Natur. Seine blasse Haut erschien in dem Licht gräulich, fast kränklich.

Er war buchstäblich ein Gott, erinnerte Loki sich.

Frustriert mit seinem Spiegelbild berührte er mit den Fingern den Spiegel und ließ wunderschöne Eisblumen erblühen, bis sein Ebenbild nicht mehr erkennbar war. Loki lächelte zufrieden.

Wenn er weiter übte, konnte er bald selbst Dolche und andere Waffen aus Eis erschaffen. Elegantere als die brachialen Waffen der Kämpfer auf Jotunheim. Loki hatte im Verlies reichlich Zeit gehabt, alles zu studieren, was ihm Frigga gebracht hatte. Das Wissen über die Jotun war dürftig, aber besser als nichts.

Sein Blick fiel auf die geschlossenen Armreife. Auch wenn Loki es besser wusste, fror er sie ein. Die neue Musterung des Goldes sah hübsch aus, änderte jedoch nichts. Gold war eines der stabilsten Metalle. Ihm konnte die Kälte nur wenig etwas anhaben. Rohe Gewalt oder eine andere Form der Zersetzung würden den Zauber wahrscheinlich auch nicht brechen. Loki musste sich etwas anderes einfallen lassen.

Er machte sich im Bad frisch und zog sich an. In seinen eleganten Gewändern war er ein Leuchtturm an einer schroffen Felsenküste. Bescheiden war nicht sein Kleidungsstil. Beim Mann am Empfang, der ihm gestern Abend behilflich war und keine unnötigen Fragen gestellt hatte, holte er sich Empfehlungen, wo er sein Gold umtauschen und ansprechende Garderobe finden konnte.

Vom ertauschten Papiergeld, das keinen intrinsischen Wert hatte, war Loki schockiert. So etwas würde es auf Asgard niemals geben.

Bei einem Herrenausstatter kaufte sich Loki einen dunkelblauen Anzug mit weißem Hemd, akzentuiert mit einem grünen Schal. Das zweite Outfit, bestehend aus einem schwarzen Anzug inklusive Abzugsjacke und dunkelgrünem Hemd zog er gleich an. Andernorts kaufte er sich passendes Schuhwerk. Loki wusste, dass er auffiel, aber das war ihm ganz recht. Er wollte nicht gewöhnlich sein, auch wenn er Midgard-Kleidung trug. Es war eine kleine Art von Rebellion, seine Identität zu wahren, auch wenn er sich vor den Avengers verstecken musste.

Sein nächster Stopp war ein Army- und Outdoor-Shop, wo er sich mit Messern, Wurfmessern und -sternen sowie passenden Scheiden eindeckte. Die Verkäuferin schaute ihn misstrauisch an, aber sein selbstbewusstes Auftreten ließ sie keine Fragen stellen.

In der öffentlichen Bibliothek fühlte sich Loki vom ersten Moment an Zuhause. Er huschte über die monumentalen Stufen des historischen Gebäudes hinauf, zwischen den Säulen durch die goldglänzende Drehtür ins Innere. Die Luster und die Deckenverzierung sowie der Stuck bezauberten ihn. Er stolzierte über eine der beiden Marmortreppen hoch in den Lesesaal, der einfache Tische und PC-Plätze bereit hielt.

Inhaltlich war die Bibliothek ein Reinfall. Es gab keine Bücher oder Schriften zum Thema Magie. Der befragte Bibliothekar empfahl ihm wahlweise die Abteilung für Mythen oder die mit den Märchen-Büchern. Loki trieb ihn zum Wahnsinn, bis dieser ihn verzweifelt ans Internet verwies.

Loki setzte sich an einer der Computer und starrte auf den Bildschirm, als wäre es ein magisches Artefakt, das sich weigerte, seine Geheimnisse preiszugeben. Seine Finger schwebten unsicher über der Tastatur, bevor er schließlich eine Taste drückte und überrascht zurückzuckte, als der Bildschirm aufleuchtete.

Eine Studentin in der Nähe warf ihm einen genervten Blick zu und seufzte laut, als er es schaffte, die Tastatur zu benutzten und dabei eine Reihe von Pieptönen zu erzeugen.

„Entschuldigung, wissen Sie überhaupt, was Sie da tun?“ fragte sie genervt, während sie ihre Kopfhörer abnahm. Die junge Frau trug einen Nasenring. Ihre Haare waren rabenschwarz wie Lokis. Hellbraune Augen unter einem langen Pony schauten ihn kritisch an.

Loki richtete sich auf und versuchte, seine Würde zu bewahren. „Natürlich weiß ich, was ich tue! Ich... studiere.“

Ihr skeptischer Blick wanderte über seine Kleidung, die ihn wie einen reichen Snob aussehen ließ. „Waren Sie die letzten Jahrzehnte hinter dem Mond?“

„Nicht hinter dem Mond, aber nah dran.“ Loki hob eine Augenbraue und lächelte amüsiert. „Ich bin gewissermaßen aus dem Ausland.“

„Aus dem Ausland?“, wiederholte sie ungläubig.

„Ein sehr exklusives Reich“, erwiderte Loki geheimnisvoll.

Die Studentin seufzte erneut und schob sich eine Strähne ihres Haares aus dem Gesicht. „Okay, lassen Sie mich Ihnen helfen.“

Loki verbeugte sich leicht. „Ihre Hilfe wird geschätzt, verehrte Dame.“

„Wow, verehrte Dame, echt jetzt?“ Sie setzte sich neben ihn und begann, ihm die Grundlagen zu erklären.

Loki verbrachte den Rest des Tages am Rechner und entdeckte die Welt des Internets. Zur Schließzeit wurde er energisch hingebeten. Erst danach bemerkte er, wie sein Magen knurrte. Nach Stunden in der Bibliothek traf ihn die feucht-warm Luft nach einem Regenschauer wie eine Wand.

Loki ging in ein gut frequentiertes Restaurant und bestellte wahllos ein Gericht, das er mit Gier herunterschlang. Der Geschmack war nicht schlecht und auch das Bier dazu war in Ordnung. Die Tische waren fast alle besetzt. Überall tummelten sich entweder Pärchen oder größere Gruppen, die zusammen speisten. Loki war noch nie besonders beliebt gewesen. Er war stets das Anhängsel von Thor und seinen Freunden, dennoch fiel ihm nun auf, dass er das Essen in Gesellschaft vermisste. Unbeteiligt wandte er seinen Blick ab.

Von seinem Platz am Fenster beobachtete Loki die Menschen und Wagen, die sich trotz des schwül-warmen Wetters durch die Straßen bewegten.

Nach dem Essen streunerte Loki ziellos durch die Stadt. Schweißperlen rannen über Lokis Stirn. Er wischte sie ärgerlich weg. Vom Lachen angezogen kam er zu seinem öffentlichen Platz, wo Kinder lachend durch die sprudelnden Wasserspiele rannten, die ihnen eine willkommene Abkühlung boten.

Missbilligend schaute er auf die tobenden Kinder. Plötzlich huschte ein schelmisches Lächeln über sein Gesicht. „Zeit, diesem Schauspiel ein wenig Würze zu verleihen.“

Loki kniete sich hin und berührte das Wasser mit seinen Fingern. Von einem Augenblick zum nächsten verwandelten sich die sprudelnden Wasserfontänen in Eisstrahlen. Das Nass am Boden wurde zur einer spiegelglatte Eisfläche. Loki schmunzelte, als er das erste Kind kreischen hörte und wie es im Laufen ausrutschte und hinfiel. Anderen erging es ähnlich. Die Kinder standen mit großen Augen und offenen Mündern da.

„Hey, was ist passiert?“, rief ein kleiner Junge und stupste vorsichtig die erstarrte Wasserfontäne an, die unter der Berührung zerbrach. „Das Wasser ist gefroren!“

Loki erhob sich zufrieden mit seinem Werk. Von seinem Wasserkunstwerk kam eine angenehme Kühle, die er mit Freude aufnahm.

Die Kinder begannen, sich aufgeregt zu unterhalten und um die gefrorenen Wasserspiele herumzulaufen. Einige schlidderten voller Vergnügen direkt über die glatte Fläche. Ein paar versuchten sogar, kleine Stücke des Eises abzubrechen, um sie zu lutschen wie Eis. Das vorherige Entsetzen über die verlorene Erfrischung wich schnell einem neuen Abenteuergeist.

Loki lachte schadenfroh, als ein Kind auf der glatten Eisfläche ausrutschte und der Länge nach vor seinen Füßen hinfiel. Doch sein Lachen verstummte abrupt, als ein anderer Junge, der das beobachtet hatte, wütend auf ihn zustürmte und ihn schubste. Loki verlor das Gleichgewicht und stürzte selbst auf das harte Eis. Ein scharfer Schmerz schoss durch seinen Arm.

Ein kleiner Junge, der Lokis Sturz und seine schmerzhafte Aufstöhnen mit einem mitleidigen Schulterzucken kommentierte, kam näher. „Das tat bestimmt weh. Aber du hättest nicht lachen sollen.“

„Moralapostel.“ Loki schnaubte und versuchte würdevoll aufzustehen.

Ein paar Mütter, die am Rande des Platzes standen, hatten inzwischen ihre Smartphones gezückt und filmten das ungewöhnliche Wetterphänomen und das daraus resultierende Chaos.

Loki verdrehte die Augen, als er die Kommentare der Frauen hörte. Er drehte sich um und ging davon. Er wollte nicht länger im Mittelpunkt dieses menschlichen Spektakels stehen.

Wie er es sich bei Menschen abgeschaut hatte, nahm er ein Taxi zurück zum Hotel.

Chapter 6: Wetterhart

Chapter Text

Die kommenden Wochen wurde Cleveland immer wieder von ungewöhnlichen Wetterphänomen heimgesucht. Loki musste anfangs noch die Dinge, die er beeinflussen wollte, berühren, aber mit der Zeit konnte er seine Jotun-Kräfte immer besser kontrollieren. Einmal war es ihm gelungen, durch die vom erzeugte, kalte Luft ein Gewitter zu verursachen. Im ersten Moment hatte er sich fürchterlich erschrocken, als ein Blitz aus einer Wolke geschossen war, aber schon kurz darauf freute Loki sich diebisch über seinen Erfolg. Er wünschte sich, Thor hätte ihn dabei gesehen.

Das Leben ohne Magie war ungewohnt. Zaubertränke waren nicht seine Stärke, magische Runen schon eher. Auf seinen magischen Fesseln um seinen Handgelenke stand geschrieben: Jener, der ein Opfer bringt, um große Weisheit zu erlangen, wird wahre Freiheit finden. Wenn Loki schon nicht selbst sein Seiðr einsetzen konnte, musste er sich anderer Fähigkeiten wie seiner Sprachgewandtheit und Intelligenz bedienen.

Loki deckte sich mit weiterer Kleidung ein, die seinem Stil treu blieb. Trotz der warmen Temperaturen blieb er bei langärmligen Oberteilen und dunklen Farben. Das schweißtreibende Wetter sollte seine Tadellosigkeit nicht in den Ruin treiben.

Außerdem kaufte er sich ein Fahrrad inklusive Schloss. Die fahrenden Blechkisten waren ihm nicht ganz geheuert. Das Radfahren lernte er schnell. Es war keine Kutsche, kein Flugzeug, aber es war ein nützliches Gerät, um in der Stadt mobil zu sein.

Auf der Suche nach Magie auf Midgard war Loki auf einen kleinen Laden gestoßen. Ein Schild über der Tür verkündete stolz „Salon Magieque“. Loki verspürte wenig Hoffnung, dass er hier tatsächlich etwas Nützliches finden würde, aber seine Verzweiflung trieb ihn hinein.

Eine Glocke über der Tür läutete, als Loki eintrat. Die Frau hinter der Kasse sah kurz auf. Sie war mittelalt, mit wilden Locken und einer Brille, die auf der Nasenspitze balancierte. Ein leichter Duft nach exotischen Räucherstäbchen lag in der Luft. Der Laden war vollgestopft mit Regalen, die allerlei esoterischen Krimskrams beherbergten. Kristalle, Tarotkarten und Bücher über Astrologie und Hexerei reihten sich eng aneinander.

„Kann ich Ihnen helfen?“ Ihre Stimme klang gelangweilt.

Loki ignorierte sie und begann, die Bücherregale zu durchstöbern. „Ich suche nach etwas... Spezifischem.“ Er zog ein Buch nach dem anderen aus den Regalen, blätterte durch die Seiten und legte sie wieder zurück.

„Wir sind keine Bücherei“, erinnerte ihn die Verkäuferin, nachdem er ein paar Mal angefangen hatte, das ein oder andere Buch zu lesen.

Loki drehte sich langsam zu ihr um. Seine Augen blitzten genervt. „Ich werde so lange hier bleiben, wie es nötig ist.“

„Wenn Sie etwas kaufen möchten, bin ich gerne bereit zu helfen“, erwiderte sie schnippisch. Sie wurde von einem anderen Kunden abgelenkt, sodass Loki sich weiter umsah. Die Zeit verging. Die Frau warf ihm immer wieder böse Blicke zu, während sie andere Kunden bediente.

In einer versteckten Ecke stieß Loki auf erotische Bücher. Er zog eins heraus, dessen Umschlag eine elegante wie auch pikante Illustration zeigte. Loki blätterte neugierig durch die Seiten. Das Buch war reich an detaillierten Beschreibungen und sinnlichen Abenteuern.

„Interessante Auswahl“, bemerkte Loki laut, als die Frau ihre Beratung über Kristalle beendet hatte, die ihn mit Unglauben zurückließ. „Erotische Literatur im Salon Magieque, Madame?“

Die Verkäuferin kam auf ihn zu. Sie sah jünger aus, als er sie zuerst eingeschätzt hatte. Sie hatte ein verschmitztes Lächeln auf den Lippen. „Oh ja, unsere Erotik-Literatur ist sehr beliebt. Manchmal überschneiden sich die Welten von sexuellen und magischen Praktiken. “

Loki hob eine Augenbraue. „Magische Praktiken?“

„Ich bin kein Freund von Okkultismus. Aber jede sexuelle Begegnung ist auf seine Weise magisch. Die Verbindung, die Energie – es gibt da einige Parallelen.“

Loki betrachtete sie erwartungsvoll. „Interessanter Gedanke. Also glauben Sie, dass es um mehr geht als nur um körperliche Lust?“

„Absolut“, antwortete sie. „Es geht um Macht, Kontrolle, Hingabe, und manchmal um die Verwandlung der Seele.“

„Hmmm“, machte Loki und wandte sich wieder den Büchern zu. Er dachte kurz an Don, bevor er ihn gedanklich wieder von sich schob.

Schließlich, nach stundenlangem Suchen, fand Loki ein antikes Buch über alte, nordische Magie, das vage hilfreich schien. Er legte es auf den Tresen zusammen mit einer Flasche Met, die entdeckt hatte.

Die Verkäuferin zog die Augenbrauen hoch. „Endlich etwas gefunden?“

Loki reichte ihr das Geld. Er war dankbar, dass Thor soweit voraus gedacht hatte, um ihm Gold mitzugeben.

Loki trat zurück auf die Straße und hielt die Papiertüte mit seinen Einkäufen fest in seinen Händen. Der Tag neigte sich dem Ende zu. Die untergehende Sonne tauchte die Stadt in ein goldenes Licht.

Mit dem Fahrrad fuhr er ein Stück zu seinem Lieblingsrestaurant, um dort eine kleine Mahlzeit einzunehmen. Er vertrug nicht alles Essen, was es auf Midgard gab. Es war äußerst unangenehm, sich nicht selbst heilen zu können. Je frischer, desto besser gefiel es ihm und seinem Magen.

Nach dem heißen Tag war die kühlere Abendluft sehr angenehm, als sich Loki auf den Heimweg machte. Er hatte sich an das Leben auf Midgard einigermaßen gewöhnt. Ihm fehlte seine Heimat, doch es tat nicht mehr so weh, wie seine Unwissenheit in der Leere. Heimdall hatte ihn wirklich nicht gesehen. Thor hatte vermisst. Genauso wie seine Mutter. Und Odin… hatte sein Leben verschont.

Loki näherte sich dem Platz, an dem er sein Fahrrad angekettet hatte, und bemerkte sofort, dass etwas nicht stimmte. Zwei Gestalten machten sich an seinem Fahrradschloss zu schaffen. Loki spürte, wie Zorn in ihm aufstieg. Dies war nicht nur eine Beleidigung, sondern eine direkte Herausforderung.

„Das ist mein Fahrrad“, sagte er mit einer Stimme, die ruhig, aber bedrohlich klang.

Die beiden Gestalten, zwei junge Männer, sahen mit finsteren Mienen auf. Einer von ihnen, ein muskulöser Typ mit kurz geschorenem Haar, grinste höhnisch. „Na und? Was willst du dagegen tun, Kumpel?“

Loki trat näher. Seine Augen funkelten gefährlich. „Ich rate euch, zu gehen, bevor es unschön wird.“

Der andere Mann lachte. „Oh, wir haben hier einen harten Burschen. Wie süß.“

Loki zog unauffällig ein verstecktes Messer unter seinem leichten Sakko hervor. „Ihr habt keine Ahnung, mit wem ihr es zu tun habt.“

Die beiden Männer sahen sich an und zuckten mit den Schultern. „Dein Pech“, sagte der muskulöse Typ und machte eine Satz nach vorne. Loki wich geschickt der Faust aus. Gleichzeitig gelang es ihm, den Angreifer mit seinem Dolch am Arm zu streifen.

Der Mann fluchte laut. Blut tropfte auf den Boden.

Der zweite, schlankere Man griff an und wollte Loki mit einem Fußtritt seiner Stiefel zu Boden bringen. Als sein Kick dank Lokis Ausweichmanöver fehlschlug, setzte dieser mit Fäusten nach. Loki konnte diese geschickt abblocken. Jetzt war es am anderen, Lokis Klinge auszuweichen. Der Schlankere erwies sich als wendig und flink. Dieser versuchte vergeblich, ihn zu entwaffnen.

Schließlich mischte sich der bereitete Kerl wieder ein. Dort, wo das Messer ihn getroffen hatte, war ein tiefroter Fleck auf seinem Shirt unter der offenen Jacke, der immer größer wurde. Das hielt ihn nicht davon ab, Loki anzugreifen. Zumindest das Lächeln hatte Loki ihm aus dem Gesicht geraubt.

Loki wünschte nicht zum ersten Mal sein Seiðr zurück. Astralprojektion wären jetzt wunderbar gewesen. Oder auch Thors brachiale Gewalt. Loki hätte die beiden Männer einfach töten können, wenn er gewollt hätte. Der Kampf war eine sportliche Herausforderung, die ihn insgeheim beglückte. Er spürte ein überraschendes Vergnügen an der körperlichen Betätigung. Thors Einfluss hatte seine Spuren hinterlassen.

Sie lieferten sich eine schweißtreibenden Kampf, bis sich das Blatt plötzlich wendete.

Bevor Loki reagieren konnte, überraschte ihn der zweite Mann. Ein stechender Schmerz durchfuhr Lokis Seite, als die Kugel ihn traf. Er keuchte, taumelte und verlor kurz fast das Gleichgewicht. Loki drehte sich blitzschnell um, um den Angreifer abzuwehren. Das Adrenalin pumpte durch seine Adern.

Der Kerl grinste hässlich. In der Hand hielt er eine Schusswaffe.

„Das war ein Fehler“, keuchte Loki. Mit einem schnellen Tritt schlug ihm die Schusswaffe aus der Hand. Er wirbelte herum, packte den Mann am Kragen und rammte ihm zum zweiten Mal sein Messer in die Seite. Der Mann stöhnte. Loki stieß ihn mit Nachdruck auf den Asphalt.

Der zweite Angreifer, der sah, dass sein Freund gefallen war, zögerte einen Moment, dann floh er in die Dämmerung. Loki stand keuchend da, das Blut sickerte aus seiner Wunde. Der Schmerz war überwältigend, nun da der Kampf vorbei war und er sich seiner Verletzung bewusst wurde.

Mit einem letzten Blick auf seinen sich krümmenden Angreifer verfluchte Loki diesen – niederträchtige Kreatur –, als er zu seinem Fahrrad ging. Der Kerl hatte schmutzig gekämpft. (Okay, er hatte selbst zu einem Faustkampf einen Dolch benutzt.) Sollte er doch verbluten. Loki verwünschte Odin und seine magischen Armreifen. „Impertinenter Allvater“, knurrte er, „Verbannt mich ohne meine Kräfte in dieses erbärmliche Reich.“

Der Schmerz durchzuckte seinen Körper bei jeder Bewegung, aber er biss die Zähne zusammen und schwang sich mühsam auf den Sattel. Jeder Pedaltritt war eine Qual, doch Loki zwang sich weiter. Er konzentrierte sich nur auf das Ziel: das Hotel, sein provisorisches Zuhause.

Dank seiner schwarzen Kleidung war das Blut kaum zu sehen. Mit einem charmanten Lächeln marschierte er sich aufrecht an den Empfangstresen, wo sein liebster Mitarbeiter ihn begrüßte. Der Rezeptionsmitarbeiter trugt eine elegante, gut sitzende Uniform in dunklem Blau, die seine gepflegte Erscheinung unterstrich. Seine dunkelblonden Haare waren sauber geschnitten und ordentlich gestylt, ein klassischer Haarschnitt mit einem Hauch Modernität. „Herr Laufeyson. Womit kann ich Ihnen helfen?“

„Nicholas! Es ist gut, Sie zu sehen.“

Nicholas war ein freundlicher, junger Mann. Er hatte sich als unerwartet angenehme Gesellschaft erwiesen. Er hatte ihm Tipps gegeben, wie man sich in der Stadt zurechtfindet und welche Orte sehenswert waren. Loki hatte mit ihm über verschiedene Hotels gesprochen und festgestellt, dass er es gar nicht so schlecht getroffen hatte.

„Könnten Sie mich auf mein Zimmer begleiten?“, bat Loki unverwandt lächelnd.

Nicholas’ Miene verriet nur für den Bruchteil einer Sekunde Überraschung, bevor er wieder sein geschult freundliches Gesicht zeigte.

Loki beugte sich leicht vor. Er konnte mühelos umwerfend sein, wenn er es wollte. „Ich erwarte Diskretion. Bitte bringen Sie Verbandsmaterial mit.“

Nicholas’ Augenbrauen zuckten kurz. „Benötigen Sie ärztliche Hilfe?“

„Ein Verband sollte es tun. Ich gehe vor.“ Loki wartete auf keine weitere Erwiderung.

Er stolperte in sein Zimmer und ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen. Schweiß und Blut tränkten seine Kleidung. Der Schmerz ließ ihn fast in die Knie gehen. Doch er war entschlossen, sich selbst zu helfen.

Loki entkleidete seinen Oberkörper mit zusammen gebissenen Zähnen im Bad und begutachtete die Wunde, die noch leicht blutete. Seine Selbstheilungskräfte arbeiteten bereits. Loki konnte im Spiegel sowohl ein Eintritts- als auch ein Austrittsloch ausmachen. Die Kugel hatte an der Seite seinen Körper, das weiche Gewebe durchdrungen. Organe wie der Darm boten wenig Widerstand.

Als es an der Tür klopfte, rief Loki laut: „Herein!“

„Was ist passiert?“, fragte Nicholas schockiert, als er Loki sah. Sein Gesichtsausdruck war ernsthaft besorgt. „Ich werde den Notarzt rufen.“

Loki packte Nicholas’ Handgelenk. „Nein. Helfen Sie mir einfach mit dem Verband.“

Nicholas starrte einen Moment auf Lokis Hand, bevor er zustimmend nickte und Loki ihn losließ. Mit zittrigen Fingern half er Loki, den sterilen Verband anzulegen, während dieser den Mull an Ort und Stelle hielt. „Sie könnten innere Verletzungen haben“, protestierte er, „Ich möchte nicht, dass Sie verbluten.“ Nicht unter meinen Augen, dachte er.

„Mir geht es blendend.“ Loki zeigte ein Lächeln mit Zähnen seinem Spiegelbild. Er musste sagen, dass die Armreifen wirklich hübsch. Geschmack musste er Odin zubilligen.

„Sie sehen blass aus. Ist Ihnen kalt? Zittern? Verwirrung? Sie könnten einen Schock haben.“

„Ich sehe immer blass aus.“

Thor und er hatten einander schon öfter geholfen, Wunden einfach und schnell zu versorgen, wenn gerade nichts anderes möglich war. Sein Bruder beherrschte zwar auch Magie, war jedoch nicht einmal annähernd so gut wie Loki. Es interessierte ihn nur mäßig, diese Künste zu studieren und anzuwenden. Mjölnir war genug für Thor.

Loki war zuversichtlich, dass er das Scharmützel mit den Menschen überleben würde. Die Heilung würde nur länger dauern. Magie hätte sie allerdings wesentlich beschleunigt. „Primitive Midgardianer“, murmelte er mehr zu sich. Er erkannte seine eigene Torheit im Nahkampf, weil er nicht mit einer Schusswaffe gerechnet hatte.

Alle Menschen waren Würmer. Und nun war er hier und genauso einfältig. Schwach und einfältig.

Er dachte daran, wie tief er gefallen war, von einem Prinzen Asgards zu einem verbannten und verletzten Außenseiter auf Midgard. Ein Außenseiter war bereits auf Asgard gewesen. Er hatte sich stets anders gefühlt. Nach der Leere war alles als Aufstieg zu betrachten. Er dachte an Don.

Als er einer Schulklasse auf einem Ausflug begegnet war, hatte ihn ein seltsames Gefühl der Wehmut überkommen. Die lebhaften Gesichter der Kinder hatten ihn an Dons jüngsten Sohn erinnert.

Loki vermisste den Austausch und Kontakt. Er war ein Einzelgänger, aber mit studierten Hexenmeistern hielt er gerne Zwiegespräche, wie auch mit seiner Mutter Frigga. Adoptivmutter.

Loki bedankte sich, als Nicholas fertig war. Der war zufrieden, dass kein Blut durch den Verband sickerte. Loki schob sich an ihm vorbei. Ausgelaugt sank er aufs Bett. Der Schmerz war noch immer intensiv. Er hatte seine magischen Heilungsfähigkeiten als selbstverständlich angesehen. Ohne sie war er verletzlich. Loki ließ seinen Blick durch das Zimmer schweifen und fühlte eine tiefe, nagende Frustration.

Nicholas kam zu ihm. „Setzen Sie sich bitte einmal auf, Herr Laufeyson“, bat er und fügte hin, „Der angehobene Oberkörper entlastet den Bauchraum und erleichtert das Atmen.“

Loki erhob sich und ließ sich von Nicholas die Kissen hinter dem Rücken drapieren, auf die er seufzend sank und die Augen schloss.

Er hörte Nicholas mit einem Stuhl herumrücken. Als Loki die Augen öffnete, sah er, dass Nicholas seinen Stuhl ans Bett gestellt hatte. „Was wird das?“, fragte Loki.

„Niemand stirbt während meiner Schicht!“, stellte Nicholas klar. „Sie haben die Wahl: Ich bleibe, um die lebensbedrohliche Situation engmaschig zu überwachen. Oder ich wähle den Notruf.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust.

„Ich fühle mich geschmeichelt“, antwortete Loki, „Aber weder das eine noch das andere ist nötig.“

„Ich gehe nicht. Das ist eine verdammte Schusswunde!“, protestierte Nicholas.

„Sollten Sie nicht arbeiten?“

„Ich arbeite.“

Loki schnaubte amüsiert.

„Sie sollten Ihre Hose ausziehen. Sie hat sich mit Blut vollgesaugt. Kommen Sie, ich helfe Ihnen.“ Nicholas hielt ihm die Hand hin.

Loki zögerte einen Moment, bevor die Hand ergriff, hoch kam und seine Füße über die Bettkante schwang. Nicholas half ihm auf die Beine. Der Rezeptionst staunte, wie beweglich Loki trotz seiner offenkundigen Schmerzen war. Loki öffnete die Hose und ließ sie die Beine heruntergleiten, um sich nicht zu sehr zu beugen. Schließlich folgte die Unterhose, da diese ebenfalls mit Blut befleckt war. Loki schob sie ein Stück nach unten, hielt sich mit einer Hand an Nicholas’ Schulter fest, um dann mit den Beinen nachzuhelfen. Er schämte sich nicht seiner Nacktheit.

Nicholas räusperte sich. „Wärme ist jetzt wichtig…“ Sein Puls schien ihm schneller zu gehen. Da er nicht auf Lokis nackten Körper starrten wollte, hob er rasch seinen Blick, als er gemerkt hatte, wie er Lokis Bewegungen verfolgt hatte. Er versuchte starr an ihm vorbei zu sehen und merkte dabei, wie nah sie zusammen standen. Ihre Gesichter waren nur noch Zentimeter voneinander entfernt.

„Nicholas…“, gurrte Loki und lächelte verspielt.

„Herr Laufeyson,“ stammelte Nicholas und errötete.

„Mein Name ist Loki.“

„Sie… Du solltest wirklich etwas anziehen.“ Nicholas räusperte sich.

Loki zögerte, ein seltener Ausdruck von Unsicherheit in seinen Augen. Da war er, dieser eine Moment. Der andere Mann war durchaus ansprechend. Doch bevor sie sich küssen konnten, wandte sich Loki ab. „Ich ziehe mir etwas an.“

„Ja… sicher“, meinte Nicholas. Er lächelte verlegen, aber auch ein wenig enttäuscht.

Nachdem Loki sich seinen Pyjama angezogen und unter die Decke gehuscht war, erklärte, dass Nicholas kurz am Empfang anrufe, um seine Anwesenheit zu begründen. Loki lauschte seinen schlechten Lügen mit geschlossenen Augen. Schließlich setzte sich Nicholas endlich auf den Stuhl. Er streifte seine Schnürschuhe ab, offenbarte seine grauen Socken und legte Füße auf die Bettecke.

Nicholas schlug einen vertrauten Ton an, der längst überfällig war. „Willst du mir erzählen, was passiert ist?“

Chapter 7: Außerschulisch

Chapter Text

Es war ein Leichtes, Kevins Schule ausfindig zu machen. Loki wartete, bis die Glocke läutete und die Kinder auf den Pausenhof strömten, um sein Fahrrad stehen zu lassen und das Schulgelände durch das Tor zu betreten.

Loki hatte Kevin schnell entdeckt. Als der Junge seinen Blick spürte, sich zu ihm wandte und ihn erkannte, rannte er sofort los. Loki ging ihm mit einem breiten Lächeln auf ihn zu.

„Loki! Du bist zurück!“

„Natürlich,“ sagte Loki und ging in die Knie, um Kevin auf Augenhöhe zu begegnen. Ein Schmerz schoss ihm durch den Bauch, aber er ließ sich nichts anmerken. Die Schusswunde war äußerlich verheilt, verursachte jedoch immer noch ein Stechen und Ziehen. „Hast du mich vermisst?“

Bevor sie sich unterhalten konnten, trat eine Lehrerin, eine resolute Frau Mitte fünfzig, auf sie zu. „Entschuldigung, was wollen Sie hier? Sie können nicht einfach auf den Schulhof kommen.“

Loki stand auf und versuchte, sie mit seinem Charme zu besänftigen. „Guten Tag, meine Dame. Ich bin ein Freund der Familie und wollte Kevin sehen.“

Die Lehrerin blickte ihn missbilligend an. „Ich habe keine Nachricht von Kevins Vater erhalten. Ich kann Sie hier nicht einfach so herumlaufen lassen.“

Loki setzte ein gewinnendes Lächeln auf. „Ich verstehe Ihre Vorsicht, aber ich versichere Ihnen, ich bin vertrauenswürdig.“

„Das sagen Menschen, die nicht vertrauenswürdig sind“, erwiderte sie.

Loki lachte amüsiert. Die Frau war schlauer, als sie aussah.

„Ich kenne Sie nicht. Sie stehen auf keiner Abholliste.“ Sie verschränkte die Arme. „Außerdem hat Kevin noch Unterricht. Bitte verlassen Sie jetzt das Schulgelände.“

Loki seufzte theatralisch. „Wie Sie wünschen.“ Er wandte sich an Kevin. „Ich komme wieder. Versprochen.“ Er zwinkerte ihm zu.

Kevin nickte, ein wenig enttäuscht, aber auch aufgeregt.

Loki schlenderte langsam Richtung Tor. Nachdem die Lehrerin sich anderen Kindern zugewandt hatte, nutzte er die Gelegenheit. „Jetzt oder nie.“

Kevin verstand den Wink und lief ihm hinterher.

Loki stopfte seine leichte Anzugjacke umsichtig auf den Gepäckträger, damit sein kleiner Freund einigermaßen bequem sitzen konnte, bevor sie die Flucht mit dem Fahrrad antraten. Ein sommerlicher Regenschauer zwang Loki, einen Unterstand vor einem Geschäft aufzusuchen.

„Brrrrr“, schüttelte sich Kevin.

„Willst du einen Zaubertrick von mir sehen?“ Loki sah ihn schelmisch grinsend an, wusste er doch, wie Dons Sohn seine Kunststücke liebte.

Kevin klatschte freudig in die Hände. „Ja, bitte.“

„Sieh her!“ Loki richtete seinen Blick gen Himmel. Er hob seinen rechten Arm und machte eine Handbewegung. Die Regentropfen verwandelten in große, träge Schneeflocken, die langsam zu Boden segelten. Verwirbelt vom Wind schienen sie erst schneller, dann langsamer wie in Zeitlupe zu fliegen.

Kevin staunte. „Das ist cool!“

Loki lächelte über die dieses Mal äußert treffende Nutzung des Wortes, das ihm sonst Rätsel aufgab. Mit Befriedigung beobachtete er, wie andere Fußgänger stehen blieben und ihre Hälse zum Himmel streckten. Ein paar zückten ihre Smartphone, um das Spektakel aufzuzeichnen.

Cleveland wurde dank des Eisriesen immer öfter von Wetteranomalien heimgesucht. Loki trainierte seine brachliegenden Fähigkeiten, auch wenn weiter die direkte Auseinandersetzung mit seiner Herkunft vermied. Die Macht, Wasser in allen Aggregatzuständen zu formen, war ein wunderbares Substitut für seine gefesselte Magie.

„Was willst du als Nächstes tun, Kevin?“ fragte Loki, seine Augen funkelnd vor Vorfreude.

„Ich möchte ein Abenteuer erleben!“ rief Kevin begeistert.

Loki lachte leise. „Wie wäre die Bibliothek? Das Kinder-Museum soll toll sein. Wie heißt gleich noch der Turm mit der Aussichtsplattform?“

Kevin sah ihn zweifelnd an. Er hatte eine andere Vorstellung von Abenteuer und Vergnügen. „Das klingt langweilig“, maulte er.

Langsam ging der Schnee wieder in Regen über, bevor der leichte Schauer sich ganz auflöste und die Sonne zwischen den Wolken durchbrach.

„Ich habe eine andere Idee…“, meinte Kevin. „Ich muss dir etwas sagen, Loki. Du bist echt cool, aber du bist irgendwie... zu schick angezogen.“

Loki zog fragend die Augenbrauen hoch. „Dir gefällt mein Stil nicht? Ich bin bereits weit von meiner üblichen Eleganz entfernt. Diese Kleidung ist... angemessen“, reagierte er ein wenig eingeschnappt.

Vom anfänglichen Schwarz in Schwarz hatte sich Lokis Farbpalette um leuchtende Farben und helle Töne erweitert, das Grundthema war jedoch gleich geblieben. Das charakteristisches Grün zeigte sich in einem einfachen, aber eleganten Hemd, dazu dezenter Goldschmuck. Seine schwarzen Haare hatte er zu einem lockeren Knoten am Hinterkopf zusammen gebunden. Seiner Ansicht nach hatte er sich bereits zu sehr an den saloppen Look der Midgardianer angepasst. Krawatte und Gehstock waren passé.

Auf seinen geheimen Stippvisiten in anderen Reichen mit und ohne Thor hatte Loki stets die Aufmerksamkeit auf sich gezogen wie genossen. Als (unbeliebter) Prinz war er es gewohnt, von neidischen, abfälligen bis lüsternen Blicken taxiert zu werden.

„Nicht so richtig…“, gab Kevin zu. „Ich finde den Zopf auch komisch. Das ist für Mädchen.“

„Unhöflich…“

„Was ist mit einer Lederjacke? Die sieht gut aus und ist nicht zu öde.“

„Lederjacke?“ Loki überlegte kurz und nickte schließlich.

Loki ließ sich von Kevin in eine belebte Straße mit zahlreichen Geschäften führen. Der Junge ging zielstrebig in ein Modegeschäft, wo sie durch die Gänge schlenderten und nach passenden Kleidungsstücken suchten. Loki hoffte, dass er einen besseren Geschmack als Don hatte.

Kevin suchte ihm eine leichte, cognacfarbene Lederjacke aus. Loki zog sie über und mäkelte über die minderwertige Qualität, die nicht an Asgards Leder herankam. Nichtsdestotrotz war er angetan. Kevin strahlte zufrieden. Er suchte ihm passende Hosen dazu aus und schickte ihn in die Umkleidekabine.

Als Loki wieder herauskam, betrachtete Kevin ihn mit kritischem Blick. Loki drehte sich vor dem Spiegel. Die khakifarbene Chino passte zu seinen grünen Augen. Er rundete das Outfit mit einem passenden Ledergürtel ab. Den übermäßigen Schmuck reduzierte Loki auf ein Mindestmaß. Schließlich stimmte Kevin mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck zu. Der Junge wollte noch einmal auf die Haare zu sprechen kommen, als Loki ihn unterbrach und verschränkte die Arme vor der Brust. „Meine Haare bleiben, wie sie sind.“ Die hochgerutschten Ärmel entblößten die goldenen Armreife.

„Die sehen ziemlich übertrieben aus“, kommentierte Kevin.

„Die sind... persönlich“, antwortete Loki eine Spur gereizt.

Nach dem Einkauf lotste Kevin ihn in ein Restaurant mit ein großen Halle mit lauter Spielautomaten. Die Zeit verstrich im Flug. Loki fühlte sich zum ersten Mal seit langem ein wenig weniger fremd in dieser Welt.

Plötzlich fiel Kevins Blick auf die große Wanduhr. Seine Augen weiteten sich vor Schreck. Es war später Nachmittag. „Mist, ich hätte schon längst Zuhause sein müssen! Mein Vater macht sich bestimmt schon Sorgen.“

„Dann sollten wir uns beeilen.“

Loki wollte ihn auf seinem Fahrrad heimbringen, stattdessen schlug Kevin vor, die U-Bahn zu nehmen. Für Lokis Geschmack nutzten zu viele Menschen die U-Bahn.

Das letzte Ende gingen sie zu Fuß. Je näher sie dem Haus kamen, desto nervöser wurde Loki. Er war weit davon entfernt, sich für sein kleines Kidnapping zu entschuldigen. Dafür hatte es ihm zu viel Spaß gemacht. Eigentlich hatte er nicht vorgehabt, Don unter die Augen zu treten, und nun sollte es doch dazu kommen. Aus Gewohnheit strich er sich das Haar glatt und richtete seine neue Jacke.

Kevin quasselte ihn dicht, als sie bei seinem Zuhause ankamen. Don hatte sie aus dem Fenster gesehen und stand bereits vor der Tür, sein Gesicht vor Sorge und Ärger gerötet. „Kevin! Wo warst du? Ich habe mir Sorgen gemacht!“

Kevin senkte den Kopf. „Tut mir leid, Dad. Loki hat mich in der Schule besucht und wir sind zusammen losgezogen...“

Don warf einen wütenden Blick auf Loki. „Was fällt dir ein, Kevin einfach aus der Schule zu holen und ihn den ganzen Tag durch die Stadt zu schleppen?“

Loki trat vor und versuchte, die Situation zu entschärfen. „Ich wollte... Kevin einen vergnüglichen Tag bereiten und einige wenige, wertvolle Stunden mit ihm verbringen.“ Er stolperte wie ein Idiot über seine Worte.

Don verschränkte die Arme und schüttelte den Kopf. „Das war unverantwortlich, Loki. Die Schule hat mich auf der Arbeit angerufen. Vor Stunden! Kevin ist mein Sohn, und ich muss wissen, wo er ist und was er macht.“ Er erzählte nicht, dass es ihn ein wenig beruhigt hatte, als die Lehrerin Lokis Äußeres und seine Attitüde beschrieben hatte. Er hatte kaum zu hoffen gewagt, mit wem sein Sohn Schindluder betrieb. Don war allerdings eingeschnappt, weil Loki seinen Sohn statt ihm aufgesucht hatte.

Kevin stellte sich zwischen die beiden Männer und blickte zu seinem Vater. „Dad, bitte sei nicht sauer. Wir hatten total viel Spaß.“

Don starrte sie möglichst wütend an, aber er spürte, wie seine Empörung langsam versiegte. Er betrachtete den Mann vor sich. Loki hatte gleich die Einkäufe angezogen. Der sommerliche, hellere Look mit der Lederjacke standen Loki verdammt gut. Er hätte gut und gerne auf dem Cover eines Männermagazins erscheinen können. Don spürte, wie er weiche Knie bekam. Er seufzte und sah zu Kevin, seine strenge Miene weichte etwas auf. „Du hättest mich anrufen können.“

„Nächstes Mal…“, gab Kevin zerknirscht zu. „Es wird nicht wieder vorkommen.“

Don blickte zu Loki, seine Augen immer noch skeptisch. „Wenn du hier bist, komm rein.“

~~~

Auf einem der Bildschirme blinkten ungewöhnliche Muster auf, die überraschende Wetterphänomene und plötzliche Kälteausbrüche zeigten. Tony Stark stand vor der Projektion und sah konzentriert auf die Daten.

„Was sagst du dazu?“, fragte Tony Steve, der seine Arme verschränkte und skeptisch auf die Darstellung blickte.

„Seltsam… mitten im Hochsommer...“

„Genau dort, in der wir vor einigen Wochen eine starke Tesseract-Aktivität festgestellt haben. Es könnte ein Zufall sein, aber ich glaube nicht an Zufälle.“

„Meinst du, Loki steckt dahinter? Er wurde doch nach dem Vorfall in New York nach Asgard gebracht.“

„Wenn ich wetten müsste, würde ich sagen, ja,“ antwortete Tony.

„Zuzutrauen ist dem Gott des Unfugs alles…“, stimmte Steve zu.

Tony warf die Arme schulterzuckend in die Luft. „Ich werde nach Ohio fliegen und mir die Sache genauer ansehen. Kommst du mit?“

Während sie die letzten Vorbereitungen trafen, dachte Tony über die bevorstehende Mission nach. Wenn Loki tatsächlich wieder auf der Erde war, mussten sie handeln, um eine Katastrophe zu verhindern.

~~~

„Kein Unfug, keine Gewalt, benimm dich“, warnte Don.

Loki wusste nicht, ob er oder Kevin gemeint waren. Wahrscheinlich galt es für sie beide.

„Musstest du nicht im Gefängnis?“, fragte Don ihn. „Sieht nicht so aus, als wärst du zum Müllsammeln verdonnert worden.“

„Ich nenne es Exil“, erwiderte Loki, „Verbannt aus Asgard, bis ich bereue oder leide. Oder was auch immer der Allvater sich für mich wünscht.“

„Papa-Probleme…“, murmelte Don.

„Eine Entscheidung Odins, die zeigt, wie viel ihm an seinem Adoptivsohn liegt.“ Natürlich würde Odin Loki nie vergeben, wie er seinem Lieblingssohn vergeben hatte.

„Wie lange bist du schon auf der Erde?“, fragte Don hellhörig. Er hatte gehofft, Loki würde ihn irgendwann besuchen, er hatte jedoch nicht ernsthaft damit gerechnet, den Gott wiederzusehen, und versucht, sich ihn aus dem Kopf zu schlagen.

„Einige Wochen,“ antwortete Loki beiläufig.

„Wochen?“ Dons Stimme wurde schärfer. Geknickt sanken seine Schultern nach unten, bevor er sich wieder selbstbewusst aufrichtete und eine neutrale Miene aufsetzte.

Bevor Loki antworten konnte, wurden sie von Liz, Dons Mutter, unterbrochen, die ihren Enkel Kevin voller Erleichterung fest umarmte. „Wo warst du? Ich war krank vor Sorge.“

Kevin drückte seine Großmutter ebenso fest. „Tut mir leid, Oma. Ich wollte nicht, dass du dich schlecht fühlst. Loki und ich hatten so viel Spaß... Ich habe die Zeit vergessen.“

Liz warf einen kritischen Blick auf Loki, der hinter Don stand.

„Meine Werteste, verzeiht mir meine gestohlenen Stunden mit eurem Kevin“ sagte Loki mit einer leichten Verbeugung.

Liz musterte ihn wachsam. „Ich erinnere mich… Wer bist du eigentlich? Der Kriminelle, der Prinz, der Zauberer oder der Verrückte?“ Don und die Kinder hatten ihr allerlei über den merkwürdigen Fremden erzählt, was sie zuerst der wilden Fantasie der Kinder zugeschrieben hatte, doch auch ihr Sohn hatte nicht minder verrückte Geschichten beizusteuern gehabt.

Loki lachte leise. „Ein wenig von allem, fürchte ich.“

„Mom, er hat Kevin geholfen“, erinnerte Don sie.

Liz sah ihren Sohn an. Sie konnte es nicht ausstehen, wenn er die Mom-Karte zog, aber sie ließ es ihm durchgehen. Liz seufzte. „Nun, da du schon mal hier bist, kannst du auch zum Essen bleiben.“

Loki schenkte ihr sein charmantestes Lächeln. „Ich wäre geehrt, Ihre Gastfreundschaft zu genießen, Lady Liz.“

Liz schnaubte und kräuselte die Lippen. „Lady Liz. Oha. Du wirst sehen, mich kannst du nicht so leicht um den Finger wickeln.“ Ihr gefiel Lokis Charmeoffensive, aber sie konnte das Gefühl nicht ganz abschütteln, dass man ihm nicht trauen sollte. „Wenn du hier bleiben willst, dann kannst du auch helfen. Alle Mann in die Küche.“

Don pfiff und machte eine schnelle Handbewegung, dass Loki ihm folgte sollte. „Du hast Glück, dass sie überhaupt ja gesagt hat. Schnell, bevor sie es sich anders überlegt.“

Kevin grinste. „Das wird lustig. Komm, Loki.“ Er nahm Loki bei der Hand und buksierte ihn in die offene Küche, die für alle fast zu klein war. Loki war gerührt, wie Kevin ihn willkommen hieß. Zum Glück wies Liz allen energisch Aufgaben zu, ehe er zu rührselig werden konnte. Don und Loki bereiteten das Gemüse zu, während sich Kevin um das Tischdecken kümmerte.

Während sie stehend am Küchentresen arbeiteten, begann Don, Loki auszufragen. „Erzähl mal, was ist an den nordischen Mythen dran?“

„Es gibt viele Geschichten, die im Laufe der Jahrhunderte erzählt wurden. Mit der Zeit wurden die meisten immer fantastischer. Und natürlich hat Thor seinen Teil dazu beigetragen, Taten, die meine waren, als seine in die Reiche zu tragen.“

„Oh, komm schon! Du musst uns mehr erzählen, keine Allgemeinplätze“, bettelte Don spielerisch, „Stimmt es, dass du die Mutter von Sleipnir, dem achtbeinigen Pferd, bist?“

Kevin, der einen Gesprächsfetzen aufgeschnappt hatte, hielt inne und sah Loki mit großen Augen an. „Du bist eine Mama?“

Loki verzog das Gesicht leicht, versuchte aber, gelassen zu bleiben. „Das ist... kompliziert. Die Dinge liefen damals etwas anders, als es die Mythen darstellen. Die menschliche Fantasie schmückt oft übertrieben aus.“

„Und was ist mit der Geschichte, in der Thor sich als Freyja und du dich als seine Magd verkleidet haben? Um Mjolnir zurückzubekommen?“ Don schüttelte lachend den Kopf.

Loki zuckte mit den Schultern. „Sagen wir, Thor und ich haben viele Abenteuer erlebt, und nicht alle davon sind so glamourös, wie die Erzählungen glauben machen wollen.“

„Glamourös…“, amüsierte sich Don.

Liz, die ebenfalls gelauscht hatte, sah Loki zweifelnd an. „Du behauptest, ein Gott und Prinz zu sein? Und all diese anderen fantastischen Dinge, die Don und die Kinder erzählt haben? Wo sind die Beweise?“

Loki seufzte innerlich. Warum ließ er sich dieses Verhör gefallen? „Ich verstehe, dass es schwer zu glauben ist, aber unter normalen Umständen würde ich euch in einem Bombast mit meiner Magie entzücken. Leider haben gewisse Vorkommnisse dazu geführt, dass ich meiner Kräfte beraubt wurde.“

Liz schnaubte. „Wie praktisch. Du erwartest also, dass wir dir einfach glauben, ohne irgendetwas Handfestes?“

Don mischte sich ein. „Wer würde sich freiwillig solche verrückten bis peinlichen Geschichten ausdenken?“ Es bereitete ihm ein kleines Vergnügen, Loki zu pisaken. Er war noch immer beleidigt, dass Loki erst im Schlepptau von Kevin bei ihm aufgetaucht war.

Liz sah ihren Sohn konspirativ an. „Ich weiß nicht, Don. Leute erfinden die verrücktesten Geschichten, wenn sie etwas zu verbergen haben.“ Sie wandte sich wieder Loki zu. „Was sind das überhaupt für Vorkommnisse, die dich deine Kräfte gekostet haben?“

Loki zögerte. Er wollte nicht zu sehr ins Detail gehen, aber er wusste, dass er etwas sagen musste. „Es ist eine Strafe. Eine Art... Exil, wie ich Don bereits gesagt habe. Ich habe Fehler gemacht, und das ist die Konsequenz.“

„Fehler?“

„Ich will die Stimmung nicht verderben.“

Liz ließ nicht locker. „Ist das deine Ausrede, Loki?“

Loki musste die Atmosphäre auflockern und das tat er am besten auf seine eigene, unnachahmliche Weise. Bei Magie ging es in erster Linie um die Ablenkung – und das war etwas, in dem er hervorragend war.

„Nun gut,“ sagte Loki mit einem spitzbübischen Lächeln, „Wenn ihr Beweise verlangt, dann soll es so sein. Es ist zwar nur ein Bruchteil dessen, was ich gewöhnlich erschaffen kann, aber vielleicht reicht es, um euch zu zeigen, dass ich mehr bin als nur eine einfache Figur aus alten Legenden.“

Lokis tückisches Grinsen bereitete Don Sorgen, wenngleich er es sehr anziehend fand. Er hoffte, dass Loki nicht so bald wieder verschwand.

Ein kühler Luftzug strich durch den Raum. Ein Flimmern entstand um Lokis erhobene Hände. Langsam, fast spielerisch formte er kleine Eiskristalle. Die Kristalle wandelten sich zu zarten Schneeflocken, schwebten im Raum und rieselten schließlich sanft auf den Küchentresen.

Die Temperatur im Raum sank spürbar, als die Flocken auf wundersame Weise zu einer Miniatur-Schneelandschaft anwuchsen. Winzige Bäume aus Eis wuchsen auf Gemüse, Messern und Schneidebrettern. Es war, als hätte er einen winzigen Winter mitten in ihrer Küche heraufbeschworen.

Liz starrte perplex auf die frostige Szene. „Das ist... das ist unglaublich“, murmelte sie, während sie mit einem Finger vorsichtig über einen der Schneetannenbäume strich, der unter ihrer Berührung zerfiel.

Loki triumphierte schmunzelnd. „Eine kleine Kostprobe meiner Fähigkeiten. Eis und Kälte gehorchen meinem Willen, selbst wenn mein Seiðr gehemmt ist.“

Don stieß einen verblüfften Laut aus. „Okay, das ist... nicht schlecht. Ich gebe zu, das ist beeindruckend.“

Kevin klatschte begeistert in die Hände. „Magie!“

Bevor das Eis zu kleinen Pfützen schmelzen konnte, ließ Loki die frostige Winterlandschaft wieder verschwinden.

„Hattest du nicht gesagt, deine Magie wäre blockiert?“, fragte Don stirnrunzelnd.

„Mein Seiðr, ja. Aber ich bin ein Eisriese von Geburt.“

Kevin fragte mit leuchtenden Augen: „Kannst du noch mehr solche Sachen machen? Einen Iglu erschaffen? Eine Eislaufbahn?“

Loki lächelte milde. „Bei Gelegenheit, junger Kevin. Aber nicht heute.“ Es bereitete ihm ein großes Vergnügen, seine Fähigkeiten kennenzulernen und vorzuführen. Über seine Anlage bekam er unbewusst einen Zugang zu seiner Herkunft, auch wenn er die Asgards Feinde weiterhin verabscheute.

Don erinnerte sich daran, wie Loki mit seiner bläulichen Hautfarbe und die roten Augen auf seinem Sofa gesessen hatte. Die stechenden Augen hatten etwas Beklemmendes gehabt. Loki hatte wie ein Häufchen Elend gewirkt.

Don rieb sich die Stirn und murmelte: „Das ist alles so verrückt.“ Wusste er überhaupt, auf was er sich einließ?

„Willkommen in meinem Leben“, sagte Loki trocken. „Es ist selten langweilig.“

Sean, der ältere Sohn von Don, kam gerade rechtzeitig zum Essen nach Hause, als Liz und Don mit Loki das fertige Essen auftischten. Er war frisch geduscht und trug eine Sporttasche über seine Schulter. „Loki?“, fragte Sean überrascht.

„Ich wurde eingeladen, zu bleiben“, sagte Loki rechtfertigend.

„Setz dich zu uns. Du kommst genau richtig“, sagte seine Großmutter.

Sean ließ seine Sporttasche fallen und zog einen Stuhl heran. „Ich dachte, du wärst im Knast?“

„Lange Geschichte…“

„Wir arbeiten daran“, sagte Don nüchtern. Er nahm Lokis Teller und füllte ihm von der Gemüsebeilage auf, bevor er die Schüssel weiterreichte.

Loki ließ seinen Blick über den gedeckten Tisch schweifen. Die Essen duftete verführerisch. Als er er die erste Gabel in den Mund nahm, konnte er nicht anders, als überrascht zu lächeln. „Das ist ausgezeichnet“, sagte er, während das zarte Fleisch auf seiner Zunge zerging. „Ich muss zugeben, seit meiner Ankunft auf Midgard ist dieses Mahl ein seltenes Vergnügen.“

Liz sah ihn überrascht an, bevor sich ein leichtes Lächeln auf ihre Lippen stahl. „Nun, das ist wohl das Mindeste, was ich als Gastgeberin tun kann“, sagte sie bescheiden, aber es war deutlich, dass sie sich geschmeichelt fühlte.

„In Restaurants oder mit diesen Supermarktgerichten… teils wirklich grässlich!“ Loki verzog den Mund, „Und die Weintrauben hier schmecken wie purer Honig, nur schlimmer. Ganz zu schweigen davon, dass mein Magen sich nicht immer mit allem anfreunden kann, was dieses Reich zu bieten hat.“

„Oh, das kann ich mir vorstellen“, sagte Liz, während sie einen Blick auf Loki warf, diesmal ohne den üblichen Argwohn. „Selbstgemachtes Essen hat eben seinen eigenen Zauber.“

„Ein Zauber, den ich sehr zu schätzen weiß“, erwiderte Loki anerkennend und füllte nach.

Die Türklingel unterbrach die Unterhaltung jäh.

„Ich geh hin“, sagte Sean und stand vom Tisch auf. Er öffnete die Haustür und fand sich einem Mann gegenüber, der in zivil gekleidet war, aber eine gewisse Autorität ausstrahlte. Sean erkannte sofort Tony Stark, den berühmten Iron Man.

„Hey Sidekick, sagte Tony mit seinem typischen, lockeren Tonfall.

„Iron Man?“, staunte Sean verdattert.

„Oh, ja, das bin ich. Kleiner Spaziergang durch die Nachbarschaft.“ Tony zückte ein Stück Papier aus seiner Schultertasche. „Ich bin auf der Suche nach Thors böser Stiefschwester. Hast du diesen Mann gesehen?“

Seans Herz schlug schneller, als er das Abbild erkannte. Er wusste sofort, dass es sich um Loki handelte. Doch er ließ sich nichts anmerken. „Nein, kann mich nicht erinnern“, antwortete Sean ruhig, während er dem Mann direkt in die Augen sah. Er zuckte entschuldigend mit den Schultern. „Aber… könnten Sie mir vielleicht ein Autogramm geben? Eins für mich und eins für meinen kleinen Bruder.“

Tony grinste. „Na klar, warum nicht? Wie heißen dein Bruder und du?“ Er holte eine Autogrammkarte hervor und schrieb beide mit persönlichen Sprüchen, welche er Sean dann übergab. „Hier, Kid.“

Sean nahm die Autogrammkarten entgegen und nickte enthusiastisch. „Danke!“

„Zurück zu meinem kleinen Rentierfreund: Er nennt sich Loki. Kleidet sich wie ein Rockstar, spielt aber die Diva. Er redet, als hätte er Shakespeare zum Frühstück gehabt. Kommt dir das bekannt vor?“

„Tut mir leid“, sagte Sean und sah ihn unschuldig an.

Tony musterte ihn einen Moment lang, als würde er überlegen, ob er die Antwort akzeptieren sollte. „Sicher? Er könnte sich hier irgendwo in der Gegend aufhalten.“

„Keine Ahnung…“

„Falls dir doch noch etwas einfällt, ruf an. Es ist wirklich wichtig“, sagte Tony schließlich und übergab ihm den Steckbrief samt Kontaktdaten.

Sean nickte höflich. „Natürlich. Einen schönen Abend noch.“

Mit einem letzten prüfenden Blick wandte sich Tony um und ging die Einfahrt hinunter. Sean schloss die Tür, sein Herz klopfte wild in seiner Brust. Er wusste, dass er Loki gerade gedeckt hatte. Als er zurück zum Esszimmer ging, schwirrten ihm zig verschiedene Gedanken durch den Kopf.

„Wer war es?“, fragte Liz, als Sean wieder ins Esszimmer kam.

Sean legte den Steckbrief beiläufig zur Seite und hielt das Autogramm stolz hoch. „Schaut mal, wer an der Tür war! Iron Man persönlich!“ Er ließ das Papier durch den Raum wandern.

„Iron Man? Wirklich?“, fragte Don.

Kevin war sofort neidisch. „Warum hast du nicht Bescheid gesagt?“

Sean grinste siegreich. „Keine Sorge, kleiner Bruder. Ich hab zwei Autogramme eingefordert.“ Er zauberte das zweite Autogramm hervor und reichte es Kevin, der es mit leuchtenden Augen entgegennahm. „Hier, für dich.“

Kevin strahlte vor Freude. Mit Entsetzen sah Sean, wie sein kleiner Bruder bereits das erste Eselsohr in den wertvollen Schatz knickte. „Danke, Sean! Das ist so cool!“ Zum Glück hatte Sean sein eigenes.

Loki betrachtete Sean mit einem undefinierbaren Ausdruck, als der Steckbrief mit seinem eigenen Bild darauf unauffällig umgedreht wurde und nur die weiße Rückseite zu sehen war.

„Danke, Sean.“ Don betrachtete seinen Ältesten mit Wohlwollen. Er konnte sich denken, warum Tony Stark in der Stadt war, aber wollte seinen Verdacht nicht vor seiner Mutter äußern. Stattdessen beobachtete er Loki aus den Augenwinkeln, während das Gespräch am Tisch eine neue Richtung einschlug.

„Was wollte er überhaupt?“ fragte Liz. „Will er in Cleveland eine Firma errichten? Hat er vor zu kandidieren? Hat er nicht ein Rüstungsunternehmen?“

„Er ist Ingenieur. Energiesektor, meine ich. Architekt? Definitiv Milliardär und Playboy“, steuerte Don bei. Er lenkte das Thema geschickt zu den Avengers und Superhelden im Allgemeinen.

Loki lehnte sich entspannt zurück und lauschte der Unterhaltung schweigend. Doch in seinem Kopf arbeitete es. Überrascht nahm er zur Kenntnis, dass Sean ihn zwar zuletzt reingelegt hatte, ihn jedoch nicht an Stark verpfiffen hatte. Was das bedeutete, musste er noch herausfinden.

Stark würde es nicht auf sich beruhen lassen. Wenn er erst einmal Blut geleckt hatte, war es nur eine Frage der Zeit, bis der Rest der Truppe hier herumschnüffelte.

Chapter 8: Rendezvous

Chapter Text

Später am Abend saßen Loki und Don gemeinsam auf dem großen Sofa im Wohnzimmer. Der Raum war in gedämpftes Licht getaucht. Auf dem Couchtisch stand eine Flasche Whiskey, fast geleert, während eine neue daneben auf ihren Einsatz wartete.

Loki nahm einen Schluck von seinem Glas. Er saß entspannt zurückgelehnt gegen das Polster und hing seinen Gedanken nach, als ihr Gespräch zum Erliegen gekommen war. Don hatte Lokis Fahrrad in der Garage geparkt. Es war bereits recht spät am Abend. Die Kinder und Dons Mutter waren oben in ihren Zimmern und schliefen. (Oder auch nicht.)

Für Don stand außer Frage, dass Loki wieder ihr Übernachtungsgast sein würde. Er war es schließlich, der die nicht ungenehme Stille durchbrach.

„Tony Stark sucht dich“, sagte er, während er den konfiszierten Zettel aus seiner Hosentasche holte und ihn entfaltete.

Loki nahm ihm das Papier ab. „Schreckliches Bild. Ich muss persönlich mit ihm sprechen.“

„Das Foto wird dir nicht gerecht. Live und in Farbe sieht du viel besser aus.“ Don grinste. „Deine Wetterkapriolen haben seine Aufmerksamkeit erregt.“

„Das war nichts. Harmlose Streiche. Ein wenig Frost hier, ein wenig Nebel da und ein bisschen Schnee. Nichts, was Menschen langfristig schadet. Gebrochene Knochen heilen.“

„Harmlose Streiche?“ Er hob eine Augenbraue. „Was ich so über Mythen-Loki gelesen habe, eskalieren lustige Mätzchen manchmal kolossal und enden tödlich.“

Loki seufzte theatralisch. „Ich sollte mir das Improvisieren abgewöhnen.“ Spontane Entscheidungen, die sein Leben um 180 Grad drehten, waren eine Krux. „Glaub mir, wenn ich Unheil gewollt hätte…“ Er hielt inne und wechselte zu einem bitteren Ton. „Aber das spielt keine Rolle. Dank Odins...“ Er blickte finster auf die Armreifen um seine Handgelenke. „...schmückendem Beiwerk bin ich kaum mehr als ein langweiliger Midgardianer.“

„Langweilig bestimmt nicht. Und ganz ohne…“ Don machte eine unbestimmte Handbewegung, „… bist du auch nicht. Du solltest dich glücklich schätzen, dass dein Vater….“ Er korrigierte sich schnell „… Odin dich zum Buße tun auf die Erde geschickt hat. Ich kann mir tausend Strafen vorstellen, die wesentlich harscher sind. Ich habe mir die Bilder von New York angesehen...“

Loki starrte Don an. Er war versucht, ihm die Wahrheit zu sagen. Würde Don ihm zu hören? Seine Seite glauben? Er entschied sich dagegen.

„Ich bin ein erbarmungsloser Massenmörder. Ist es das, was du hören möchtest?“, fragte Loki barsch. „Ich bereue nicht. Ich habe schreckliche Dinge getan und ich muss dafür zahlen, aber ich bereue nichts.“ Er stellte seine Glas extra kräftig auf dem Couchtisch ab. Dass Thanos ihn terrorisiert und manipuliert hatte, würde niemals über seine Lippen kommen.

„Vielleicht ist gerade das deine Buße: unter denen leben zu müssen, denen du geschadet hast“, sinnierte Don gütig.

„Wer büßt für die Sünden, die an mir begangen wurden?“, empörte sich Loki. Er fühlte, wie Tränen aufkamen und hasste sich dafür. Er sprang auf und drehte sich weg, zeigte Don die kalte Schulter, damit er sie nicht sah. „Ich habe einen einzigen Mann in New York mit meinen Händen getötet. Er hat sich mir allein allein genährt. Anstatt mich mit seiner Waffe zu erschießen, hat er anfangen, mit mir zu reden.“ Loki schnaubte. „Er hat gedacht, sein Tod bedeute etwas. Die Helden bräuchten seinen Tod, um sich zu rächen.“

Don schwieg einen Augenblick. Er hatte den Glanz von Tränen in Lokis Augen gesehen.

Die eingestürzten Gebäude hatten die meisten Menschenleben gefordert. Kollateralschäden in einer Schlacht mit Außerirdischen. Don rätselte über Lokis Motive, war er doch kläglich gescheitert, die Metropole auch nur annähernd einzunehmen.

„Ein Freund von mir fand mit 17 Jahren heraus, dass sein Vater nicht sein Vater ist“, begann Don zu erzählen, „Er fühlte sich betrogen, weil sich niemand mit ihm hingesetzt hatte. Alles kam mitten im Scheidungskrieg seiner Eltern heraus. Seine ganze Familie hat es gewusst. Er war der Familienwitz. Er war verletzt, verärgert und gedemütigt. Er hat sich gefragt, wer er ist, ob er je gut genug war.“

Don machte eine bedeutungsschwere Pause. Loki war ein emotionsgeladener, gefährlicher Tornado. Dutzende, rote Warnlämpchen leuchteten auf, aber Don ignorierte sie. Er erhob sich und trat an ihn heran. Don streckte seine Hand aus. Er zögerte, ihn zu berühren.

„Wie ist es deinem Freund ergangen?“, erkundigte sich Loki.

„Er ist ans College gegangen, hat Abstand gesucht. Er versteht sich mit seiner Mutter und Schwester. Das Verhältnis zu seinem Vater hat er abgebrochen, nachdem dieser eine neue Frau mit Kindern gesucht hat.“

Als Don keine Erwiderung bekam, wechselte das Thema. Lokis Männerdutt war locker gebunden. Don war überrascht gewesen, zu erfahren, dass Lokis Outfit Kevins Idee war. „War der trendige Man Bun auch Kevins Idee?“, fragte er und merkte, wie rauh sich seine Stimme anhörte. Er räusperte sich.

Loki wirbelte herum. „Nein, er fand sie zu mädchenhaft. Ich dachte, ich versuche einmal eine Frisur von Midgard.“

Don realisierte, wie dicht sie beieinander standen. Sein Herz schlug schneller, während seine Knie weich wurden.

„Ich weiß, du findest offene Haare besser“, säuselte Loki. Seine Mundwinkel gingen hoch. Er löste das Haargummi, schüttelte die Haare und fuhr sich mit den Finger hindurch.

Don schluckte. Seine Wange bekamen eine verlegene Röte. Er schob es auf den Whiskey. „Wild und… verwuschelt.“

„Möchtest du, dass die Avengers mich abholen?“ Es wäre zu einfach, wenn Don ihn jetzt hinaus warf. Dann musste Loki sich nicht mit seinen Gefühlen für diesen Mann auseinander setzen.

„Nein, nein!“ Don räusperte sich. „Weißt du, das hier... das erinnert mich daran, als du hier aufgetaucht bist. Die Kinder im Bett, du und ich, ein Getränk...“ Er hielt inne und sah Loki an. „Ich habe mich gefragt, ob ich dich je wieder sehe...“

Loki erinnerte sich an die Demütigung, als Eisriese auf diesem Sofa gegessen zu haben. Freiwillig hätte er sich niemals in seiner wahren Form gezeigt. Loki bevorzugte den schönen Schein. „Wolltest du mich wieder sehen, nachdem du meine wahre Natur zu Gesicht bekommen hast? Den furchteinflößenden, barbarischen Eisriesen?“

„Furchteinflößend vielleicht. Aber nur wenig anders“, antwortete Don ruhig, „Ehrlich gesagt, selbst das Blau tut deiner Attraktivität keinen Abbruch. Und für barbarisch redest der Gentleman zu geschwollen.“

Loki verzog amüsiert den Mund.

„Hey, wir könnten morgen Jetski fahren. Wenn du bleibst. Oder wir treffen uns morgen am See. Ich mache eine Werbeaktion am Erie.“

„Eine schöne Verbindung von Form und Funktion…“, wiederholte Loki Dons Worte von damals murmelnd. Er hatte ihm den Jetski seiner Exfrau zum Kauf angeboten.

„Ja!“ Loki hatte es nicht vergessen.

Loki fuhr sich unbewusst durch das Haar, um eine imaginäre, lose Haarsträhne hinter sein Ohr zu klemmen. „Jet-Skis… ich… mir sind solche Fahrgeräte unbekannt.“ Er stolperte wie ein Idiot über seine Worte, als den glühenden Blick des alleinerziehenden Vater mittleren Alters sah. Ein gewöhnlicher Mann machte ihn nervös.

„Ich zeige dir alles! Ist ein Kinderspiel. Man kann auch zu zweit fahren.“ Don lächelte vergnügt. „Wenn du den Dreh raus hast, wirst du es lieben. Das wird deine neue Lieblingsbeschäftigung.“

„Wir werden sehen, Don.“

Die Vorstellung, Loki auf einem Jetski zu sehen, amüsierte Don – und er war gespannt darauf, wie der Gott der List sich auf dem Wasser machen würde. Das gab ihm die Gelegenheit, ihre Beziehung zu vertiefen.

„Willst du…? Kann ich dir noch etwas Whiskey anbieten?“, fragte Don aufgeregt.

„Don, du bist ein anständiger Mann. So weit von dem entfernt, was ich bin“, sagte Loki, fast beiläufig, mit einer unerwarteten Wärme in seiner Stimme, während er nach draußen auf die Terrasse blickte.

„Ähm, danke.“ Don war überrascht von Lokis Worten. Es kam nicht oft vor, dass jemand ihm ein Kompliment machte. „Klar, du bist ein komplizierter Kerl, aber... tief im Inneren bist du ein... liebevoller, süßer Kerl, auch wenn du das selbst nicht siehst.“

Loki starrte ihn an, seine Miene blieb undurchdringlich, aber etwas in seinem Blick veränderte sich. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, hielt aber inne. Er schlug seine Augen nieder. Die dunklen Wimpern gaben ihm einen fast friedlichen Ausdruck.

„Liebevoll und süß“, wiederholte Loki leise, fast so, als würde er die Worte kosten. Er war zu sehr von Dons Worten gerührt, um darüber zu spotten und sie verächtlich zu machen. „Das sind nicht gerade die Adjektive, die man normalerweise mit mir in Verbindung bringt.“

Don griff mit seiner Hand nach Lokis. Grüne Augen erwiderten seinen Blick. Loki drückte seine Lippen zusammen, bevor er sich mit der Zunge über die Unterlippe fuhr.

„Ich denke, mir fallen doch noch ein paar andere Adjektive ein. Frech, wortgewandt... gut aussehend.“

„Don.“

Don nahm sein Gesicht in die andere Hand, beugte sich vor und küsste ihn.

Loki erstarrte für einen Moment, bevor seine Lippen weich wurden. Er schloss langsam die Augen, gab sich dem warmen Gefühl hin, begehrt und gewollt zu werden. Er genoss jede Sekunde, in der der Schnurrbart auf seiner Haut kitzelte und prickelte. Er atmete Dons moschusartigen, leicht verschwitzten Duft ein. Für einen Sekundenbruchteil war der einzige klare Gedanke in Lokis Kopf, dass er mehr wollte, mehr brauchte.

Don schmeckte den Whiskey, schmeckte seine eigene Verzweiflung und das Verlangen. Er legte eine Hand um Lokis Taille, um ihn näher an sich heranzuziehen, die andere in seinen Nacken, um ihn daran zu hindern, abzuhauen. Er küsste ihn, als ob er ihn retten könnte.

Sie küssten sich so lange, bis Don das Zeitgefühl verlor und fast nichts mehr wahrnahm, was nicht der Mund von Loki war.

„Oh man… ich… verblüffend, davon steht nichts in den Mythen“, atmete Don ein. Seine Lippen waren rosig und leicht geschwollen.

„Wovon?“

„Dass du küssen kannst.“ Don lachte leise. Er warf einen kurzen Blick zur Treppe. „Die Kinder sind noch wach. Morgen ist Schule.“

„Willst du sie zur Räson bringen?“ Loki sah zerwühlt aus. „Ich warte hier.“

„Nein!“, erwiderte Don bestimmt, „Ich will mich mit dir verstecken, bevor mich die Kinder oder meine Mum mich mit dir sehen.“

„Was soll deine Mum nicht sehen?“ Ehe er sich versah, hatte Loki ihn an seinen Körper gepresst, mit seinen Händen umgarnt und küsste ihn hart.

Luft schnappend löste sich Don von ihm.

Er nahm Lokis Hand und führte ihn in den Flur. Vorsichtig lugte er zur Treppe nach oben und lauschte, ob sich auch niemand dort oben Richtung Erdgeschoss bewegte.

Loki kicherte vergnügt. Zu seiner Überraschung war er in diesem Moment glücklich. Er hatte völlig vergessen, wie schön und leicht dieses Gefühl war. Kaum hatte Don die Schlafzimmertür hinter ihnen geschlossen, schloss er ihn wieder in seine Arme und küsste ihn wie ein Ertrinkender.

„Warte, Loki.“ Don legte seine Hände auf Lokis Brust, um ihn zu stoppen. Er realisierte, was sie vorhatten, zu tun. „Ich habe noch nie…“, gestand er betreten. Don fragte sich plötzlich, wie alt Loki war und ob man das mit Menschenjahren vergleichen konnte. Wie viele Liebhaber er schon vor ihm gehabt hatte. Wie viel attraktiver und jünger diese gewesen waren.

„Wir müssen nichts tun, was du nicht willst“, versicherte Loki. Das Lächeln erreichte seine Augen. Ein paar zarte Lachfalten bildeten sich. Loki wollte und brauchte es genauso wie Don. „Mach mit mir, was du willst.“

„Jesus…“, murmelte Don. Er ging zum Bett, um das kleine Licht auf seinem Nachttisch anzumachen, während er Loki bat, das große Deckenlicht zu löschen. In der oberen Schublade hatte er ein paar abgelaufene Kondome. Er fragte, ob er sie brauchen würde, ob er soweit gehen wollte.

Als er sich zu Loki umdrehte, hatte sich dieser bereits obenrum frei gemacht. Der Gott wirkte definierter, als sein schlanke Gestalt es hätte vermuten lassen. Der goldenen Armreife hoben sich stark von seinem blassen Körper ab. Don stach plötzlich die frische Narbe an Lokis Seite ins Auge. Er kam näher und berührte die Haut besorgt. „Was ist passiert?“

„Das ist nichts. Ein unbedeutender Nahkampf.“ Loki schnalzte mit der Zunge.

„Das sieht nicht nach nichts aus.“

„Don.“ Loki hob Dons Kinn mit seinen Fingern an, damit er ihm in die Augen sehen musste, „Ich will, dass du mehr Eindruck hinterlässt.“

Don konnte den intensiven Blick Lokis kaum ertragen, aber gleichzeitig konnte er nicht wegsehen. Lokis Augen glitzerten wie die Oberfläche eines tief grünen Sees, der ihn in seinen Bann zog. Es war, als würde Loki ihn auf eine Weise sehen, wie noch nie jemand zuvor.

„Loki…“ begann Don, doch sein Protest klang schwach.

„Sch…“ flüsterte Loki, seine Stimme samtig weich. Der leidenschaftliche Kuss bescherte Don weiche Knie und brachte sein Verlangen wieder in den Fokus.

Don hatte es schlagartig eilig, sein Hemd aufzuknöpfen und sich von gänzlich seiner Kleidung zu befreien, nur unterbrochen von weiteren Liebkosungen. Er küsste Lokis Nacken, was ihm dieser mit einem lüsternen Stöhnen quittierte. Volltreffer. Don intensivierte sein Vorhaben, spielte mit seinen Lippen, Zähnen und heißem Atem, abgewechselt von dem Lecken mit der Zunge über Hals und Nacken. Loki bedankte sich mit wunderbaren Lauten und ließ ihn seine Erektion gegen sich spüren.

„Lüg mich an“, forderte Don, als sie schließlich nackt auf dem Bett lagen, ihre Körper ineinander verschlungen. Er wusste, dass ein kleines Bäuchlein hatte und ihn die grauen Haare älter machten.

„Verdammt, Don, deine Zunge ist glorios…“ Loki sah ihn verrucht an. „Ich kann das nicht auf mir sitzen lassen.“ Er rollte Don auf den Rücken und ließ seine Hand tiefer gleiten, während er gleichzeitig den Blickkontakt aufrecht hielt. Lokis Hand rieb seinen pulsierenden Schaft, bis sich sein Schwanz zur vollen Größe aufgerichtet hatte. Mit dem Daumen kreiste Loki über die empfindliche Eichel.

Don atmete hör- und sichtbar aus und ein.

Bevor er wusste, wie ihm geschah, war Loki zwischen seinen Beinen. Seine Finger schlossen sich um Dons Erektion und bewegten sich rhythmisch auf und ab. Don stöhnte tief und kehlig auf, als sich ein feucht-warmer Mund über seinen Penis stülpte und zu saugen begann.

Automatisch stieß Don seine Hüfte vor. Er murmelte und entschuldigte sich, hörte aber nicht auf, tiefer zu stoßen. Mit Faszination sah er, wie sein Schwanz in Lokis willigem Mund versank. Tränen glänzten in Lokis Augenwinkeln, stoppten ihn jedoch nicht. Don griff nach Lokis dunklen Locken, mit den er zuvor schon gespielt hatte, nur dieses Mal fester.

Von Extase getrieben wand er sich unter Lokis Mund und Zunge, die ihn in den Wahnsinn trieben. Zuckungen befielen ihn. Sein Atem ging stoßweise. Ein letzter Stoß und sein ganzer Körper spannte sich an und schoss seinen Samen in Lokis Rachen, ehe alle Spannung von ihm abfiel und er befriedigt in die Matratze sank.

Loki stützte sich auf seine Arme, drückte sein Fleisch spürbar gegen Don, beugte sich und küsste ihn langsam. Don erwiderte den Kuss faul. Sein Schnurrbart kitzelte herrlich. Als Don seine Augen öffnete, konnte Loki die Sättigung darin sehen.

„Das war… wow“, murmelte er gegen Lokis Lippen. Er fühlte, wie Loki seine Härte gegen schlaffen Schwanz rieb. „Gib mir ein bisschen Zeit...“

Loki ignoriete ihn. Seine Lippen wanderten tiefer, an Dons Hals entlang, den er willig freigab, indem er den Kopf zur Seite drehte und seine Mund zu einem stummen Stöhnen öffnete. Loki arbeitete sich weiter runter, küsste, leckte und liebkoste Dons Nippel, was ihm dieses Mal geräuschvolles Keuchen einbrachte.

„Komm her“, keuchte Don. Er klopfte neben sich auf das Bettlaken. „Komm, Pussycat.“

„Pussycat?“ Loki horchte auf. Seine blass-weiße Haut sah aus wie Porzellan. Eine wilde, schwarze Locke hing in seiner Stirn.

„Ja, du bist nicht einmal annähernd eine Bedrohung, kein Chaosgott oder Unheilbringer. Du bist eine kleine, bezaubernde Miezekatze.“ Don blickte ihn kokett an. Es verlangte ihn danach, ihm die Strähne liebevoll aus dem Gesicht zu streichen.

Statt beleidigt zu sein krabbelte Loki wie ein eleganter Panther mit einem unverhohlenen Appetit in seinen Augen auf Don zu. „Du hast mich noch nicht im Kampfgeschehen erlebt“, knurrte er spielerisch und knabberte an Dons Schlüsselbein.

Don schupste ihn zur Seite, sodass Loki auf dem Rücken liegen blieb, und schmiegte sich ihn heran. „Jetzt bin ich an der Reihe.“ Seine Nasespitze berührte Lokis Wange, während Don mit seinen Fingern der schmalen Haarspur bis in Lokis Schoss folgte und dort seine Hand Lokis hartes Glied umschloss. Mit dem Daumen verrieb er die Lufttropfen, die aus der Eichel perlten.

Loki öffnete seine Mund und atmete zittrig aus. Er war bis zum Bersten erregt.

„Loki…“, hauchte Don. Lokis Hüfte stieß seinen Handbewegungen enthemmt entgegen, anfangs noch langsam, dann immer schneller und kräftiger.

„Jaaa…“ Loki drückte seine Stirn seitlich gegen Dons. Sein heißer Atem wurde lauter und lauter.

Don legte Zeigefinger und Daumen um die Eichel und strich über das Bändchen. „Komm für mich.“

Loki keuchte immer lauter, bis es in einem Stöhnen gipfelte. Ein letztes Mal stieß er seine Hüfte nach oben und spritzte seine Ladung über seinen Oberkörper.

Don schob die Haut nach vorne, um auch den letzten Rest herauszupressen. Tropfend leckte weißer Samen aus seiner Eichel. Dann betrachtete er das weißliche Sperma auf Lokis Bauchdecke. Er zog seinen Zeigefinger durch die Spuren und leckte ihn ab. Der Geschmack war herb, männlich. Don war froh, dass Loki ihn zu nichts überredet hatte, was er nicht wollte, denn er war sich sicher, dass er nicht hätte Nein sagen können.

Er zog ihn an sich und gab ihm einen Kuss auf seine Stirn. Don wollte ihn nie wieder hergeben, doch er wusste nicht, ob Loki das genauso sah.

Sie küssten sich und schliefen erschöpft ein.

~~~

Loki wachte mitten in der Nacht auf. Ein Alptraum hatte ihn aufschrecken lassen. Don hatte davon nichts mitbekommen. Loki befreite sich vorsichtig von seinem Arm und stahl sich aus dem Bett. Er schlüpfte in Dons Morgenmantel und ging ins Wohnzimmer.

Das Mondlicht fiel durch die große Terrassenfront und malte silberne Muster an die Wände. Loki setzte sich auf das Sofa, lehnte sich zurück und starrte in die Dunkelheit, seine Gedanken schwer und verworren.

Es war ironisch, dass er hier, in diesem Reich, das ihm fremd war, diese Nähe gefunden hatte.

Loki dachte über sein Leben nach, über all die Dinge, die er zerstört hatte, all die Leute, die er verraten hatte. Es war fast so, als hätte er eine seltsame, selbstzerstörerische Freude daran, alles kaputt zu machen, was ihm gut tat. Loki war immer der Außenseiter, der Trickster, der Verräter. Selbst jetzt, nach allem, was passiert war, konnte er nicht anders, als zu glauben, dass er auch dies kaputt machen würde.

Loki rieb sich die Schläfen und schloss die Augen, versuchte die aufsteigende Unruhe zu verdrängen. Warum konnte er nicht einfach glücklich sein? Warum konnte er nicht einfach eine gute Sache in seinem Leben annehmen, ohne alles in Frage zu stellen?

Er wusste, dass es da eine Angst tief verwurzelt in ihm gab. Die Angst, dass er nicht wirklich geliebt wurde. Dass jeder, der ihm nahekam, schließlich erkennen würde, dass er nicht derjenige war, den sie zu kennen glaubten.

Loki seufzte leise. Es hatte keinen Sinn, weiter zu grübeln. Er stand langsam auf und glitt lautlos wie ein Schatten in der Dunkelheit wieder zurück ins Schlafzimmer. Dort streifte Loki den Morgenmantel ab und schlüpfte nackt unter die Bettdecke.

Don hatte sich umgedreht und zeigte ihm seine Rückseite. Loki schmiegte sich an und legte einen Arm über ihn. Seine Lippen berührten zu einem zarten Kuss Dons Schulter. Langsam fielen seine Augen zu, während er dem Rhythmus von Dons Atem lauschte.

Chapter 9: Lächeln

Chapter Text

Don wachte vor seinem Wecker auf. Er hielt die Augen geschlossen und lauschte der Ruhe. Er beglückwünschte dazu sich, dass er die zweite Whiskeyflasche nicht mehr geöffnet hatte. Je älter er wurde, desto weniger vertrug er. Träge rollte er sich auf den Rücken, als er bemerkte, dass er nicht allein im Bett war. Ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen. Loki war noch da.

Don drehte sich auf die Seite.

Loki lag schlummernd mit dem Gesicht zu ihm gewandt da. Die Bettdecke hatte er bis zum Hals nach oben gezogen. Er wirkte friedlich und vollkommen unverstellt. Als er den Blick auf sich spürte, kniff er die Augenlider zusammen und seufzte müde, bevor seine Augen aufschlug.

„Ich wollte dich nicht wecken“, entschuldigte sich Don. Er hätte gerne Loki weiter beim Schlafen zugesehen.

Loki blinzelte verschlafen, ein Lächeln auf seinen Lippen, als er Dons Gesicht sah. „Guten Morgen.“

„Ich hätte nie gedacht, dass ich jemals eine Nacht mit einem Gott verbringen würde.“ Don schmunzelte.

„Beeindruckend, nicht wahr?“ Loki grinste verwegen. Er schob sich vor und küsste Don auf den Mund.

Don erwiderte den warmen, genüsslichen Druck der Lippen. „Beeindruckend“, murmelte er gegen Lokis Mund.

Loki ließ seine Hand unter die Bettdecke wandern und fand Dons bestes Stück sehr interessiert. „Nicht so beeindruckend wie dein strammer Freund.“

Don errötete. Lokis Hand fühlte sich wunderbar an. Er ließ sich von Loki leiten. Als dieser seinen Schwanz mit seinem eigenen berührte, verstand Don sofort und bewegte sich auf und ab, sodass sie aneinander rieben. Es war ein unheimlich geiles Gefühl.

Don stöhnte. Loki empfing jeden Laut mit seinem offenen Mund. Ihre Körper bewegten sich in einem Rhythmus, bei dem sie ineinander verloren gingen. Mit einem animalischen Grunzen kam Don. Loki folgte ihm kurz darauf mit einem langen Stöhnen, bevor er sich erschöpft auf den Rücken rollte.

Dons Radiowecker ertönte. Die Sprecherin verkündete die Nachrichten.

„Ich könnte jeden Morgen so aufwachen“, sagte Don. Er seufzte und stützte sich auf den Unterarm. Mit seiner Hand strich er eine zerzauste Locke Lokis aus dem Gesicht.

„Das wäre nicht das schlimmste.“

„Komm, bevor die anderen aufwachen“, sagte Don, „Willst du duschen? Erst du, dann ich?“

Loki seufzte übertrieben. Er schwang die Beine über die Bettkante und erhob sich. Kaum stand er, räkelte und streckte er sich ausgiebig.

Don gaffte ungeniert auf Lokis wohlgeformten Po. Ein dummer Kuss und ein bisschen Reiben waren seine Erfahrungen mit dem gleichen Geschlecht. Aber es war mehr als fleischliches Vergnügen. Don staunte über die närrische Zärtlichkeit, mit der er ihm nachblickte.

„Warte!“, rief Don, als Lokis nach dem Klinke griff. „Zieh dir bitte etwas über.“

„Ist mir gar nicht aufgefallen.“ Loki grinste schelmisch.

„Wir wollen niemanden auf falsche Gedanken bringen…“

Loki nahm sich den Morgenmantel vom Haken und schlüpfte hin. Ehe er zur Tür hinausging, warf er Don einen neckischen Luftkuss zu.

Don ließ sich rückwärts aufs Bett fallen. Loki würde ihn noch umbringen. Er hatte keine Angst, mit Loki neue Gewässer zu befahren. Seine Mutter, und wie sie reagieren würde, machte ihm mehr Sorgen. Die Kinder waren ein anderes Thema. Sie kamen mit Loki gut klar. Andererseits wussten sie nicht, dass ihr Vater eine Affäre mit ihm hatte. Don käme besser mit der Ablehnung seiner Mutter zurecht als mit Seans.

Da wusste Don noch nicht, dass Loki die Bombe platzen ließ.

Statt den direkten Weg ins Bad zu gehen, holte Loki seine Kleidung, die er nach seinem Shopping-Trip mit Kevin in einer Tüte im Wohnzimmer zurückgelassen hatte. Auf halbem Wege traf Loki auf Dons Mutter.

„Guten Morgen Lady Liz“, wünschte Loki. Ein verschlagenes Grinsen legte sich auf seine Lippen. Sie hatte gesehen, aus welcher Tür gekommen war.

Liz öffnete den Mund. Es kam jedoch kein Ton heraus, erst verzögerte antwortete sie ihm geplättet klingend: „Guten Morgen.“

„Verzeih mir das unangemessene Gewand.“ Loki gab sich nonchalant und marschierte weiter ins Wohnzimmer. „Ich fürchte, ich habe meine Kleidung hinter dem Sofa vergessen.“ Als er fündig wurde, stieß er ein „Ah!“ hervor und verabschiedete sich mit einem angedeuteten Knicks bei Dons Mutter und ging ins Badezimmer.

Nachdem sowohl Don als auch Loki geduscht und angezogen waren, gingen sie in die Küche. Mit den feuchten, nach hinten gekämmten Haaren sah Loki jünger aus, fand Don. Sie bewegten überraschend harmonisch in der relativ kleinen Küche, um das Frühstück vorzubereiten.

Liz hatte sich darum gekümmert, dass Jungen aus dem Bett kamen. Sie bat Don um ein späteres Gespräch. Don hörte bereits die drohende Standpauke, ahnte aber nicht, dass seine Mutter bereits im Bilde war.

Als alle zusammen am Tisch saßen, aßen und plauderten, musste Loki an die unbeschwerteren Tage in Asgard denken. Das Essen war weit weniger überzeugend als Liz’ gezaubertes Mahl. Loki hatte an viele merkwürdige Lebensmittel gewöhnt, aber Cornflakes oder Toast kamen ihm nicht auf den Teller.

Don konnte nicht widerstehen, Loki ein bisschen zu necken. „Ich hoffe, du hast nicht vergessen, dass du heute ein Jetski ausprobieren wolltest?“ Er griff nach einer Tasse Kaffee.

Loki tat so, als ob er nachdachte. Seine Augen blitzten amüsiert. „Ich erwarte nichts Geringeres als das Beste.“

Don und Loki tauschten verstohlene Blicke, jedes Mal, wenn die Aufmerksamkeit der anderen abgelenkt war. Don zwinkerte Loki zu und Loki erwiderte mit einem kleinen, verschmitzten Lächeln.

„Piranha Powersports verfügt über die hochwertigsten und schnellsten Jetskis auf dem Markt“, versicherte Don.

„Ich will auch!“, rief Kevin begeistert.

„Nach der Schule“, versprach Don. Die Werbeaktion sollte erst gegen Mittag starten. Don und sein Mitarbeiter mussten die Jetskis zum See transportieren und andere Vorbereitungen treffen.

„Hoffentlich passt ihr gut auf. Nach gestern“, betonte Liz deutlich, dass sie Kevins und Lokis Verhalten vom Vortag missbilligend und es nicht vergessen hatte, „will ich nicht die Polizei oder Rettung rufen müssen.“

„Loki, kannst du mir einen Trick mit Feuer zeigen? Das letzte Mal war so cool!“, bettelte Kevin.

Sean verdrehte die Augen und seufzte. „Kevin, du Dummkopf, hast du nicht zugehört? Loki kann nur Eis und Schnee manipulieren. Seine Magie ist kaputt oder so.“

Loki lachte in seinen Kaffee. „Ich bin ein wenig eingeschränkt. Das heißt nicht, dass wir nicht kreativ werden können.“ Er zwinkerte Kevin zu. Der Junge grinste breit.

„Loki, bitte“, ermahnte Don ihn und wandte sich an seinen jüngsten Sohn: „Feuer ist zwar spannend, Kevin, aber es ist auch gefährlich. Wir wollen nicht, dass jemand verletzt wird oder dass etwas abbrennt.“

Kevin biss sich geknickt auf die Unterlippe.

Loki, der neben ihm saß, legte eine Hand auf Kevins Schulter. „Es ist gut, dass du dich begeistern kannst. Man sollte Talente und Interessen von Kindern fördern, anstatt sie zu unterdrücken.“

„Grisu, der kleine Drache…“, grinste Sean und erinnerte an die Zeichentrickserie, mit dem kleinen Drachen, der unbedingt Feuerwehrmann werden wollte, der seine wahre Natur jedoch letztlich nicht verleugnen konnte und stets alles in seiner Umgebung versehentlich in Brand steckte.

„Wer nicht übt, wird natürlich nicht besser, Feuer zu kontrollieren“, kommentierte Loki.

Don sah ihn wenig begeistert an. „Mein Junge ist kein Magier und auch kein…“ Er wusste nicht mal, was Loki genau war. Es schockierte ihn, wie wenig es ihn schockierte, dass er sich mit einem Eisriesen eingelassen hatte. In seiner jetzigen Form wirkte er sehr menschlich, aber weit weg von gewöhnlich.

Loki lächelte ruhig. „Vertrauen, Don, ist wichtig. Es geht nicht darum, was sie tun, sondern wie sie es tun. Mit dem richtigen Training und der richtigen Anleitung kann Kevin seine Neugierde sicher erforschen.“

Liz beobachtete die Interaktion zwischen Loki und Don mit wachsamen Augen. Sie konnte sehen, dass die beiden eine unerwartete Eintracht gefunden hatten. Lokis Charme waren schwer zu ignorieren. Don schien ihm auch zum Opfer gefallen zu sein. Liz kämpfte mit ihrem Misstrauen Loki gegenüber.

„Darüber reden wir noch…“, meinte Don zu Loki. „Musst du heute etwas erledigen? Du bist ja recht spontan über Nacht geblieben.“ Während er sprach, versuchte er nicht daran zu denken, was letzte Nacht zwischen ihnen passiert war.

„Gegenwärtig bin ich sehr flexibel.“ Loki blickte ihn klandestin an.

„Gut zu wissen“, sagte Don. „Unsere Promo am See startet gegen Mittag. Ich würde dir definitiv empfehlen, andere Kleidung anzuziehen. Etwas... passenderes.“

Loki richtete sich und starrte an sich herab. Er legte eine Hand auf seine Brust und strich unschuldig darüber. Mit einem verschmitzten Lächeln registrierte er Dons scharfes Einatmen. „Was ist daran unangemessen?“

„Du kannst schwimmen, ja?“, fragte Don einigermaßen gefasst.

„Natürlich. Gewöhnlich ohne Kleidung.“

Don schluckte. „Was ist mit anderen Wassersportarten?“

„Segeln, Rudern und Kanufahren. Auf Asgard haben wir viele Maschinen betriebenen Wasserfahrzeuge zum Vergnügen. Die Mannigfaltigkeit auf Midgard macht mich neugierig.“

Liz erinnerte die Kinder an die Uhrzeit. Don dankte seiner Mutter. Er hatte völlig die Zeit vergessen. Eine leichte Hektik brach aus, weil Kevin seinen Schulrucksack nicht fertig gepackt hatte. Liz half ihm dabei. Liz trieb die Junge liebevoll, aber bestimmt zur Eile, um sie zur Tür hinauszuschicken.

Derweil öffnete Don das Garagentor, damit Loki mit seinem Fahrrad losfahren konnte. Als Don sich sicher, dass niemand sie sah, lehnte Don sich leicht zu Loki hinüber und küsste ihn sanft auf die Lippen. Loki erwiderte den Kuss, seine Hand legte sich für einen kurzen Moment an Dons Wange.

„Ich bin froh, dass du geblieben bist“, flüsterte Don.

„Ich auch.“

Sie verabschiedeten sich auf später. Don sah nach, wie Loki nach knapper Richtungsweisung davon radelte.

Drinnen erwartete Don seine Mutter. Sie räumte das Frühstücksgeschirr in die Spülmaschine. Don ging ihr zur Hand. An ihrem Blick konnte er sehen, dass ihr irgendwo der Schuh drückte. „Mein Junge, ich weiß, du bist schon eine Weile Single. Dein Gast… Loki ist… ein Mann. Ein sehr charmanter Mann.“

„Das ist mir auch schon aufgefallen!“

„Ich urteile nicht über deine neuen Präferenzen“, deutete Liz an.

„Mum…“

„Du weißt natürlich, wie man sich vor… sexuell übertragbaren Krankheiten schützt.“

„Mum! Natürlich weiß ich das.“ Don fiel ein, dass er den Bestand in seiner Nachttischschublade dringend erneuern und erweitern musste.

„Du solltest diskreter sein. Was, wenn die Kinder es mitbekommen hätte?“, frage Liz vorwurfsvoll.

„Dass ihr Vater Sex hat? Damit müssen sie zurecht kommen. Ich habe auch Bedürfnisse. Ich will nicht nur alleinerziehender Vater sein.“

„Glaubst du, Loki ist der sesshafte Typ?“, ernüchterte Liz ihn, „Was macht er überhaupt beruflich? Wie verdient er sein Geld? Als Magier ist er vermutlich viel unterwegs.“

„Ich weiß nicht genau…“ Don seufzte resigniert. Soweit hatte er bisher nicht gedacht.

Liz schloss die Spülmaschine, nachdem Don den Tab gelegt hatte, und startete das Programm. „Loki ist flatterhaft. Am Ende ist er schneller weg als Catherine.“

Autsch. „Danke, Mum.“ Don verzog den Mund.

„Don, ich will doch nur, dass es dir gut geht.“ Seine Mutter strich ihm über die Schulter. „Du bist nicht der Typ für eine Nacht. Oder ich kenne dich sehr schlecht… Ich sehe doch, wie es dir geht. Schwule Männer sind meist nur auf schnelle Befriedigung aus. Aber du hast Kinder…“

Das Gespräch mit seiner Mutter deprimierte Don immer mehr. Er hatte sich einmal eine App heruntergeladen. Wenn es ihm nur um Spaß gehen würde, hätte er ihn haben können. „Die Kinder lieben Loki und…“ Er liebt die Kinder, wollte er sagen, aber die Worte blieben unausgesprochen. Interpretierte er zu viel in eine Nacht? Loki war viel länger geblieben. Er hätte sich davon stehlen können, wenn er es gewollt hätte.

„Das ist wahr“, stimmte Liz überraschend zu. „Er gibt sich viel Mühe.“

~~~
Loki radelte zurück zu seinem Hotel. Der Wind pfiff an ihm vorbei, aber er spürte die Kühle des Morgens kaum. Der Weg war länger, als er es von der Bahnfahrt mit Kevin am Vortag in Erinnerung hatte. Er schob sein Fahrrad in den Abstellraum des Hotels. Schweißperlen standen ihm auf der Stirn.

Auf seinem Zimmer angekommen prüfte Loki seinen Kleiderschrank: Alles fein und edel. Nichts davon schien für einen Tag am See beziehungsweise fürs Jetskifahren geeignet. Die Idee eines saloppen Outfits war ihm ein Graus. Er wählte eine dunkelblaue Hose und ein helles, luftiges Hemd – was seiner Meinung nach zumindest einigermaßen der Situation angemessen war.

An der Rezeption sprach er die junge Rezeptionistin namens Amelia, die ihn freundlich anlächelte, an. „Guten Morgen, Mr. Laufeyson. Wie kann ich Ihnen behilflich?“ fragte sie höflich.

Loki bat sie einen Strauß Blumen an Dons Adresse zu schicken. Er diktierte ihr einen kurzen Text für die Karte, in der sich für das wundervolle, selbst zubereitete Mahl bedankte. Er überließ Amelia die Wahl der Blumen und reichte ihr Papiergeld dafür.

Loki bedauerte es, dass Nicholas an diesem Tag nicht arbeitete. Er war der einzige Vertraute, den Loki hatte, wobei er nicht sicher, ob sich diese Vertrautheit wandeln würde, hätte Loki kein Geld mehr.

Die Sonne stand bereits hoch am Himmel, als er sich wieder auf sein Fahrrad schwang und zum See aufbrach, um Don zu treffen.

Schon aus der Ferne konnte er Dons Stand erkennen. Der Name „Piranha Powersports“ prangte auf türkisen Fahnen, die im Wind flatterten. Der große Faltpavillon war ebenfalls nicht zu übersehen. Aufgereihte Jetskis glänzten in der Sonne und zogen die Blicke der Spaziergänger und Besucher des Sees auf sich. Don und sein Mitarbeiter hatte schon alle Hände voll zu tun.

Don entdeckte Loki sofort, als dieser näherkam, und winkte ihm zu. Ein breites Grinsen legte sich auf sein Gesicht. Er hatte es geahnt: Der Gott der List hatte keinerlei Ahnung, wie man sich für einen Tag auf dem Wasser kleidete.

„Hey, Loki!“ rief Don, als Loki sein Fahrrad beim Van abstellte und zu ihm hinüberging. Aufgeregt glättete er seine schwarzen Locken, die unter dem Fahrwind gelitten hatten.

„Wie könnte ich deine Einladung ausschlagen, Don?“ Loki war sich nicht ganz sicher, was ihn erwartete.

Don zögerte. Er überlegte, was eine angemessene Begrüßung war.

Loki erwiderte das Lächeln und umarmte ihn. Seine Hände gruben sich in Dons weiche Fleeceweste. Er schloss für einen kurzen, glücklichen Moment die Augen.

„Ich bin froh, dass du vom Austausch von Spucke absiehst“, murmelte Don. Er erwiderte die Umarmung jetzt schon zu lange, „Jason käme, glaube ich, nicht darauf klar.“

„Wer ist Jason?“

„Mein Mitarbeiter.“ Don zeigte auf den etwa dreißigjährigen Mann mit kurzen, dunkelblonden Haaren, dem türkisen T-Shirt und der beigen Hose.

Don musterte Lokis Kleidung, nachdem sie sich voneinander gelöst hatten. „Ich hab mir schon gedacht, dass du ein bisschen Hilfe brauchst. Zum Glück habe ich vorgesorgt.“ Er reichte Loki einen Neoprenanzug mit kurzen Armen und Beinen sowie eine passende Schwimmweste.

Loki betrachtete den Neoprenanzug skeptisch. Das Material fühlte sich seltsam an. Die Vorstellung, dieses Kleidungsstück über seine Haut zu ziehen, behagte ihm nicht besonders. Aber was tat man nicht alles, um Dons Lieblingsspielzeug zu testen?

„Du kannst den Pavillon zum Umziehen benutzen“, bot Don an. Sie hatten einen Sichtschutz darin aufgebaut.

Nachdem sich Loki umgezogen hatte und in der ungewohnten Aufmachung vor ihm stand, klopfte ihm Don aufmunternd auf die Schulter. „Du siehst gut aus.“

Loki schnaubte leise und verdrehte die Augen. „Daran möchte ich zweifeln. Ich fühle mich wie eine überdimensionale Kaulquappe.“

Don lachte. „Das Gefühl vergeht. Komm, ich gebe dir eine kleine Einweisung.“ Er führte Loki zu einem der Jetskis und erklärte ihm die Grundlagen. Dons Freude war ansteckend. Außerdem weckte die Aussicht auf ein Abenteuer Lokis Neugierde.

Wenn später strahlte Don vor Begeisterung, während er Loki auf einem der Jetskis zusah, wie er mühelos über das Wasser glitt. „Siehst du, Loki!“, rief er über das Geräusch der Motoren hinweg. „Ist das nicht die schönste Vereinigung von Form und Funktion? Die Art, wie der Jetski das Wasser schneidet, die Freiheit, die er einem gibt, über die Wellen zu springen… Es gibt nichts Besseres!“

Loki genoss das Gefühl der Geschwindigkeit und des Windes in seinen Haaren. Er war überrascht, wie viel Spaß es machte, über das Wasser zu reiten. Vergnügt machte er eine scharfe Kurve und spritzte eine große Welle in Dons Richtung, der am Ufer stand. Don lachte und winkte Loki zu, weiterzumachen.

Don reichte Loki ein Handtuch, als er schließlich wieder an Land kam.

„Ich hätte nie gedacht, dass etwas so Primitives so viel Freude bereiten könnte.“ Loki trocknete sich ab. Er war doch recht nass geworden.

Don lachte. „Ja, es hat was, oder?“ Er ertappte sich selbst dabei, wie er Loki weltvergessen anstarrte, und sah schnell weg.

Das Wetter spielte perfekt mit. Die Sonne schien. Es war heiß genug, um den Tag am See richtig zu genießen. Am Nachmittag, während Don weiterhin seine Produkte neugierigen Passanten vorstellte, tauchte Kevin am Stand auf. Nach Schulschluss stieß auch Sean dazu. Zusammen erlaubte Don ihnen, sich ein Jetski zu nehmen.

Don winkte Kevin, der an seinen großen Bruder geklammert, gewunken hatte, zu. „Früher haben sich Eltern weniger Sorgen gemacht, weil sie nicht alles gesehen haben, was ihre Kinder angestellt haben. Keine Smartphones, keine Social Media. Heute sind alle ständig verbunden und überwachen alles, was ihre Kinder tun.“

„Man muss den Kindern vertrauen, dass sie ihre eigenen Entscheidungen treffen“, stimmte Loki zu.

„Genau, sie müssen von der Leine gelassen werden. Ihre eigenen Fehler machen.“ Don nickte. „Sport macht hungrig. Ich habe ein paar gesunde Snacks für uns gekauft.“

Loki wollte sich erst umziehen. Als er wieder trocken war und seine eigene Garderobe trug, hatten sich die Kinder schon auf das Essen gestürzt.

Don versuchte sich auf die Arbeit zu konzentrieren, aber immer wieder schweifte sein Blick zu Loki. Als dieser es bemerkte, zwinkerte er ihm subtil, bevor er sich wieder dem Gespräch mit den Jungs zuwandte.

„Okay, Jungs, wir machen jetzt Feierabend,“ sagte Don schließlich. Er wandte sich an Loki. „Wir müssen noch den Stand abbauen und die Jet-Skis ins Geschäft zurückbringen.“

Loki bot seine Hilfe beim Abbau an. Zu mehreren hatten sie den Faltpavillon, die Werbemittel und die Jet-Skis schnell verstaut und aufgeladen. Während sie die letzten Gurte festschnürten, fragte Don vorsichtig nach Lokis Plänen für den Abend. „ Wir könnten da weitermachen, wo wir gestern aufgehört haben“, schlug er zweideutig vor.

Ein Lächeln huschte über Lokis Gesicht. „Das klingt nach einem verlockenden Angebot.“ Er schlug vor, schon mit den Kevin und Sean per Bahn zu Dons Haus zu fahren, während Don die Sachen mit dem Van wegfuhr.

Chapter 10: Abreibung

Chapter Text

Auf dem Heimweg hatte sich Loki aus Seans und Kevins Streitgespräch ausgeklinkt und hing seinen Gedanken nach.

Loki hatte ein Händchen für Kinder. An Odins Hof spielte er stets den abweisenden Prinzen, während er Kindern heimlich die Zunge raus streckte und ihnen damit ein Kichern entlockte. Er verzauberte sie mit seinen Tricks, wofür sie ihm Staunen und Bewunderung schenkten. Er war nicht fies oder sarkastisch zu den Jüngsten, da sie ihm nicht mit Furcht, Ärger oder gar Hass, sondern mit Freude und Belustigung begegneten.

Loki beneidete Don um seine Familie. Don zeigte Loki den Respekt, den er von den anderen Asgardianern selten erhalten hatte. Er stand stets in Thors Schatten. Auf Midgard zu sein war eine ungemeine Freiheit, die er erst langsam realisierte. Loki musste niemandes Erwartungen entsprechen. Er konnte tun und lassen, was er wollte.

Eigentlich hatte Loki den Kontakt zu Menschen meiden wollen. Sie waren unter seiner Würde. Magisch vollkommen unbegabt. Aber nun war er gewissermaßen einer von ihnen. Zumindest fast.

Loki konnte nicht abstreiten, dass er Dons Gesellschaft genoss. Dieser vertraute ihm sogar mit seine Kinder an. Don hatte sich Lokis Wohlwollen verdient. Er war ein guter Mensch. Loki konnte nicht anders, als sich davon angezogen zu fühlen. Welche Ironie!

Immer noch schwatzend kamen Sean und Kevin zusammen mit Loki Zuhause an. Sean hatte sie per Handy bei Liz angekündigt. Ihre Oma wartete bereits mit dem Essen.

„Guten Abend, Gnädigste. Wie ich sehe, ist mein Blumengruß angekommen“, bemerkte Loki und sah sie mit seinem typisch selbstsicheren Lächeln an.

„Das Bouquet ist wirklich zauberhaft. Vielen Dank.“ Liz konnte nicht entscheiden, ob er sie beeindrucken oder provozieren wollte. Lokis elegante Kleidung Schwarz in Schwarz kam Liz ein wenig zu theatralisch vor. Sie hatte die Blumen gut sichtbar in einer Glasvase auf der Kommode gestellt. Bevor sie das Kärtchen gelesen hatte, war sie davon ausgegangen, dass ihr Sohn sie ihr geschickt hatte.

„Ich danke Ihnen,“ erwiderte Loki mit einer leichten Verbeugung seines Kopfes. „Es ist nur angemessen, meiner Gastgeberin eine kleine Geste der Wertschätzung zukommen zu lassen.“

Liz warf ihm einen kurzen, prüfenden Blick zu. Dieser Mann – oder Gott, oder was auch immer er war – war auf sie wie ein vorübergehender Sturm: temperamentvoll, faszinierend und letztlich unberechenbar. Das konnte nicht gutgehen. Andererseits war er wirklich bezaubernd.

„Sehr aufmerksam,“ sagte Liz schließlich, wobei ihre Stimme etwas kühler als beabsichtigt klang.

Da Liz am Abend zum Line Dance wollte, begannen sie mit dem Essen ohne Don. Bis die Jetskis wieder sicher im Laden eingelagert waren, konnte es dauern.

Während Liz sich dem Essen widmete, fragte sie sich, ob sie als Mutter hätte merken müssen, dass Don sich eines Tages für Männer interessieren könnte.

~~~

Als Don heim kam, hatte Liz gerade das Haus verlassen. Loki saß allein am Tisch, beschäftigt mit der Tageszeitung, die er sogleich beiseite schob, als er den Heimkehrer sah. Kevin, der es sich auf dem Zweisitzer bequem gemacht hatte, zappte durch die Fernsehkanäle. Don war erleichtert, Loki zu Zuhause vorzufinden. Er hatte Angst, dass es endete, bevor es richtig begonnen hatte.

Von der offenen Küche aus unterhielt er sich mit ihm, während er darauf wartete, dass das Backofen die Reste der Mahlzeit erwärmte. Erst im Nachhinein hatte Don realisiert, dass Loki ihnen mit seinen übermenschlichen Kräften beim Aufladen und Sichern der Jetskis am See extrem geholfen hatte. Im Lager hatte die ganze Prozedur länger gedauert.

Am Tisch schaufelte Don sich das Essen ausgehungert hinein. Der Tag war lang gewesen. Die Erschöpfung machte sich nun endgültig bemerkbar.

„Es war ein wirklich guter Tag,“ sagte Don zu Loki. Im Sommer machte er den Großteil seines Geschäfts, weshalb er nicht ungenutzt bleiben durfte. Er hatte tatsächlich ein paar Jetskis an den Mann gebracht. Einige Interessenten würde er hoffentlich bald in seinem Laden begrüßen dürfen. „Ich wusste, dass du dich fürs Jetskifahren begeisterst!“

Loki zog eine Augenbraue hoch und lächelte leicht. „Es hat seinen Reiz.“

Don grinste. „Du würdest also wieder mitkommen?“

„Möglich,“ antwortete Loki lässig.

Schließlich ließ Don die Gabel mit einem genüsslichen Seufzer sinken. „Das war nötig,“ murmelte er, während er sich über den Bauch strich.

„Deine Mutter ist eine Zauberin der Kochkunst“, stimmte Loki ein.

„Das hört sie gerne.“

Loki nahm den leeren Teller samt Besteck, als sei es das Selbstverständlichste der Welt.

Don starrte ihm nach, wie er in die Küche ging. „Meine Mutter ist schon weg. Du musst sie nicht mehr um den Finger wickeln!“

„Eine wundersame Fügung hat mir deine werte Mutter geschickt. Ich will mich weiterhin in ihrer Gnade sonnen.“ Loki grinste ihn keck an.

„Was ist mit meiner Gnade?“ Don spielte den Empörten. Er kam mit den leeren Gläsern hinterher, die die Kinder hatten stehen lassen. „Wo willst du heute Nacht schlafen? War ich nicht gut zu dir? Wann bekomme ich Blumen?“

Loki lachte leise. „Eine deliziöse Mahlzeit oder ein bequemes Nachtlager? Das ist eine einfache Entscheidung.“

Don schnalzte beleidigt mit der Zunge. „Und ich habe geglaubt, Ich hätte dich um den Verstand gebracht.“

In der engen Küche schob Don sich mit einer Hand leicht in Lokis Rücken an ihm vorbei, um den Kühlschrank zu erreichen. Loki blickte über die Schulter, sein Blick ein vielsagender Augenaufschlag. Er kaute auf der Unterlippe, ohne etwas zu erwidern. Don antwortete mit einem kaum wahrnehmbaren Lächeln.

„Bedien dich, wenn du magst.“ Don nahm sich ein kaltes Bier heraus.

Er ließ ihn stehen, ging ins Wohnzimmer und ließ sich schwer auf das große Sofa fallen. Nur die Schuhe ragten über die Kante.

Loki stellte sich vor, wie seine Beine Don eng umschlangen, sein Schwanz tief in ihm, und er seinen Schwanz drückte, nur um Dons Stöhnen zu hören.

„Loki,“ rief Don und winkte ihm zu, „Setz dich zu mir.“ Er nahm die ausgestreckten Beine von der Sitzfläche und richtete sich auf.

Loki zögerte nur kurz, bevor er der Einladung folgte und sich neben Don niederließ.

„Ich kann dich heimfahren, wenn du willst,“ neckte Don und nahm einen Schluck von seinem Bier. „Oder du bleibst über Nacht. Wie du willst.“

„Ist das ein Angebot?“

„Ein exklusives. Nur dich allein“, flirtete Don zurück.

„Mmmm“, machte Loki.

Mit schnellen Schritten war Sean derweil die Treppe hinunter gekommen und füllte sich in der offenen Küche ein Glas mit Orangensaft. Gedankenverloren beobachtete er die Szene, die sich ihm bot. Der Teenager starrte, als würde er versuchen, ein Puzzle zusammenzusetzen. Seine Augen wanderten zwischen Don und Loki hin und her. Es begann in seinem Kopf zu rattern. Die kleinen Gesten und Blicke, die er gesehen hatte, setzten sich langsam zu einem Bild zusammen.

Sean ließ das volle Glas stehen und ging zu ihnen hinüber. Er sah seinen Vater mit einer Miene an, die irgendwo zwischen Trotz und Unsicherheit schwankte.

„Also, bist du jetzt schwul?“ fragte Sean unvermittelt. Seine Stimme klang scharf und fordernd.

Die Worte hingen wie ein Donnerschlag im Raum.

Don blinzelte überrascht. Selbst Loki richtete sich auf, sichtbar amüsiert von Seans Konfrontation. Kevin blickte von seinem Handy auf.

„Warum fragst du?“

„Ich will es wissen“, fuhr Sean aufsässig fort, „,Seit wann? Und er?“ Er deutete mit dem Kopf in Lokis Richtung.

Ich? Loki legte in Unschuld seine Hand auf die Brust.

Don stellte die Flasche ab und rieb sich die Stirn. „Sean, können wir das vielleicht später besprechen?“

„Bist du schwul? Sag’s einfach! Plötzlich übernachtet er ständig bei uns? Wie lange läuft das schon?“

Don seufzte schwer. „Sean, hör zu. Es ist... kompliziert. Es gibt nichts, worüber du dir Sorgen machen müsstest, okay.“

„Ich wohne nur hier“, rief Sean erbost. „Sei einfach ehrlich!“

Dons Gesicht schien sowohl genervt als auch überfordert. „Ich bin dein Vater, Sean. Daran ändert sich nichts.“

Die Pubertätswut loderte in Seans Augen. „Du hast Mum geliebt, oder? Oder hast du es die ganze Zeit verheimlicht?“ Sean stemmte die Hände in die Hüften, ein provokantes Funkeln in seinem Blick. „Ist das der Grund, warum Mum dich verlassen hat?“ “

Don zuckte innerlich zusammen, blieb aber äußerlich ruhig. Das war ein Treffer und er wusste es. „Sean, genug,“ sagte er schneidend, um seine Beherrschung bemüht. „Es hat nichts mit Catherine zu tun.“

Loki machte eine leichte Bewegung, als wolle er eingreifen, hielt sich jedoch zurück. Er musste sich auf die Zunge beißen, um keinen unangebrachten Kommentar von sich zu geben. Das war nicht seine Schlacht.

Sean warf seinem Vater einen Blick, der mehr als Worte sagte, zu. „Das ist schwer zu glauben.“ Er stürmte aus dem Raum. Sie hörten, wie er die Treppe mit lauten Poltern nach oben lief.

Don starrte seinem Sohn nach, ehe er sich mit einer Hand über das Gesicht fuhr.

„Charmanter Junge. Er hat eine gute Beobachtungsgabe,“ kommentierte Loki trocken. „Dein Unterfangen, ihn zu beruhigen, scheint mir suboptimal.“

„Besten Dank auch.“ Don trank in einem langen Zug sein Bier aus. „Ich hasse die Pubertät.“

Der jüngere Sohn hatte still der Auseinandersetzung zwischen Sean und Don gelauscht. Seine großen Augen wanderten unsicher zwischen seinem Vater und Loki hin und her.

„Heißt das, du brauchst Mum jetzt nicht mehr?“, fragte Kevin leise.

Don wandte sich erschrocken zu Kevin. „Was?“ Er hatte ihn gar nicht beachtet.

„Ich dachte, mit Lokis Hilfe könnten wir Mum finden. Aber jetzt... Du willst sie nicht mehr zurückhaben?“

Don blinzelte überrumpelt. „Kevin...“ Er verstummte, weil er nicht wusste, was er darauf antworten sollte.

Loki lehnte sich leicht nach vorn und musterte den Jungen. Sein Blick war ungewöhnlich sanft. Er wusste, er hatte sich falsche Hoffnungen gemacht hatte. Dass sie gegangen war, hatte ihre Gründe, die kein Gott wett machen konnte. „Die Rückkehr deiner Mutter liegt nicht in meiner Macht.“

Kevins Lippen bebten leicht. Er senkte den Kopf. „Das dachte ich mir schon,“ nuschelte er. Dann sah er wieder zu Don. Seine Augen waren voller Enttäuschung. „Du hast es nicht mal versucht. Du hast Mum einfach aufgegeben.“

„Das stimmt nicht,“ sagte Don schnell. Er stellte seine Bierflasche ab, erhob sich und setzte zu Kevin auf das kleinere Sofa. Behutsam wollte er einen Arm um Kevins Schulter legen, doch der Junge zuckte sofort zurück, als hätte ihn eine heiße Flamme berührt. „Ich habe nicht aufgehört, an sie zu denken. Sie hat sich entschieden, zu gehen. Das war ihre Wahl. Ich kann sie nicht zwingen, zurückzukommen.“

„Du hast Loki und ich hab niemanden!“ Kevin stockte. Tränen standen ihm in den Augen.

Don fühlte sich, als hätte ihm jemand die Luft aus der Brust gedrückt. „Kevin, hör mir zu,“ begann er vorsichtig.

„Nein!“ Kevin sprang auf, bevor Don ihn festhalten konnte. Sein Abgang war nicht weniger dramatisch als Seans. Kevins Enttäuschung schmerzte ihn mehr als die Wut seines Bruders. Er fühlte sich schrecklich.

„Wie heißt das Sprichwort bei euch? Die Show muss weitergehen?“, kommentierte Loki, seine Stimme trocken wie Sandpapier.

„Das war eine verdammte Katastrophe!“ Don warf die Hände in die Höhe und sah Loki verständnislos an. „Wir hatten so einen schönen Tag und jetzt dieses Drama. Was habe ich mir dabei nur gedacht?“ Don griff nach seiner Flasche und leerte das Bier.

„Er ist ein Kind,“ sagte Loki mit einem leichten Zucken der Schultern. „Die Mutter deiner Kinder hat dich verlassen. Ich kenne ihre Motive nicht. Entliebt? Neuer Liebhaber? Überfordert – “

Don unterbrach ihn knurrend: „Nicht alles, was wahr ist, muss gesagt werden.“

„Kinder verstehen nicht, dass das Leben weitergehen muss. Man kann nicht in der Vergangenheit leben.“

Don schwieg. Er wusste, dass Loki recht hatte. Er wünschte, er hätte Zeit gehabt, sich etwas zurecht zu legen. Seit Catherine waren alle Kontakte mit Frauen lose Affären gewesen. Keine davon hatte einen Familienausflug mitgemacht. Don hatte sich Hals über Kopf in diese Sache mit Loki gestürzt. Sie hatten lange geredet, viel gelacht, miteinander geschlafen – und es hatte sich gut angefühlt. Gott, Don hatte die Leichtigkeit und das Herzflattern der ersten Zeit vermisst.

Loki ging auf den Couchtisch herum und setzte sich auf der anderen Seite neben Don. „Deine Kinder fühlen sich betrogen und belogen.“

Don schnaubte. Er machte ein trauriges Gesicht.

„Sie stellen einfach alles Gewesene in Frage. Das ändert nichts daran, dass sie da draußen irgendwo eine Mutter haben, die sie liebt. Oder geliebt hat. Deine beiden Kinder sind eines der schönen Dinge, die ihr zusammen geschaffen habt.“

Don sah Loki überrascht an. Einen Moment lang war er sprachlos, bevor seine Gesichtszüge weich wurden. „Danke, das hast du wunderbar gesagt. Du erstaunst mich.“

Loki erwiderte Dons Blick. Er rieb seine Finger nachdenklich aneinander. Sein Gesichtsausdruck war ruhig, beinahe gelassen, doch in seinen Augen zeigte sich eine Unruhe, die er zu verbergen zu suchte. „Es erstaunt mich auch manchmal, was für Dinge ich von mir gebe,“ sagte er schließlich mit einem Hauch von Selbstironie.

Don lächelte milde. „Du hast vermutlich die Schnauze voll von Familiendrama.“

„Das würde ich nicht so formulieren.“

„Ich meine, das ist nicht gerade das, was man sich vorstellt, wenn man, sagen wir, jemanden kennenlernt“, plapperte Don drauf los. „Meine Kinder sind nicht gerade einfach. Und meine Mutter…“

„Bis jetzt habe ich auf Midgard noch kein Verlies von innen gesehen“, gab Loki schmunzelnd zu bedenken.

„Mal bloß nicht den Teufel an die Wand!“, warnte Don. „Ich muss mich wirklich entschuldigen, dass ich dich in meinen persönlichen Wahnsinn hineingezogen habe.“ Das war nicht ganze die Wahrheit. Don gefiel es, wie gut sich Loki bisher in seiner Familie eingefunden hatte. „Früher oder später hättest du meine Brut sowieso kennengelernt. Sofern…“ Er wusste nicht, wie er sagen sollte, dass er mehr wollte – eine richtige Beziehung – ohne Loki zu verschrecken. Schließlich trug dieser seinen eigenen Ballast mit sich herum. „Ich hoffe, du… kannst deine Situation reflektieren. Wie es dir mit deinem Adoptionseltern geht. Wenn du reden willst, ich habe ein offenes Ohr.“

Loki wich Dons Blick aus und sah auf seine Hände, die er locker ineinander verschränkt hatte. Don merkte, wie Loki sich innerlich verschloss, eine unsichtbare Mauer hochzog, die keine weiteren Fragen zuließ.

„Dein Chaos ist eine willkommene Zerstreuung von meinem Tohuwabohu.“

„Du bist jedenfalls noch nicht schreiend davon gelaufen. Das ist ein gutes Zeichen.“ Don ließ Loki vom Haken.

„Oh, glaub mir, ich habe schon darüber nachgedacht“, scherzte Loki.

Die beiden schwiegen für einen Moment. Der Fernseher war die einzige Geräuschkulisse.

„Also, bleibst du über Nacht?“, fragte Don.

„Es wäre ungeschickt, wenn deine Kinder mich morgen früh hier vorfänden. Sie brauchen Zeit, um ihre Gedanken zu ordnen – ohne meine Anwesenheit, die sie aufwühlen würde.“ Loki erhob sich mit einer geschmeidigen Bewegung.

Don nickte, auch wenn es ihm widerstrebte. „Ich verstehe. Lass mich dich fahren. Ich kann dein Fahrrad ins Auto packen.“

Loki verzog die Lippen zu einem schmalen Lächeln. „Du möchtest nur wissen, wo ich wohne…“

„Erwischt. Ich bin neugierig. Du weißt so ziemlich alles über mich. Ich habe mein Leben vor dir ausgebreitet, aber von dir weiß ich… nun ja, abgesehen von der Eisriesen-Sache, der Adoption, dem Exil und der Schlacht von New York, so gut wie nichts.“ Don soufflierte mit den Händen.

„Nur die kleinen, unwichtigen Details,“ antwortete Loki spöttisch. „Also gut, ich werde dein Angebot annehmen.“

Don hinterließ für seine Mutter eine Nachricht.

Während Don das Fahrrad in den Kofferraum seines Wagens hob, beobachtete er Loki. Es war kein abschätzender Blick von Loki – eher etwas Nachdenkliches, fast Zögerliches.

„Wie bist du auf’s Rad gekommen?“, fragte Don. „Das passt nicht zu deiner üblichen Ästhetik.“

„Es gefällt mir.“ Loki zuckte unbestimmt mit den Schultern.

Der Gott des Unheils nannte Don die Adresse des Hotels, in dem er wohnte.

„Wie verbringst du deine Tage auf der Erde, wenn du nicht gerade Jetski fährst?“, fragte Don neugierig. „Es ist sicher nicht das, was du als Prinz gewohnt bist. Obwohl – deine Prinzen-Geschichte könnte es Nepp sein. Allerdings sprichst du wie ein Diplomat aus einem fernen Land.“

„Ich genieße die Freiheit, mich mit Dingen zu beschäftigen, die mich interessieren.“ Sein Lächeln war verschmitzt. Don würde einige Dinge, die er tat, als kriminell bezeichnen, darum behielt er diese für sich. „Ich bin kreativ. Und ich bin gut darin, Gelegenheiten zu erkennen und zu nutzen. Mehr musst du nicht wissen.“

Don schüttelte den Kopf, ein Lachen in seiner Stimme. „Du bist ein einziges Rätsel, Loki.“

Loki grinste stolz. „Ich bin ein Mann der Mysterien, Don. Das ist ein Teil meines Charmes.“

Als sie schließlich vor dem Hotel hielten, schien Don noch mehr Fragen zu haben, als sie losgefahren waren. Loki hob sein Fahrrad aus dem Wagen.

Sie standen auf dem Fußweg. Die Nacht war milde. Die Temperatur fiel nur langsam.

„Willst du mit auf mein Zimmer kommen?“ fragte Loki mit einem verführerischen Unterton.

Don rieb sich über das Gesicht. „Loki, ich bin todmüde. Heute war wunderbar. Schrecklich wunderbar. Wunderbar schrecklich? Alles, was ich gerade will, ist mein Bett und ein paar Stunden Schlaf.“ Er hielt inne. „Ich hab eine andere Idee.“

Loki hob interessiert den Kopf. „Oh? Erleuchte mich.“

„Wie wär’s, wenn wir morgen Abend ein richtiges Date haben? Keine Kinder, keine Mutter. Nur wir zwei. Essen gehen, reden, rummachen – so wie normale Leute das machen.“

„Normal ist nicht meine Präferenz, aber ich lasse mich gerne überraschen.“

„Ich hol dich ab.“ Don nannte ihm die Uhrzeit. Bevor Loki etwas erwidern konnte, wurden seine Worte von einem Kuss gebremst. Die Sanftheit der Geste überraschte ihn. Loki schloss die letzte Distanz zwischen ihnen. Don brummte als Antwort, als er Lokis eine Hand an seiner Taille und die andere an seiner Schulter spürte.

„Bis morgen.“ Don winkte zum Abschied.

Loki sah ihm nach, wie mit seinem Wagen davonfuhr. Er brachte sein Fahrrad in den Abstellraum der Tiefgarage des Hotels. Loki wollte zu Fuß gehen. Er brauchte die frische Luft, um nachzudenken.

Mit großen Schritte hetzte er durch die Stadt. Die vielen Lichter ließen das Dunkelheit der Nacht fern erscheinen. Loki vermisste den Sternenhimmel über Asgard. Hier auf Midgard musste er die Stadtgrenzen hinter sich lassen, um ihr Funkeln zu sehen. Als er schließlich merkte, wie gehetzt er unterwegs war, verlangsamte Loki sein Tempo.

Er hatte das Bedürfnis, etwas Waghalsiges tun zu müssen. Etwas sehr Dummes.

Don vertraute Loki, was der Gott des Unheils selten zuvor erlebt hatte. Die Tatsache, dass Don dies freiwillig tat, verblüffte ihn. Don steckte die Treffer des Abends besser weg als Loki. Dons mitfühlende Art ließ Loki sein Herz zusammenziehen. Konnte er das sein, was Don wollte? Er konnte sich selbst trauen, dass er es nicht in den Sand setzte? Angst umklammerte seine Brust.

Loki war eine egoistische Kreatur. Er spielte Familie. Dafür war er nicht dafür gemacht, nicht so wie Don.

Chapter 11: Väter

Chapter Text

Wie angekündigt betrat Don am Abend das Hotel. Inspiriert von Loki hatte er eine dunkle Stoffhose, passende Loafers und ein gut geschnittenes, dunkelblaues Poloshirt ausgewählt. Er hatte sich gegen das Hemd entschieden. Ein leichtes Sakko lag im Auto. Der sich endende Sommer zeigte sich heute wieder einmal von seiner schönen Seite.

Aufgeregt und mit schwitzigen Händen, die er an seiner Hose rieb, ging er zur Rezeption, als ihm siedend heiß einfiel, dass er Lokis Nachnamen nicht kannte. Er wusste nicht einmal, ob er sich Loki nannte.

Möglichst souverän räusperte sich Don und bat darum, Loki mitzuteilen, er sei da. „Herr Laufeyson“, teilte ihm die junge Frau an der Rezeption mit. Sie kontaktierte ihn auf seinem Zimmer.

Nervös streunerte Don durch das Foyer, während er auf Loki wartete.

Die Stimmung daheim war unerfreulich und er war froh, raus zukommen. Ein mächtiger Zusammenschluss aus Schuldgefühlen und Scham nagten an seinem Selbstbewusstsein. Es erinnerte ihn an die ersten Wochen und Monate als Vater, als er eine Zeit lang orientierungslos durch die Welt stolpert war. Er wollte lieber nicht darüber nachdenken, wie unfähig er sich gerade fühlte.

Warum war Don aufgeregt? Er tadelte sich selbst, dass er keinen Grund habe, nervös zu sein. Loki hatte eingewilligt, sich mit ihm zu treffen. Das war gut. Don tippelte seine Fingerspitzen gegeneinander. Als er Loki aus dem Fahrstuhl kommen, ließ er seine Arme sinken, straffte sich und setzte ein Lächeln auf.

„Herr Laufeyson! Loki“, rief er ihm entgegen. Er bemerkte Lokis kurzes Zusammenzucken bei dem Namen nicht. Das grüne Seidenhemd brachte seinen Augen zum Strahlen. Bekleidet war er ansonsten in Schwarz: von der Lederhose über die Stiefel bis zum leichten Kurzmantel. Er hatte seine dunklen Haare locker nach hinten gestrichen. An den Enden wogten leichte Wellen.

„Don, du siehst großartig aus.“ Loki ließ sich nichts anmerken und lächelte Don an. Er hatte sich aus Trotz und Abscheu für den Namen Laufeyson entschieden.

„Danke, danke, aber neben Prinz Loki bin ich ein Amateur, was Stil betrifft.“ Don empfing ihn mit einer Umarmung und gab ihm einen Kuss aus dem Mund. Unter Lokis Hemd verschwand eine goldene Kette und um seinen Daumen wand sich eine Schlange aus dem gleichen Edelmetall. „Ich mag deine Haare. Die Locken sind viel besser als die Schmiere mit den Spitzen.“

Loki schlug die Augenlider geschmeichelt nieder. „Du bist etwas Besonderes“, gab er zurück. Er warf seinen Kopf zurück, um seine Haare aus dem Gesicht zu bekommen. Sie sollten an diesem Abend einige Male ins Gesicht fallen und mit einem Schwung zurückgeworfen werden. Und jedes Mal konnte Don sich nicht daran satt sehen.

„Ich bin gewöhnlich“, widersprach Don, „Mit deinem Outfit und deinem Auftreten werden sich heute zahlreiche Köpfe nach dir umdrehen! Du bist ein Kronprinz. Zweiter in der Thronfolge. Dein Bruder mag der rechtmäßige Thronfolger sein, aber du würdest das Reich mit viel mehr Enthusiasmus führen, wette ich. Wer deinen Scharfsinn und Pfiffigkeit nicht erkennt, kann mir gestohlen bleiben!“

„Ich höre ‚Schlitzohr‘ zwischen den Zeilen“, korrigierte Loki, „Aber rede nur weiter!“

„Offensichtlich bist du leichtsinnig, ausgesprochen höflich, sehr charmant und spritzig. Langweilig wird es mir dir sicher nie. Habe ich schon gesagt, wie umwerfend du heute Abend aussiehst?“

Loki lächelte angetan, widersprach jedoch: „Schönheit ist unbedeutend, wenn deine Persönlichkeit es versaut.“

„Wenn ein heißer Bösewicht versuchen würde, mich zur dunklen Seite zu verführen, würde ich einfach ‚Scheiße, ja‘ sagen.“

Loki lachte laut.

Don hatte beschlossen zu glauben, dass Loki kein Schurke war. Das war seine Überzeugung und er handelte danach.

Don bat ihn, mit zu seinem Wagen zu kommen. Sie fuhren keine halbe Stunde, bevor sie vor einem kleinen, aber feinem Restaurant hielten. Die bewachsene Fassade hatte etwas Verwunschenes. Das Ambiente drinnen war stimmungsvoll mit geschickt platzierten Lichtern. Es war Freitag Abend und die Tische waren bereits fast alle vergeben. Zum Glück hatte Don für sie reserviert.

Sie setzen ihr lockeres Flirten fort, während sie ihre Bestellung aufgaben. Loki verschmähte angewidert die Kostprobe aus der Küche: gefüllte Oliven, die Don mit Vergnügen verspeiste. Auf Empfehlung des Kellners hatten sie sich für geschmorte Ochsenbäckchen mit Pied de Mouton und Kartoffelpüree entschieden. Die Creme brûlée mit Himbeersorbet als Nachspeise war hoher Genuss.

„Großartig, nicht?“, fragte Dom das Dessert löffelnd.

„Ist Key Lime Pie nicht dein Favorit?“

Don war heimlich berührt, dass Loki sich das gemerkt hatte. „Doch, aber ich liebe diese Karamellkruste und die Cremigkeit. Dir scheint sie auch zu munden.“

„Superb.“ Loki leckte sich über die Oberlippe, was Don genau beobachtete. Er freute sich schon auf die Fortsetzung des erst angebrochenen Abends.

In Stille verspeisten sie mit Vergnügen ihren Nachtisch.

„Wie geht es Sean und Kevin? Deiner Mutter?“, fragte Loki interessiert.

„Keiner wollte mich bisher tot sehen“, scherzte Don. „Okay, mieser Witz. Meiner Mutter geht es erstaunlich gut. Ich glaube, die Blumen haben etwas damit zu tun. Sie denkt, ich stecke in einer Midlife-Crisis und soll halt machen. Es ist günstiger, als sich einen Sportwagen zu kaufen. Fast habe ich geglaubt, sie kommt gleich mit Mahnung über Safer Sex um die Ecke!“ Er lachte.

Don spielte es zwar als witzig herunter, aber die Einsamkeit der letzten Jahre hatte ihre Spuren hinterlassen. Er spürte Lokis Einsamkeit hinter seiner dramatischen Staffage, weil er sie selbst empfand.

Don lächelte, blickte dann zu Boden, bevor er wieder aufblickte, wobei sein Blick von Zuneigung zu etwas wechselte, das wie Sehnsucht wirkte.

„Blumen betören weibliche Wesen in allen Reichen“, meinte Loki. „Und natürlich, wenn man ihnen in der Küche zu Diensten ist.“

Don nickte zustimmend.

„Kevin hat diesen Welpen-Blick drauf, der mich in die Knie zwingt. Glücklicherweise kann er selbstvergessen spielen. Wenn ich könnte, würde ich seine Mutter herzaubern, egal, was es mich kostet.“

„Du kennst die wahren Kosten nicht, Don.“ Loki sah ihn warnend an.

„Vielleicht…“ Seine Ex war für ihn Geschichte. Don hatte mit diesem Abschnitt seines Lebens abgeschlossen. Er stellte sich keine Fragen mehr. Er brauchte keine Antworten. Er hatte es akzeptiert. Doch er konnte nicht wirklich sicher sein, dass Catherine nicht alte Wunden neu aufreißen würde.

Er sah Loki direkt an, und dieser war so klug, nicht wegzusehen.

„Sean ist ein anderes Thema. Er hat sich in den Kopf gesetzt, dass Catherine abgehauen ist, weil ich meine Homosexualität verleugnet habe.“ Don rollte mit den Augen. „Ich hoffe, er kommt wieder runter. Ich kann es verstehen, es ist erschreckend, seinen Vater plötzlich als sexuelles Wesen zu sehen.“ Er lachte nervös. Jetzt redete er schon wieder zu viel über sich und seine Problemchen. „Ich möchte auch nicht wissen, ob meine Mutter Sex hat. Ich gönne es ihr natürlich…“ Don verzog den Mund. Er hoffte, dass es sich nur allzu sehr sexuell frustriert anhörte.

Don dachte an sich als Teenager. Wie alles peinlich war, was seine Eltern sagten und taten. Wie er sich vor den Reaktionen seiner Freunde gefürchtet hatte. Er erinnerte sich auch an seine ersten Erfahrungen. Die Aufregung, die Scham… und die Peinlichkeiten.

Liz hatte recht, Don befand sich in einer Krise. Er machte eine zweite Pubertät durch. Loki war sein neues Abenteuer, in das er sich risikobereit hinein stützte. Er dürstete nach starken emotionalen Höhen (und Tiefen).

„Vielleicht ist ein Sportwagen doch besser?“ Don grinste blöd.

„Ein guter Streitwagen ist nicht zu unterschätzen.“

„Wie ist es auf Asgard mit Sex zwischen Männern?“ Don konnte es nicht lassen, Loki darauf anzusprechen. An seinem Zucken mit dem Mund und der Bewegung der Augen konnte er sehen, dass er einen Punkt getroffen hatte.

„Es wird hinlänglich geduldet. Das geht auf die Zeiten zurück, da die mächtigsten Männer einen Schwarm an Frauen um sich scharten und für viele keine Gefährtin vorhanden war. Für einen Mann gilt es weiterhin als unmännlich, von einem anderen Mann penetriert zu werden, umgekehrt ist es bedenkenlos, jemanden zu penetrieren.“

„Mmmmm“, machte Don.

„Monogamie hat sich durchgesetzt, auch wenn es viele Hintertürchen gibt. Es ist jedermanns Schuldigkeit gegenüber der Familie, zu heiraten und Kinder zu bekommen, um Namen und Ruhm mit der nächsten Generation fortzusetzen“, erklärte Loki mit einem Schnalzen.

„Es sollte jedem selbst überlassen sein, wie man lebt“, kommentierte Don.

„Ich finde es akzeptabel. Wenn man seine Familie schätzt – oder Nachwuchs möchte.“

„Heißt das, du willst Kinder?“ Bevor Don es sich überlegen konnte, war ihm die Frage über die Zunge geflitzt. Für ein erstes, richtiges Date war die Frage zu offensiv, zu aufdringlich, allerdings hatte Don keine Scham sich als Single Dad zu verkaufen, damit jeder gleich wusste, woran sie (oder er) war.

„Für mich stand es immer außer Frage, Kinder zu haben. Heute bin ich mir nicht sicher, ob das eine realistische Option ist.“

Don runzelte die Stirn. „Wie alt bist du?“

„1.053 Jahre.“

„Wow!“ Don hatte ihn für jünger als sich selbst gehalten. „Wieso ist es keine realistische Option?“, fragte er nach. Loki hatte den Köder auslegt, also durfte er tiefer bohren.

„Zweifelhafte Eignung“, antwortete Loki einsilbig.

Er wusste nicht, wie sich Eisriesen vermehrten. Wilde Geschichten verbreiteten, es gäbe Kinder zwischen Asgardianern und Eisriesen. Vielleicht war Loki deshalb so klein und besaß Haare. Laufey hatte ihn im Tempel ausgesetzt, weil er ein Bastard war. Aber konnte er ausschließen, ob er nicht nur unehelich, sondern auch unehrenhaft war?

Selbst wenn Loki sich fortpflanzte, wollte er keine Mischlinge oder gar Eisriesen seine Kinder nennen. Loki konnte sich selbst kaum ausstehen.

Verinnerlichter Rassismus war eine höllische Droge. Sein ganzes Leben lang hatte Loki immer wieder die gleichen Geschichten über den gerechten Allvater gehört, der die barbarischen Frostriesen besiegt und wie tollwütige Hunde zur Strecke gebracht hat. Jahrelang hatte er der Begeisterung seines blutrünstigen Bruders gelauscht, wie er diese Bestien zu Hunderten töten wollte.

„Zweifelhafte Eignung?“, wiederholte Don irritiert, „Was meinst du?“

Loki tauchte aus seinen Gedanken wieder in dem Restaurant auf. Er richtete sich in seinem Stuhl auf und ignorierte Dons Fragen. Ein kühles Lächeln stahl sich auf seine Lippen.

„Magie gilt gemeinhin als weiblich“, setzte Loki seine Ausführungen fort, „So gesehen ist es einerlei, wen oder was ich begehre.“ Er grinste maliziös. „Selbst der mächtige Odin wurde wegen seiner Praxis des Seiðrs der Unmännlichkeit beschuldigt.“

Es amüsierte ihn immer, wenn hier und da mal die Gerüchte hochkochten, der Allvater sei weibisch und sei es nur im Scherz. Wenn Magie in Form von Gungnir oder Mjölnir eingesetzt wurde, gab es keine gerümpften Nasen.

„Magie ist unmännlich?“, wunderte sich Don. Er hatte Zauberei nie mit einem spezifischen Geschlecht assoziiert.

„Bezeichne Thor niemals als Prinzessin. Das könnte eine kriegerische Auseinandersetzung auslösen!“ Loki lachte hässlich. Sein Bruder, der ihn auf seinen Platz verwies. Er beschwor immer ihn zu lieben, merkte aber nicht, wenn er Loki verletzte.

Don hatte das Bild vor Augen, wie Thor mit Blitz und Donner, seinem roten Cape und dem Hammer in der Hand auftaucht war. Lokis Bruder war ein echtes Mannsbild mit seiner ungezähmten, blonden Mähne und den bloßen, muskulösen Oberarmen. Daneben musste sich jeder Durchschnittskerl klein und verweichlicht vorkommen.

„Scheiß auf die Klischees und Vorurteile, wie Männer sein müssen. Unter 1,80 Meter ist man für einige Frauen kein Mann. Damit wäre ich auch keiner! Ich bin gewiss auch kein Alphatier. Wen interessiert’s?“

„Männlichkeit ist eine wichtiges Attribut in unserem Reich. Es ist eine schwere Beleidigung, als unmännlich betitelt zu werden, so sehr, dass es sogar einen Kampf rechtfertigen kann.“

Don zog die Augenbrauen hoch. „Hat dir jemand den Duellhandschuh vor die Füße geworfen?“

„Meine Versuche, mich in Gewalt zu üben, sind Teil der Illusion. Es ist der grausame, ausgeklügelte Trick, der von den Schwachen beschworen wird, um Angst zu schüren.“ Eine Ahnung von zweifelnden Zornesfalten zeigte sich zwischen Lokis Augenbrauen, während er auf seine leere Dessertschale blickte.

Don starrte ihn schockiert an. Er konnte nicht glauben, dass Loki sich als schwach bezeichnet hatte. Don überlegte, ob er etwas von Lokis Shakespeare-Sprech missverstanden hatte. Nein, nicht wirklich. Er hatte die Warnleuchten gesehen, dass Draufgängertum, Überdrehtheit und Wahnsinn in Loki steckte. (Don sehnte sich nach Lokis Sorglosigkeit und seinen Sinn für Freiheit, wenn er ehrlich war.) Er konnte nur ahnen, welchem Druck Loki als Kronprinz ausgesetzt war und wie wenig er Rückhalt von seiner Familie, besonders seinem Vater bekam. Odin und Loki schienen ein schlechtes Verhältnis zu haben, soweit Don das beurteilen konnte.

„Du bist nicht schwach!“

Loki sah ihn ausdruckslos an.

„Jesus, Loki! Nein! Du musst nicht wie dein Bruder sein. Neben Thor sehen die meisten Männer aus wie Lauchstangen auf zwei Beinen oder Couchpotatos.“ Don schüttelte den Kopf. „Auf der Erde ist es auch nicht besser. Bist du als Mann überfordert oder einsam, wirst du bestenfalls belächelt. Du giltst gleich als schwul, wenn du deine Gefühle ausdrücken kannst. ‚Was bist du für ein Mann?‘“

Loki blinzelte die aufkeimenden Tränen weg.

Don schob ihm seine Hand über die Tischdecke entgegen.

Loki starrte auf die angebotene Hand. Thor war derjenige, der Mjölnir würdig war, nicht er. Wenn er die Hand nahm, war er Dons würdig? Wollte, konnte er noch mehr Wahrheit vertragen?

Er spürte sein Herz in seiner Brust hämmern.

Don zog seine Hand zurück. Er versuchte es mit einem zarten Lächeln. „Ich liebe deine Magie. Das, was ich gesehen habe. Die ganze Darbietung. Du bist großartig, selbst wenn du eine winzige Schneelandschaft auf dem Küchentresen schaffst.“

„Das ist kein Seiðr“, erwiderte Loki ruhig. „Das bin ich. Der Frostriese.“

Loki wusste, dass eine gefährliche Mischung aus Wut, Ehrgeiz und unkontrollierbarem Wahnsinn war. Er hatte eine gemeine Ader und wenn er getroffen war, schlug er ungebremst zu. Und er spürte, dass der Vulkan noch nicht ausgebrochen war.

Das konnte er Don nicht antun.

„Und? Das ändert nichts.“

Loki lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Er überlegte für einen kurzen Moment, ob er hier stoppen und Don eine Lüge auftischen sollte.

„Du hast mich gesehen“, sagte Loki. „Ich bin ein Laufeyson.“ Don wusste, was er war. Don hatte ihn als Jotun mit seiner blaugrauen Haut gewissermaßen nackt gesehen. Er war hier, ohne all die übliche Scharade, mit der er sonst jegliche Situation übertünchte.

„Dein Vater?“, horchte Don auf. Er versuchte Lokis Stimmung aufzunehmen. Es war gut, dass sich Loki seinen Kummer von der Seele sprach. Er dachte an seine Tante denken und was sie über ihren Mann gesagt hatte. Nach seiner Parkinson-Diagnose war er ein anderer. Plötzlich konnte er sagen, wenn es ihm schlecht ging, und musste mehr den Gesunden mimen.

„Mein Erzeuger“, bestätigte Loki. Er lächelte mit Zähnen, dass es Don mulmig wurde. „Er ist dahin. Ich habe ihn getötet.“

„Du?“

„In seinen Augen war ich nicht mehr als ein Bastard. Schwach wie Odin. Er hatte geglaubt, Odin hätte mich getötet. Er hat gesagt, es wäre besser, er hätte es getan.“ Loki pausierte. „Ich bin ihm zuvor gekommen.“

„Aber?“, fragte Don stirnrunzelnd, „Wolltest du nicht, ich weiß nicht, mit ihm reden? Weißt du, wer deine Mutter ist?“

Loki beugte sich über den Tisch vor. „Don, dieser Teil von mir wurde zu Grabe getragen.“ Er hatte den Asgardianern und den Jotnar seine Überlegenheit gezeigt. Er hatte beide Seiten gespielt und – zumindest vorübergehend – auf dem Thron von Asgard gesessen. Loki hatte allen bewiesen, dass er nicht minderwertig war. Nichtsdestotrotz fühlte er sich entfremdet und schämte sich, zu der Ethnie zu gehören, die man auf Asgard fürchtete und hasste.

„Du trägst seinen Namen“, konstatierte Don, „Warum?“

„Weil es mein Geburtsrecht ist, ihn zu tragen!“, erwiderte Loki scharf.

Einige Köpfen hatten sich zu ihnen umgedreht. Auch wenn Raumteiler die Tische ein wenig privater gestalteten, hatten sicher ein paar Gäste Fetzen ihrer Unterhaltung aufgeschnappt.

Die Worte Odins, dass der Tod sein Geburtsrecht sei, klangen Loki in den Ohren. So leicht konnte ihn der Allvater vernichten. Worte waren sein schärfstes Schwert. Nicht anders bei Loki.

Loki atmete sichtbar ein, seine Brust hob sich, und er atmete langsam wieder aus. Seine Hände, die er unter dem Tisch verbarg, zitterten.

Loki lehnte seine Abstammung ab. Er hasste sein Jotun-Blut. Er hatte seine biologischen Wurzeln auslöschen wollen, indem er Jotunheim zerstörte, alles vorgeblich im Namen Asgards. Er trug den Namen seinen Erzeugers wie ein Schandmal. Er war ein Monster von Geburt an.

„Das ist nicht gesund.“ Lokis Selbstverachtung erschreckte Don. „Die Lüge über deine Herkunft war ein großer Fehler. Ich kann nicht geraderücken, was deine Adoptiveltern getan oder nicht getan haben. Es tut mir leid.“

Loki schluckte. Statt Wut entgegengeschleudert zu kommen, gab ihm Don Mitgefühl. Er schloss die Augen einen Moment, um sich zu fassen.

Don atmete traurig aus. „Lass uns gehen.“ Er hob sich und ging zum Tresen, um direkt an der Kasse ihre Rechnung zu bezahlen. Loki grätschte dazwischen und beglich sie mit seinem Geld.

Die kühlere Luft draußen war erquickend. Loki spürte, wie ihn die Emotionen erhitzt hatten.

Am Horizont war der Himmel grau-blau gefärbt, die letzten Anzeichen der untergegangenen Sonne.

Loki straffte die Schultern und zeigte Don ein Lächeln, das nicht ganz seine Augen erreichte. „Das schwarze Schaf zu sein hat gewisse Vorzüge. Niemand erwartet etwas. Oder nur Schlechtes.“

„Du hast den Preis für bestes Drama verdient.“ Don rieb sich die Stirn, als käme ein Anflug von Kopfschmerzen.

„Das ist wahrlich mein Talent!“, pflichtete Loki bei.

„Ich wollte es wissen.“ Don sah ihn enttäuscht an. „Daher ist meine Schuld.“

Don hatte eine Vorliebe dafür, kaputte Dinge zu reparieren. In seiner Gutmütigkeit glaubte er daran, dass er Loki helfen konnte. Don ahnte, dass er unter all seinem Humor und seinem Esprit traurig und verletzt war.

„Wirklich, Don…“ Loki wollte etwas Arrogantes von sich geben, bremste sich jedoch rechtzeitig. Fast scheu strich er eine dunkle Haarsträhne hinters Ohr. „Ich habe unsere Verabredung ruiniert.“

Er bestaunte mit Verwunderung die Standhaftigkeit dieses Mannes mittleren Alters mit einem durchschnittlichen Körper und ohne nennenswerte Kampffähigkeiten oder Kräfte. Don fand seine gerissenen und furchterregenden Eigenschaften gut. Er war so ganz anders als erwartet.

„Bitte lass uns spazieren gehen“, bat Loki. Er wollte den Abend jetzt nicht so beenden.

Don willigte ein.

Sie schlenderten langsam den Fußweg hinunter. Kneipen wechselten sich mit Kleinkunstbühnen, Theatern und anderen Lokalitäten ab. Es herrschte ein reges Treiben zum Beginn des Wochenendes. Beide verfielen in Schweigen.

Die meiste Zeit interessierte es Loki herzlich wenig, dass er in vielen Dingen ein Außenseiter war. Wichtig war nur, was seine Familie dachte. Dass sie ihn liebte. Dass sein Bruder ihm auf Augenhöhe begegnete.

Das letzte Mal hatte er Odin Vater genannt, als er am Bifrost hing und dieser ihn abermals zurückwies. In diesem Moment hatte Loki begriffen, dass er nie genug sein würde – und hatte losgelassen.

Sie waren eine Weile gegangen, als Loki das Frösteln und die Gänsehaut auf Dons Arm auffiel.

„Dir ist kalt.“

Mit der freien Hand rieb Don sich den Oberarm. „Gehen wir zurück.“

„Wäre ich an deiner Stelle, hätte ich dich vorhin stehen gelassen“, realisierte Loki.

Don sagte nichts. Stattdessen schaute er in die Fenster der Restaurants oder beobachtete die anderen Menschen, während seine Hand Lokis suchte und fand. Nach einem Moment der Überraschung drückte Loki sie kurz und billigte das Händchenhalten.

Am Auto angekommen schlüpfte Don in sein Sakko von der Rückbank. Er hatte ganz vergessen, dass er sich Kondome und Gleitgel in die Sakkotasche gesteckt hatte.

Schließlich fuhren sich zu Lokis Hotel. Ein Radiosender spielte Popsongs. Jeder hing seinen Gedanken nach. Don stellte seinen Wagen in der Nebenstraße ab. Er löste den Sicherheitsgurt und sah seinen Beifahrer an.

„Du solltest mir nicht vertrauen“, sagte Loki. „Ich in nicht vertrauenswürdig. Ich bin der Gott des Unheils.“

Don zuckte mit den Schultern. Als ob er das nicht wüsste.

„Meine Frau hat mich verlassen und ich weiß nicht warum. Ich habe meine Kinder und meine Mutter im Schlepptau. Ich habe eine Midlidfe-Crisis. Die Jetskis, die ich im Sommer nicht verkaufe, verkaufe ich im Winter erst recht nicht. Und ich habe kein Geld, um meine Krise mit einem Sportwagen zu kompensieren.“

„Ich kann dir heute nicht mit Geschlechtsverkehr dienen.“

Don lachte belustigt, bevor er ernst wurde. „Das Problem ist, dass manche Menschen nie sicher genug sind, um über ihr Trauma zu sprechen. Deshalb reden sie nie darüber. Du hast dir heute eine Menge von der Seele geredet... Du solltest nicht allein sein. Okay?“ Er sprach nicht von suizidalen Handlungen oder Selbstverletzungen.

Loki sah ihn an, als wäre er ein einziges Rätsel.

„Okay.“

In Lokis Junior Suite stand die Tür zu seinem Schrank offen. Kleidung vom Feinsten hing im als auch außen am Schrank und an den Garderobenhaken bei der Tür. Antiquarische Bücher stapelten sich auf dem Schreibtisch neben dem Laptop. Es gab eine zusätzliche Sitzgelegenheit mit rundem Tisch. Überall lagen verteilt Edelsteine und andere Relikte, die Don an einem Esoterikgeschäft denken ließen. Aus dem Fenster hatte Loki einen tollen Blick über die Stadt.

Don konnte sich nicht entscheiden, ob er eine bescheidenere oder prunkvollere Räumlichkeit erwartet hatte, aber das Unaufgeräumte passte zu ihm: Nach außen immer schön clean und im Inneren Chaos.

Als Loki seinen Kurzmantel ablegt hatte, entdeckte Don einen Dolch in einem Holster an seinem Gürtel. Beim Ausziehen der Stiefel und Socken entging ihm jedoch der Stiefeldolch.

„Das ist also dein persönliches Reich.“

„Meine bescheidene Kammer.“ Loki ließ seinen Blick wie Don über seine wenigen Besitztümer schweifen. Kein Prunk, nichts Bedeutsames, Plunder und ein paar bessere Kleidungsstücke für Midgards Verhältnisse. Wesentlich besser als ein Kerker auf Asgard.

Don ließ sich durch das Zimmer zum Schreibtisch treiben. Er entdeckte ein Notizbuch, in dem Loki per Hand geschrieben hatte. Die Handschrift war geschwungen, sehr gleichmäßig und flüssig. Don konnte die Schriftzeichen der ihm unbekannten Sprache nicht entziffern.

„Mach es dir bequem.“ Loki zeigte mit der Hand auf das Designersofa. „Darf ich dir etwas aus meiner Bar anbieten? Soll ich dir etwas kommen lassen?“

Don lehnte dankend ab. Er streifte seine Schuhe an der Ferse ab und hängte sein Sakko an die Garderobe. Auf dem Nachttisch neben dem Boxspringbett entdeckte er ein Buch.

„Was liest du?“ Don ließ sich auf das feste Polster des Sofas fallen. „Willst du mir nicht etwas vorlesen?“ Er streckte seine Beine auf der Sitzfläche aus und wackelte mit den Zehen in seinen Socken.

Loki nahm das schmale Büchlein vom Nachttisch und setzte sich anmutig im Schneidersitz auf Bett. Das grün schimmernde Seidenhemd stand Loki wirklich hervorragend, fiel Don abermals auf, aber noch erotischer fand er die Tatsache, dass er mit nackten Füßen auf dem Bett saß. Vielleicht lag es an der geschmeidigen Bewegungen, die ihn anmachten, oder dass Loki ihn in sein privates Reich gelassen hatte, dass Don diese Beobachtungen ins Auge stachen.

Loki klappte den schmalen Band auf und begann zu lesen: „Wozu man da ist, das erfährt man vielleicht nie, alle sogenannten Ziele können nur Vorwände der Bestimmung sein; aber dass man da ist, mit Blut, Muskel und Herz, mit Sinnen, Nerven und Gehirn, darauf kommt es an.“

Don spürte, wie er mit jedem weiteren Wort weiter wegdöste. Er wehrte sich nicht dagegen, als seine Augen zufielen.

Überrascht von Lokis Berührung schreckte er hoch. „Oh Gott, ich bin eingeschlafen. Was –?“

Loki hatte seine Hände unter seine Schultern und Kniekehlen geschoben und ihn angehoben. Er trug ihn mit Leichtigkeit hinüber zum Bett, wo die Bettdecke bereits aufgeschlagen war.

Abgelegt streckte Don seine müden Muskeln. „Stellst du den Wecker bitte? Ich muss morgen früh raus.“ Er gähnte. Er hob seinen Po an, schob das Poloshirt nach oben und hob seinen Oberkörper, um es über seinen Kopf auszuziehen. Schließlich zog er seine Hose auf dem Bett liegend mehr oder weniger umständlich aus.

Loki war zum Telefon gegangen. Er bat den Werkservice, ihn morgen anzurufen.

„Danke.“ Don kuschelte sich in die weiche Bettdecke und schloss die Augen. „Du würdest einen großartigen Dad abgeben“, nuschelte er im Halbschlaf. „Ich erinnere mich noch, wie ich Sean das erste Mal im Arm gehalten habe. Dieses Kämpfergefühl, dass ich alles tun würde, um die Kind für zu beschützen, war sehr mächtig.“

„Denkst du?“, fragte Loki. Er hatte sich auf die Bettkante gesetzt und sah ihn an.

„Ja. Ich habe dich mit meinen Kinder gesehen. Du würdest ihnen wahrscheinlich Schlangen und Krokodile als Haustiere erlauben und sie zu Schabernack anstiften, aber du würdest ihnen zeigen, dass du sie liebst. Du würdest es ganz anders machen wollen, als dein Vater oder deine biologischen Eltern...“

„Mmmmmm.“ Loki hatte keine Antwort parat.

„Du hast noch ein paar Hunderte von Jahren Zeit…“ Don grinste mit geschlossenen Lidern. Er streckte seine Hand in Richtung Loki aus und klopfte auf das Laken. „Okay, Kinder sind Drama!Vielleicht überlegst du es dir.“

Loki reagierte nicht. Er wartete, bis Don eingeschlafen war.

Chapter 12: Kontrolle

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Am Morgen fand Don Loki schlafend im Bett neben sich wieder, das Gesicht ihm zugewandt. Ihre Knie berührten sich indirekt unter den getrennten Bettdecken. Don wurde warm ums Herz, wie er ihn so schlafen sah. Loki hatte ihn ganz nah an sich heran gelassen. Er wusste, Loki verabscheute es, Schwäche zu zeigen. In seinem schönen Schein, der die Leute blendete, schien er immer auf der Hut zu sein.

Als hätte er Dons Blick auf sich gespürt, schlug Loki seine Augen auf.

„Hey…“, sagte Don leise.

Loki blinzelte ihn verschlafen an.

„Ich bin eingeschlafen. Es tut mir leid.“

Loki sah ihn an. Er wunderte sich, dass Don hier war.

Langsam kam in ihm die Erinnerung hoch. Loki hatte ihr Rendezvous verdorben. An Schlaf war kaum zu denken gewesen. Loki hatte mit seinem Spiegelbild gehadert. Dass er nicht seine wahre Haut sah, hatte es nicht besser gemacht. Die Haare, die Blässe und die wild aufgerissenen Augen ließen ihn aussehen wie einen Patienten, der dem Heiler vor Beendigung der Behandlung entflohen war und dringend ins Bett gehörte.

Er hatte die Kontrolle verloren. Er hatte Don fast alles vor die Füße gekotzt. Er hatte die Kontrolle verloren und es machte ihm eine Scheiß-Angst. Dons Vertrauen ängstigte ihn. Er wollte gleichzeitig wegrennen und sich in Dons Armen verkriechen.

Loki sah unverwandt Don an. Wenn er jetzt etwas erwiderte, käme es zittrig und verunsichert heraus.

Er streckte seine Finger aus und berührte Dons Schnurrbart. Er war weich unter seinen Fingern. Statt Worte zu benutzen rollte Loki sich vor, auf seinen Unterarm, die Finger der anderen Hand an Dons Wange, und beugte sich vor. Der Kuss war leicht: ein warmer, verführerischer Druck gegen Dons Lippen. Mit langsamen, neckenden Bewegungen vertiefte er die Zärtlichkeit.

Don schloss genüsslich seine Augen. Er ahmte die Bewegungen nach und drückte sich ihm entgegen. Seine Hände fanden Loki und streichelten über nackte, bettwarme Haut.

Loki drückte ihn ins Kissen. Seine Zunge stieß in Dons Mund, während er die Bettdecke wegschob und sich rittlings auf ihn setzte. Er richtete sich auf und rieb seinen Körper gegen den des Mannes unter ihm, was Don ein verzücktes Keuchen entlockte.

Loki genoss es, seine Sexualität zu nutzen, sei es zum Spaß oder für seinen persönlichen Nutzen. Wenn notwendig, war Sex ein weiteres Werkzeug in seinem Arsenal der Manipulation. Sex war etwas, das er kontrollieren. Auf Asgard war er bekannt für seine sexuelle Freizügigkeit.

Don hob seine Wimpern und sah, wie Loki ihn lustvoll anstarrte. Er spürte sein Herz begierig pochen.

Loki wollte ihn.

Das Läuten des Telefons unterbrach ihr Treiben jäh. Loki ignorierte es.

„Willst du nicht –“, Don stöhnte, als Loki eine kreisende Bewegung auf seiner Lendengegend vollzog. „– rangehen?“

„Willst du?“, fragte Loki zurück. Die ersten, sündigen Worte des Morgens.

„Nicht, dass sie jemanden schicken… Ich muss…“ Don wurde von einem Kuss zum Schweigen gebracht, bevor sich Loki elegant über die Matratze wirbelte und nach dem Hörer griff.

Am Telefon war Loki ganz sein charmantes Selbst. Das unbekümmerte Lächeln übertrug sich auf seine Stimme. Niemand sah, dass er nackt da stand und sein Schwarz auf Halbmast war.

Don schluckte. Es faszinierte ihn, wie wenig Loki seine Nacktheit störte. Aber es war mehr als das: Er könnte ihm stundenlang einfach nur zusehen, wie er seinen alltäglichen Dingen nachging. Er wollte genau das.

Unwillig schälte er sich aus dem Bett. Er hatte viel zu wenig Zeit einkalkuliert. Wenn er samstags arbeitete, frühstückte er meist schnell und pragmatisch allein.

Don stellte fest, dass Loki seine Kleidung sauber auf einem Stuhl zusammen gelegt hatte. Während er in seine Hose schlüpfte, bekam er ein schlechtes Gewissen, weil er einen Rückzieher gemacht hatte. Wann war ihm eigentlich Frühstück wichtiger geworden als Sex? Es war so verdammt erwachsen und spießig, pünktlich zur Arbeit – in seinem Geschäft – zu erscheinen.

„Wie wäre heute Abend eine Fortsetzung?“, fragte er, als Loki aufgelegt hatte.

„Ungünstig“, antwortete Loki kühl, „Ich nehme an einem Poker-Turnier teil.“ Zu behaupten, seine Poker-Abende seien spannend, wäre ein maßlose Übertreibung. Am Pokerspiel reizte Loki das Bluffen. Die Mischung aus Strategie und Psychologie machte für ihn den Nervenkitzel aus. Er kannte inzwischen die drei Dutzend Gesichter, die sich regelmäßig in dem Casino einfanden, das schon einmal bessere Tage gesehen hatte.

„Poker?“ Don versuchte seine Enttäuschung zu verbergen. Loki hatte es geschafft, sich für Dons Zurückweisung zu revanchieren. Don ließ sich jedoch nicht leicht abwimmeln. „Hast du Lust auf ein schnelles Frühstück?“

~~~

Loki führte ihn in ein typisch französisches Café aus der Zeit um 1900. Er hatte sich für seine Verhältnisse in legeres Schwarz in Schwarz gehüllt. Don bewunderte die geflieste Jugendstil-Decke, die kunstvoll den Handel auf einem Markt illustrierte.

Das gehobene Frühstückslokal war sehr belebt. Kaum hatten sie an einem der kleinen Tische Platz gekommen, grüßte eine aufmerksame Kellnerin Loki mit Namen im Vorbeigehen. „Ich bin gleich bei euch“, versprach sie.

„Stammkunde?“

„Die Croissants sind exzellent“, beugte sich Loki verschwörerisch zu ihm. Seine Laune stieg mit der Aussicht auf Frühstück und Kaffee.

Loki bestellte bei seiner Kellnerin das Übliche: ein französisches Frühstück mit einem großen Milchkaffee. Don wählte ein warmes Croissant mit Schinken & Käse und einen schlichten Filterkaffee.

„Ein Gott in Klein-Frankreich...“, murmelte er.

Don streckte seine Beine gemütlich unter dem Tisch aus und stieß dabei gegen Lokis Fuß. Im ersten Moment zog er sich entschuldigend zurück, bevor ihm eine Idee kam. Vorsichtig schob er einen Fuß zwischen Lokis und begann leicht zu füßeln. Don beobachtete genau, wie Loki reagierte.

Lokis Mundwinkel zuckte neckisch. Seine Augen waren auf ihn fixiert.

„Jason wird sich das Maul zerreißen, wenn ich in diesen Klamotten im Laden erscheine! Er wird mich garantiert ausquetschen,“ sagte Don im Plauderton. „Wenn ich mich beeile, kann ich mich umziehen, bevor er da ist.“ Er schaute kurz auf sein Handy. Er hatte noch fünfzehn Minuten, vielleicht weniger.

Don spürte Lokis Fuß an seiner Knöchel, dann an seiner Wade. Er hatte seinen Slipper unter dem Tisch ausgezogen. Das andere, diskrete Kuscheln, während sie nur Augen füreinander hatten, ließ Dons Herz schneller schlagen.

Als wieder die Kellnerin an ihnen vorbei huschte, bat Don diese um Papier und Stift, um Loki seine Handynummer zu geben. Don erzählte, dass er sich am Sonntag für einen Kindergeburtstag als Aufsicht freiwillig gemeldet hatte. Er freute sich schon auf die Mutter des Geburtstagskindes, die ungeniert mit ihm flirtete, aber für seinen Geschmack zu nervig und laut war.

Während Don redete, hielt er Blickkontakt. Er drückte sein Bein gegen Lokis Fuß, der inzwischen sein Knie gefunden hatte. Der subtile, spielerische Flirt unter- und oberhalb des Tisches machte Spaß. Es hatte etwas Aufregendes, Süßes, sich in einem Raum voller Menschen unbemerkt zu necken. Leider lief ihm die Zeit davon.

Als ihre Bestellung sowie Zettel und Kugelschreiber kam, kritzelte Don seine Nummer nieder und schob sie Loki rüber. Hastig biss er in das warme mit Käse überbackene Croissant, während Loki ihm guten Appetit wünschte. Es täte ihm leid, erwiderte Don mit vollem Mund, während die Uhrzeit auf dem Handy prüfte. Er trank einen hastigen Schluck von seinem Kaffee. Dann nahm er das Croissant mit einer Serviette auf die Hand, stand auf und drückte Loki einen schnellen Kuss auf den Mund.

„Ich rufe an. Spätestens morgen Abend!“, versprach Don und eilte zur Tür hinaus. Im Nachhinein fiel ihm auf, dass er Loki in aller Öffentlichkeit geküsst hatte. Seine Wangen bekamen einen Hauch Röte.

Loki ließ sich sein Frühstück in aller Ruhe schmecken. Auf Midgard zu leben, hieß, keine royalen Verpflichtungen zu haben, die seinen Tag bestimmten. Das Ziel, die magischen Fesseln loszuwerden, hatte sein Leben hier einem Sinn gegeben. Odin zu zeigen, dass er seine Macht brechen konnte, trieb Loki an. Das Seiðr war ein Teil seiner Identität, die er ihm geraubt hatte.

Er dachte an die Inschrift auf den goldenen Fesseln. Loki würde nicht so töricht sein und ein Auge opfern.

Sein Wissen über extrinsische Magie wie Zaubertränke, Beschwörungen oder Rituale konnte er nicht eins zu eins auf Midgard übertragen. Bis dato waren alle Versuche kläglich gescheitert.

Er wollte nicht an Don denken, doch sein Gedankenkarussell schickte ihn immer wieder dorthin. Loki fühlte sich emotional roh, wenn er an ihr Date zurückdachte. Er wusste nicht, ob er damit umgehen konnte, vor Don verletzlich zu sein.

Loki wollte groß, mächtig und gewitzt sein. Aber er war geschlagen und verängstigt. Mit einem Schaudern erschien Thanos vor seinem inneren Auge.

Loki beendete sein Frühstück, bezahlte die Rechnung und streifte durch die Stadt. Im Gehen konnte er seinen Gedanken freien Lauf lassen. Er hatte beobachtet, wie Menschen sind mit Laufen körperlich betätigen, aber das war nicht seins. Sparring mit Thor oder einem der Drei Krieger war ihm da schon lieber.

Wie gerne hätte er sich zur Ablenkung mit Don durch das Bett gewälzt. Im ersten Moment war Loki beleidigt gewesen, dann hatte er ihm kurz die kalte Schulter gezeigt. Er konnte Nicholas verführen, zu dem er ein Vertrauensverhältnis aufgebaut hatte. Oder irgendjemanden anderes. Aber ihm war nicht danach.

Er wollte Don. In seinem Leben haben. Der Mann war ein echter Freund und mehr. Im Chaos seiner Gefühle verschwamm Freundschaft mit Liebe. Loki kannte die Zeichen, wie sein Haare nervös richtete. Er wollte einen guten Eindruck hinterlassen. Er trug bei Don keine Maske mehr, was ihn noch kribbeliger machte.

Loki schob den Gedanken von Don beiseite.

Schließlich stürzte er sich wieder unbeirrbar darauf, sein Seiðr zu entfesseln, nur unterbrochen von einem kleinen Mittagessen.

~~~

„Mein Auftritt war imposant, Don! Du hättest meinen Schritt sehen sollen – groß, selbstbewusst, wie ein König, der seinen Palast betritt“, beschrieb Loki am Sonntag Abend Don seinen Auftritt im Casino am Telefon. Er schaute nach draußen auf die Stadt, während im Schneidersitz auf dem Bett saß.

Ein leises Lachen kam aus dem Telefonhörer. „Ich nehme an, du warst overdressed?“

„Ich war ein Kunstwerk! Schwarzer Anzug, perfekt geschnitten, Hemd mit Monogramm. Und das Beste – der Gehstock. Nicht nötig, aber absolut fabulös.“ Der Gehstock in seiner rechten Hand hatte bei jedem Schritt auf dem glänzenden Marmorboden geklackert. Sein Gesicht war ein Lächeln gewesen, das nichts anderes als eine perfekt getarnte Drohung war.

„Ich kann es mir ausmalen.“ Don freute sich, dass Loki scheinbar wieder Boden unter seinen Füßen gefunden hatte. Loki glücklich zu sehen war eine schöne Vision. Er wünschte, er hätte vorschlagen, ihn zu treffen, egal wie spät es war.

„Die Leute haben mich angesehen, als wäre ich ein Herrscher, der sich aus Langeweile unter das gemeine Volk mischt. Es war herrlich.“ Das breite Grinsen war förmlich über das Telefon zu spüren.

Loki war ungemein ansteckend. Thor mochte gut aussehen, aber Don würde es jederzeit vorziehen, in Lokis Ausstrahlung zu baden.

„Und die Mitspieler? Hast du sie beeindruckt?“

„Statisten, Don. Kaum der Rede wert. Freizeitspieler, die mit einer mittelmäßigen Hand glauben, sie könnten irgendwen beeindrucken. Nur einer von ihnen hatte etwas – wie soll ich sagen – Substanz.“

„Interessant. Was war an ihm besonders?“

„Er war wachsam. Ein scharfer Blick, ein schnelles Auffassungsvermögen.“ Loki überlegte einen Moment, wie viel er sagen sollte. Der Mann hatte gemerkt, dass Loki überkompensierte und ihn mit der Frage, ob es im Paradies Ärger gebe, getriezt. Loki schnaubte laut, während er ins Telefon sprach, doch sein Blick wanderte nachdenklich in die Ferne. „Er hat versucht, mich aus der Reserve zu locken. Ein primitiver Versuch, aber nicht völlig ungeschickt.“

„Hast du den Kerl in die Schranken gewiesen?“

„Selbstredend. Ich habe ihn gespielt. Die andere Seite von Poker ist nicht die Hand, die man hält – es ist das, was die anderen glauben, dass man hält. Und am Ende hatte ich die Kontrolle.“ Er wusste, dass er gewonnen hatte – wenn nicht das Turnier, dann zumindest die Bühne.

„Klingt nach einem guten Abend“, murmelte Don. Er seufzte neidvoll. „Mein Sonntag war ein anderes Abenteuer. Weit weniger glamourös. Ein Mann unter Müttern mit tobenden Kindern.“

„Klingt nach einer tollen Gesellschaft“, erwiderte Loki ironisch.

„Zucker im Blut, Unsinn im Kopf. Und weißt du, was das Beste war?“

„Lass mich raten: Jemand hat dir einen Schokoladenkuchen ins Gesicht geschmissen?“

„Ha, das wäre noch harmlos gewesen. Nein, da ist diese eine Mutter. Die glaubt, sie wäre der Star einer schlechten Rom-Com. Flirtet mit jedem, der nicht bei drei auf dem Baum ist – und ich war ihr Hauptziel.“

„Oh, Don!“ Loki grinste. Er konnte sich ein Kichern nicht verkneifen. „Du ist eben unwiderstehlich.“

„Sie kommt zu mir: ‚Don, du bist doch so gut mit Kindern. Solltest du nicht noch ein paar mehr machen?‘ Was sagt man da?“

Loki lachte laut. „Sie sagt, was sie will!“

„Danke, zwei Kinder sind genug.“ Don rollte genervt mit den Augen. „Der ganze Nachmittag war ein einziges Katz-und-Maus-Spiel und ich war eindeutig die Maus.“

„Sollte ich eifersüchtig sein?“

„Du hättest mich retten müssen“, verlangte Don gespielt verzweifelt klingend.

„Sieht sie gut aus?“, fragte Loki nach.

„Hör auf damit.“ Don lachte, dann wurde seine Stimme wieder etwas ernster. „Sie ist nicht mein Typ. Nie im Leben. Aber sie macht das jedes Mal. Ich frage mich, warum sie sich nicht einfach einen anderen armen Kerl aussucht, der darauf anspringt.“

„Vielleicht sieht sie etwas in dir, das du selbst nicht siehst.“

„Ja, vielleicht meine Fähigkeit, an Kindergeburtstagen die Hüpfburg zu überwachen.“ Don seufzte. „Nächste Woche ist wieder ein Geburtstag.“

„Wo die nächste Mutter ihre Krallen in dein Gesäß graben will.“

„Sehr witzig“, schoss Don zurück. „Du sollst nicht von dir auf andere projizieren!“

„Wahr“, stimmte Loki zu. Das Pokern war ein Abend voller oberflächlicher Gespräche und belangloser Lacher gewesen. Seine Show hatte ihn wieder aufrichtet, seinen Glanz wieder hergestellt. „Karten sind launische Geliebte. Nichts geht über das Greifen und Festhalten mit beiden Händen.“

Don gefiel das zweideutige Bild, dass Loki am Telefon gemalt hatte. Er hatte das Nachdenkliche zwischen den Zeilen gehört. „Geht es dir gut?“, fragte er sanft.

„Nein, ich bin verletzt und hatte gehofft, dass wir über die intimen Details meines inneren Schmerzes sprechen. Vielen Dank, dass du mich darauf angesprochen hast.“

„Gerne…“ Don merkte das Zögern am anderen Ende.

Loki biss sich auf die Unterlippe. „Ich will dich sehen.“ Don brachte ihm aufrichtige Fürsorge und Zuneigung entgegen, was er nur seiner Mutter kannte. Das war neu.

„Ja. Ja! Morgen nach der Arbeit gehöre ich ganz dir. Wir machen, was du willst.“

Chapter 13: Ablenkung

Chapter Text

„Er kommt gleich.“ Der Rezeptionist lächelte ihm freundlich zu, sodass Don sich gezwungen fühlte ebenfalls zu lächeln. Er war direkt von Piranha Powersports gestartet und hatte schnell in ein weißes Hemd gewechselt, um nicht nach Arbeit auszusehen. Als gewöhnlicher Sterblicher verblasste jedoch jeder neben Loki.

Don wandte dem Rezeptionisten seinen Rücken zu, während er im Foyer wartete. Er hätte das tropische Hemd anziehen sollen. Don rieb sich über das Gesicht. Er hatte sich heute morgen rasiert und seinen Schnurrbart frisch getrimmt.

Sein Magen knurrte und er hoffte, dass der Abend Essen beinhaltete.

„Hast du alles bekommen, Nicholas?“

Don drehte sich um, als er Lokis Stimme vernahm. Der Rezeptionist reichte Loki eine Papiertragetasche. Don erkannte das Logo eines Feinkostgeschäfts. Erstaunt stellte er fest, dass Loki die Lederjacke und Chino, die Kevin für ihm ausgesucht hatte, trug. War das der stilsichere Einfluss seiner Oma, die stets Wert auf gute Kleidung und eine adrette Frisur legte?

„Alles wie gewünscht“, antwortete Nicholas.

Loki lächelte mit einem breiten Grinsen, bei dem er die Zähne zeigte. „Fantastisch!“

Ein heftiger Anflug von Eifersucht durchzuckte Don. Er hatte dem Mann kaum Beachtung geschenkt. Ja, er sah gut aus mit seinen weichen, braunen Haaren und den blauen Augen. Er war von stattlicher Größe und jung. Jünger als Don.

Don ging hinüber und nahm Lokis persönlichen Raum ein, um still zu signalisieren, zu wem er gehörte, ohne die beiden zu unterbrechen.

„Für dich immer gerne, Loki“, sagte Nicholas überaus freundlich.

„Don.“ Loki wandte sich ihm zu und gab ihm einen Kuss zur Begrüßung.

Don spürte, wie er errötete. Es war neu und ungewohnt. Irgendwie erwartete er, dass etwas ihm einen Stromschlag versetzte oder jemand Anstoß nahm, aber nichts dergleichen passierte.

„Darf ich dir Nicholas vorstellen? Don, Nicholas. Nicholas, Don. Wenn du etwas brauchst, ist er dein Mann. Er kann alles, sogar Leben retten.“

„Ist das so?“ Dons Frage klang schärfer als beabsichtigt. Ein Teil von ihm fühlte sich unsicher, ob er wirklich einen Platz in Lokis Leben hatte. Don war ein einfacher, geradezu langweiliger Mann. Loki konnte aufregendere, attraktivere Menschen um sich scharen.

„Du wirst ihm dankbar sein, wenn du in die Tüte schaust.“

„Das ist zu viel des Lobes“, meinte Nicholas, obwohl ihm Lokis Worte wie Öl runtergingen. Er lächelte die beiden an. Nicholas hatte gedacht, er wäre Lokis Typ. Don war eine echte Überraschung.

„Nicholas, so genügsam.“ Loki grinste schief. Er schob Don an und bewegte sich mit ihm zum Ausgang.

„Ich wünsche euch einen schönen Abend“, rief Nicholas ihnen hinterher.

Bisher hatte sich Midgard wider seinen Erwartungen für Loki als unterhaltsam, vielleicht sogar befreiend herausgestellt. Einer von ihnen zu sein, ohne Macht und Status, hatte sich von einer Demütigung in eine Emanzipation verwandelt. Loki wusste nicht, ob er diesem Gefühl trauen sollte. Es fiel ihm schwer zu akzeptieren, wenn etwas Gutes passierte.

Niemand hatte ihn gefragt, was nach seinem Fall mit ihm geschehen war. Nur Thor, sein trotteliger, gutherziger Bruder, dem seine ausgefallene Krönung offensichtlich gut getan hatte, schien zu ahnen, dass es mehr zu erzählen gab.

„Willst du auf Dauer in einem Hotel leben? Es ist günstiger, sich ein Appartement zu mieten“, unterbrach Don Lokis Gedankengang.

„Ich habe keine längerfristigen Pläne geschmiedet“, gestand Loki. In Wirklichkeit gab es das Finitum, Midgard sobald wie möglich zu verlassen, nachdem sein Seiðr wieder hergestellt war. Zumindest war das mal sein Vorhaben gewesen.

Sie stiegen in Dons Wagen. Ohne sein Seiðr war Lokis Bewegungsradius eingeschränkt. Er hatte sich bereits überlegt, sich selbst ein Automobil zu holen, aber das Fahrradfahren hatte seine ganz eigene Faszination. Es brachte einen relativ schnell vorwärts, während man gleichzeitig die Umwelt um sich herum spürte.

Loki entfaltete auf dem Beifahrersitz einen Flyer, auf dessen Rückseite eine vereinfachte Karte der Stadt mit den wichtigsten Sehenswürdigkeiten abgedruckt war. Er loste Don anhand von Touristenattraktionen durch die Straßen, ohne ihm das konkrete Ziel zu verraten.

Dons Magen meldete sich wieder zu Wort. Bereitwillig lüftete Loki das Geheimnis seiner Papiertüte. Er hielt Don ein Pastrami Sandwich hin, von dem er während der Fahrt abbiss.

„Mmmm, lecker“, machte Don mit vollem Mund. An der nächsten roten Ampel nahm er ihm das Sandwich ab. „Willst du mich verführen?“

„Ich habe nur an dich gedacht“, erwiderte Loki unschuldig schmunzelnd.

„Du machst mir ein bisschen Angst.“

„Lass mich dich überraschen.“

„Mein Erste-Hilfe-Kurs liegt Jahre, Jahrzehnte zurück!“

Als sie die Innenstadt hinter sich ließen, bohrte Don nach, wo sie hin wollten, aber Loki hielt sich bedeckt. Erstaunt stellte Don fest, dass sie auf den Friedhof zusteuerten. Mit dem Auto fuhren sie über breite, geschwungene Wege durch den an die viktorianischen Gartenfriedhöfen Englands und Frankreichs angelehnte Parklandschaft. Schließfach hielten sie auf einem Parkplatz mitten im Gelände.

Don hatte alles erwartet, nur keinen Friedhof. Mit einer Jacke gerüstet gingen sie Fuß weiter. Loki hakte sich bei Don unter. Die Abendstimmung war schön. Die Sonne tauchte die alten Bäume, die schon zur Gründung des Friedhofs Wurzeln geschlagen hatten, in warmes Licht. Spaziergänger mit Hund, Pärchen und Touristen begegneten ihnen. Im Schatten war es bereits spürbar frischer.

Loki hatte ihm die Papiertragetasche überlassen, während er sein Sandwich verspeiste. Don naschte sich durch die Macadamia-Nüsse mit Schokoladenüberzug.

Die letzten Sonnenstrahlen fielen auf den Teich vor der Gedächtniskapelle. Die rötlich gefärbten Wolken spiegelten sich in der Wasseroberfläche. Die Parkbänke im Schatten waren leer.

„Ich war nicht mehr hier seit… ich weiß gar nicht wie lange“, kommentierte Don. Er hielt Loki eine Handvoll Schoko-Macadamia hin, die dieser nahm. „Es ist schön hier.“

„Nach einem harten Arbeitstag hast du es dir verdient.“

Don sah Loki an. „Wer bist du?“

Loki grinste ihn breit an. „Was hast du mir noch gleich gesagt? Das nennt man grundlegende, menschliche Freundlichkeit?“

„Ah. Das klingt verdächtig nach meinen Worten.“

„Ich habe von einem klugen Mann gelernt.“

Don lachte: „Ich kann nicht glauben, dass du mich mit meinen eigenen Tricks überlistest.“

„Oh, ich bin nicht fertig. Warte ab!“

„Schamlos.“

Loki löste sich von ihm und machte zwei Schritte auf den Teich zu. Mit seinen Händen beschwor er das Wasser, sich zu erheben. Eisnebel bildete sich über dem Wasser. Bläuliches Licht blitzte auf. Als sich aus dem feinen, weißen Wassernebel eine Form herauskristallisierte, wurde sie von einem ungewöhnlichen Leuchten begleitet. Die vereiste Form wurde groß, schoss in die Höhe, während immer mehr Konturen zum Vorschein kamen. Die Eisskulptur bekam eindeutige Merkmale: erst der gehörnte Helm, das lange Cape, schließlich der Brustpanzer, der markante Kragen bis schließlich die Gesichtszüge Lokis erkennbar waren. Die schwachen Sonnenstrahlen schienen durch das klare Eis des Oberkörpers.

Loki drehte sich mit einem begeisterten Funkeln in seinen Augen und einem freudig aufgerissenen Mund zu Don um.

Don kam nicht aus dem Staunen heraus. „Eindrucksvoll!“

„Es ist mir gelungen, durchscheinendes Eis ohne Verunreinigungen und Luftblasen zu erschaffen“, begeisterte sich Loki. „Es ist kristallklar.“

„Was ist das für ein Gewand?“, fragte Don neugierig. Die Rüstung wirkte poliert und sehr ästhetisch. Er konnte sich gut das Gold und anderes Metall, dass den Körper schützte, an Loki vorstellen. „Bestens für den Kampf gerüstet, würde ich sagen.“

„Eine Garderobe dem Feind zu trotzen, ohne den Anmut zu vernachlässigen.“ Loki betrachtete sein eigenes Abbild aus Eis.

„Das war die Zeit, als du noch Haare gewaschen hast.“ Don lachte über seinen eigenen Scherz.

Loki drehte sich mit einem tödlichen Blick zu ihm um, den dieser lächelnd erwiderte.

„Die Schulterstücke sind ein wenig übertrieben. Erinnert mich an Football.“

„Du schmälerst mein Ansehen?“ Loki verzog seinen Mund zu einer arroganten Fratze.

„Keineswegs. Ich weiß, wo deine Stärken liegen. Deine beste Waffe ist die Fähigkeit den Gegner so lange zu piesacken, bis er dir frustriert den Kopf abschlägt.“

„Lediglich meiner formidablen Illusion“, bestätigte Loki.

„Du redest gerne…“, warf Don ein.

„Ich be- und verzaubere mein Publikum mit Worten und Illusionen. Bei Magie geht es immer um die Ablenkung. Sie geschieht, während du nicht hinsiehst…“ Loki machte zwei geschmeidige Schritte auf Don zu. Seine Hand berührte Dons Oberarm. Mit der anderen Hand umfasste er Dons Taille und drückte seinen Körper gegen ihn.

„Du hättest mir als Prinz von Asgard nicht viel Aufmerksamkeit geschenkt“, sagte Don nüchtern, „Bei all der Politik, den Intrigen und Affären des Königshofs hättest du mich als langweiligen Bediensteten oder unwichtigen Höfling abgetan.“

„Möglich…“, stimmte Loki nachdenklich zu. „Hättest du dich mit mir abgeben wollen? Mehr aus psychologischem Interesse denn aus echter Sympathie.“

„Du hättest mich erst wahrgenommen, wenn du mich für deine eigenen Zwecke hättest benutzen können...“

„Die Wahrheit ist nie schön.“ Loki sah ihm in die Augen.

„Ich bin froh, dass ich dich kennen lernen darf“, erwiderte Don. Er war jemand, der sich von Charisma und cleveren Köpfen angezogen fühlte, doch er bevorzugte Authentizität.

Loki schlang seine Arme um ihn und zog ihn als Antwort in einen Kuss. Er spürte, wie Don sich gegen seine Lippen entspannte. Er schmeckte die Nüsse und die süße Schokolade. Langsam schloss er die Augen und gab sich seinem Schmachten hin. Es war ein träges Vergnügen, erfüllt von einer Dringlichkeit, Don zu besitzen.

Der Kuss brannte sich in Don. Vergessen war der Friedhof und mögliche Zuschauer. Alle höheren Denkfunktionen war außer Betrieb. Der Druck der Lippen löschte seinen Verstand.

Don ächzte enttäuscht, als Loki ihre Lippen trennte, aber ihre Körper fest zusammen hielt.

„Ich bin…“, Don suchte nach dem richtigen Wort, „… verzaubert.“

Lokis Mundwinkel gingen hoch. Er löste einen Arm und fuhr damit in einer eleganten Bewegung durch die Luft, während er sich wieder zum Teich wandte. Die Eisskulptur hat sich gewandelt, vom eisigen Loki in zu einer kompakteren Form.

Don lachte, als er sich auf einem Jetski erkannte. „Das hätten wir als Werbung gebraucht!“ Zum Glück war niemand zugegen, der Lokis Spektakel sehen konnte, obwohl dieser sich über Bewunderer seiner Kunst freuen würde.

Loki hatte sich ganz von ihm gelöst und machte eine übertriebene Knicks mit einem neckischen Grinsen vor ihm.

Don deutete seinerseits eine Verbeugung an. Er ließ seinen Blick über das gepflegte Grün schweifen. Die süße Leichtigkeit wurde von glühender Neugierde gestochen. „Warum hier?“

„Dieser Friedhof hat mich an einen der schlichteren Gärten meiner… von Frigga erinnert.“ Loki folgte seinem Beispiel. Dämmerung legte sich schleichend über alles. „Sie war die einzige, die mich verstand, und doch die Erste, die mich verriet! Denn was ist größere Grausamkeit – mich zu verstoßen oder mich zu lieben und doch zu wissen, dass ich niemals so sein werde wie mein einfältiger Hammer schwingender Bruder?“

Don sah ihn lange an, bevor etwas sagte: „Ich kann nicht glauben, dass du derselbe Mann bist, der New York überfallen und die Erde unterwerfen wollte?“ Die Videoaufnahmen, der er gesehen hatte, gingen in seinem Kopf nicht mit diesem Mann zusammen.

Loki erwiderte Dons Blick. Er war an Thanos' langer Leine nach Midgard gekommen und hatte seinen Auftritt mit Prunk und Pracht durchgezogen. Er war kaum mehr als ein dressierter Löwe in einer Manege gewesen. New York war eine Schlacht, die ihn nicht mehr berührte. Er versuchte, den Deckel auf der Büchse der Pandora zu halten.

„Das war ein anderer Mann“, antwortete Loki.

Bevor Don etwas sagen konnte, hatte Loki ihn mit beiden Armen hochgehoben, als wäre er leicht wie eine Feder, und marschierte mit ihm los. In Momenten wie diesen ging Don wieder auf, dass Loki alles andere ein Mensch war. Er hatte Kräfte und Fähigkeiten, von denen er nicht den blassesten Schimmer hatte und die er womöglich fürchten sollte. Aber das fiel ihm im Traum nicht ein.

„Loki“, protestierte Don über die Peinlichkeit, wie ein Jungfrau in Nöten getragen zu werden.

Loki legte ihn über seine Schultern wie ein Feuerwehrmann. „Angemessener?“, zog er Don auf.

Don klammerte sich an ihm fest. „Was ist mit der Eisstatue? Wir können sie nicht einfach stehen lassen.“

„Sie vergeht in Unkenntlichkeit wie der Sommer“, versprach Loki.

Am Wagen gekommen ließ er ihn herunter. Don lehnte sich gegen die Autotür.

„Vermisst du Asgard?“

„Die Schatten der Hallen, die kalte, goldene Herrlichkeit... Was ist ein Königreich, das nur von Göttern bewohnt wird, die sich selbst mehr lieben als das Leben um sie herum? Vermisse ich Asgard? Es gibt keine Freiheit in Ketten.“

Loki schloss für einen Moment die Augen, als ob er in der Stille eine Wahrheit finde würde, die nur er selbst kannte. Dann öffnete er sie wieder und sah Don mit einem geheimnisvollen Lächeln an. „Lass uns fahren.“

Im Hotel angekommen wünschte Nicholas ihnen eine gute Nacht. Seine Freundlichkeit war die gleiche, wenn auch weniger enthusiastisch als zuvor. Die Eifersucht, die Don erfasst hatte, war ins Gegenteil um geschlagen: Er – und kein anderer – ging mit einem unwiderstehlichen Loki am Arm auf dessen Hotelzimmer.

Kaum hatte Don die Tür hinter ihm zu Lokis Reich geschlossen, drückte sich Loki in einem aufregenden Kuss gegen ihn. Don keuchte, als Loki seine Zunge in seinen Mund tauchte und in ihn hinein leckte und stieß. Es ist ein schmutziger Kuss, der Dons Schwanz blitzschnell erweckte, bevor er es überhaupt merkte. Durch die Kleidung hindurch spürte er, dass Loki genauso hart war. Noch besser war, seinen nackten Körper auf, gegen sich zu fühlen: samtige Haut, Muskeln und Wärme.

Don brummte in Lokis Mund, gierig nach mehr – nach allem von ihm.

Nervosität und Befangenheit mischten sich in seine Aufregung. Er fühlte sich wie ein (unreifer) Teenager auf Entdeckungsreise, als er die Komfortzone verließ und sich mit einem Mann durch das Bett wühlte. Loki schickte ihn auf eine Achterbahn mit Oralsex, neu und doch vertraut. Die Entdeckung, dass ihn ein Penis in seinem Mund nicht nur nicht abschreckte, sondern im Gegenteil noch erregte, war eine Überraschung.

Bei jeder Verabredung lernte er etwas Neues über seine sexuellen Vorlieben. Loki war sehr talentiert und bereit, ihm die verschiedensten Stellungen zu zeigen. Zu spüren, wie Lokis Zunge an seinem Loch leckte, war ein Schock, den er schnell verdaut hatte und schließlich sehr genoss.

Nur eines blieb außen vor: penetrierender Sex. Don fragte sich, ob das etwas mit dem Makel der Unmännlichkeit zu tun hatte, aber er wagte es nicht, das Thema ansprechen. Stattdessen fragte er sich, ob er durch Pornos in die Vorstellung gedrängt, dass es nur Analsex zwischen Männern. Über sein Sexualleben konnte sich Don jedoch keineswegs beklagen.

Loki führte ihn an Orte und Plätze, die Don in seiner Heimatstadt keine Beachtung geschenkt oder völlig vergessen hatte, dass sie existierten. Einen Tag gab es Sandwiches, an anderen Tagen gingen sie fein essen mit Gin und Steak.

Das einzige, was störte, war Dons schlechtes Gewissen, weil er immer weniger Zeit Zuhause und damit bei seinen Kindern verbrachte. Seine Mutter hielt ihm den Rücken frei. Sie schien sich mit seiner neuen Beziehung arrangiert zu haben. Es tat gut, dass seine Mutter Verständnis für ihn hatte und ihn nicht verurteilte. Don hatte Liz bei der Wahl seiner Kleidung um Rat gefragt. Selbst dem benachbarten Ehepaar fiel auf, dass sich Don besser kleidete.

Als Don sich mehrere Tage hintereinander nicht mit Loki traf, beschloss dieser, ihn zu überraschen. Er versteckte sein Fahrrad in Dons Garten und stieg in Dons Schlafzimmer ein.

Loki machte es sich im Bett bequem und schlief ein.

Im ersten Moment bemerkte Don ihn nicht. Er knüpfte sein Hemd auf, während er gleichzeitig seine Schuhe abstreifte. Don zuckte erschreckt zusammen, als er die Gestalt in seinem Bett entdeckte. „Jesus, Loki!“, atmete er erleichtert aus, als er ihn erkannte. „Was machst du hier?“

Das Fenster, von dem Don überzeugt war, dass er es heute morgen geschlossen hatte, stand offen. Er war nicht gerade begeistert, dass Loki bei ihm eingebrochen war. Loki war wie ein Kater, der tote Tiere als gutgemeinte Geschenke brachte. Andererseits waren die spitzbübischen, kindischen Züge ein Teil seines Charmes, den Don aufregend und anziehend fand.

„Dich wieder zu sehen, ist mir eine wahre Freude!“ Loki wölbte seinen Torso, wobei die Bettdecke nach unten rutschte und seine nackte Brust entblößte, bevor er die Arme ausstreckte und sich genüsslich räkelte.

„Du hättest anrufen können…“, erwiderte Don lahm.

„Ich will dich leibhaftig sehen und berühren“, lehnte Loki brüsk ab und stützte sich seitlich auf einem Arm auf.

Don schwankte. Wie konnte er Nein sagen? Zu ihm flohen seine Gedanken, wenn er nicht intensiv beschäftigt war. Und selbst dann fiel es ihm manchmal schwer, sich zu konzentrieren. Don war so verliebt, dass es beängstigend war.

„Ich gebe dir einen Schlüssel für die Haustür“, versprach Don, „Aber zuerst… die Jungs müssen damit einverstanden sein, dass du hier ein- und ausgehst.“

Don fürchtete, dass sein ältester Sohn sich nicht leicht überzeugen ließ, Loki willkommen zu heißen. Sean hatte ihn nicht an Ironman verraten, und er hatte sogar ein gewisses Maß an Sympathie für Loki gezeigt – bis sein Vater mit ihm eine Affäre begonnen hatte.

Don hatte versucht, mit Sean zu reden, doch dieser hatte sich in den Kopf gesetzt, dass seine Ex-Frau ihn und Kinder verlassen hatte, weil Don in Wirklichkeit schwul war. Sean glaubte, dass sein Vater sie alle von Anfang an belogen hatte. Um seine sexuelle Orientierung ging es nur in zweiter Linie.

„Wie du wünschst.“ Loki tat es mit einem leichten Schulterzucken ab.

Don biss sich auf die Unterlippe. Ein nackter Mann lag in seinem Bett und er versuchte sich zu sammeln. Er lächelte: „Das wünsche ich mir.“

„Wer geht auf meine Wünsche ein?“

Don knüpfte das halb geöffnete Hemd zu Ende auf und hängte es auf.

Loki zog einen Mundwinkel vor Vergnügen nach oben. Er klopfte mit der freien Hand auf das Laken neben sich. „Erzähl mir die Geschichte: Wer hat dir die gekrümmte Nase verpasst?“

Chapter 14: Fingerkribbeln

Chapter Text

Loki betrachtete zufrieden das Wurfmesser aus Eis in seinen Händen, als er auf der Kante des Hotelbettes saß. Auch ohne die Schatulle des alten Winters war Loki in der Lage ausgefeilte Waffen zu formen, die Stahl auf Midgard tranchierten wie einen Truthahn. Das Wurfmesser war bruchfest, sehr stabil, nicht zu spröde, mit einer leicht geschwungenen Klinge und einer spitzen Spitze.

Seine von Menschen geschmiedeten Waffen gehörten damit der Vergangenheit an.

Mit Gram dachte Loki, wie er sich von zwei menschlichen Männern hatte übertölpeln lassen. Er war schwach gewesen und hatte sich wie ein Mensch verhalten. Noch einmal würde ihm das nicht passieren.

Er war nicht wie sie. Er war nicht von Asgard. Er war Jotun durch Blut.

Draußen, in einem abgelegenen Stück eines Parks, hatte Loki das Messerwerfen geübt. Er bevorzugte Messer mit Mittelbalance, um sie sowohl am Griff als auch an der Klinge werfen zu können. Als erfahrener Werfer hatte er alle Techniken drauf: von Rotationswürfen, über Unterhandwürfen bis hin zu Würfen aus ungewöhnlichen Winkeln. Zufrieden mit seinen Ergebnissen hatte Loki zum Dolch gewechselt und war ins Nahkampftraining übergegangen. Die Bewegungen der Füße, Hände und des Körpers – alles war vertraut. Wenn Thor als Krieger gleich einem Granitblock war, dann war Loki leicht und geschwind wie der Wind.

Loki verwandelte das Wurfmesser in seinen Händen in einen Dolch. Er nahm ihn in eine Hand und drehte sein Blatt, sodass die obere, glatte Seite im Licht aufblitzte. Loki öffnete seine andere Hand. Mit dem Blatt schnitt er in die Handfläche. Blut und Schmerz quollen scharf auf der Wunde.

Loki atmete zittrig aus. Die Heiltinktur stand in greifbarer Nähe auf dem Nachttisch, aber er wartete. Das Blut war warm auf seiner Hand. Er blutete rot. Loki fühlte eine Erleichterung durch sich durchströmen. Die Anspannung der letzten Zeit floss aus ihm heraus. Er dissoziierte, löste sich von von seinem Körper und von seiner Umgebung.

Sex, Blut und Magie ging ihm durch den Kopf. Don hatte ihn verhext.

Oder war es das Echo von Thanos’ Bann?

Loki war ein Stehaufmännchen. Er konnte umschalten, seine Emotionen kontrollieren, wenn er es brauchte. Thanos hatte ihm seine schmutzige Hand gereicht, nachdem er gestürzt war. Loki hatte seine Gefühle, seine Gebrochenheit, den Verrat seiner sogenannten Familie heruntergeschluckt und Thanos' Angebot, sich an Asgard durch die Unterwerfung Midgards zu rächen, angenommen.

Die Rache und die Wut hatten alle anderen Emotionen überdeckt. Loki konnte nicht mehr sagen, wie viel davon der Gedankenstein in dem Zepter und wie viel seine eigenen Gefühle waren. Alles war irgendwie zu einem unkontrollierbaren Chaos angewachsen, das er hatte kaum noch zähmen können.

Loki starrte auf das Blut in seiner Hand. Er spürte plötzlich, dass er auf dem falschen Weg war. Eine Welle von Scham und Schande übermannte ihn. Er ließ den Dolch verschwinden, griff die Phiole mit der Heiltinktur, öffnete sie mit den Zähnen und kippte den Inhalt über die blutende Wunde, die kurz darauf weg war.

Loki schloss die Augen.

„Solltest du scheitern, gibt es keine tiefe Dunkelheit, in die wir dich nicht schicken können“, hatte der Andere sagt. Natürlich hatte Loki diese Drohung nicht unerwidert gelassen. Das änderte nichts daran, dass er sie gefürchtet hatte. Der Vorstellung in Kerker Asgards zu versauern oder gar auf Odins Urteil hin zu sterben hatte eine unbekannte Sehnsucht, eine Art Heimweh in ihm ausgelöst.

Hatte Loki ihnen nicht eine glorreiche Show in Stuttgart geliefert? Hatte er sie nicht geradezu eingeladen, ihn aufzuhalten?

Abrupt lachte Loki laut auf und legte dabei seinen Kopf in den Nacken. Er konnte wirklich nicht die Schnauze halten! Thor hatte ihm dem Maulkorb verpasst – nicht weil er einer der mächtigsten Zauberer Asgards war – sondern weil er Steve verspottet und seinen Bruder gepiesackt hatte.

Lachend ließ sich Loki rückwärts auf das Bett fallen. Die Phiole rollte über das Bett und stürzte zu Boden. Seine Augen fielen zu, während sein Lachen langsam erstarb. Ein schmales Rinnsal Tränen schlich über seine Wangen. Loki leckte sich über die trockenen Lippen.

Seine schnelle Zunge hatte einfallsreiche Schmähungen losgelassen und so seine eigene Tortur herbeigeführt.

Wie quält man einen Frostriesen? Mit Hitze. Thanos war schnell dahinter gekommen.

Das Schwitzen war nicht einmal das Schlimmste gewesen. Kopfschmerzen und Muskelkrämpfe hatten seine Dehydrierung begleitet. Verwirrung, Schwindel, Ohnmacht und Erschöpfung waren fast allgegenwärtig gewesen.

Loki rieb sich die letzte Träne aus dem Augenwinkel. Er befeuchtete die Lippen mit seiner Zunge, bevor er sich wieder aufsetzte. Er atmete langsam ein und aus.

Don erwartete ihn am Nachmittag. Er hatte zugesagt, etwas mit ihm und den Kindern zu unternehmen. Loki wunderte sich, wann und wie er dazu gekommen war, eine sehr ernste Beziehung mit einem Menschen einzugehen.

Er hatte nie viel von Menschen gehalten, sie stets als minderwertig betrachtet und hatte nicht das geringste Problem, sie unter seine Herrschaft zu zwingen. Erst recht, weil es Thor missfiel.

Jetzt begnügte er sich bösen Blicken und verurteilendem Schweigen.

Don war anders. Er beruhigte Loki. „Lass uns einen Kuchen essen“, war Dons universelle Antwort. Er bat Loki alles zu erzählen und hörte geduldig zu.

Zeit für eine kalte Dusche. Und dass er Sean den Kopf wusch, damit Don glücklich war.

~~~

Loki ging zu Fuß zum Minigolfplatz. Auf dem Weg passierte er zwei berittene Polizisten, die ihn an Thor denken ließen. Don hatte bereits Schläger und Bälle geholt, als er dort eintraf. Als Kevin ihn sah, lief er auf ihn zu. Loki ging in die Knie. Kevins Baseballcap schrammte an Lokis Wange entlang, als er sich um seinen Hals warf und seine Beine um Lokis Taille klammerte. Lokis Gesicht veränderte sich sofort, ehe er sich wieder fasste.

„Toll, dass du nicht weg bist“, nuschelte Kevin gegen seine Schulter. Der Junge hatte ihn ins Herz geschlossen, obwohl sie sich in der Summe wenige Tage kannten.

Loki strich über seinen Rücken. Wärme breitete sich in ihm aus und schnürte seine Kehle für einen Moment zu. „Um nichts auf Midgard würde ich mir diesen famosen Wettstreit namens Minigolf entgehen lassen!“ Er setzte ihn behutsam ab.

Loki hob seinen Augenbrauen und sah zu Don hinüber. „Sag, mein Lieber, mit welcher Begrüßung willst du mir begegnen?“, schauspielerte er, während er sich Don näherte. „Gewünscht habe ich mir die Bewunderung deines jüngsten Sprosses. Bist du bereit, ihn zu überflügeln?“

Don errötete und schlug die Augenlider kurz nieder. Er machte einen sprachlosen Versuch, seinen Mund zu benutzen. „Ich… Kevin ist mir überlegen, fürchte ich.“

Sean beobachtete beide mit verschränkten Armen und schmalen Lippen.

„Ich fühle mich fast töricht, deinem Wunsch zu folgen, wenn ich mir deine ältere Brut ansehe“, kommentierte Loki mit Blick auf Sean. Er ließ es jedoch nicht nehmen, Dons Distanzzone einzunehmen, eine Hand auf den Rücken zu legen und ihm einen Kuss auf den Mund zu geben.

Sean sah demonstrativ weg.

Loki äußerte sich anerkennend über Dons Hawaii-Hemd.

„Steht mir besser als Magnum. Auch der Schnurri.“ Don sah zufrieden an sich herab, dann neckte er Loki: „Für unseren Freizeitspaß bist du ein wenig overdressed, aber nur ein wenig.“

Loki war für seine Verhältnisse leger in Schwarz gekleidet. Auf Hemd und Stoffhose mochte er auch bei wärmeren Temperaturen nicht verzichten. Die Ärmel verdeckten seine goldenen Fesseln. „Sollten wir uns nächstes Mal zum Speerkampf oder Ringen treffen, kleide ich mich adäquat. Das Geschicklichkeitsspiel Minigolf setzt mehr auf Präzision und Taktik.“

„Und Spaß!“, unterbrach Don.

„Ich will anfangen“, sagte Kevin, der sich zwischen den farbigen Bällen für das kräftige Blau entscheiden hatte.

Mit dem Schläger stellte er sich auf die erste Bahn, wo er den Ball auf die Markierung ablegte. Der erste Schlag ging ins Leere, aber der zweite setzte ihn in Bewegung. Kevin brauchte mehr als die maximale Anzahl an Schlägen. Nacheinander brachten Don und Loki ihre Bälle ins Loch.

Loki freute sich, die Nase vorne zu haben, bis Don ihn aufklärte, dass Minigolf für Kinder sei. Das tat seiner Freude jedoch keinen Abbruch. Minigolf war ein erquickliches Spiel.

Als Sean an der Reihe war, verweigerte sich dieser.

„Ich habe keine Lust, glückliche Familie zu spielen!“, fauchte er angesprochen.

Don erinnerte ihn daran, dass er zugestimmt hatte. Er fragte sich, warum er es für klug gehalten hatte, sich hier zu treffen. Eine öffentliche Szene war vorprogrammiert. Loki einen Schlüssel fürs Haus zu versprechen, erschien ihm plötzlich dumm und überstürzt. Don kam sich ein bisschen verzweifelt vor, weil er sich nach jemandem sehnte, der ihn verstand.

Sean schaute ihn grimmig mit verschränkten Armen an.

Das Verhältnis zwischen Vater und Sohn war anspannt. Sean testete seine Grenzen aus. Das sei normal, hatte Don gegenüber seine Mutter gesagt. Doch Liz war der Meinung, Sean hätte keinen Respekt vor ihm. Als sie gemerkt hatte, dass sie damit einen wunden Punkt bei Don getroffen hatte, hatte sie versucht, ihn zu beschwichtigen. Er sei ein guter Vater, hatte sie hinterhergeschoben.

Don war jetzt der Vater mit dem Coming-out. Daran hatte nicht nur Sean zu knabbern. Das einzig Gute war, dass er nun nicht mehr der Single Dad war. Es war emotionalen Spagat, allen gerecht zu werden.

Im Grunde mochte Sean Loki, aber die ganze Situation missfiel ihm. Loki war von einem Freund der Familie zum Partner seines Vater geworden. Das überforderte Sean völlig.

Dass seine Mutter einfach sang- und klanglos verschwunden war, hatte Sean zutiefst verletzt. Kevin konnte damit besser umgehen, weil er es fast nicht anders kannte. Kevin akzeptierte eine gegebene Situation leichter und unbefangener. Wie sein älterer Bruder sagen würde: Er war dumm und naiv.

„Junge“, mischte sich Loki ein, „Bist du nicht gekommen, um dich mit mir zu messen? Wer verkriecht sich wie verschreckter Gaul im Auge des Wettkampfs?“

Sean sah grummelig zu ihm. Er verzog widerwillig den Mund.

„Du kannst natürlich hier ausharren, bis wir nach 18 Bahnen mit rund 54 Schlägen am Ziel angekommen sind“, bot Loki an.

„Hmpf“, machte Sean verärgert.

Loki warf einen Blick über seine Schulter auf Kevin. „Unter Umständen verweilen wir länger.“

Sean hielt die Arme verschränkt.

Don gab nach. Wenn sein Sohn nicht wollte, konnte man ihn nicht dazu zwingen. Zusammen mit Loki und Kevin widmeten sie sich der nächsten Bahn.

Loki erwies sich als erstaunlich talentiert. Mit einem unauffälligen Fingerzeig verwandelte er jede Minigolf-Bahn in eine unsichtbare glatte Eisfläche, die perfekt war, um den Ball ins Loch zu leiten.

„Wow, Loki! Du bist echt gut darin!“ sagte Don bewundernd und klatschte begeistert.

Loki grinste frech. „Kinderspiel!“

Kevin kämpfte sich mühsam durch, während sein Ball immer wieder vom Kurs abkam. Don zeigte etwas mehr Geschicklichkeit, doch keiner von ihnen konnte Lokis scheinbar magische Präzision erreichen.

Auf Bahn acht wurde es noch interessanter. Hier zauberte Loki heimlich kleine Eis-Keile, die seinen Ball sanft ins Loch schickten – natürlich nicht immer direkt beim ersten Schlag, sondern beim zweiten, damit es nicht auffiel. Don staunte erneut über Lokis unglaubliche Gabe.

Sean hatte sich etwas zu trinken am Kiosk gekauft und saß mit seinem Getränk auf einer schattigen Bank. Er beobachtete sie mit Argusaugen. Nach einem von Dons schlechten Dad-Witzen hatte Loki ihm mitfühlend eine Hand ins Kreuz gelegt. Sie küssten und umarmten sich zwar nicht, aber die körperliche Nähe zeichnete sie unverkennbar als Pärchen aus. Verstimmt sah er in eine andere Richtung.

Auf der nächsten Bahn bemerkte Don plötzlich etwas Merkwürdiges. Während Loki seinen Ball schlug, spürte Don einen kühlen Luftzug und sah genau hin. Ein Lichtreflex verriet die glatte Eisfläche auf der Bahn – Lokis Trick!

„Moment mal!“ rief Don aus und drehte sich zu Loki um. „Du hast geschummelt! Das ist Eis.“

„Jeder nach seinen Fähigkeiten…“ Loki gab sich gönnerhaft.

Don sah ihn streng an. „Das ist unfair.“ Nach einem Moment der Stille seufzte er schließlich und lächelte leicht. „Aber ehrlich gesagt… das ist ziemlich clever von dir. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, Eis beim Minigolf zu benutzen.“

Loki grinste. „Also… keine harte Strafe?“

Don lachte. „Nur unter einer Bedingung: Du hörst jetzt auf zu schummeln.“

Unbemerkt von den beiden war Kevin weiter gezogen. Er hatte den Spielplatz nebenan entdeckt, seinen Schläger an Ort und Stelle fallen gelassen und steuerte auf das Klettergerüst zu.

„Bin gleich wieder da“, erklärte Don und folgte seinem Sohn.

Loki sah sich nach Dons Ältestem um. Der Junge saß immer noch schmollend auf der Bank und kickte mit einem Fuß kleine Steinchen. Loki setzte sich neben ihn.

„Lass mich in Ruhe“, murmelte Sean abweisend.

„Ich erinnere mich, als ich in deinem Alter war.“ Loki lachte vergnügt.

Sean würdigte ihn keines Blickes. „Warum bist du überhaupt hier?“

„Ich bin hier, weil dein Vater mich darum gebeten hat.“

„Mein Vater…“, schnaubte Sean. „Ich finde…“ Er setzte neu an, „Es ist… Wenn zwei Männer sich küssen, ist das… ekelig.“

Loki lachte zu seiner Überraschung. „Glückwunsch, Sean! Du bist dem weiblichen Geschlecht zugetan. Mir ist es nebenbei bemerkt auch sehr unangenehm, wenn meine Eltern…“ Er stockte kurz, weil er keine Eltern hatte – nicht mehr. „Schauderhaft!“

Sean sah ihn zweifelnd bis düster an. „Du machst es auch!“

„Asche auf mein Haupt, wie ihr auf Midgard sagt“, bekannte Loki.

„Hast du meinen Vater schwul gemacht?“, wollte Sean wissen.

„Ich habe nichts getan, was Don nicht wollte.“

Sean verzog den Mund.

„Du weißt nicht, warum deine Mutter über alle Berge ist“, sagte Loki, der Seans Gedanken aus Dons Erzählungen kannte, „Vielleicht liegt es auch an dir und deinem Bruder. Hast du einmal darüber nachgedacht, dass sie geflohen ist, weil sie überfordert war? Weil ihr zwei Rabauken seid? Selbst Don hat euch kaum Kontrolle – er ist zu nachgiebig. Was war letzte Woche? Nachsitzen, Sean? Und hat Kevin nicht Papierkorb angezündet?“

„Was weißt du schon“, fauchte Sean verletzt.

„Ich weiß, dass du Don die Schuld gibst.“

„Weil er es ist.“ Sean machte rasche, kurze Bewegung mit den Armen, um seiner Aussage Nachdruck zu verleihen.

„Don leidet“, erwiderte Loki eindringlich, „Du leidest. Warum ist deine Mutter weg? Wo ist sie? Hat sie eine neue Familie? Hat sie Kinder, die sie liebt? Hat sie mich nicht geliebt?“ Er schluckte schwer. Loki merkte, wie er am Schluss von sich gesprochen hatte.

„Du kanntest sie nicht“, antwortete Sean aufgebracht.

„Veränderungen tun weh. Sie ist weg. Leb damit!“, sagte Loki barsch.

„Ich muss gar nichts!“

„Fein.“ Loki hob sein Kinn. Sein Mund war schmal und unwillig. Er riss sich zusammen. „Machen wir eine Atempause. Hol uns doch ein paar Getränke von der Bude.“

Sean zögerte und blickte auf den Geldschein, die Loki ihm hinhielt. Mürrisch entriss ihm das Geld unwirsch und machte sich damit vom Acker.

Suchend blickte sich Loki nach Don und Kevin um. Statt zu ihnen zu gehen blieb er auf der Bank sitzen und sah zu, wie Sean seinem Vater drei Flaschen reichte und sie sich unterhielten.

Loki hatte nicht nur einen Liebhaber gewonnen, sondern war Teil einer Familie geworden. Es fühlte sich gleichermaßen schön wie beängstigend an. Don hatte auf alle seine Auseinandersetzungen, Ausflüchten, seinen Egoismus und seine Empfindlichkeit mit Geduld reagiert.

Sein emotionaler Panzer und die darüber liegende Verbitterung und Eifersucht hatten ihn einsam gemacht. Er hatte immer geglaubt, dass er diese Dinge – Liebe, Willkommensein und Akzeptanz – nie bekommen würde. Und nun wusste er nicht recht damit umzugehen. Es kribbelte unter Lokis Haut, in seinen Fingern, etwas Dummes mit grausamen Folgen tun.

„Loki!“ Don winkte ihm zu.

Sean warf ihm einen kühlen Blick zu, den Loki ignorierte, als er zu ihnen hinüber ging.

Don gab ihm eine Flasche mit Wasser. Er sah Loki hoffnungsvoll an und schenkte ihm ein Lächeln, obwohl er wusste, dass Seans Stimmung sich kaum gebessert hatte. Er lud ihn zum Essen ein. Liz hatte ein großes Abendessen angekündigt. Das Minigolfspiel war einerlei. Sean rollte mit den Augen, weil ihn keiner gefragt hatte, was er davon hielt, aber widersprach auch nicht, also ließ sich Loki gerne einladen.

Auf der Rückfahrt überredete Kevin Loki, mit ihm Eis zu machen. Ein formidabler Geistesblitz, lobte dieser. Von Asgard kannte er nur Fruchtsorbet. Mit Liz’ Unterstützung machten sie einfaches Vanilleeis, das sie als Nachtisch aßen.

Später hatten es sich Don und Loki auf dem Sofa im Wohnzimmer bequem gemacht. Loki hielt ein halb getrunkenes Bier in der Hand, dessen Arm auf der Seitenlehne lag. Don war von Lokis Schulter mit seinem Kopf auf Lokis Oberschenkel gewandert und hatte die Augen entspannt geschlossen. Lokis Hand lag auf seiner Brust, während dieser zusah, wie das Sonnenlicht auf der Terrasse immer langsam verschwand.

„Ich könnte dich einfach entführen“, dachte Loki laut nach.

Don lachte. „Auf deinem Fahrrad?“

Loki spürte das Lachen unter seiner Hand und gegen seinen Oberschenkel. „Selbstverständlich nicht! Ich würde auf einem Pferd geritten kommen, um dich standesgemäß zu entführen. Oder mit einer eleganten Karosserie, wenn dies dich mehr anspricht.“

„Mmm“, machte Don träge. Er hatte bereits zum Abendessen Bier getrunken und danach noch mehr.

„Ich könnte die Kinder und Liz für eine Weile einfrieren…“ Loki wusste nicht, ob sie das überleben würden, aber es war auch nur ein Gedankenspiel, um Don für sich zu haben.

„Sean wird sich irgendwann beruhigen. Er braucht ein bisschen länger.“ Von Natur aus war Don ein entspannter Typ, aber man merkte ihm an, wenn ihm etwas zu schaffen machte. Er konnte verstehen, dass Sean keine Lust auf Veränderungen der Familienkonstellation hatte.

„Ich bin davon nicht überzeugt.“

Don setzte sich auf und sah Loki an. „Selbst meine Mum hat dich akzeptiert.“

„Sie ist ein famose Frau und Köchin.“

Don gab ein zustimmendes Brummen von sich. „Was habt ihr geredet? Sean sah ganz schön angefressen aus. Er hat beim Essen immer noch geschmollt.“

Loki gab sich unschuldig. „Ich habe ihm geraten, die Verantwortung für das Verschwinden seiner Mutter nicht dir zuzuschreiben, sondern bei sich selbst zu suchen!“

„Loki!“, entfuhr es Don entrüstet.

„Stört es dich nicht, dass du in seinen Augen der Schuldige bist? Wer berichtet mir unaufhörlich davon, was seine Kinder verbrochen haben? Don, deine Sprösslinge sind Unruhestifter.“ Nach einer kurzen Pause gab Loki zu: „Wie meine Wenigkeit... Es ist nur fair, dass er seinen eigenen Anteil an der Schuld übernimmt.“

Don schüttelte den Kopf. „Selbst wenn ich manchmal die Aktionen meiner Jungs nicht bejubeln kann, lasse ich sie niemals im Stich.“

„Du bist zu weich“ erwiderte Loki, dennoch wirkten seine Worte nach. Don hatte ihm nie wie einen Schurken oder Bösewicht behandelt. Unter diesem Aspekt war seine Sanftheit keine Schwäche.

„Vielleicht.“ Don zuckte mit den Schultern. Er hielt seine Nachgiebigkeit, seine Gutherzigkeit für eine Tugend, wenn er auch manchmal daran zweifelte.

Loki schob sich eine freie Haarsträhne hinters Ohr. Ihm wurde bewusst, dass er selbst in Dons Gegenwart nachgiebiger verhielt. „Vielleicht nicht.“

„Es hat auch etwas für sich, wenn du zur Abwechselung der Böse bist und nicht ich…“ Don schenkte ihm dieses sanftes Lächeln, das Lokis Herz zum Purzelbaumschlagen brachte.

„Ich soll darin wirklich ausgezeichnet sein, so sagt man.“

„Apropos Schuld“, sagte Don schmunzelnd, „Du hast mich zum Einbruch verleitet. Ich war ein unbescholtener Bürger, bevor ich dich kennengelernt habe.“

Ein kleiner Schauer kitzelte Loki bei der Erinnerung in ihre unerlaubte Karussellfahrt. Die Sicherheitsmaßnahmen auf dem Jahrmarkt waren nicht besonders streng gewesen, dennoch waren sie an der Technik des Riesenrads gescheitert.

„Schöner Prinz!“ Don grinste.

„Entspricht es nicht deinen Wünschen?“, fragte Loki spielerisch.

Don sah ihn lustvoll an, während er eine Hand in den Rücklehne stemmte und sich auf Lokis Schoß setzte. „Kannst du diesen Wunsch von meinen Augen ablesen?“

Loki verkörperte etwas, von dem Don wusste, dass er es sich insgeheim wünschte: Freiheit, Rebellion und ein bisschen Unfug und Chaos. Don wollte, dass Loki ihn über seine Schulter warf, sich mit ihm davonmachte, unaussprechliche Dinge mit ihm im Schlafzimmer tat und dann mit seinem Leben weiter machte.

Er biss sich plötzlich schüchtern auf die Unterlippe. „Ich will es ausprobieren.“ Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen rieb er Lokis Penis durch den Stoff. „Wenn du nicht willst, weil es unmännlich ist… Ist das okay, aber ich… Mein Bruder hat mir gleich die Top- oder Bottom-Frage gestellt. Ich habe ihm gesagt, das geht ihn gar nichts an.“

„Du hast einen Bruder?“

„Einen älteren und eine jüngere Schwester. Ich bin der Puffer in der Mitte“, erwiderte Don. Seine Mutter hatte beim letzten Telefonat mit Dons Schwester alles ausgeplaudert. „Es ist mir egal, was andere sagen. Es ist nur wichtig, was wir beide wollen. Ich respektiere, wenn du nicht genommen werden willst. ich will… ich bin neugierig.“ Don blickte ihn erwartungsvoll an.

Loki hatte das Gefühl, als schaute Don tief in ihn hinein. Liebe und Sex waren nach seiner Erfahrung zwei ganz unterschiedliche Dinge. Er hatte sich mit Absicht zurückgehalten, wollte nicht in einer Falle tappen. Loki fürchtete, dass Don ihn verschlingen könnte, wenn er mit Liebe und Sex eins werden ließ. Er hatte Angst gesehen zu werden und wollte doch nichts sehnlicher.

„Alles. Ich will alles, Don.“ Ein Lächeln erblühte auf Lokis Gesicht.

Anspannung fiel sichtbar von Don ab. Er erwiderte Lokis Lächeln, bevor er sich in einen Kuss stürzen. „Meine Pussycat…“, murmelte Don gegen seinen Mund.

Chapter 15: Abfahrt

Chapter Text

Loki hätte den Braten riechen sollen, als Sean mit einem versöhnlichen Angebot um die Ecke kam.

Er war immer noch ganz beschwingt von seinen gemeinsamen Schäferstündchen mit Don. Er hatte ihn ausgedehnt verführt und ihm die Freuden der Prostata näher gebracht. Es war beeindruckend zu sehen, wie Don sich fallen lassen und ihm vertraut hatte.

Loki war bewusst, dass er Schwierigkeiten hatte, Nähe zuzulassen. Er neigte dazu, sich auf den kurzfristigen Spaß zu konzentrieren und seine Gefühle zu verdrängen – bis sie aus ihm herausbrachen. Er mochte es, in einer Beziehung die Oberhand zu haben. Aber mit der Zeit und mühsam gewonnenen Vertrauen bevorzugte er es, der verletzliche Partner zu sein.

An sich hatte Loki kein Problem damit, genommen zu werden. Im Gegenteil. Es war die Reputation, die ihn störte. Weder Analverkehr noch Magie machten ihn weniger zu einem Mann. Mit Don war es dennoch anders, neu: Lokis eigene Körpergrenzen hatten sich beim Akt aufgelöst und er hatte eine unerwartete Zufriedenheit entdeckt. Fast obszön krallte Loki sich in diese Momente der Erfüllung, als wären sie flüchtig wie Seifenblasen.

Loki schwang sich vom Fahrrad, bevor er die Straßenseite wechselte. Schon von Weitem war der große schwarze Geländewagen mit den getönten Scheiben zu sehen, der in der Einfahrt parkte. Lokis Augen verengten sich. Ein ungutes Gefühl stieg in ihm auf. Kehrt zu machen kam für ihn nicht in Frage. Er versteckte sich nicht.

Loki stellte das Fahrrad an der Hausseite ab und ging zur Tür, um zu klingeln. Liz öffnete und bat ihn herein. Sie war freundlich, aber zurückhaltend. Ihre Augen verrieten eine Spur von Nervosität.

„Ein paar Herren aus New York erwarten dich“, warnte sie ihn vor.

Loki ließ sich nichts anmerken. Er hatte bereits eins und eins zusammengezählt. Kurz ging ihm durch den Kopf, dass Don ihn verraten hatte. Ein wilder Schmerz durchzuckte sein Herz. Er schüttelte den Gedanken schnell wieder ab.

Selbstbewusst und mit stolzer Brust betrat er das Wohnzimmer, wo drei Avengers – Tony Stark, Steve Rogers und Bruce Banner – in Zivil am Esszimmertisch vorfand. Er begrüßte sie gewohnt charmant.

Loki stoppte unmerklich in seiner Bewegung, als er Hulks menschliche Verkörperung erkannte. Sein Herzschlag erhöhte sich, während er versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Panik stieg in Loki auf. Der Hulk hatte ihn zerlegt: In einer reinen Demonstration der Stärke hatte er ihn wie eine Puppe immer wieder auf den Boden geworfen. Eine Demütigung, die Loki nur schwer verkraftete.

Kevin lümmelte auf dem Sofa. Sean lehnte dagegen und würdigte ihn keines Blickes. Liz hatte sich an den Tresen der offenen Küche gestellt, als wolle sie sich von Gästen abgrenzen.

Wo war Don?

„Guten Abend, die Herren“, sagte Loki mit lebhafter Stimme. Er wusste zu beeindrucken, selbst wenn er nicht von so muskulöser Statur wie sein Bruder Thor war. Sein Auftreten war stets souverän, auch wenn es in seinem Inneren anders aussah. Loki konnte mühelos eine kalte Atmosphäre erschaffen, die ihn gefährlich erscheinen ließ.

Tony, der nicht umhin konnte, seinen typischen, frechen Ton anzuschlagen, erhob sich sogleich. „Schau mal, was wir hier haben. Der Unglücksrabe verbirgt sich in The Cleve.“ Seine Augen glitzerten belustigt, auf Lokis Reaktion lauernd.

„Der Gott des Unfugs, Herr Stark.“ Ein Hauch von Verachtung schwang in seiner Stimme mit. Loki ließ sich nicht provozieren. „Was treibt dich in diesen schönen Teil des Landes?

„Ich will dich abholen“, antwortete Tony trocken. „Du weißt schon, bevor du deinem Namen alle Ehre machst und noch mehr Unsinn anstellst.“

„Ein bisschen Unsinn hat noch niemanden geschadet.“ Spitzbübisch schürzte Loki seine Lippen.

„Nicht, wenn es deine Handschrift trägt“, konterte Tony. „Du hast leider die schlechte Angewohnheit, Ärger zu machen.“

Kevin, der die angespannte Atmosphäre spürte, war aufgesprungen und zu Loki geflitzt: „Was ist denn los, Loki?“

Loki tätschelte Kevins dunkelblonden Schopf. „Mach dir keine Sorgen, Kevin.“

„Die Avengers wollen ihn mitnehmen, Kev.“ Sean sah ihn mit stoischem Gesicht und verschränkten Armen an.

„Das habe ich also dir zu verdanken!“ Loki war schneller bei ihm und packte den Jungen fest am Arm, bevor der reagieren konnte. Er starrte ihn mit kaltem Blick an. Alles sprach dafür, dass Sean die Avengers gerufen hatte.

Eisige Kälte sprang von Lokis Hand auf Seans Arm über, obwohl er sich beherrschte. Bittere Wut über den Verrat glühte wie heiße Lava in seinem Inneren. Er konnte den Jungen hier und jetzt töten. Loki merkte weder Liz’ Hand an seiner Schulter noch, dass alle Avengers aufgesprungen waren. Erst der verängstigte Blick des Jungen brachte ihn dazu, ihn loszulassen.

Sean rieb sich seinen Arm.

Loki machte ein paar Schritte rückwärts. Er hörte nicht, was Dons Mutter sagte.

Er war nicht willkommen. Er war ein Fremdkörper in dem bestehenden Familiengefüge.

Bis auf den Hulk war keiner der Anwesenden eine Gefahr für ihn. Loki war ein Frostriese. Ein Monster. Er konnte einfach eine Wand aus Eis hochziehen und fliehen. Es war naiv gewesen, er könne sich eine neue Familie suchen. Loki war arrogant, egoistisch und narzisstisch. Weil er manchmal die Welt buchstäblich in Schutt und Asche legen wollte – und auch versucht hatte, dies in die Realität umzusetzen.

„Was ist das hier für ein Schmierenstück, Shakespeare?“, zog Tony die Aufmerksamkeit auf sich. „Wettermanipulationen, Versteckspiel auf der Erde… Was treibst du hier, Reindeer Games?“

Steve machte sich bemerkbar. „Du bist eine Gefahr für die Menschen auf der Erde. Wir können es uns nicht leisten, dass du frei herum läufst.“

Bruce hielt sich im Hintergrund. Die bloße Anwesenheit des Mannes war eine stumme Drohung.

Loki wandte sich Tony zu. Seine Wut war verraucht, Resignation machte sich breit. „Auch wenn ich versichern würde, dass ich weder Blutdurst noch Vernichtung im Sinn habe, würde es nichts nützen“, konstatierte er seufzend.

Tony musterte ihn skeptisch. „Du hast nicht gerade die beste Erfolgsbilanz, was Ehrlichkeit und friedliche Absichten angeht.“

„Du hast genug getan“, erinnerte Bruce, der bisher zurückgehalten hatte.

„Wie lautet Odins Urteil?“, fragte Steve. Solange der Bifrost kaputt war, durften sie nicht mehr einer Reaktion von Thor rechnen. Das einzige, was Loki nach Midgard bringen konnte, war ihres Wissens nach der Tesseract.

„Odins Urteil war Exil, keine Gefangenschaft. Er hat meine Magie gebannt und mich zur Erde geschickt, um über meine Fehler nachzudenken“, erklärte Loki beißend.

„Wie großzügig!“ Tony schnaubte.

„Das ändert nichts daran, dass du eine Gefahr bist.“ Steve hob die Augenbrauen. „Was ist mit dem Schnee, dem Eis?“

„Ich gestehe, das ist mein Werk.“ Loki zeigte ein kleines, selbstzufriedenes Lächeln.

Tony runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. „Wie funktioniert das, wenn dein Glitzerstaub angeblich impotent ist?“

„Thor hat es sicher ausgeplaudert. Ich bin adoptiert.“ Loki zuckte mit den Schultern. „Meine Magie ist blockiert. Nichtsdestoweniger ich bin ein Eisriese von Jotunheim. Diese Fähigkeit ist in mir, Teil meines Wesens. Sie lässt sich nicht unterdrücken.“ Nur wirkungsvoll verschleiern.

„Wir werden sixh mitnehmen und herausfinden, was vor sich geht.“ Die Diskussion wurde von Bruce beendet.

Kevin, der verwirrt gelauscht hatte, stellte sich vor Loki. „Nein! Ihr könnt ihn nicht mitnehmen!“, rief er trotzig.

Loki spürte einen Moment lang Wärme in seiner Brust aufsteigen.

„Du kennst ihn nicht, Junge.“ Steve sah den kleinen Jungen mitfühlend an. „Wir haben die Verantwortung, die Menschen zu schützen. Auch vor jemandem, der so unberechenbar ist wie Loki.“

Tony seufzte und rieb sich die Schläfen, als würde er einen Kopfschmerz vertreiben wollen. „Hör zu, Loki“, begann er erneut. „Ich will nicht, dass das hier eskaliert. Wir können es uns nicht leisten, dich laufen zu lassen.“

„Kevin, es ist in Ordnung. Die Avengers tun nur, was sie für richtig halten.“ Loki wandte sich den drei Avengers zu. Er hob in einer halb spaßigen Geste die Hände. „Ich unterwerfe mich. Der Hulk ist einfach unschlagbar.“ Er warf einen kurzen Blick auf Bruce, der ihn schweigend betrachtete. „Und weil ich keinen Schaden über die Kinder, Liz oder Don bringen möchte.“

„Wie nobel.“ Tony hielt das ganze immer noch für eine Show vom Trickster. „Hättest du dir das nicht vorher überlegen können, bevor du New York City unter deine Herrschaft zwingen wolltest?“

Loki schnaubte, ein Hauch von Bitterkeit in seinem Lächeln. „Ist es nicht Strafe genug, unter niederen Wesen leben zu müssen? Was wollt ihr noch? Mir Schmerzen zufügen? Mich foltern?“

„Wenn du den Drang hast, das Wetter zu manipulieren, bist du eine Gefahr!“

Loki machte deutlich, dass ihm das ganze Prozedere widerstrebte. Bevor sie ihn abführten, drehte er sich zu Liz um. Er reichte ihr eine wunderschöne, filigrane Rose aus Eis. „Kannst du Don etwas ausrichten?“, fragte er leise, „Sag ihm Danke.“

„Loki...“ Liz machte einen bedrückten Gesichtsausdruck. „Ich werde es ihm ausrichten.“

Loki ging erhobenen Hauptes voran, doch innerlich fühlte er sich leer. Steve verabschiedete sich höflich von Liz. Tony war zu genervt, um mehr als ein paar Worte zu sagen, bevor das Haus verließ. Bruce versicherte ihr und den Kindern, dass es die richtige Entscheidung gewesen war.

Loki blieb vor dem SUV stehen und warf einen letzten Blick zurück, wo Kevin und Liz in der Haustür standen und ihm verdrossen nachsahen, bevor er einstieg. Bruce setzte sich als persönlichen Wachhund neben sich. Sie fuhren zum Flughafen, wo sie in den Quinjet wechselten.

~~~

Es war bereits schwarze Nacht, als sie im Stark Towers ankamen. Der Himmel war von dichten, grauen Wolken verhangen, und ein leichter Nieselregen rieselte gegen das Glas. Doch trotz der späten Stunde war die Stadt lebendig, die Straßen Manhattans leuchteten im grellen Schein von Tausenden Lichtern.

Tony, Steve, und Bruce führten Loki durch Sicherheitstüren und lange, kühle Korridore. Das Geräusch ihrer Schritte hallte auf den glänzenden Böden wider. Sie fuhren mit dem Fahrstuhl, wo Tony eine Art Gefängnis eingerichtet hatte.

Loki, der schweigend und mit verschlossener Miene folgte, spürte den durchdringenden Blick von Tony, der ihn misstrauisch beäugte, und die stille Entschlossenheit in Steves Haltung. Bruce vermied es, Loki direkt anzusehen. Sein angespanntes Schweigen verriet, dass er auf jede Bewegung von Loki achtete.

Tony öffnete die schwere, breite Glastür und führte Loki hinein. Der Raum war spartanisch mit einer Liege und zwei Stühlen eingerichtet. In einer Ecke gab es verdeckt eine Toilette und ein Waschbecken. Die Wände bestanden großteils aus massivem, gehärtetem Glas. Mehrere Kameras waren so positioniert, dass sie den gesamten Raum abdeckten. Selbst in seiner Einfachheit hatte die Zelle etwas von dem eleganten und futuristischen Stil des Stark Towers.

„Willkommen in deinem neuen Zuhause“, sagte Tony trocken. „Nicht, was ein Prinz gewohnt ist, aber einem schweren Jungen würdig.“

Steve verschränkte die Arme vor der Brust.

Loki setzte sich auf die Liege. Ein leichter, zynischer Ausdruck umspielte seine Lippen. „Eure Gastfreundschaft ist wirklich bemerkenswert“, sagte er mit einem Hauch von Spott in der Stimme.

„Besser, als du verdienst“, erwiderte Tony und warf ihm einen warnenden Blick zu. „Ich hoffe, du hast eine verdammt gute Erklärung, warum du uns diese ganze Zeit auf der Nase herumgetanzt hast, Loki.“

Loki betrachtete ihn nur kühl an. „Wie ich bereits sagte, ich habe keine Zerstörung oder Blutvergießen im Sinn.“

„Das ändert nichts an dem, was du getan hast. Du musst Verantwortung übernehmen“, wandte Steve ein.

„Verantwortung?“ Loki lachte trocken und lehnte sich zurück. „Interessant, dass ausgerechnet ihr mir Verantwortung predigen wollt. Ihr Helden, die immer genau wissen, was richtig und was falsch ist.“

Bruce, der bisher still geblieben war, sah Loki mit nachdenklichem Blick an. „Du hast kein Recht, anderen zu schaden.“

„Ich bin sicher, die Löcher, die Hulk in die Gebäude geschlagen hat, waren Teil eines größeres Architekturprogramms: freie Aussichten in und auf New York.“ Loki lachte fies.

„Er wollte nicht die ganze Menschheit unterjochen“, mischte sich Steve ein.

„Frag doch mal Tony, welches Recht er hat.“ Loki sah Tony an. „Wie fühlt es sich an, ein Händler des Todes genannt zu werden? Wenn ich mich recht an das Interview entsinne, hast du gesagt, es sei nicht schlecht.“

Tony lächelte schmallippig. „Ihr Vergleich mit Da Vinci war etwas hoch gegriffen, obwohl ich mich durchaus als Genie betrachte.“

„Herr Stark macht sich selbst nicht die Hände schmutzig. Selbst wenn es seine Waffen sind, die Menschen töten, ist es natürlich etwas anderes.“ Lokis Augen funkelten listig. „Sag mir, Mann aus Eisen, wie viele Leben wurden durch deine Geschäfte beendet, bevor du beschlossen hast, das Kostüm des Helden anzuziehen?“

Tonys Miene verhärtete sich. „Das ist lange her“, sagte er scharf. Die Erwähnung des Interviews hatten einen empfindlichen Nerv getroffen. „Ich bin nicht mehr dieser Mann.“

„Wirklich?“, entgegnete Loki mit einem kalten Lächeln. „Was ist mit den Avengers? Wie viel Schaden habt ihr in eurer edlen Mission angerichtet? Wie viele unschuldige Menschen sind durch eure Hände gestorben oder verletzt worden? Ihr seid nicht unschuldig. Keiner von euch ist es.“

Steve stemmte die Hände in die Hüfte. „Wir versuchen, das Richtige zu tun.“

Tony, der er seinen Zorn gezügelt hatte, fügte hinzu: „Das ist mehr, als du von dir behaupten kannst.“

Loki neigte den Kopf, seine Augen fixierten Tony. „Wir sind uns ähnlicher, als du zugeben möchtest. Ich mag ein Gott des Unheils sein, aber du, Tony Stark, bist auch kein Heiliger. Eure Hände sind genauso blutig wie meine.“

~~~

Als Don nach Hause kam, war das Haus ungewöhnlich still. Normalerweise hörte er schon im Flur das Gelächter oder Gezanke seiner Kinder oder die vertrauten Geräusche vom Handwerkeln in der Küche. Er fand seine Mutter mit einem Glas Rotwein am Esstisch. Liz wirkte versteinert. Ihre Hand legt nachdenklich am Stiel des Glases.

„Mum? Was ist los?“, fragte Don.

„Don... die Avengers… Sie waren hier und haben Loki mitgenommen.“ Ihre Worte waren kaum mehr als ein Flüstern, aber sie hallten in Dons Ohren nach wie ein Donnerhall.

„Was?“, fragte Don ungläubig, als hätte er nicht richtig verstanden. Er setzte sich zu ihr an den Tisch. Seine türkise Fleeceweste berührte die Tischkante, als er sich vorbeugte. „Warum?“

Liz sah ihren Sohn direkt an. „Don! Du hast mir nicht gesagt, dass er bei der Attacke von Außerirdischen auf New York dabei war.“

„Er ist nicht… Er hat...“, begann Don zu Lokis Verteidigung, aber er wusste selbst, dass er Lokis Führerschaft bei dieser Untat nicht klein reden konnte.

„Du hast gesehen, was er in der Küche gemacht hat. Wir haben doch keine Ahnung, was er alles kann.“ Liz legte eine Hand auf ihren Mund. Sie hatte sich einem Unbekannten, der in ihr Leben aller eingedrungen war, einlullen lassen.

„Loki hätte uns nie auch nur ein Haar gekrümmt“, sagte Don im Brustton der Überzeugung.

Ja, er hatte die Videos aus New York gesehen. Die Zerstörung schien vor allem von diesen fremdartigen Aliens auszugehen. Wenige Aufnahmen hatten Loki gezeigt. Die Szenen aus Stuttgart hatten mehr gestört. Don hatte verdrängt, dass Loki nicht vor Gewalt zurückschreckte. Andererseits hatte Don direkt hinter der selbstsicheren Fassade einen angeschlagenen und psychisch verletzten Loki gesehen. Ihre erste Verabredung in einem Restaurant, die in einem emotionalen Sturm Lokis gegipfelt war, hatte sich in sein Gedächtnis eingebrannt.

„Woher wussten sie überhaupt, dass er hier war?“ Don fiel es plötzlich wieder ein – der Steckbrief. Hatte er ihn auf dem Wohnzimmer liegen gelassen?

„Sean hat sie informiert,“ klärte Liz ihn auf.

Wie sich die Dinge änderten, ging Don durch den Kopf: Erst hatte Sean ihn von den Avengers geschützt, nun hatte er ihnen Loki ausgeliefert. Im ersten Moment war Don wütend auf Sean, dann wandelte sich die Wut in Enttäuschung und Traurigkeit. Er hatte gehofft, sein Junge würde sich irgendwann damit anfreunden, dass Don jemanden Neues an seiner Seite hatte.

„Wenn ich gewusst hätte, wer Loki ist, hätte ich das gleiche getan“, sagte seine Mutter, als Don nichts erwiderte, um die Schuld von Seans Schultern zu nehmen.

„Er war gut zu uns! Zu allen. Er hat Kevin geholfen, als er die Knopfbatterie verschluckt hat. Loki mag exzentrisch und eine melodramatische Diva sein, aber er ist nicht böse. Jeder hat eine zweite Chance verdient.“

„Don, deine… Gefühle beeinflussen deinen Verstand“, warnte seine Mutter.

Don zeigte ein kleines Lächeln. „Sex macht alle Männer dumm.“

Liz öffnete den Mund und zögerte kurz. „Loki kann sehr charmant...“

Don verstand ihre Sorge. „Korrektur: Guter Sex macht es einem Mann leichter, über Dinge hinwegzusehen, die ihn sonst ärgern würden. Ich denke, das ist etwas Gutes.“ Dons Entscheidung war gefallen. „Ich muss nach New York.“

„Don...“

Don ignorierte seine Mutter und suchte via Smartphone im Internet nach Flügen. „Ich werde morgen den ersten Flug nehmen.“ Nachdem er gebucht hatte, sah er Liz an. Ein, zwei Gläser Rotwein reichten ihr, worum er sich beneidete. „Habt ihr schon etwas gegessen?“

Liz schüttelte den Kopf.

„Lass uns Pizza bestellen, okay?“

„Ich hoffe, dass du weißt, was du tust.“ Liz legte ihre Hand auf eine von Dons Händen, die auf dem Tisch lagen. „Einfach nach New York fliegen… Das ist doch kein Plan. Was genau willst du tun, wenn du dort ankommst? Glaubst du wirklich, die Avengers werden dich zu ihm lassen? “

Don seufzte. „Es klingt verrückt. Aber ich kann nicht einfach hier sitzen und nichts tun.“

Liz schüttelte den Kopf. „Und was dann? Was, wenn sie ihn schon irgendwohin gebracht haben, wo du ihn gar nicht finden kannst?“

„Ich kann Loki nicht im Stich lassen. Er verdient eine Chance, sich zu erklären.“

„Du bist zu gutmütig, Don. Manchmal glaube ich, dass du das Beste in jedem sehen willst, egal wie oft du enttäuscht wirst.“

Don lächelte schwach. Das Gespräch kam ihm bekannt vor. War es übertrieben, nach New York zu fliegen? Was, wenn Loki ihn gar nicht sehen wollte? Warum war er freiwillig mitgegangen? Er wäre in der Lage gewesen, alle schachmatt zu setzen und zu fliehen.

Don musste wissen, was in Loki vorging. Er würde ihn nicht kampflos aufgeben.

Chapter 16: New York City

Chapter Text

Tony Stark beobachtete über einen der Überwachungsmonitore, wie Don in der Lobby unruhig hin und her tigerte. „Unser Freund da unten will zu Loki,“ bemerkte er mit einem schiefen Grinsen an Natasha gerichtet.

Natasha kam näher. „Wer ist das?“

„Unser trickreicher Gott hat sich bei dieser netten, kleinen Familie eingenistet,“ antwortete Tony sarkastisch. „Das ist der Familienvater.“

Natasha hob eine Augenbraue. „Interessant.“

„Ich muss zugeben,“ meinte Tony mit einem neckischen Ton, „Ich hätte mir Lokis Typ etwas anders vorgestellt.“

Natasha, der jetzt neben ihm stand, verschränkte die Arme vor der Brust und blickte skeptisch auf den Monitor. „Du denkst...?“ Sie hatte sich bisher keinerlei Gedanken gemacht, über Lokis Geschmack in amourösen Dingen gemacht.

„Vaterkomplex,“ spekulierte Tony. „Schau ihn dir an.“

Natasha musterte Don. Der Mann war ein gewöhnlicher Mitvierziger, mittelgroß, mit kurzen, ergrauten Haaren und einem markanten Schnurrbart. In Schlips und Kragen, als hätte er eine wichtige Verabredung. Ein einfacher Sterblicher, der auf den ersten Blick viel zu langweilig für einen arroganten, selbstverliebten Gott schien.

Natasha kannte ruchlose Verführer. Loki war unberechenbar. Wer ihn für kontrollierbar hielt, unterschätzte ihn – oder hatte eigene Motive. „Er steht auf böse Jungs.“

Tony schnippte begeistert mit den Fingern. „Genau! Unser Donnie hat versucht, ein bisschen Feuer in sein spießiges Leben zu bringen. Du weißt schon: Daddy mit Herz trifft extravaganten Chaosgott. Ich spüre eine fette Midlifecrisis.“

Natasha hob eine Augenbraue, halb belustigt, halb genervt: „Tony, das ist kein Kindergarten.“

„Ich frage mich, ob er ein böses Erwachen hatte, als ihm klar wurde, dass er sich einen Brandstifter ins Haus geholt hatte.“

„Hast du einen Hintergrundprüfung gemacht?“

„Selbstverständlich.“ Tony ratterte die Fakten herunter.

„Wir sollten mit ihm reden.“ Natasha war neugierig.

„Exakt mein Plan!“ Tony schwang seinen Zeigefinger durch die Luft. „Du machst das schon.“ Um Don abzuholen, schickte er seinen Sicherheitschef und Leibwächter Happy Hogan hinunter in die Lobby.

Don war überrascht, dass er ins Penthouse geführt wurde. Tony Stark persönlich erwartete ihn an der Bar. Eine gutaussehende Frau mit roten Haaren beobachtete sein Eintreffen aufmerksam. Tony meinte scherzhaft, er brauche sich nicht vorzustellen, jeder kenne seinen Namen. Großzügig schenkte er sich einen Drink ein, während er Don einen anbot. Dieser lehnte ab.

Tony führte ihn anschließend zu einer stilvollen Sitzgruppe. Mit einer schmeichelnde Ansprache stellte er Natasha Romanov vor. Don schüttelte ihr höflich die Hand, nannte seinen Namen und sein Anliegen, dann nahmen sie gegenüber voneinander Platz.

„Du bist also der Mann, der Loki bändigen will. Das ist… ambitioniert.“ Natasha kreuzte lässig ihre langen, schlanken Beine. Don konnte nicht anders, als hinzusehen.

„Bändigen? Das klingt nach einem sehr schlechten Plan.“ Bei oberflächlicher Betrachtung machte Don einen Eindruck, der eine gewisse Gelassenheit erkennen ließ. Er zeigte sich freundlich, aber wachsam. „Ich versuche, Loki zu verstehen.“

„Den Gott des Unheils. Der Typ, der New York sprichwörtlich in Flammen gesetzt hat.“

„Der Gott des Schabernacks“, korrigierte Don. Er hatte sich mental auf ein Verhör eingestellt und sich mögliche Antworten zurechtgelegt.

„Unter Schabernack verstehe ich etwas anderes“, warf Tony ein und nippte an seinem Glas. „Ich bin der Typ, der das Penthouse bezahlen musste, nachdem der Möchtegern-Gott entschieden hat, dass die Glasfront eine neue Einflugschneise braucht.“

„Loki ist verantwortlich für unzählige Tode und massives Chaos in New York“, verdeutlichte Natasha.

„Ich weiß, was passiert ist…“, sagte Don ausweichend.

„Sag das mal den Familien der Menschen in Midtown“, fügte Tony hinzu. Er tippte auf sein Tablet und rief die Überwachungsbilder von Lokis Auftritt als Hologramm auf. „Er hat mich durchgeworfen. Durch. Nicht gegen. Durch.“

Don presste die Lippen zusammen.

Natasha ließ die Bilder wirken, während sie jede von Dons Regungen mit Argusaugen verfolgte. „Loki ist kein Antiheld oder verlorener Prinz. Er ist ein Terrorist.“

Don versuchte die Aufnahmen nicht an sich heranzulassen. Er hatte diese Seite von Loki von sich geschoben. Zweifelnd fragte er sich, ob Lokis Verletzlichkeit nur gespielt, eine banale Lüge war. Nein, er wusste, dass die zärtlichen Gefühle, die Loki ihm gegenüber zeigte, echt waren.

„Du denkst, du kennst ihn. Weil er dir ein paar seiner tränenreichen Geschichten über seinen Vaterkomplex erzählt hat. Aber du hörst nur, was du hören willst.“ Natasha brauchte nur wenige Minuten, um Don genau einzuschätzen.

„Ich weiß, wozu er fähig ist.“

„Wie lange hast du versucht, Loki zu reparieren, bevor du gemerkt hast, dass er nicht wirklich defekt ist?“

„Er ist kein schlechter… Mensch.“ Don richtete sich auf, um souveräner auszusehen.

„Was hast du in ihm gesehen, als du ihn zum ersten Mal getroffen hast?“

Don überlegte kurz: „Einen charmanten Mann, der sich hinter Witzen und Arroganz versteckt. Jemanden, der Angst hat, bedeutungslos zu sein.“

Natasha bewegte den Kopf, ein minimale Anerkennung. „Hast du nie daran gedacht, dass er dich benutzt?“

Don zuckte mit den Schultern. Er war auch nur ein Mann. Er schmunzelte. „Vielleicht benutze ich ihn ja auch.“

„Loki so: ‚Ich bin mondän, gefährlich und verwandle mich gelegentlich in Tiere. Swipe right!‘“ Tony schnalzte mit der Zunge.

Natasha sah Tony strafend an.

„Du kennst doch diese Apps...“

Natasha wandte sich wieder Don zu. „Das klingt fast, als hättest du Spaß. Ist das der Reiz? Das Spiel mit dem Feuer?“

„Ja, Loki ist... ungezähmt. Aber manchmal ist es genau das, was die Wahrheit ans Licht bringt. Er darf sein, wie er ist. Erst wenn er glaubt, dass niemand hinschaut, zeigt Loki sein wahres Gesicht.“

Natasha ließ nicht locker. „Du tust so, als wäre er ein Opfer.“

Don sah sie aufrichtig an. „Ich glaube, jeder verdient jemanden, der an ihn glaubt. Auch wenn es manchmal nur ein Versuch ist, das Beste aus einer schlechten Situation zu machen.“

„Er war ein Täter. Mit Kalkül. Ohne Reue. Hör auf, ihn zu verteidigen, als wäre er nur ein ungezogenes Kind!“

Es folgte ein langer Moment der Stille. Don sagte nichts. Er sah plötzlich alt aus. Die freundliche Maske war ein Stück verrutscht.

„Du hast recht. Ich hab sie nie gesehen, die Toten. Nur verwackelte Videos, zerstörte Gebäude, fremdartige Raumschiffe. Aber keine Gesichter, keine Name“, gestand Don leise.

Natasha fixierte ihn mit ihrem eindringlichen Blick. „Du hast die Grenze überschritten, als du angefangen hast, an ihn zu glauben.“

Don atmete tief ein. Er senkte den Blick. „Lasst mich bitte mit ihm sprechen. Ich weiß, wozu er auch fähig ist. Reue, die er nicht zugeben will. Scham, die er überspielt. Und... wenn er lacht, ohne zu spotten. Wenn er zuhört, statt zu manipulieren.“

„Oh Mann, es hat dich schlimm erwischt“, kommentierte Tony und machte sein Glas leer.

„Deswegen willst du ihm eine zweite Chance geben?“, fragte Natasha.

„Nein. Keine Chance. Eine Leine. Eine Art Bewährungshelfer. Ich werde ihn nicht laufen lassen. Nicht einen Moment“, versprach Don. Er sah hoffnungsvoll zwischen seinen beiden Gastgebern hin und her.

„Das ist ein gefährliches Spiel.“

Don schüttelte den Kopf. „Wenn er fällt, bin ich da.“

„Das ist verdammt viel Verantwortung.“ Natasha wirkte nicht überzeugt. „Willst du das wirklich riskieren? Mit deinem Kindern?“

Weil Don nichts sagte, schaltete sich Tony wieder ein. Er räusperte sich und erklärte zum ersten Mal im ernsten Ton: „Ich bin nicht hier, um dich zu überzeugen. Ich bin hier, um dich zu warnen. Wenn er dich irgendwann fallen lässt – und das wird er – dann wird es nicht nur dein Schaden sein. Dann zahlen wir alle. Wieder.“

Natasha hatte dem nichts hinzuzufügen. Sie war sogar ein wenig stolz, wie gut Tony das potentielle Chaos, das Loki heraufbeschwören konnte, ausgemalt hatte. Sie gab ihm ein Zeichen, Don erst mal allein zu lassen.

Don blieb nachdenklich zurück.

~~~

Natashas Miene verriet wenig. „Er glaubt, er könnte Loki kontrollieren. Oder ihn retten. Vielleicht beides.“

„Dieser Don klingt, als würde er unserem Knacki jeden Morgen Croissants servieren und ihn fragen, wie seine Träume waren.“ Tony grinste sie an.

„Er sieht Loki als Chance, nicht als Bedrohung. Fast so, als hätte er Mitgefühl“, meinte Natasha trocken.

„Sag das nochmal, während er Loki die Haare aus dem Gesicht streicht und ‚Du kannst dich ändern‘ flüstert.“

Natasha hob eine Augenbraue und fragte trocken: „ Das ist dein offizieller Beitrag zur Lageeinschätzung?“

Tony machte eine unegale Geste. „Offiziell: Der Typ ist verloren. Ich meine, wer bietet sich freiwillig als Babysitter für Loki an? Nicht für eine schwanzgesteuerte Liaison. Das schreit nach schwerer Gefühlsduselei. Oder einer seltsamen Vorliebe für toxische Beziehungen.“

Tony ging hinüber, um die Live-Übertragung aus Lokis Zelle zu beobachten. Loki lungerte auf dem Bett und las. Bruce hatte sich bemüßigt gesehen, ihm ein paar Bücher zu besorgen.

„Er sieht anders aus“, stellte Natasha fest.

„Er hat einen Kamm gefunden“, kommentierte Tony, „Oder ihm ist das Haarprodukt ausgegangen.“

„Kein Gold, kein Brustpanzer…“ Lokis Kleidung war schwarz mit seinem charakteristischen Grün-Akzent. Das Gewand hatte so gar nichts von der Arroganz des Prinzen und dem Glanz eines Gottes. Natasha wandte sich Tony zu. „Wie lange ist er jetzt schon auf der Erde?“

„Ein paar Monate“, schätzte der. „Thor hatte uns wirklich Bescheid geben können, dass sein durchgeknallter Bruder hier frei umläuft. Er hat mir nicht mal sein Nummer gegeben! E.T. nach Hause telefonieren.“

„Don ist kein Narr – aber bei Loki muss man mit allem rechnen.“ Natasha tippte sich nachdenklich mit dem Zeigefinger auf die Unterlippe. „Wir sollten sie miteinander sprechen lassen.“

„Das wird unterhaltsam“, stimmte Tony zu.

„Lassen wir sie noch ein wenig zappeln...“

~~~

Loki saß auf dem Bett, seine Beine im Schneidersitz angewinkelt, in seiner gläsernen Arrestzelle, die an jene im Hubschrauberträger erinnerte. Sein Blick war in sich gekehrt auf einen Punkt an der Wand gerichtet. Als sich die Tür öffnete, erblickte er Don. Seine Überraschung über Dons Anwesenheit verschwand rasch hinter einer passiven Fassade.

„Lange nicht gesehen.“ Don schenkte ihm ein kleines Lächeln. Er wollte direkt zu ihm gehen, wartete aber, bis Steve die Tür hinter sich geschlossen hatte. Don hatte Loki vermisst. Sie berührten sich fast ständig, wenn sie zusammen waren. Allein die Vorstellung, Loki nicht mehr sehen oder berühren zu können, erschien ihm unerträglich.

Loki erhob sich und kam ihm langsamen Schrittes entgegen. „Welche Ehre“, spottete er kühl. „Der tugendhafte Don, der nichts Besseres zu tun hat, als den gefallenen Gott zu retten.“

„Loki...“

„Was für ein Bild von Respektabilität“, sagte Loki. „Immer noch mit deiner spießigen Krawatte, als würdest du gleich ein Versicherungsmeeting abhalten.“ Bevor Don protestieren konnte, griff Loki nach der Krawatte und begann, sie in einer übertriebenen Art zu richten.

„Lass es, Loki.“ Don versuchte ernst zu bleiben, aber ein breites Lächeln stahl sich auf seine Lippen. Irgendetwas an Lokis ironischen Fürsorge fühlte sich seltsam vertraut, fast liebevoll an, trotz des Spotts. Don schob seine Hand leicht gegen Lokis Brust, um ihn zurückzudrängen. Nichtsdestotrotz genoss er die Nähe.

Loki verzog seine Lippen zu einem verschmitzten Lächeln. „Du bist wirklich hartnäckig, Don.“

„Ich bin nicht hier, um dich zu verurteilen. Ich will nur mit dir reden.“

„Reden“, wiederholte Loki nachdenklich, als ob das Konzept allein schon lächerlich war. „Und was glaubst du, wirst du durch Reden erreichen, Don?“

Im Überwachungsraum schüttelte Tony leicht den Kopf. „Langsam wird es interessant.“

Steve zog sich einen Stuhl heran und setzte sich neben Tony, während er Don und Loki zusah. Er hatte rötliche Wangen und wirkte leicht verschämt. „Ich wusste nicht, dass man seine sexuelle Präferenz ändern kann.“ Er dachte an Dons Kinder und fragte sich, was mit der Mutter war.

„Bisexuell,“ korrigierte Tony beiläufig, als ob er über das Wetter reden würde. Er fand es süß, wenn Steve gleichermaßen verlegen wie ernst war. „Zeiten ändern sich, Cap. Wer weiß, eventuell überrascht du uns eines Tages.“

Steve ließ sich nicht provozieren. „Ich denke, ich bleib lieber bei dem, was ich kenne.“

„Langweilig,“ murmelte Tony.

Don beobachtete, wie Loki mit einem scharfen Lächeln zur Glaswand ging, seine Finger an die kühle Oberfläche legte und flüsterte: „Privatsphäre.“ Innerhalb von Sekunden wuchsen Eiskristalle aus seinen Fingerspitzen, breiteten sich in filigranen Ranken über das Glas aus, bis alle Wände von einer zarten Eisschicht bedeckt waren. Die klare Transparenz des Raumes verwandelte sich in eine Art Milchglas, und auch die Kameras, die bisher alles aufgezeichnet hatten, froren ein und fielen aus.

Auf den Monitoren flackerte das Bild und erstarb. „Oh, komm schon!“ Tony schlug frustriert auf den Tisch. „Ist das dein Ernst?“

„Er hat uns auf Eis gelegt. Wortwörtlich.“ Ein schwaches Lächeln zuckte um Steves Lippen, doch Tony war zu irritiert, um den Wortwitz zu schätzen.

Zurück in der Zelle drehte Loki sich langsam zu Don um. „Jetzt können wir uns unterhalten.“

Don nickte langsam, beeindruckt von Lokis geschickter Manipulation der Umgebung. „Grandios.“

„Ich werde langsam besser darin, ein Eisriese zu sein“, erwiderte Loki sarkastisch und zeigte ein Lächeln mit Zähnen. Don hörte den inneren Kampf seinen Worten. Seinen geistigen Zustand konnte er inzwischen an Lokis Lächeln festmachen.

„Du bist unvergleichlich!“, lobte Don besänftigend.

„Haben sie nicht gesagt, dass ich achtzig Menschen getötet habe? Ich hatte gedacht, es wären mehr gewesen. Mmmm.“ Loki machte zwei Schritte in den Raum. „Ja, ich habe gelogen. Es hat mir Spaß macht, dem Mann sein Auge zu stehlen und den Avengers meine Macht zu demonstrieren. Menschen sind wie Ameisen unter meinem Stiefel.“

Don schluckte schwer. „Das kannst du unmöglich ernst meinen.“

„Hast du etwas anderes erwartet?“ Loki sah ihn direkt an.

„Warum? Warum, Loki?“ Don atmete tief durch. „Warum gibst du dich so leicht auf?“

„Ich bin es leid, ständig gegen das Unvermeidliche anzurennen“, sagte Loki und drehte sich langsam von ihm weg. Er verstummte. Seine Augen fixierten einen Punkt auf der vereisten Glaswand. Loki musste den Schurken bis zum Ende spielen.

Loki hatte sich mit dem Titanen verbündet – in der irrigen Annahme, er könne ihn manipulieren. Weit gefehlt! Er wurde schnell eines Besseren belehrt. Der Andere hatte ihm gedroht, es gäbe keinen Winkel des Universums, wo er sich verstecken könne. Er hatte ihn gefragt, ob er glaube, Schmerz zu kennen. Nach Thanos würde er sich danach sehnen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis der Titan ihn fand. Für Don war es besser, ihn nicht zu kennen.

Don spürte einen Kloß im Hals. „Und was ist, wenn ich das nicht akzeptieren will?“

„Ich könnte dich mit einem einzigen Hauch in den Kältetod schicken“, drohte Loki und fixierte ihn mit kaltem Blick.

„Ich weiß nicht, wie es ist, ein Gott oder Eisriese zu sein, der sich zwischen zwei Welten gefangen fühlt, aber du machst mir keine Angst!“ Don trat einen Schritt näher und legte eine Hand auf Lokis Schulter, sodass dieser sich gezwungen war, ihn anzusehen. „Ich sehe den Mann, der mehr ist als seine Herkunft. Der sich entscheiden kann, wer er sein will. Was auch immer du glaubst, was dich von allen anderen... von mir trennt – das ist nicht das, was dich ausmacht.“

„Don – der Mann mit dem langweiligsten Namen in allen Reichen. Ein Vorstadtvater mit Rasenmäher, Minivan und zwei schreienden Kindern, die dich nicht mal wirklich interessieren.“ Loki taxierte ihn süffisant mit einem abschätzigem Blick.

„Hey!“

„Sag, Don, träumst du nachts von Jet-Skis, weil das das Wildeste ist, was du dir vorstellen kannst?
Wie armselig.“

„Weißt du was?“, Dons Stimmung schwang um und er wurde laut, „Du laberst viel von Größe und Glanz, aber bist du ein großes Kind, das nie gelernt hat, mit Ablehnung umzugehen. Du bist wie diese teuren, glänzenden Weihnachtskugeln – außen beeindruckend, aber innen hohl und zerbrechlich.“

„Du bist nicht mal der Held in deinem eigenen Leben, sondern der Statist in einer Werbung für Reinigungsmittel“, giftete Loki getroffen zurück.

Dons Blick war düster, aber seine Stimme ruhig „Ich mag vielleicht ein langweiliges Leben führen, aber wenigstens weiß ich, wer ich bin. Du dagegen rennst seit Jahrhunderten rum und suchst nach einer Rolle, die zu dir passt. Und jedes Mal, wenn du glaubst, sie gefunden zu haben, merkst du, dass du dich nur wieder selbst belogen hast. Du bist nur ein Typ, der Angst hat, dass niemand ihn liebt, wenn er mal ehrlich ist. Und das, mein Lieber, ist viel armseliger als ein Rasenmäher und ein Minivan.“

Loki schwieg getroffen. Sein Gesicht verfinsterte sich. Ein Anflug von grimmigen Emotionen blitzte in seinen Augen auf. Ärger und Wut waren Gefühle, denen er schnell den Vorzug gab. Die Luft um sie herum begann kälter zu werden. Das Eis an den Glaswänden knirschte bedrohlich. Risse zogen sich wie Blitze durch die vereiste Schicht.

Don spürte förmlich die unbändige Kraft, die Loki selbst ohne seine Magie als Eisriese in sich trug. Er sah, wie sich Lokis Hände zu Fäusten ballten. Die Raumtemperatur war schlagartig gefallen. Gänsehaut überzog Dons Körper.

„Trotzdem stehst du hier, als wärst du nur ein weiterer Narr…“, sagte Loki.

Don hatte seine Unsicherheiten und fehlende Selbstakzeptanz entlarvt. Er hatte ihn entblößt. Macht und Status waren etwas, das er suchte, weil es ihm an Selbstachtung fehlte. Tief in sich wusste Loki, dass er sein eigener größer Feind war.

„Loki, hör auf. Du musst das nicht tun.“ Statt zurückzuweichen trat Don näher, um ihn zu besänftigen. Er nahm eine Hand und versuchte, die Faust zu lösen. Loki war unheimlich kalt. Don begann zu frösteln. „Bitte, Loki!“

Langsam normalisierte sich die Temperatur wieder. Don konnte Lokis Hand in seine nehmen.

Loki sah zu Boden. Er spürte Dons warmen Druck seiner Hand. Seine Beharrlichkeit beeindruckte Loki mehr, als er zugeben wollte. Seine Egozentrik und Kratzbürstigkeit hatte Don bis jetzt nicht vergrault.

„Don... das hier ist der Ort, wo ich hingehöre.“

„Bereust du, was du in New York getan hast?“, fragte Don.

„Was erwartest du? Dass ich auf die Knie falle und um Vergebung flehe?“

„Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet; denn mit welchem Gericht ihr richtet, werdet ihr gerichtet werden, und mit welchem Maße ihr messet, wird euch gemessen werden“, zitierte Don aus der Bibel. „Sühne ist nicht nur Strafe, sondern vor allem freiwillig Gutes zu tun als Ausgleich für Unrecht. Ich will dir dabei helfen. Als eine Art Bewährungshelfer.“

Loki schnaubte einem hässlichen Lacher hervor, der sich in etwas Lautes, Dröhnendes und Verzweifeltes verwandelte.

„Du musst es von dir aus wollen.“

„Möchtest du, dass ich dich anlüge?“

„Nein, natürlich nicht.“

„Und was, wenn ich mit der momentanen Situation einverstanden bin?“

Das war eine Lüge und beide wussten es. Loki hatte eine verrückte, selbstzerstörerische Art, die ihn dumme Dinge tun ließ, und ihn selbst am meisten verletzte.

„Wie heißt es in dem Song? „Miezekatzen wie ich sind manchmal gerne drinnen…“ Selbst die wildesten Streuner brauchen manchmal einen Ort, wo sie Zuhause sind. Einen Ort, wo sie... hingehören.“ Don hielt Loki mit seiner Hand fest und ließ die Worte absichtlich in der Luft hängen.

Lokis Gesichtszüge wurden weicher. Er konnte die Wahrheit hinter Dons Worten nicht leugnen. Es war beängstigend, wie gut dieser Mensch ihn durchschaute. Loki senkte seinen Blick, als könne er Dons ehrlichen Worten nicht standhalten.

„Gefühle sind eine Schwäche. Sie machen verletzlich.“

„Gefühle sind das, was uns stark macht. Sie verbinden uns mit anderen.“

Loki schüttelte den Kopf.

„Was ist mit uns?“ fragte Don traurig. „War das alles für dich nur ein Zeitvertreib? Eine Flucht vor der Realität?“

Lokis Gesicht war wieder undurchdringlich. Eine hochgezogene Mauer. „Ich bin kein Mensch, Don. Ich gehöre nicht hierher. Du bist besser dran ohne mich.“

Don seufzte. Er war am Ende seiner Weisheit angekommen. Er löste seine Hand von Lokis. „Dann lass mich gehen.“ Er drehte sich dorthin, wo die vereiste Tür war.

Loki betrachtete Don einen langen Moment schweigend an. Er hob schließlich seine Hand und ließ das Eis an der Tür knirschen und brechen, bis die Glaswand wieder klar war.

„Du kannst gehen.“

Don sah ihn noch einmal an, als wolle er etwas erwidern, doch die Worte blieben ihm im Hals stecken. Stattdessen drehte er sich zur Tür und ging. Er fühlte, wie die Schwere seiner Schritte mit jedem Meter zunahm. Die Gewissheit, dass etwas Entscheidendes zwischen ihnen ungesagt blieb, lastete schwer auf seinem Herzen.

Don blieb abrupt stehen, als ihn die Erkenntnis wie ein Schlag traf. Die Eiswände, die Kameras, die Zelle — nichts hielt Loki auf. All die Sicherheitssysteme, die Tony Stark entworfen hatte, waren bedeutungslos gegenüber der Macht, die Loki besaß.

Loki war ein mächtigerer Eisriese, als sie alle glaubten. Selbst ohne seine Magie war er fähig, das Eis zu kontrollieren, und wenn er gewollt hätte, wäre er längst geflohen. Doch er stand immer noch da, regungslos, genau an dem Fleck, an dem Don ihn zurückgelassen hatte, als er sich abermals umdrehte.

Loki hatte gewählt, eingesperrt zu sein. Die Erkenntnis machte Don schwindelig.

Chapter 17: Getrennte Wege

Chapter Text

Steve fing Don am Fahrstuhl ab und brachte ihn ins Penthouse, wo sich Tony und Natasha an der Bar angeregt unterhielten. Don war zu sehr mit sich beschäftigt, um sich darüber zu freuen, Captain America persönlich zu treffen. Der Mann hatte eine beneidenswerte Authentizität, die ihm keine Marketingkampagne hätten zaubern können.

„Na, Cowboy, hast du Loki gezähmt oder hat er dich auf die Hörner genommen?“, rief Tony scheinbar entspannt, obwohl er vor Neugierde fast umkam. Lokis Magie mochte durch den Allvater gebannt sein, aber er war ein verdammt guter Eiskünstler. Tony hatte nicht geahnt, dass Loki Eis aus dem Nichts erschaffen konnte. Der gerissene Teufel musste ununterbrochen 24 Stunden am Tag überwacht werden.

Don seufzte. Er wirkte grüblerisch und bedrückt. Sein Blick schweifte durch das luxuriöse Penthouse. Das hier war fernab seiner Lebensrealität. Don kam sich fehl am Platze vor – wie in Lokis Leben. Hatte er sich die letzten Wochen und Monate etwas vorgemacht?

„Wie wär’s jetzt doch mit einem Drink? Ich hab was Starkes.“

Don sah zu Tony. „Okay, ich nehme einen. Gib mir einfach irgendwas, das brennt.“

„Mein Mann!“ Tony füllte ihm ein Glas aus einer teuer aussehenden Flasche.

Don interessierte sich nicht dafür, was Tony ihm einschenkte. Er setzte sich auf einen der eleganten Barstühle neben Natasha an den Tresen.

„Was hat der Gott des Schabernacks gesagt?“, fragte Tony und reichte ihm sein Glas. Mit seinem Getränk in der Hand prostete er seinem Gast zu. „Pläne? Verschwörungen? Geständnisse?“

Don nahm einen Schluck und schaute ins Glas. Der Alkohol brannte in seiner Kehle und half, die Spannung in seinem Körper ein wenig zu lösen. Er spürte, dass die Augen der Avengers auf ihm ruhten. Sie alle wollten Informationen. „Nichts, was dich etwas angeht.“

Natasha fragte leise: „Er hat dich vor den Kopf gestoßen?“

Don schüttelte den Kopf. Er zwang sich zu einem Lächeln. „Es ist... privat.“ Er hatte kein Verlangen, ihnen die Wahrheit zu erzählen. Von Lokis Standpunkt aus betrachtet war ihm die Avengers feindlich gesinnt, auch wenn sie in Dons Welt die Helden waren. Alles, was Don sagen könnte, wäre in seinen Augen ein Vertrauensbruch.

„Ich sag’s dir: Loki ist ein kleiner Mistkerl“, warf Tony ein, „Er hat ein Ego. Und warum sollte er es nicht haben? Er ist schließlich der Sohn – Adoptivsohn des Königs von Asgard. Und ein Gott – mutmaßlich.“

„Was soll mit Loki passieren? Wollt ihr ihn dauerhaft festhalten?“, fragte Don direkt, aber sachlich. Er versuchte seine Gefühle in Zaum zu halten, um nicht vor diesen Fremden zu kollabieren. Seit dem Frühstück hatte er nichts mehr gegessen. Das bedeutete, dass der Alkohol rasch in die Blutbahn gelangte.

„Maximale Sicherheit“, plädierte Tony, „Wir behalten ihn unter Kontrolle.“

Natasha wechselte mit ihm einen Blick. „Ich finde, wir sollten Dons Vorschlag berücksichtigen.“

Steve, der dem Gespräch gelauscht hatte, zeigte sich unschlüssig.

„Klingt für mich nach Paartherapie mit Explosionsgefahr“, kommentierte Tony.

Don rutschte ein bisschen nervös auf seinem Barhocker herum. Offenkundig wussten die Avengers um seine Liebesbeziehung mit Loki.

„Bis jetzt ist es gar nicht schlecht gelaufen,“ gab Natasha zu bedenken, „Loki hat nicht noch einmal versucht, die Weltherrschaft an sich zu reißen.“

„Puh, Glück für uns!“, widersprach Tony sarkastisch und fügte doppeldeutig hinzu: „Er leckt seine Wunden. Oder er lässt sie lecken.“

Don errötete nun endgültig. Kribbelig versteckte er sich hinter seinem Getränk. Vielleicht war es auch der Alkohol, der seine Wangen färbte.

„Keine Armee, keine Magie – praktisch impotent. Aber wenn Loki den Eisschnitzer macht, sind wir wahrscheinlich bald mehr als nur Eis am Stiel.“

„Er hat sich ohne Kampf ergeben“, erinnerte Steve.

„Leute! Wie könnt ihr mir so in den Rücken fallen? Hätten wir ihn nicht gestoppt, sähe New York, die ganze Welt heute anders aus!“

„Es steht außer Frage, dass Loki Verantwortung für seine Taten zu übernehmen hat“, entgegnete Natasha. „Allerdings – mit der richtigen Führung könnte er womöglich ein Verbündeter werden.“

„Was hat Loki vor: künstliches Icecarving oder eisige Herrschaft, Donnie?“, wandte sich Tony direkt ihn.

Don hasste es, Donnie genannt zu werden. Er blieb ruhig und erwiderte Tonys Blick. „Manche Dinge bleiben besser zwischen zwei Leuten.“

„Komm schon, ein bisschen Klatsch und Tratsch!“

„Euer Misstrauen ist nachvollziehbar, aber ich habe ihn anders kennen gelernt.“ Don verstand Loki sehr gut und konnte meist seine Gefühle lesen. Er hatte die kindliche Freude gepaart mit grausamen Unfug in seinen Augen glitzern gesehen und mochte ihn immer noch.

Don wusste, dass Loki ihm etwas verschwieg, mit dem er zu kämpfen hatte. Loki war so vorsichtig mit ihm gewesen, um ihn nicht zu verschrecken. Er hatte sich angefühlt, als würde er sich in Dons Armen verstecken wollen.

Im Rückblick betrachtet hatte Loki verwirrt und verletzlich gewirkt, als sie das erste Mal aufeinander getroffen waren. Loki hatte seinen freien Willen, seinen Platz in der Welt und seine Familie verloren, und Don war die erste Person, die tatsächlich versuchte, ihm zu helfen.

Umso schmerzhafter war es, dass Loki ihn jetzt von sich stieß.

„Hat er dich mit Frostriesen-Gedöns bedroht?“

Don knallte sein leeres Glas auf den Tresen und stand abrupt von seinem Barhocker auf. „Genug. Mein Angebot steht. Ruft mich an, wenn ihr meine Hilfe wollt.“ Er zückte eine Piranha Powersports Visitenkarte mit einem kleinen Eselsohr aus der Innentasche seiner Anzugjacke und legte sie auf die polierte Tresenoberfläche. „Kann ich jetzt gehen?“

Tony prostete ihm zu: „Auf die Geduld. Und auf die, die sie am meisten brauchen.“

Don nickte und verabschiedete sich.

Steve setzte sich auf Dons Barhocker und runzelte die Stirn. „Weiß er überhaupt, auf was er sich einlässt?“

„Zumindest hat er Eier“, meinte Tony. „Ich wette, Loki hat ihn mit dem Lovebombing eines Sektenführers umgarnt. Was für ein Spielchen spielt Loki mit dem armen Kerl?“ Tony hatte fast Mitleid mit Don, denn er hatte sehr schwermütig ausgesehen. Dabei hatte er seinen starken Willen unter Beweis gestellt und war von Cleveland nach New York geflogen, um den Unheilsgott zu sehen.

Natasha hob eine Augenbraue. „Ich schwanke zwischen beeindruckt und besorgt.“

Steve sah zwischen seinen beiden Freunden hin und her. „Loki muss ihm ordentlich den Kopf verdreht haben.“

Tony grinste: „Ich finde es witzig, dass Loki, der kaltherzige Außerirdische, unironisch mit einem Jetski-Verkäufer mittleren Alters anbandelt.“

„Er ist schnuckelig.“

Steve und Tony schauten sie beide an.

Natasha zuckte mit der Schulter. „Was?“

„Ich dachte, du stehst auf Bad Boys“, sagte Tony.

~~~

Don atmete seufzend aus, als er draußen auf dem Fußweg im anonymen Gewusel der Metropole stand. Die innere Spannung löste sich langsam auf, während gleichzeitig seine Verschlossenheit zerbröckelte. Erst jetzt ließ er den Gedanken zu, dass Loki mit ihm Schluss gemacht hatte.

Das ewige Summen der Stadt verblasste um ihn herum zu einem dumpfen Hintergrundgeräusch. Don presste die Lippen zusammen und schluckte die aufkeimenden Tränen herunter. Er wollte weg.

Er spürte die unangenehme Leere, die nicht nur vom Hunger herrührte, sondern von der Enttäuschung, die an ihm nagte. Er hatte eine emotionale Reise unternommen, die in einer Sackgasse geendet war.

Don schalt sich, dass er Hals über Kopf nach New York geflogen war. Er hätte Loki jetzt am liebten eine Ohrfeige gegeben.

Miststück.

Loki war wie ein Hurrikan in sein Leben gestürmt. Eine Weile hatte Don sich im Auge des Sturms in Sicherheit gewiegt, bis er die Zerstörung nach der Flucht gesehen hatte. Lokis Abgang erinnerte ihn an seine eigensinnige, wilde Ex-Frau Catherine, die ebenfalls einfach aus seinem Leben verschwunden war. Don hatte definitiv einen Typen, ob Frau oder Mann, auf den er abfuhrt – und der nicht zu seinem Besten war.

Seine Kinder waren vom gleichen Schlag. Die Jungs testeten (wie Loki) wahrlich manchmal seine Geduld. Deswegen hatten sie anfangs auch so gut mit Loki harmoniert.

Am Ende hatte seine Mutter Recht gehabt: Loki war zu sprunghaft und impulsiv, um zu bleiben. Lokis Weggang war immer Teil von Lokis Plan gewesen.

Don überlegte, was er machen sollte. Er hatte keinen Rückflug gebucht, sondern sich ein günstiges Hotelzimmer genommen. Während er die Straße entlang ging, entschied er, in das nächstbeste Restaurant zu gehen, das ihn ansprach. Dort setzte Don sich an einen Tisch am Fenster und bestellte etwas zu essen. Bei Stress aß er zu viel Ungesundes und gönnte sich gerne das ein oder andere Glas Hochprozentiges. Das schien ihm nun genau die richtige Strategie zu sein.

Durstig trank er einen großen Schluck von seinem Tom Collins, nachdem die Kellnerin ihm seine Getränkebestellung gebracht hatte. Ja, gut, er hatte ein kleines Bäuchlein, aber der Alkohol- und Zuckergehalt des spritzigen Gin-Zitrus-Longdrinks hielt sich in Grenzen. Seine grauen Haare machten ihn älter, dabei war Don noch keine fünfzig Jahre alt. Loki war ein Gott und er ein ganz gewöhnlicher Mann. Er konnte jemanden Besseres, Jüngeres, Attraktiveres finden.

Während er auf sein Essen wartete, griff er nach seinem Smartphone, um die verpassten Nachrichten zu beantworten. Jason wusste Bescheid, dass er erst am Montag wieder ins Geschäft kommen würde. Don ignorierte die Nachrichten seiner Mutter und kümmerte sich um einen Rückflug. Die frühste Option war ein Flug am nächsten Tag, den er buchte.

Danach las er die Nachrichten seiner Mutter. Liz konnte berichten, dass die Kinder ordnungsgemäß zur Schule gegangen waren. Don dankte ihr und gestand knapp, dass es nicht gelaufen war, wie er gehofft hatte.

Als er durch die Straßen zum Hotel lief, war er in Gedanken versunken. Ihm war nicht nach Sightseeing zumute. Unterwegs kaufte Don eine Whiskeyflasche. Immer wieder wanderten seine Gedanken zu Loki.

Im Hotelzimmer ließ Don sich auf das Bett fallen. Der Raum war klein, spartanisch eingerichtet und sauber. Der Gedanke, in New York zu sein, in dieser aufregenden Stadt voller Möglichkeiten, schien ihm wie ein schlechter Witz.

Seine Mutter hatte ihm geschrieben. Ihre hellsichtigen, tröstenden Worte halfen ihm wider Erwarten.

Don fühlte sich plötzlich ausgelaugt. Es war ein emotionaler Hürdenlauf gewesen: Loki und die Avengers.

Nichts löste ein Problem so gut wie ein Drink. Alkohol war sein Trostpflaster. Er tötete den Stress und ließ die Langeweile schnell verschwinden. Er betäubte seine Traurigkeit, Unruhe und Angst. Er schützte ihm vor dem, was unangenehm war: die Unsicherheiten, Situationen, Gedanken und Gefühle.

Catherine war eine leidenschaftliche Frau gewesen, voller Energie und Begeisterung. Doch bald hatte Don gemerkt, dass diese Energie nie bei ihm verweilte. Sie war ständig auf der Suche nach dem nächsten Abenteuer, dem nächsten Nervenkitzel. Ihr Sohn Kevin war das Produkt dieses verzweifelten Versuchs gewesen, eine bereits brüchige Ehe zu kitten. Eine Entscheidung, die er nicht bereute.

Catherine war nie in der Lage gewesen, sich richtig festzulegen. Genauso wenig hatte sie mit seinen Gefühlen umgehen können. Wie Loki. Immer auf der Flucht vor den Gefühlen, die er nicht kontrollieren konnte.

Don schloss die Augen und verdrückte ein paar Tränen. Es hatte etwas Befreiendes, sie rauszulassen. Aber er wollte nicht in negativen Gefühlen sinken und entschied sich mit Fernsehen abzulenken.

~~~

Loki durchmaß den Raum mit großen Schritten. Immer wieder wechselte er die Richtung, wenn er zur Wand kam. Die gläsernen Wände waren verstärkt, die Sicherheitssysteme ausgeklügelt, doch Loki fand die ganze Aufmachung lächerlich. Das Essen, das sie ihm brachten, betrachtete er mit unverhohlener Abscheu. Trotz seines Statuses als Gefangener benahm er sich wie eine Diva und behandelte seine Wärter wie Bedienstete.

Loki hatte völlig vergessen, wie es sich anfühlte, verliebt zu sein. Er vermisste Don, dass es körperlich wehtat. Es verlangte ihn danach, ihn zu berühren, seinen Schnurrbart prickeln zu fühlen, und ihn zu besitzen. Loki verabscheute seine Pathetik in dem gleichen Moment, in dem er sie herbeisehnte.

Loki empfand Schuldgefühle, weil er Don weggestoßen hatte. Aber es war richtig gewesen. Er hatte sich vor der Realität versteckt, war vor der Wahrheit davongelaufen. Die Menschen waren Thors Lieblinge. Loki stammte weder von Asgard noch von Midgard, sondern von Jotunheim. Er war ihr Feind.

Die Avengers hatten ihm seine Entscheidung vorweggenommen. Er hatte sich und Don etwas vorgemacht. Ihre Affäre war Balsam für seine geschundene Seele gewesen – aber passte schlecht zu seiner wahren Identität. Er war ein berechnender Einzelgänger, der nach Macht strebte.

Seine eigene Resignation hielt ihn in diesem Gefängnis. Er hatte keine Ahnung mehr, wer er war oder wo er hingehörte. Ohne diese Verlorenheit hätte er sich nicht von den lächerlichen Rächern gefangen nehmen lassen.

„Für einen Gott landest du verdammt oft im Käfig“, sagte Tony, als er den Raum betrat, der Lokis gläserne Zelle beinhaltete. „Soll ich dir ein Bonussystem einrichten?“

„Stark.“ Loki schaffte es, seine ganze Verachtung in eine Silbe zu legen. Er blickte seinen Entführer mit scharfen, wachen Augen an.

„Du siehst nicht aus, als hättest du Spaß an deiner Welteroberung.“

„Für einen Sterblichen bist du überraschend schwer totzukriegen“, konterte Loki mit geschürzten Lippen. Er kam bedrohlich näher an die Glaswand.

„Sag mal, wie fühlt sich das an, wenn man die Kontrolle verliert? Du bist doch sonst der Typ, der immer einen Trick mehr im Ärmel hat.“

„Kontrolle ist eine Illusion, Stark.“ Loki lächelte dünn. „Du solltest das wissen. Du hast sie oft genug verloren. Oder hast du vergessen, wer deine Waffen in die falschen Hände gegeben hat?“

„Touché.“ Tony nickte anerkennend. Loki hatte sich über ihn informiert. Tony hatte Schuld auf sich geladen. Waffen waren nicht bloß Werkzeuge, sie wurden kreiiert, um zu töten. „Aber weißt du, was der Unterschied zwischen uns ist? Ich hab irgendwann angefangen, meine Fehler zuzugeben. Du tust immer noch so, als wärst du der Einzige, der den Überblick hat.“

„Sagt der Mann, der sich hinter Rüstung und Witzen versteckt.“

Tony schauspielerte ein paar nachdenkliche Schritte vor der Glaswand. Verhöre waren nicht seine Spezialität, aber er wollte es sich nicht nehmen lassen, persönlich ein paar Sätze mit Thors durchgeknalltem Bruder zu tauschen. Natasha hatte recht. Er ahnte, dass sie ihn nur schlecht zügeln konnten, also brauchte er eine andere Strategie, welche Don hieß.

„Es ist die schiefe Nase, richtig? Das macht seinen Spießerlook ein bisschen verwegen. Football? Boxen? Was hat er früher in der Schule gemacht? Oder war er gar ein richtiger Rabauke, der keine Schlägerei ausließ?“

„Don weiß einem Gott zu huldigen.“ Loki lächelte gönnerhaft.

„Ich wette, er war ein richtiger Wildfang, bevor er sich niedergelassen und Kinder in die Welt gesetzt hat.“ Tonys Augen glänzten amüsiert.

„Er erkennt Größe, wenn er sie sieht.“

„Klar. Deshalb war er auch nicht hier, um dir die Füße zu massieren“, sagte Tony kokett. „Für mich sah’s aus, als ob du unter seinem Pantoffel stehst. Pardon, standest.“

„Ein kleiner Mann, der davon träumt, einen Gott zu verstehen. Aber letztlich bleibt er ein Zuschauer – wie ihr alle.“

„Er ist der Einzige, der dich nicht für ein Monster hält.“

Lokis Herzschlag beschleunigte sich. Monster. Tony hatte ihn tiefer durchbohrt, als er jedes Schwert hätte tun könnte. Er war das Monster, das bloß aussah wie ein Prinz.

„Er ist naiv…“ Loki drehte sich weg und ging zwei quälend langsame Schritte. Er hatte unzählige Jotnar getötet, indem er den Bifröst gegen Jotunheim gerichtet hatte. Ein unverhohlener Versuch des Völkermords, der seine Identität nicht löschen konnte. Und dann hatte er sich Midgard vorgenommen. Als Thanos ihm die Herrschaft über das Lieblingsreich seines Bruders angeboten hatte, konnte er nicht Nein sagen.

Don hatte es ihn fast vergessen lassen, dass er verdorben war.

„Gott hin oder her: Dein Minderwertigkeitskomplex ist größer und länger als dein Schatten!“

Loki betrachtete Tony unterkühlt, während er seinem Blick standhielt. „Du überschätzt Dons Bedeutung. Er ist nützlich, solange er mir dient. Aber am Ende stehe ich allein – aus Prinzip.“

Tony kam einen kecken Schritt näher als Glas. „Weißt du, das hab ich auch mal gedacht. Dass man Kontrolle nur hat, wenn man niemanden an sich heranlässt. Hat nicht funktioniert. Du hast deine Armee verloren, deinen Bruder, deinen Status, und jetzt sitzt du hier – und der Einzige, der dich nicht sofort verurteilt, ist Don. Warum willst du das wirklich wegwerfen?“

Loki lächelte scharf. Seine Zähne blitzen weiß hervor. „Du bist erstaunlich sentimental, Stark.“

Er brauchte seine Familie nicht, er brauchte Odin nicht, und Thor auch nicht. Und auch Don nicht. Er war der Gott der Bedrohung. Er ist also kein verlorener Prinz, sondern ein freibeuterischer Pirat.

„Sentimental? Ich weine nur bei Steuerbescheiden und wenn der Kaffee alle ist.“

„Deine Witze sind wie deine Rüstung, Stark: Laut, glänzend und ziemlich überflüssig.“

Tony schmunzelte belustigt. „Vielleicht sind wir uns ähnlicher, als du denkst.“

„Mach nur weiter, Stark. Irgendwann lacht niemand mehr, außer mir.“

Tony bewegte sich einige Schritte weiter. „Du bist ein verdammt gefährlicher Mann mit einem verdammt großen Loch im Herzen. Und Don? Er ist vielleicht der einzige, der da jemals reinschauen durfte.“

Loki blickte weg. „Lieber ein Monster als ein Narr, der an das Gute glaubt.“

„Du solltest ihm eine zweite Chance geben.“

Loki schwieg. Sein schwaches Abbild spiegelte sich in dem Glas seiner Zelle.

„Wenn’s schiefgeht, kannst du immer noch die Welt übernehmen“, scherzte Tony. Er wartete noch etwas auf eine Reaktion, bevor er wieder den Raum verließ.

Loki schaute lange hinterher, auch als die Tür längst hinter Tony zugefallen war.

Chapter 18: Nacht

Chapter Text

Don schob das Smartphone auf den Tisch. Das Licht erlosch und ließ ihn in der Dämmerung der Terrasse zurück. Seine Nachbarin von schräg gegenüber hatte ihn zu ihrer Geburtstagsfeier in zwei Wochen eingeladen. Im Moment konnte sich Don nicht vorstellen, gute Laune auf einer Party zu verbreiten.

Er mochte sie und kam wunderbar mit ihr klar. Unter anderen Umständen hätte sich Don über die Einladung gefreut. Seit seiner Affäre mit Loki kam er sogar besser mit ihrem Ehemann zurecht. Der hatte Don in die Schublade „schwul“ einsortiert, was dessen Eifersucht deutlich reduziert hatte. Weil er die gewonnene Entspannung zwischen ihnen nicht wieder missen wollte, hatte Don ihn nicht korrigiert.

Der Tage wurden kürzer, auch der Spätsommer neigte sich dem Ende. Nachdem die Sonne hinter dem Horizont versunken war, war es spürbar frischer geworden. Don fröstelte. Selbst der Alkohol, den er sich zum Feierabend genehmigte, konnte ihn nicht vor der Kälte schützen.

Don hatte gehofft, sich mit Sean zu vertragen, nachdem Loki ihre Beziehung beendet hatte. Pustekuchen. Stattdessen hatten sich die beiden gezofft und es herrschte mehr oder weniger Funkstille. Kevin hatte ein paar Mal nach Loki gefragt. Don hatte ihm schlechte Ausreden untergejubelt. Sein Jüngster passte sich schnell an.

Die Terrassenbeleuchtung ging an.

„Don! Was sitzt du hier draußen im Dunkeln und brütest?“, sagte seine Mutter Liz, als sie zu ihm hinaus kam und ihm eine Decke um die Schultern legte.

„Ich genieße die frische Luft, antwortete Don lahm.

Liz setzte sich zu ihm an den Tisch, während sie über seinen Arm strich. „Schatz…“

Liz war alles andere als begeistert gewesen, als sie erfahren hatte, dass Loki der Auslöser für die Schlacht von New York gewesen war. Don hatte seine Rolle extrem heruntergespielt. Er wusste, dass Loki zu weit mehr fähig war und auf der Erde sehr viel Schaden angerichtet und Tote verursacht hatte, dennoch sah er in ihm nicht den Bösewicht. Loki war viel mehr.

Don glaubte, dass seine Mutter froh war, dass sein Experiment mit einem – genauer diesem Mann vorbei war.

„Ja, ich weiß, ich hätte mir die Corvette kaufen sollen statt mich mit einem charmanten, gutaussehenden Gott einzulassen. Ein neues Auto tut im Portemonnaie weh, aber nicht…“ Don seufzte. Er trank einen Schluck aus seinem Glas.

Er war dabei seine Gefühle zu verdrängen, sie beiseite zu schieben, um den Liebeskummer nicht an sich heranzulassen. Don liebte Loki immer noch blind, obwohl er ihn einfach abserviert hatte.

Verlassen zu werden war scheiße. Don fühlte sich genauso mies wie damals. Er hätte mehr kämpfen müssen, als er ihn das letzte Mal gesehen hatte. Rational wusste er, dass es keinen Sinn machte: Wenn Loki sich etwas in Kopf gesetzt hatte, dann war es ein Ding der Unmöglichkeit, ihn davon abbringen.

Liz versuchte ihn aufzuheitern: „Ich hoffe, du überspringst den Look des geschiedenen Mannes. Der Piratenschnurrbart steht niemanden. Und die ungepflegt langen Haaren.“

„Was ist ein Piratenschnurrbart?“

„Ein zotteliges Ding, das keine Frau anspricht.“ Nach kurzem Zögern fügte Liz hinzu: „Auch keinen Mann.“

Die ungepflegte Bart-Phase wollte Don lieber vergessen. „Meine Haare sind nur etwas länger. Knapp über die Ohren. Ich sehe gut aus!“

„Und was war mit dem Hut? Diesem Trilby?“ Liz legte den Cardigan enger um ihren Körper.

„Was war mit dem Hut?“, echote Don.

„Du glaubst, du wärst Humphrey Bogart, doch in Wirklichkeit warst du… ein drittklassiger Komparse.“ Liz sah ihn entschuldigend an.

„Jetzt fühle ich mich gesehen, aber auf eine schlechte Art und Weise.“

Liz lächelte und tätschelte seinen Arm. „Hauptsache du fängst nicht mit Tabakpfeifen und Mokassins an.“

„Dafür bin ich wirklich zu jung.“

Seine Mutter lachte laut. „Du kannst es beenden, bevor sich die Situation verschlimmert.“ Liz lächelte ihn gutmütig an. „Nimm dir Zeit für dich. Wann warst du das letzte Mal auf einem Jetski? Ich nehme die Jungs am Samstag und du genießt einen Tag auf dem Wasser. Wie hört sich das an?“

„Großartig“, heuchelte Don Begeisterung. Er lehnte sich nachdenklich zurück. Er verkaufte die Dinger, hatte aber immer weniger Zeit, selbst damit zu fahren.

„Sehr schön“, freute sich Liz, „Mach nicht mehr zu lange.“ Sie ging hinein.

„Ja, Mum“, rief Don ihr ironisch hinterher.

~~~

Lokis Besucher wechselten regelmäßig. Don war der einzige gewesen, der seine Zelle persönlich betreten hatte; alle anderen waren hinter Glas auf der sicheren Seite geblieben. Wenn Loki nicht danach war, ignorierte sie, als wären sie lediglich unwillkommene Gäste.

In dieser Nacht besuchte ihn wieder einmal Natasha Romanov.

Loki hob den Kopf und ließ seine Lektüre auf seinen Oberschenkel sinken. Er saß bequem, mit einem angewinkelten Bein auf seiner besseren Pritsche.

Loki trug Jeans und Sweatshirt in gedeckten Farben. Eigentlich hätte er die Wechselkleidung verschmähen müssen. Loki kommunizierte seine soziale Klasse und sein Gefühl der Überlegenheit durch seine Kleidung. Seine Gewand war Schutz für sein zerbrechliches Selbstverständnis. In der alltäglichen Kleidung sah er fast gewöhnlich aus. Nur seine Haltung sowie seine Zungenfertigkeit zeugten von Lokis Herkunft.

Natasha musterte ihn. Sie fragte sich, ob das Dons Einfluss war. Mit seiner Zurschaustellung der höheren Gesellschaft hielt er Menschen auf Distanz. Loki war ein komplizierter Typ, aber Natasha glaubte, ihn durchdringen zu können.

Loki erhob sich und schlenderte elegant langsam zur Glaswand, die sie trennte.

„Sehr bedauerlich. Offenbar war ich nicht die erste Wahl“, kommentierte er.

Loki schloss ihr nicht unähnlich von Natashas Kleiderwahl auf ihre abendliche Beschäftigung: Die rothaarige Frau trug ein sinnliches, schwarzes Cocktailkleid, dazu Stilettos. Ihre frisierten Locken hingen teilweise zerzaust herab. Ihr Mascara war verschmiert und von ihrem Lippenstift waren nur noch Spuren zu erahnen.

„Tatsächlich bist du heute dritte Wahl.“ Natasha schenkte ihm ein kleines, bezauberndes Lächeln.

Loki schnalzte beleidigt mit der Zunge. Das hielt ihn jedoch nicht davon ab, ebenfalls keck zu lächeln.

Bei ihrer ersten Begegnung hatte er ihre Fähigkeiten und ihr professionelles Pokerface unterschätzt. Natasha hatte ihm Schwäche und Schuldgefühlen aufgrund ihrer Vergangenheit geschauspielert – und war es ihr (scheinbar) gelungen, ihm seinen Plan zu entlocken. Loki hatte jedoch immer vorgehabt, die Avengers einzuweihen, um seinen Triumph auszukosten – weil er sich für überlegen hielt.

„Dennoch bist du jetzt hier…“ Loki grinste siegessicher.

„Der Abend ist bis jetzt überraschend befriedigend verlaufen“, weihte Natasha ihn ein, „Ich hatte ein wundervolles Gespräch mit einem einfühlsamen, klugen Mann.“

„Erstaunlich. Stark und Clint können wir von der Liste streichen.“

Natasha lachte belustigt auf.

Loki neigte den Kopf. Er fragte zweifelnd: „Rogers?“

„Ich habe mit Don telefoniert“, verriet Natasha. Sie überwachten seine elektronischen Spuren. Natasha hatte gesehen, dass Don wach war und im Internet surfte. Sie hatte ihn schon mehrfach angerufen, aber bis dato hatte sich der Mann aus Cleveland zugeknöpft gegeben. Heute Nacht hatte sie Glück. Alkohol hatte seine Zunge gelockert.

Natasha sah in Don den Schlüssel zu Loki. Dieses ungewöhnliche Paar übte eine besondere Faszination auf sie aus.

Loki hob sein arrogantes Kinn, als könnten Natashas Worte ihm nichts anhaben. „Don hat kaum deine Haare zerwühlt und deine Lippenfarbe geraubt.“

„Das nicht“, erwiderte Natasha. „Meine Unabhängigkeit hat oberste Priorität.“

„Keine romantische Erfüllung in Sicht?“, zog Loki sie auf.

„Mein Job ist mein Lebensmittelpunkt.“ Natasha blickte ihn unverwandt an.

„Professionell erfüllt…“, sagte Loki gehaltvoll.

„Don ist echt liebenswert. Mit ihm kann man Pferde stehlen“, wisperte Natasha einen Hauch neidisch klingend, „Auch wenn er über dich redet, erhebt er nicht die Stimme oder gibt wütende oder verletzende Antworten. Don weigert sich, bei deinem brüsken Drama mitzuspielen.“

Lokis Lächeln wurde angespannter, schwerer aufrecht zu erhalten. „Hast du ihn nicht genug gelangweilt?“

„Du bist auf seinen Gefühle herumgetrampelt.“

„Ein paar Monate und er hat mich vergessen.“ Loki ging ein paar Schritte, um ihr nicht ins Gesicht zu schauen, während er sprach. Er hatte es aktiv vermieden, über Don nachzudenken. Es war beängstigend, jemanden an sich heranzulassen, besonders jemanden, der sich um einen sorgte und einen mochte.

Natasha nickte, als wäre es eine vernünftige Erwiderung: „Du wolltest ihm einen Gefallen tun, indem ihm keine Wahl gelassen hast. Don hat hinter deine Maske gesehen. Er weiß, wer du bist. Hast du Angst, dass er zu viel gesehen hat?“

Lokis Gesicht verfinsterte sich. „Und wer bin ich? Der Schurke in diesem Theaterstück?“

„Du hattest alles. Ein mächtiges Zuhause. Einen Vater, eine Mutter, einen Bruder, eine Heimat. Warum wolltest du noch mehr, Loki?“ Natasha hatte über Lokis Motive nachgedacht. Ihr fehlten ein paar Puzzleteile. Im Lichte ihrer neusten Erkenntnisse kam ihr die Zerstörung von NYC wie ein Mischung aus schlechtem Schabernack und überstürzten Weltherrschaftsfantasien vor. Manchmal wirkte Loki auf sie wie ein verzogenes Kätzchen, das gekränkt seine Krallen ausfuhr.

„Du verstehst so wenig von Macht, schwarze Witwe. Macht ist kein Besitz, sondern Prüfung. Wer sie will, muss sich immer wieder neu beweisen“, erwiderte Loki kühl.

„Beweisen? Wem? Odin? Thor? Oder dir selbst?“

Loki wirkte leicht genervt, reagierte dennoch beherrscht: „In Asgard wächst man mit Geschichten vom Ruhm des Königs, von Schlachten, von Kriegern und von Heldentaten auf. Man lernt, dass der Thron das Ziel ist – aber nie, wie es ist, Zweiter zu sein.“

Natasha deutete ein Nicken an. „Also war Odin nie einfach nur ein Vater für dich. Sondern Kampfrichter und Erschaffer“

„Ziehvater“, korrigierte Loki abfällig schnaubend.

„Und Thor – er war nicht nur dein Bruder, Adoptivbruder, sondern auch Rivale.“ Don hatte etwas über den Wettbewerb und Konkurrenzdenken zwischen den Geschwistern gesagt. Loki strebte nicht nur danach, besser als sein Bruder zu sein, sondern hatte auch den Thron als Beweis seiner Würdigkeit begehrt.

„Rede mit Thor über goldene Kindheiten, wenn dich derartiges interessiert.“

„Du hattest den Eindruck, dass Odin nie zufrieden war, egal, wie du dich bemüht hast“, schlussfolgerte Natasha.

„Sei vorsichtig, was du sagst. Ich habe wenig Geduld für Dilettantenpsychologie“, zischte Loki eiskalt.

„Hättest du die Erde erobert und wärst ihr König geworden, hätte dich das wirklich zufriedengestellt? Oder hättest du dir immer noch seine Zustimmung und Bewunderung gewünscht?“

Loki fuhr sie an: „Sei still!“ Seine Stimme hallte. Seine Fassade bröckelte.

Natasha blickte ihm gelassen an: „Du greifst nach der Krone, weil du weißt, dass du nie wirklich bekommen wirst, was du willst. Hat er dich je geliebt, Loki?“ Flüsternd fügte sie hinzu: „Diese Frage tut am meisten weh, nicht wahr?“

Loki schnaubte wütend. „Du weißt gar nichts.“ Seine Stimme bebte vor Zorn und Hilflosigkeit.

„Du glaubst selbst nicht daran, einen Mann wie Don zu verdienen, nicht wahr?“

Loki ballte seine Hände zu Fäusten. Er starrte sie wütend an – in seinen Augen Wut, Schmerz, Scham – und unterdrückte eine impulsive Beschimpfung. Er war ein chronischer Grübler, um am Ende doch eine dumme, impulsive Entscheidung zu treffen, wodurch sich die Situation für ihn meist verschlimmerte.

Die Angst, nicht genug zu sein, nicht liebenswert zu, hatte einen wachsenden Keil in seine Beziehung mit Don getrieben. Wie mit einem Spaltkeil hatte Loki endgültig den Trennung herbeigeführt.

Natasha hatte genau die wunden Punkte getroffen, die er jahrelang, jahrhundertelang verdrängt hatte.

„Was willst du hören?“, brachte Loki gepresst hervor.

„Die Wahrheit.“

Die Wahrheit, vor Loki sich selbst versteckte.

„Du bist nicht mein Priester.“

Natasha antwortete an seiner statt: „Die Wahrheit ist, dass für dich Don das einzig Gute auf der Erde war – und du hast es einfach weggeworfen.“

Loki schwieg.

Er hatte Don verloren. Er hatte ihn wirklich gehen lassen. Hatte ihn aus Angst und Stolz fortgejagt.

Loki spürte, wie ein Strudel aus Wut, Scham und Ohnmacht ihn zu übermannen drohte. Verdrängte Gefühle der Wertlosigkeit und Einsamkeit stachen durch und kamen an die Oberfläche wie ein Schneesturm, der blind machte.

Natasha ließ ihn stehen, drehte sich um und ging zum Tür. Sie hatte ihm genug zu denken gegeben.

Die Luft im Raum wurde plötzlich kälter. Natashas Atem kam als weiße Wolke aus ihrem Mund. Überrascht wirbelte sie herum. Frostblumen wuchsen über die Glaswände. Loki legte seine Hand an die Zellentür. Unter seiner Berührung gefror das Metall. Es dauerte nicht lange, bis das Material so kalt war, dass es wie verwittertes Gestein zerbrach.

Loki stieß einen gewaltigen, animalischen Schrei aus. Es sind keine Worte, nur purer Schmerz und Verzweiflung, die sich in einem unkontrollierten, donnernden Brüllen entluden.

Natasha wich erschrocken zurück. Eisige Kälte hatte den Raum erfasst.

Und dann, so abrupt wie der Ausbruch gekommen war, verwandelte sich Lokis Schmerz in Kummer. Seine Schultern sanken herab. Tränen rannen über sein bleiches Gesicht. Loki zitterte schwer atmend. Zurück blieb ein zutiefst verletzter Mann.

Loki rang mit sich, bevor er wieder Fassung gewann. Mit forschen Schritten marschierte er an Natasha vorbei und zerstörte weitere Türen auf dem Weg. Er war schon weit mit dem Fahrstuhl nach unten gefahren, als J.A.R.V.I.S. stoppte ihn. Wütend öffnete Loki die Fahrstuhltüren und ging ins Treppenhaus.

In der Lobby angekommen erwarteten ihn mehrere Sicherheitskräfte.

Loki lächelte ihnen maliziös entgegen. Mit einem Handstreich formte er aus der Luft einen scharfen, kristallklaren Dolch aus Eis und hob ihn demonstrativ an.

„Zurück“, zischte er mit einer Autorität, die die Männer dazu brachte, instinktiv zu zögern.

Einer der Wachleute feuerte eine Projektilwaffe ab und die anderen folgten. Die Geschosse schnellten in Lokis Richtung. Instinktiv bildete sich eine eisige Barriere vor ihm, die die Kugeln abfing und sie in einer Wolke aus Eis und Splittern sprengte.

Ein Lächeln umspielte Lokis Lippen.

Selbst ein hochmodernes Gebäude wie der Stark Tower war anfällig.

Ein kalter Wind blies durch das Belüftungssystem. Der Frost kroch in die Schächte. Bald begann das Metall zu knirschen. Die extrem niedrigen Temperaturen brachten die Elektronik an ihre Grenzen. Kurz darauf ging das Licht aus – ein wunderbares Chaos, das Lokis Handschrift trug.

Durch einem eisigen Schneewirbel in der Lobby verschwand in Loki im Tohuwabohu nach draußen in die Nacht.

~~~

Don öffnete leise Kevins Zimmertür. Im Schein des Flurbeleuchtung sah er den Jungen in seinem Bett schlummern. Beruhigt schloss er die Tür geräuschlos wieder.

Kevins Oma hatte ihn zu Bett gebracht. Don fühlte ein drückendes schlechtes Gewissen, weil er wieder zu viel getrunken hatte. In seiner Hilflosigkeit hatte er einer fremden Frau, seine Gefühle und Sorgen anvertraut, obwohl er es eigentlich nicht hatte tun wollen. Er schämte sich dafür. Nur schwache Männer betäubten sich mit Alkohol. Und nun ist er einer von ihnen. Ein bitterer Gedanke machte sich breit: Er gehörte jetzt zu jenen, die sich der eigenen Traurigkeit nicht stellten, sondern ihr entkommen wollten – und erkannte sich selbst kaum wieder.

Das Gefühl, schwach zu sein, nagte an Don. Die Einsicht, dass er gegen die eigenen Prinzipien verstoßen und genau das getan hatte, für was er andere immer verurteilt hatte, verstärkte seine Verzweiflung.

Unter Seans Tür kam ein Streifen Licht hervor. Don klopfte, bevor er nach einem grummeligen „Ja“ eintrat. Sean lag seitlich auf seinem Bett, ein geöffnetes Buch vor sich. Beide wussten, dass er sein Smartphone darunter versteckte.

„Es ist schon spät. Du solltest schlafen, Sean“, mahnte Don. Er blieb im Türrahmen stehen und hielt bewusst Abstand in der Hoffnung, dass weder sein schwankender Gang noch der Alkoholgeruch den Jungen erreichten.

Die letzten Tage hatte sich die Stimmung gebessert, war neutraler geworden. Sean hatte vermehrt seine Freizeit außer Haus mit Gleichaltrigen verbracht. Zuhause hatte er sich meist gereizt oder schweigsam gezeigt.

„Du auch“, erwiderte Sean patzig. Er reagierte, wie ältere Kinder oft reagierten: mit Widerstand und einem Anflug von Verurteilung.

Don nickte. „Ja, du hast recht. Ich sollte schlafen.“ Er wollte schon gehen, als Sean ihn ansprach.

„Dad?“

„Ja?“

„Hast du… Ist Loki...? Hast du etwas von ihm gehört?“, fragte Sean vorsichtig. Er setzte sich im Bett auf.

Don betrachtete ihn. Bis jetzt hatten sie das Thema Loki unter den Teppich gekehrt. Seans Gesichtsausdruck war unlesbar. Don ging zum Bett hinüber, zögerte einen Augenblick, bevor sich er sich ans Bettende setzte. Er wollte nicht, dass sein Ältester den Alkohol roch.

Sean fügte hinzu: „Die Avengers haben ihn doch verhaftet. Wie… wie geht’s Loki?“

Vor ein paar Tagen hatte er Vater weinen gehört. Sean war verunsichert stehen geblieben und hatte gelauscht. Don hatte ihn nicht bemerkt. Sean konnte sich nicht erinnern, seinen Vater je weinen gesehen zu haben. Wenn er ehrlich war, lag das Verschwinden seiner Mutter auch schon zu lange zurück. Sean konnte sich kaum noch an eine Mutter erinnern, wenn er sie nicht auf Fotos sah. Sie war ihm merkwürdig fremd geworden.

Überfordert von den Gefühlen seines Vaters hatte sich Sean zurückgezogen.

„Ich weiß es nicht. Ich habe ihn nicht mehr gesprochen seit…“ Don verstummte.

„Er ist… Ich…“ Sean biss sich auf die Unterlippe.

Ein Junge aus der Klassenstufe liebte Pferdereiten abgöttisch. Die ganze Schule zerriss sich das Maul über ihn, er sei schwul. Sean wollte nicht, dass sein Vater zum Gesprächsthema Nummer Eins und dass Sean selbst zur Zielscheibe von Tratsch und Gespött wurde. Er konnte mit Homosexualität nichts anfangen. Das war nicht sein Ding. Trotzdem konnte Sean es akzeptieren, wenn es seinen Vater glücklich machte.

„Du musst nichts sagen“, beruhigte Don, „Ich bin traurig, weil Loki nicht mehr hier ist.“ Er hatte sich geschworen, immer offen mit ihnen zu reden, auch wenn das manchmal leichter gesagt, als getan war. „Das Leben hat sich mit ihm leichter angefühlt. Ich hatte viel Spaß mit seinen Abenteuern und seinem Unfug. Er ist ein kleiner Provokateur, der Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen will.“ Don erinnerte sich mit einem zarten Schmunzeln als Lokis süßes Schmollen.

„Du vermisst ihn“, stellte Sean fest, ohne seinen Vater anzusehen.

„Ja.“

Sean konnte nur schwer mit der Vorstellung anfreunden, dass sein Vater jemanden Neues und dann zu noch einen Mann gefunden hatte. Über Jahre hatte er gehofft, seine leibliche Mutter würde irgendwann einfach wieder auftauchen – genauso wie sie verschwunden war.

Doch die Realität war anders. Sean musste lernen, damit umzugehen. Er wusste, dass sein Vater das Beste für sie beide wollte und dass er jemanden an seiner Seite brauchte. Dass Don einsam war.

„Es ist alles so schnell passiert“, gestand Don, „Loki ist einfach durch mein, unser Leben gewirbelt. Ich hätte auch nie gedacht, dass…“ ...ich mich einfach verliebe, fügte er im Stillen hinzu.

„Weißt du, er war schon… okay.“

Don lächelte. Ein Ausdruck der Erleichterung zeigte sich auf seinem Gesicht. „Das bedeutet mir viel.“

Für einen Moment saßen sie schweigend da.

„Es…“ ... tut mir leid, ich bin ein schlechter Dad, dachte Don niedergeschlagen und alkoholisiert, während sein Sohn versuchte, auf ihn zuzugehen. „Du… wir sollten jetzt wirklich schlafen.“

~~~

Loki hatte sich einige hundert Meter vom Tower entfernt. Er blieb vor einem Schaufenster stehen. In der matten, dunklen Spiegelung wirkten seine schwarzen Haare besonders zerzaust. Loki glättete seine Frisur und strich eine wilde Locke hinter sein rechtes Ohr. In Tony Starks gewöhnlichem Gewand war er einer von vielen. Eine unbedeutende Ameise – und nicht mehr der Stiefel.

Als er sich umdrehte, sah er, dass der Stark Tower ein dunkler Fleck in mitten der nächtlichen, belebten Metropole war. Zu seinem Bedauern fühlte Loki keinen Triumph beim Anblick.

Verloren stand er da, während er seinen Blick schweifen ließ. Niemand beachtete ihn. Loki war unbedeutend. Wer war er ohne Magie, ohne Status und ohne Heimat?

Ganz unbemerkt hatte Loki seine Fähigkeiten als Eisriese angenommen. Mit der Zeit war sein Verlangen, Magie zu benutzen, weniger geworden. Und dann gab es wieder Momente, an denen er den Verlust schmerzlich spürte und sich nackt und bloßgestellt fühlte, als hätte man ihm seine rechte Hand amputiert.

Manchmal war es auch nur die Stimme sein Mutter – Adoptivmutter, die er plötzlich stark vermisste.

Natashas Worte hatten ihn mehr ausgelaugt, als dem Stark Tower seinen Glanz zu stehlen. Loki fühlte sich erschöpft und verletzlich.

Loki hatte ihre Vernehmungen genossen. Sie hatte ihn intellektuell gereizt, ihn herausgefordert.

Natasha hatte ihm zwar Coulsons Tod angelastet, hatte es ihm jedoch nicht nachgetragen. Sie hatte das Risiko, dass Agenten sterben, als Teil des Berufs akzeptiert, andererseits war es immer schmerzhaft, wenn es jemanden wie Coulson traf, den sie gut gekannt hatte. Schwerwiegender waren die toten Menschen, die gar nicht wussten, wie ihnen geschah. Erstaunlicherweise hatte sie den Avengers einen Anteil an der Zerstörung zugestanden.

Natasha wusste, wer sie war. Im Gegensatz zu Loki.

Vielleicht würde Loki Thor eines Tages erzählen, was Odin vor seinem Fall von der Regenbogenbrücke zu ihm gesagt hatte. Was Thanos danach getan und nicht getan hatte.

Oder auch nicht.

Was wollte er? Loki kaute auf seiner Lippe und versuchte, sein Gehirn in Gang zu bringen. Er schluckte und schloss für einen Moment die Augen, um den Gedanken zu formen.

Midgard hatte ihm die ungeahnte Freiheit, ein Niemand zu sein, geschenkt.

Doch mit dieser Freiheit kam auch die Bürde der Einsamkeit, die ihn innerlich zerriss. Er wusste nicht, wohin er gehörte. Die ständige Suche nach Identität lastete schwer auf ihm. In den Straßen New Yorks fühlte er sich zugleich unsichtbar und überwältigt von der Fülle der Eindrücke, die ihn umgaben.

Loki sehnte sich nach einem Ort, an dem er akzeptiert wurde, so wie er war.

Er atmete tief ein und spürte die kühle Nachtluft in seinen Lungen. Loki entschloss sich, dorthin zu gehen, wo er sein irdisches Hab und Gut gelassen hatte. Durch die Kinder Sean und Kevin hatte er das Bahnfahren kennen gelernt. Es dauerte nicht lange, den nächsten Abstieg zur U-Bahn zu finden, nur um dann zu lernen, dass die nächste Möglichkeit, nach Cleveland zu kommen, ein Greyhound Bus war.

Wie zuvor setzte Loki Schmuck in Bargeld um, damit er sich ein Busticket kaufen konnte. Während er wartete, beobachtete er die Menschen, die seinen Weg kreuzten: Da waren die Nachtschwärmer, die traurigen und die undurchsichtigen Gestalten. Er sich fragte, welche Geschichten sich hinter den Gesichtern dieser Menschen verbargen.

Die Nacht war kühl, und der Wind trug die Geräusche der Stadt als gedämpftes Murmeln mit sich. Lokis Gedanken schweiften zu Don. Der Mann war ein ganz normaler Typ. Seine Aufrichtigkeit und Integrität waren etwas, das Loki nicht gewohnt war. Don verstand ihn wie kein anderer. Wenn er ehrlich war, hatte es ihm den Boden unter den Füßen weggezogen.

Sein Bus kam mit einem leisen Zischen zum Stillstand. Die Passagiere begannen, sich in einer geordneten Schlange zu sammeln.

Im Inneren des Busses suchte Loki einen Platz am Fenster, um die vorbeiziehende Landschaft beobachten zu können. Als der Bus schließlich losfuhr, lehnte er sich zurück und ließ seine Gedanken mit dem rhythmischen Ruckeln des Gefährts treiben. Die Lichter der Stadt verblassten langsam. Müdigkeit erfasste ihn. Die monotone Geräuschkulisse und die gleichförmige Bewegung des Busses ließen ihn schnell einschlafen.

Chapter 19: Subjektive Wahrheit

Chapter Text

Don runzelte die Stirn über die unbekannte Nummer auf dem Display, ehe er zögernd den Anruf entgegennahm. Nicholas, der Hotelrezeptionist, meldete sich. Don hatte ihm seine Telefonnummer gegeben. Er hatte längst nicht mehr damit gerechnet, diesen Anruf zu erhalten, doch Loki war zurück in der Stadt.

Don entschuldigte sich bei seinem Mitarbeiter. Der Tag war erfolgreich verlaufen. Er hatte zuletzt vier Automatik-Schwimmwesten an Segler verkauft, was ihm erlaubte, beruhigt früher Feierabend zu machen.

Er wollte am liebsten sofort losfahren. Aber vorher musste er sich sammeln und einen Plan machen.

Im Büro blickte Don auf seine Kleidung herab. Die hellbeige Outdoorkleidung, kombiniert mit der türkisfarbenen Softshell-Weste, war zwar ideal für den Job, wirkte jedoch außerhalb des Büros deplatziert. Im Spind bewahrte er ein schickeres Outfit auf – für den Fall, dass er ein Schultheaterstück vergessen hatte.

Mit weißem Hemd, navyfarbener Stoffhose und passenden Schuhen musterte Don sich im Spiegel. Mit den Fingern fuhr er durch das inzwischen relativ lange Haar: Es fiel locker über die Ohren, reichte im Nacken bis zu den Schultern und teilte sich in einem natürlichen Seitenscheitel. Die leichte Bewegung darin gefiel ihm. Seine Mutter jedoch sah darin die Gefahr, er könnte sich gehen lassen. In seinen Augen waren die Haare das geringste seiner Probleme.

Jetzt hätte Loki etwas zum Anfassen, wenn Don vor ihm kniete und ihn verwöhnte.

Don fühlte sein Verlangen aufflammen. Er öffnete das Hemd um einen Knopf. Ein Hauch Brusthaar kam zum Vorschein, das bereits weiß-grau war.

Er fragte sich, ob er Loki verführen konnte. Eigentlich war Loki der Charmeur, dem er zu Füßen lag. Wollte Don ihn überhaupt verführen? Er zog die Stirn kraus. Don war nicht auf dem Weg zu einem Rendenzvous, sondern zu einer Konfrontation. Sein Herzschmerz schlug in Wut um, sobald er daran dachte, wie Loki ihn abserviert hatte. Die letzen Wochen hatten er abends, sobald die Arbeit des Tages erledigt war, brütend oder betrunken verbracht.

Don griff nach seinem Schlüsselbund und nahm sich vor, auf der Fahrt zum Hotel an einem Plan zu feilen.

Er wusste, dass Loki ihm Dinge vorenthielt und ihn sogar anlog. Seine Lügen waren meistens für Don durchschaubar. Die Alpträume waren ihm nicht verborgen geblieben, doch er war sich sicher: Loki musste von sich aus auf ihn zugehen, denn freiwillig würde er nicht mit der Wahrheit herausrücken.

Nach außen hin war Loki stets der charmante Strahlemann, doch hinter der Fassade lauerte ein tief verwurzelter Minderwertigkeitskomplex. Don wollte ihm unbedingt helfen. Ein Freund meinte einmal, er hätte eine Schwäche für kaputte Dinge.

Im Hotel angekommen rauschte er direkt am attraktiven Rezeptionsmitarbeiter vorbei, den er insgeheim als Rivalen betrachtete. Als Don mit dem Fahrstuhl nach oben fuhr, pochte sein Herz in der Brust. Noch hatte er keinen Idee, wie er Loki konfrontieren sollte. Vorwürfe schienen keine Option, doch Süßholzgeraspel kam für ihn ebenfalls nicht infrage. Er brauchte einen Mittelweg, der wie ein Angebot zur Versöhnung wirkte, dafür musste er seine Trauer und Wut zumindest für den Moment runterschlucken.

Don atmete vor der Zimmertür tief durch und versuchte die aufgewühlten Gefühle in sich zu beruhigen, bevor er anklopfte. Die Erinnerung an sein Lächeln vermischte sich schmerzhaft mit dem bitteren Gefühl, sitzen gelassen worden zu sein.

Lokis Anblick raubte ihm den Atem: Er sah makellos aus, als wäre er frisch aus dem Ei geschlüpft. Als hätte er nie auch nur einen Moment um ihn getrauert.

Sein schwarzer Ledermantel mit auffälligen grünen Stoffeinsätzen und detaillierten metallisch wirkenden Verzierungen an den Schultern und Ärmeln stand ihm hervorragend. Darunter trug er ein Seidenhemd in Grün, das seine Augenfarbe zum Glänzen brachte. Die Hosen waren schlicht, dazu knöchelhohe Stiefel mit dezenten Schnallen. Eine goldene Kette mit mythischen Anhänger sowie passende Ringe vollendeten den Look.

„Don.“

Don schluckte. Seine Stimme klang so vertraut, glitt wie ein warmes Messer durch Butter. Nur dieses eine Wort, mehr brauchte es nicht.

„Du siehst sehr gut aus.“ Don fand seine Stimme wieder.

Loki wollte ihm das gleiche sagen, behielt es aber für sich. Don hatte sich für ihn herausgeputzt. Er sah ihn mit einem Ausdruck an, der gleichzeitig verletzlich und entschlossen war, bevor er ihn mit einer Handgeste eintreten ließ und die Tür hinter ihm schloss.

„Ich kann vor dir nicht weglaufen.“ Ein fast wehmütiges Lächeln umspielte Lokis Lippen. Wie hatte Loki diese verwegene Nase vermisst. Auch die Bartstoppeln gaben ihm etwas Tollkühnes. Loki versuchte, seine Gefühle zu abwehren. Und die längeren Haare.

Er hatte Don für seine Intelligenz und seine Einsicht respektieren gelernt und genau das machte es ihm umso schwerer, ihn loszulassen.

Wie Loki sich umdrehte, sah er plötzlich alle Dinge, die er auf Midgard schätzen gelernt hatte, in seiner Suite vor sich vereint: Etliche Bücher, mehr oder weniger sinnvoll, viele Utensilien und potentiell magische Objekte, neue Garderobe und in der Mitte Don. Wehmut durchströmte ihn, nach etwas, von dem er sich verabschieden wollte, musste.

„Du bist zurückgekommen“, bemerkte Don vorsichtig. Loki wirkte unwiderstehlich eigenständig, fast unnahbar. Don wollte hören, wie sehr er ihn vermisst hatte, doch er wusste bereits jetzt, dass er darauf lange warten konnte.

„Alles ist hier.“ Loki machte eine Handgeste, die Don mit einzuschließen schien.

Don ließ den Blick durch den Raum schweifen. Sie hatten hier viel gemeinsame Zeit verbracht. Zu viele Erinnerungen drängten sich ihm auf. Alles kam wieder hoch – das Schöne wie das Schmerzliche. „Bei unserer letzten Begegnung hast du mich als spießig und langweilig verspottet.“

„Ja, das habe ich getan“, erwiderte Loki mit kühler Distanz.

„Ich kann damit leben, als langweilig betitelt zu werden. Wahrscheinlich bin ich’s. Deshalb habe ich mich ja in Wildfang wie dich verliebt. Ich dachte, ich könnte dir Halt geben, ein bisschen Bodenhaftung. Aber du… du hast uns nie eine Chance gelassen. Ich war nur… Ja, was? Ein Kleidungsstück, das man anprobiert, ein paar Tage darin herumläuft, und es dann wieder zurückgibt, als… als wäre ich nicht gut genug.“ Ein gepeinigtes Lächeln zuckte über seine Lippen. Er rang nach Fassung. „Das hat verdammt wehgetan.“

„Don…“ Lokis Stimme klang wie ein gequälter Versuch zur Erwiderung.

„Hast du… über uns nachgedacht?“ Don musste es wissen.

„Man denkt an vieles, aber manchmal helfen Gedanken nicht weiter.“ Loki sah ihn nicht an. Am liebsten wäre er weggelaufen, doch noch viel mehr sehnte er sich danach, in seine Arme zu fallen.

Don lachte leise auf. Vielleicht war nicht alles verloren. Eine klare Abweisung war anders. „Ja, manchmal muss man einfach tun.“ Inspiriert von Lokis Impulsivität schloss er die Distanz zu ihm. Seine Finger legten sich sanft an Lokis Kiefer und zwangen ihn, ihn anzusehen. Ein Knistern erfüllte die Luft: der aufgeladene Moment kurz vor dem Kuss.

Loki spürte, wie sein Herz schneller schlug. Einen Herzschlag lang schien die Zeit stillzustehen, dann noch einen. Die Luft zwischen ihnen spannte sich wie ein fein gesponnenes Netz, dicht und zugleich zerbrechlich. Sollte er nachgeben und sein Verlangen eingestehen? Nur ein Kuss, eine Nacht, bevor er sich heimlich für davonschlich?

Er war nicht bereit, Don bis ins Letzte seiner Seele einzuweihen. Die Vorstellung, Don ganz an sich heranzulassen, ließ ihn zurückschrecken. Loki fürchtete, seine Tränen zu teilen und sich zu offenbaren. Dazu war er nicht fähig.

Ein Kampf tobte in ihm, zwischen Sehnsucht und der Angst, zerstört zu werden.

Loki wandte sich ab und wich seinem Blick aus.

Dons Herz sank tief. Diese Abfuhr traf ihn noch schärfer als die letzte. „Ah ja,“, sagte Don laut, seine Stimme ein schwaches, hässliches Krächzen. „Du bist wahrlich besser darin geworden, ein Eisriese zu sein.“

Loki zog scharf die Luft ein, als hätte ihn ein unsichtbarer Schlag mit Thors Hammer getroffen. Da war sie wieder, seine Identitätskrise mitten in seine Weichteile. Er war ein Eisriese. Als Loki herausgefunden hatte, dass er selbst eines dieser Monster war, hatte es ihn gebrochen. Selbst davor hatte Loki durch seine tiefempfundene Andersartigkeit, seine magisches Bestreben ein einsames Umfeld erschaffen, das sein Potenzial für Güte durch Jahrhunderte des Grolls, der Verbitterung und der Eifersucht verschüttet hatte.

„Wie war New York?“, setzte Don bitter nach.

Ein kaltes Schweigen legte sich über den Raum, während beide spürten, dass die richtigen Vorwürfe knapp unter der Oberfläche wie ein Ungeheuer im Dunkeln lauerten.

Für einen kurzen Augenblick schoss der Impuls in Loki hoch, Don eine Ohrfeige zu verpassen, die es in sich gehabt hätte. Doch stattdessen biss er sich auf die Lippe und drehte sich langsam wieder zu ihm um, die kalte Fassade fester als je zuvor.

„Fabulös. Aufregende Stadt, die niemals schläft, wie man auf Midgard sagt.“ Loki lächelte böse auf seinen Ausbruch angesprochen.

„Steht der Stark Tower noch? Was ist passiert?“, fragte Don ebenso bissig.

„Hast du keine Nachrichten verfolgt? Ihr Menschen seid dort stets überall an euren großen und kleinen Geräten“, antwortete Loki schnippisch, innerlich überzeugt, Don würde nur das Schlechteste von ihm glauben – nämlich dass er genau das zu Ende gebracht hatte, womit er begonnen hatte.

Don kam näher, seine Augen blitzten gefährlich. „Weißt du eigentlich, wie lange ich versucht habe, dich zu verstehen? Wie oft ich dabei gegen eine Mauer aus Kälte gelaufen bin?“ Seine Stimme war kaum mehr als ein schneidendes Flüstern. „Aber nein, du bist lieber der verzogene, unnahbare Eisprinz, die sich hinter Fassaden versteckt, statt jemandem zu vertrauen.“

„Zumindest kannst du dir sicher sein, dass ich ein Prinz bin — auch wenn dir das nicht gefällt.“ Lokis Stimme klang spitz, als wolle er provoziere.

„Oh, das weiß ich nur zu genau,“ spottete Don und verzog leicht das Gesicht. „Du benimmst dich schließlich auch wie einer: eingebildet und unantastbar.“

„Ich danke dir aufs Höchste.“ Loki fixierte ihn mit einem durchdringenden Blick, aus dem scharfer Trotz funkelte, während er einen ironischen Hofknicks andeutete.

„Loki…“ Don seufzte. Er wusste, dass er sich provozieren und narren ließ. Tief verletzt riss diese Begegnung all seine alten Wunden auf, ohne auch nur einen Funken Trost zu spenden. Jegliches Aufbäumen, jede Emotion verrauchte augenblicklich, als ihm klar wurde, dass Loki ihn wieder von sich stieß – ohne Aussicht auf eine zweite Chance. Mit Schmerz in der Brust hatte er sich zu seinen verletzenden Worten hinreißen lassen und nun durchzog ihn die Reue.

Loki sah die Veränderung in seinen Augen und gerade das machte ihn noch wütender. Ganz irrational hatte Loki das Gefühl, dass Don ihn fallen ließ, obwohl er es selbst war, der den Abstand geschaffen hatte.

Für einen Augenblick verlor Loki die Kontrolle, hob beide Hände und stieß ihn gegen die Brust. Obwohl er gegen seinen Bruder viel härter vorgegangen wäre, war es noch immer zu kraftvoll für einen Menschen.

Don taumelte zurück, wankend, weil er keinen festen Stand hatte und nicht damit gerechnet hatte, dass es handgreiflich werden würde. Mit den Beinen streifte er den Couchtisch, der ihn endgültig aus dem Gleichgewicht brachte. Mit voller Wucht prallte mit dem Rücken voran auf das Glas, wobei sein Kopf unglücklich an der Kante aufschlug.

Sofort begann die Wunde am Kopf stark zu bluten. Die Kopfhaut war empfindlich und das Blut strömte nur so hervor. Der Schmerz und der Schock waren so heftig, dass ihm schwarz vor Augen wurde. Schließlich verlor Don das Bewusstsein, als sein Körper schlaff zu Boden sank.

Loki war sofort bei ihm, kniete neben ihm auf dem Boden und murmelte um Verzeihung bittend. Nie er hatte vorgehabt, ihm ernsthaft wehzutun. In seiner Rage hatte Loki vergessen, dass er es mit einem fragilen Menschen zu tun hatte.

Blut sickerte zwischen seine Finger, als er behutsam Dons Hinterkopf berührte. Erschrocken starrte er auf das dunkle Rot, das sich rasch ausbreitete und auf den Teppich tropfte.

„Don! Don!“ Immer wieder rief Loki mit bebender Stimme seinen Namen, aber der Angesprochene rührte sich nicht. Panik stieg in ihm auf. Hektisch stand er auf, als er merkte, dass nichts zu machen war. Hilflos realisierte er, dass er schnell handeln musste.

Irgendwo hatte Loki noch eine Phiole mit der Heiltinktur. Er fand sie in der Schublade seines Schreibtisches, doch der Inhalt war fast aufgebraucht. Loki stürzte zu Don und hob sorgsam dessen Kopf an. Er strich die Haare zur Seite und ließ die Flüssigkeit vorsichtig auf die verletzte Kopfhaut perlen, bedacht, nichts zu vergeuden. Zu Lokis großen Erleichterung begann sich die Wunde zu schließen.

„Don? Hörst du mich?“, wisperte Loki atemlos.

Doch Don rührte sich nicht. Er lag weiterhin bewusstlos da. Loki beugte sich hinab, suchte nach seinem Atem, spürte die schwache Brustbewegung.

Loki schob seine Arme unter den reglosen Körper, hob Don an und legte ihn behutsam auf dem Bett. Vorsichtig zog er die Bettdecke unter den Beinen heraus und entfernte Dons Schuhe, bevor er ihn zudeckte.

Menschen waren zerbrechliche Leichtgewichte. Loki hatte sich stets als stattlichen, umsichtigen Liebhaber gesehen – jemand, der nur seine beste Seite zeigte und stets Rücksicht nahm. Ein wesentlicher Grund, seine Verführungskünste einzusetzen, war seine Reputation und das beruhigende Gefühl, jederzeit die Kontrolle zu behalten. Umso mehr, wenn auch selten, schätzte Loki jene kostbaren Augenblicke, in denen er sich im Bett fallen lassen konnte.

In einer liebevollen Geste strich er über Dons Bartstoppeln an der Wange.

„Bitte, Don, komm zu mir!“

Ein lähmendes Gefühl von Schuld lastete auf ihm, schnürte ihm die Kehle zu. Loki biss sich fest auf die Unterlippe, um Tränen zu verhindern. „Ich wollte nie, dass du verletzt wirst.“

Während Loki auf ein Zeichen von ihm hoffte, durchzuckte ihn ein Moment von Klarheit: Don war das Beste, was ihm passieren konnte. Er war der rosa Elefant, der trotz seiner Weigerung an ihn zu denken, der in letzten Wochen in New York in seinen Gedanken präsent war.

Ein einfacher Mann hatte ihn nachhaltig verzaubert.

„Dein Leben ist nicht langweilig. Du bist nicht zu brav und lieb“, flüsterte Loki, „In Wahrheit beneide ich dich. Ich beneide deinen Mut, deine Lebendigkeit. Du hast nie verlernt, mit dem Herzen zu fühlen. Nicht wie ich.“

Loki legte seinen Kopf traurig auf seine Brust und schloss die Augen. Ganz in sich versunken spürte er kaum, wie sich seine Armreife langsam lösten. Erst als er den Kopf wieder hob und ein leises Schluchzen ausstieß, fiel sein Blick auf den Goldschmuck, der auf dem Bett lag.

Ungläubig starrte er auf die gelösten Fesseln.

Loki verstand nichts.

Seine Hand, die auf Dons weißem Hemd ruhte, färbte sich. Es war das unverwechselbare Blau-Grau der Jotuns. Loki hatte seine wahre Herkunft verdrängen wollen, hatte sogar versucht, sein ganzes Volk auszulöschen – und doch konnte er ihr niemals entkommen.

Hastig riss Loki seine ihm fremdartig erscheinende Hand von Dons Brust. Ein flüchtiger Schauer durchzuckte ihn: die Angst, ihn zu verletzen oder gar in den frostigen Tod zu stoßen. Auch wenn er rational wusste, dass er die Kontrolle besaß.

Erschrocken war er unfähig, den Blick von seiner eigenen Haut zu lösen. Erst langsam sickerte die Erkenntnis durch, was es wirklich bedeutete: Seine Magie war zurück.

Er ballte die Finger zur Faust, zwang die täuschende Farbe zurück, bis seine Züge wieder die Maske eines Aesir zeigten.

Mit pochendem Herzen atmete Loki auf.

Erst danach richtete er seine ganze Aufmerksamkeit erneut auf Don. Heilkunst gehörte nicht zu seinen Stärken, doch er verstand sich darauf, die Selbstheilungskräfte anzuheizen. Mit unbewegtem Blick konzentrierte er sich und ließ seine Magie auf den menschlichen Körper wirken.

Es dauerte nicht lange, da schlug Don verwirrt blinzelnd die Augen auf. „Was…?“, stammelte dieser, „Was ist passiert?“

Loki lächelte ihn zuversichtlich an, obwohl er diese Zuversicht selbst nicht fühlte. Zu tief saß der Schock, an seine Abstammung erinnert zu werden. „Du bist gestützt und mit dem Kopf aufgeschlagen. Ich war zu ruppig... Verzeih mir bitte.“

„Oh Gott…“ Don hob eine zitternde Hand an den Kopf, spürte das halb getrocknete Blut im Haar, aber keine offene Wunde mehr. Überrascht und doch benommen schloss er für einen Atemzug die Augen. „Was? Wie…?“

„Wie fühlst du dich?“

„Schwach.“

Loki neigte den Kopf. „Das ist normal“, sagte er tonlos, doch sanfter als sonst. „Dein Körper braucht Zeit, um das Gleichgewicht wiederzufinden. Ruh dich aus.“

Sein Blick blieb an Loki hängen, suchend, als wolle er begreifen, was gerade geschehen war. „Bist du… noch da, wenn ich die Augen wieder öffne?“ Dons Hand suchte und fand seine Arm.

Für einen Moment schwieg Loki. Etwas in der Frage rührte an einer Stelle tief in ihm. Dann zog sich ein schiefes, spöttisches Lächeln auf seine Lippen, das die Unsicherheit dahinter kaum verdeckte.

„Ich laufe schon nicht davon“, antwortete Loki. Seine Stimme klang ernster, als er wollte.

Dons Augenlider sanken langsam herab. Er versuchte, sich wach zu halten. „Versprich’s mir.“

Loki verharrte. Dann beugte er sich leicht zu ihm, seine Hand mit ruhelosen Fingern, die beinahe die Stirn berührten, ohne sie ganz zu erreichen. „Ich verspreche es“, raunte er leise.

War es eine Lüge? Loki wusste es selbst nicht.

Beruhigt ließ Don seine Augen zufallen und sank in einen traumlosen Schlaf.

Loki hockte neben ihm auf dem Bett und beobachtete ihn im Schlaf. Widersprüchliche Gefühle zwischen der Sehnsucht zu bleiben und der Angst vor dem Gesehenwerden tobten in seinem Inneren. Jetzt, da seine Macht wieder hergestellt war, konnte er Midgard problemlos verlassen. Nein, er konnte Midgard sogar zu seinem Reich machen. Aber danach dürstete es ihn nicht.

Mit einem langen Seufzer erhob er sich und ging ins Bad. Dort ließ Loki seinen Hüllen fallen, bevor seine wahre Natur im Spiegel betrachten konnte. In seinem Ebenbild zeigte sich die unübersehbare Wahrheit: Er war keiner von ihnen. Weder Mensch noch Aesir.

Loki betrachtete die feinen Linien auf seiner blau-grauen Haut, die sich wie Jahresringe eines Baumes auf seinem Gesicht und Oberkörper zu sehen waren. Aus dem Spiegel starrten ihm rote Augen entgegen. Er war es und dann wieder auch nicht. Zweifelnd berührte Loki mit seinen Fingern sein Gesicht, glitt über Mund und Kiefer.

Er war abstoßend und fremdartig. Eine Verschandelung.

Er konnte sich nicht erinnern, je ein positives Wort über die Forstriesen vernommen zu haben. Das waren brutale, minderbemittelte Monster. Genauso wie er.

Mit Gram im Bauch dachte Loki an Asgard. Der Allvater hatte ihn sein Leben lang belogen und ihn glauben gemacht, etwas zu sein, was er nicht war. Nach Lokis (fehlgeleiteten) Plan, eine ganze Spezies – die Feinde Asgards – auszulösen, um Odin zu gefallen, war ihm nichts mehr geblieben.

Seine Muskeln spannten sich unwillkürlich an. Ein Zittern ging durch ihn, zuerst kaum spürbar, dann unaufhaltsam. Die Fingernägel krampften sich in seine Handflächen.

Loki erinnerte sich daran, wie er Thor zu einem letzten Kampf auf der Regenbogenbrücke herausgefordert hatte. Getrieben von dem verzweifelten Drang, sich zu beweisen und die Rolle des Monsters anzunehmen, hatte er seinen Bruder immer wieder zum Kampf angestachelt, obwohl er wusste, dass Thor ihn verschonte.

Er hätte alles sofort beenden können – vielleicht hätte ihn dann nur eine Strafe für seine Vergehen erwartet statt das Todesurteil. Doch unfähig, seine Herkunft zu akzeptieren, hatte Loki alles von sich gestoßen, um das Monster seiner Geschichte zu werden.

Magie flackerte über seine Haut, ein fahles, bläuliches Leuchten, das seine Gestalt unruhig umspielte. Jeder Atemzug wurde lauter und heftiger, als müsste die Luft aus seinem inneren Chaos entweichen. Jeder gekeuchte Stoß aus der Lunge war ein Stück freigesetzter Selbsthass.

Ein Impuls ging durch Loki. Seine Fäuste krachten mit brutaler Wucht auf den Waschtisch, der unter der Kraft des Schlags mit einem langen, scharfen Knirschen zersprang und in der Mitte auseinander fiel. Splitter und Staub stoben in die Luft und regneten geräuschvoll zu Boden.

Loki starrte keuchend auf sein Werk, sein Atem hart und stoßweise. Die Wut flaute langsam ab, doch die Abscheu hallte nach.

Er hob den Blick zum Spiegel und erschuf mit seiner großen Kunst, der Illusion, die ikonische Inszenierung als Gott und Bösewicht in majestätischer Rüstung, gekrönt vom goldenen Helm mit den langen, nach oben geschwungenen Hörnern.

Einen langen Moment starrte Loki sein Abbild im Spiegel an: Die Verkörperung seiner arroganten, snobistischen und herrschaftlichen Persona.

Das war er nicht.

Loki war voller Wunden, Wut und Sehnsucht gewesen, als Thanos ihn gefunden hatte. Der Titan hatte seine Dunkelheit genährt. Mit nüchternem Abstand wusste Loki, dass Thanos ihn und seine Begehren für seine Zwecke benutzt hatte. In seltenen Momenten der Gewissheit war seine lächerliche Rachsucht gegenüber Thor vergessen. Seinen dummen, plumpen, gutherzigen Bruder in New York wieder zu sehen, hatte ihm trotz Einflusses des Zepters Tränen in die Augen getrieben.

Wer war er ohne Thor? Ohne Odin? Ohne Frigga?

Loki ließ die Illusion seiner erlauchten Garderobe wieder fallen. Zurück blieb nur die nackte, asgardische Haut.

Mit unscheinbaren Handbewegung stellte Loki den Waschtisch wieder her, als wäre nichts gewesen.

Loki lauschte, ob er Don geweckt hatte, doch von nebenan war nichts zu hören. Don hatte mit all dem nichts zu tun. Er war Lokis Anker in diesem Reich. Einer, den nur zu bereitwillig hatte fallen lassen.

Loki schlüpfte in seinen einfachen, dunkelgrünen Pyjama und ging Don, der immer noch seelenruhig im Bett seine Verletzung auskurierte. Er kniete sich auf die Matratze, die unter ihm leicht nachgab. Mit zarten Fingern berührte er Dons lange Haare. Sie fühlten sich weich an.

Wehmütig seufzte Loki. Er hatte sich das einzig Gute auf Midgard selbst verweigert. Erschöpft schlüpfte er unter die Bettdecke und kuschelte sich an Don, wo er sich sicher fühlte.